Alea iacta est - Teil 2

Autor: Finnicka
veröffentlicht am: 26.03.2014


Es musste gegen Nachmittag sein, als Mia klatschnass aus dem See trat und sich auf ihr Handtuch warf. Sie war alleine. All ihre Mitschüler saßen vorbildlich im Unterricht und streberten um die Wette - ihr Freund eingeschlossen. Sie stattdessen genoss die Sonne, tankte neue Energie und bräunte ihre Haut. Ihre Wut über Finn war mittlerweile verschwunden. Im Nachhinein konnte sie ihn recht gut verstehen - schließlich hing seine Versetzung von Mathe ab. Sie hatte nur mal wieder einen Grund gesucht, um mit ihm zu streiten, um wütend auf ihn sein zu können. Wütend, auf ihren perfekten Freund...
Plötzlich warf sich ein Schatten auf sie. Sie öffnete die Lider, um die Wolke, die der vermutliche Übeltäter sein musste, mit ihre Blicke zu erdolchen. Doch stattdessen starrte sie in tiefbraune, fast schwarze Augen.
"Finn", sagte sie erstaunt und richtete sich auf. Er kniete sich neben sie ins Gras. "Was machst du hier?", fragte sie.
"Ich lasse mich von dir zum Schwänzen entführen - zumindest der letzten vier Stunden", fügte er grinsend hinzu. "Ich habe gehofft, du wärst ein wenig beschwichtigt, wenn ich dir wenigstens ein paar Stunden Gesellschaft leisten würde."
Sie seufzte. "Eigentlich wollte ich mich sowieso bei dir entschuldigen Finn. Ich weiß, wie wichtig der Test für dich heute war. Ich bin manchmal eine echte Zicke."
"Ich hoffe du wirst nicht sauer, wenn ich dir da ausnahmsweise mal nicht widerspreche", spitzbübisch stupste er sie an. Sie kicherte. "Nein. Aber meine Überraschung für dich hast du dir damit versaut."
Er lachte. "Du bist ein echtes Biest." Sanft wuschelte er ihr durch das feuchte Haar, ließ seine Hand dann allerdings an ihrem Hinterkopf ruhen und zog sie sanft zu sich, um sie zu küssen. "Im Übrigen bekommst du dafür eine Überraschung von mir", sagte er, als er sich von Mia löste. "Es sollte eigentlich dein Geburtstagsgeschenk werden, aber da ich nicht mehr so lange warten mag..." Er zog eine kleine, blaue Schatulle aus seiner Tasche und hielt sie ihr hin. Skeptisch hob sie eine Augenbraue und blickte Finn zweifelnd an. "Ich hoffe, dass wird kein Heiratsantrag." Er verdrehte die Augen. "Jetzt mach schon", entgegnete er.
Zaghaft nahm sie ihm die kleine Box aus der Hand, drehte und wandte sie, bis sie sie schließlich öffnete. In zartem Samt eingewickelt lag eine Kette aus Gold, mit einem Anhänger, der so schön war, dass es schon wehtat, ihn zu betrachten.
"Finn...", ihr fehlten die Worte. Sehr vorsichtig, um die zarte Kette nicht zu beschädigen, nahm sie sie zwischen zwei Finger und legte sie in ihre Handfläche, um sie besser betrachten zu können.
Der Anhänger bestand aus einem goldenen, filigranen Rahmen, von dem feine Schnörkel in Richtung Mitte ausgingen. Wie feine, schlangenartige Geäste hielten diese einen runden Opal in der Mitte umrankt, umschlangen ihn beschützend wie eine Mutter ihr Kind.
"Hilfst du mir?", fragte sie Finn und wandte ihm den Rücken zu, damit er den feinen Verschluss in ihrem Nacken schließen konnte.
Die Kette hing schwer um ihren Hals und fühlte sich angenehm warm auf ihrer Haut an. Sie war so schön... Sie wusste nicht, was sie sagen, wie sie ihrem Freund danken sollte.
"Die Kette ist unglaublich. Du bist unglaublich", flüsterte sie schließlich, legte eine Hand an seine Wange und erwiderte liebevoll seinen Blick. "Dabei habe ich das gar nicht verdient."
"Hast du", widersprach er ihr. Seine Augen blitzten. Sie konnte seine Liebe für sie in ihnen erkennen, konnte sie spüren. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem gesamten Körper aus, füllte jede kleinstes Gefäß in ihrem Inneren, füllte sie komplett aus. Sie war so überrumpelt von der Intensität dieser Emotionen, dass sie nach Luft schnappen und sich ein Stück von ihm weglehnen musste, um besser atmen zu können.
"Alles in Ordnung?", fragte Finn. Mia nickte, doch dann schüttelte sie den Kopf. "Ich fühl mich so schlecht", flüsterte sie.
"Wenn sie dir nicht gefällt, kann ich sie zurückbringen...", erwiderte er verwirrt.
"Nein. Nein!", sagte sie energisch. "Nicht deswegen. Sie ist wunderschön. Du bist so großartig, so liebevoll. Zuvorkommend. Manchmal habe ich das Gefühl, ich hätte dich gar nicht verdient. Manchmal denke ich, dass du jemand viel besseres finden könntest, jemand, der nicht so ein gemeines Biest ist wie ich. Jemand, der..."
"Mia." Diesmal war er es, der sie unterbrach. Er schaute tief in ihre Augen, sah sie beschwörend an "Liebst du mich?" Seine tiefe, warme Stimme jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken.
"Ich liebe dich", hauchte sie statt einer Antwort.
Er küsste sie zärtlich. "Das ist alles was zählt."

Als sie zurück zum Internat kehrten, war es schon spät. Das Abendessen hatten sie um Stunden verpasst und die meisten Schüler waren bereits auf ihren Zimmern verschwunden.
Und natürlich war Mias ganztägige unentschuldigte Abwesenheit nicht unbemerkte geblieben, denn als sie das große Gittertor passierten, das die meterhohe, rostbraune Mauer unterbrach, saß bereits Mias Kursleiter auf der Bank im Schatten der Bäume und wartete auf ihre Rückkehr.
"Hallo, Mister Tarrel", grinsend hob Mia die linke Hand, mit der Rechten hielt sie die ihres Freundes. Sie winkte Mr. Tarrel schamlos zu und ging auf ihn zu. Dieser erhob sich und schob seinen braun-karrierten Hut aus der Stirn, während er Mia und Finn unzufrieden entgegenblickte.
"Mia. Finn", begrüßte er knapp mit tiefer, krächzender Stimme. "Ich habe Sie heute in meinem Unterricht vermisst."
"Ich weiß", entgegnete sie aufmüpfig.
"Mia", tadelte Finn sie leise und beugte sich näher zu ihr, um ihr den Arm um die Schultern legen zu können. "Eigentlich wollte sie sagen, dass es ihr leid tut. Ihr ging es nicht sonderlich gut, da hat sie sich eine Auszeit genommen und sich ein wenig an der frischen Luft erholt."
Mia hob eine Augenbraue und verdrehte die Augen. Doch sie sagte nichts, sondern hielt den Mund.
"Ich würde das sehr gerne als Ausrede gelten lassen", erwiderte Mr. Tarrel. "Aber Mias ständige Abwesenheit in meinem Unterricht macht mir Sorgen. In letzter Zeit kommt das viel zu oft vor - sie hat mehr Fehlzeiten als Anwesenheitsstunden." Er hielt kurz inne und wandte seinen Blick von Finn zu Mia. "Das ist auch der Grund, warum ich hier auf dich gewartet habe", fuhr er fort. "Bisher habe ich die Rektorin nicht informiert - aber auch nur, weil Sie eine mustergültige Schülerin sind, was die Notensache betrifft. Aber hiermit gebe ich Ihnen die letzte - und damit meine ich wirklich, die allerletzte Warnung, Mia: Halten Sie sich an den Unterricht, stellen Sie Ihre ständige Schwänzerei ein und geben Sie endlich Vollgas! Ansonsten..."
"Ansonsten was?", unterbrach sie ihn ohne größeren Respekt vor seiner Ansprache. "Ansonsten informieren sie die Rektorin?" Provokant verschränkte sie die Arme vor der Brust und erwiderte starr den Blick ihres Lehrers.
"Ansonsten wird mir nichts anderes übrig bleiben, als Ms. Jefferson zu informieren", bestätigte er tonlos. Dann wandte er sich ein weiteres Mal Finn zu. "Was Sie betrifft", begann er. "Ihnen rate ich sich nicht ständig von ihr um den kleinen Finger wickeln zu lassen. Im Gegensatz zu Mia sind Ihre Leistungen nicht gerade glänzend. Es wäre bedauerlich, wenn sie die Stufe nicht schaffen würden. Sehr bedauerlich", fügte er hinzu. "Zumal dies ein Rauswurf für sie bedeuten würde." Mit diesen Worten wandte er sich ab und wollte zum Schulgebäude zurücklaufen, doch dann hielt er nochmals inne und sagte mit Nachdruck: "Ich möchte euch nicht drohen - weder Ihnen, noch Mia. Versteht es als Warnung, als Hinweis oder vielleicht sogar als Hilfe. Ich würde nur ungerne zusehen, wie sich Mia ihre gesamte Zukunft verbaut, nur weil sie den Verlust ihres Freundes und dazu noch schlechte Noten einstecken muss." Er nickte ihnen zu und ging mit großen Schritten davon.
"Rauswurf", wiederholte Mia nach einer Weile und löste den starren Blick mit dem sie Mr. Tarrel verfolgt hatte und zugesehen hatte, wie er hinter der großen, hölzernen Eingangstür des Gebäudes verschwunden war. Zorn stieg in ihr auf, als sie sich ihrem Freund zuwandte und seinen Arm von ihrer Schulter schüttelte. "Rauswurf?!", stieß sie diesmal etwas lauter aus. "Du hast mir nie gesagt wie ernst es für dich momentan aussieht, Finn!"
"Du wusstest, dass ich auf der Kippe stehe", entgegnete er ruhig während er die Arme vor der Brust verschränkte und seine wütende Freundin musterte.
"Auf der Kippe stehen und Rauswurf sind meiner Meinung nach zwei verschiedene Dinge. Zwei völlig verschiedene Dinge!"
"Wenn man eine Weile darüber nachdenkt, liegen sie gar nicht soweit auseinander wie du denkst."
Sprachlos und mit offenem Mund erwiderte sie seinen Blick, seinen seelenruhigen Blick. Er tat so, als würde es hier nicht um seine Versetzung, um seine Zukunft gehen. Sowohl seine berufliche Zukunft, als auch die mit Mia stand hier genau in diesem Moment auf der Kippe - besser gesagt stand sie ja schon längere Zeit auf der Kippe, doch ohne Mias Wissen. Sie traf diese Neuigkeit völlig unvorbereitet, wie ein Schlag ins Gesicht.
"Das kann nicht dein Ernst sein", stieß sie schließlich aus.
"Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was dein Problem ist, Mia", erwiderte er kühl.
"Du verstehst nicht, was mein Problem ist?", fauchte sie. "Das kann ich dir sagen, Finn!" Wütend knirschte sie mit den Zähnen und ballte die Hände zur Faust, sodass sich ihre Nägel in die Handflächen bohrten. Der Schmerz half ihr, nicht völlig die Fassung zu verlieren. "Mein Problem ist, dass du in Wahrheit nicht nur ein wenig auf der Kippe stehst und somit deine Versetzung gefährdet ist, sondern dass du wahrscheinlich von der Schule fliegst, dass du rausgeworfen wirst! Weißt du, was das bedeutet? Hast du überhaupt irgendeine Ahnung, was das mir bedeutet? Was das für mich bedeutet?" Sie stockte, räusperte sich, schnappte aufgebracht nach Luft. "Statt mir zu sagen, wie ernst die Lage eigentlich ist, kommst du heute Mittag wirklich zu mir an den See und hast den Unterricht geschwänzt. Geschwänzt!", wiederholte sie und warf dabei die Hände in die Luft. "Mir eine heile Welt vorgegaukelt, mir ein teures Geschenk gemacht und den ganzen Nachmittag dort mit mir verschwendet, während du von der Schule fliegst!" Sie war dabei, völlig auszuflippen.
"Mia", unterbrach Finn sie. Diesmal klang seine Stimme nicht mehr so furchtbar unterkühlt, sondern etwas sanfter. Er nahm ihre Hände in die seine, zog sie an seine Brust und drückte sie an sich. Sie währte sich gegen seine Umarmung, doch er ließ sie nicht los. "Ich gehe nirgendwohin. Jedenfalls nicht so schnell. Das Schuljahr ist noch lange nicht vorbei und ich habe noch unzählige Möglichkeiten, mich zu verbessern. Der eine Nachmittag mit dir am See wird nicht mein Todesurteil sein. Und glaub mir", fügte er hinzu. "Ich bin schon alt genug um selbst einschätzen zu können, wann ich mir mal erlauben kann, den Unterricht zu schwänzen und wann nicht. Mach dir also bitte keine Vorwürfe , dass du mich heute dazu überredet hast."
Während seinen kurzen Beteuerungen und Versprechungen flaute Mias Wut ein wenig ab, und innerlich musste sie aufseufzen, weil Finn sie mal wieder besser verstand, als sie sich selbst. Sie war nicht wütend, weil er ihr nicht gesagt hatte, wie ernst seine Lage war, sondern weil sie selbst nicht gemerkt hatte, dass hier mehr als nur seine Versetzung auf dem Spiel stand. Und mehr noch, sie hatte ihn sogar dazu überredet, dazu gebracht den Unterricht, den er so nötig hatte, zu schwänzen.
Sie fühlte sich schuldig und hundsmiserabel elend.
Sie drückte sich an seine muskulöse Brust und vergrub ihr Gesicht in sein Hemd. Sie schwieg, erwiderte nichts mehr und atmete einfach nur seinen Duft ein, der sie so unglaublich beruhigte.






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