Voiceless - Teil 16

Autor: emeliemia
veröffentlicht am: 01.10.2014


Es tut mir schrecklich Leid, dass das alles im Moment so lange dauert, mit den neuen Teilen. :/


Als ob ich nach ihm gerufen hätte (was für ein origineller Witz!), dreht er sich in meine Richtung, sieht mich und steuert direkt auf mich zu.
»Hey Summer, da bist du ja! Geht es dir schon besser?« Seine Stimme klingt freundlich, aber er starrt mich an, mit einem unheimlichen, glotzenden Ausdruck in den Augen, dass mir mulmig zumute wird.
Er studiert dein Gesicht, fährt es mir durch den Kopf, er will irgendeine Regung sehen. Es vergeht bestimmt über eine Minute, wo Eric mich ungeniert mustert, was äußerst unangenehm ist. Mein Nacken wird heiß und ich beginne zu schwitzen, obwohl es im Krankenhaus sehr kühl ist.
»Ich bin hier um dich abzuholen.«
Mich abzuholen?
Was ist mit Sam?
»Komm.«, aus irgendeinem Grund scheint Eric es furchtbar eilig zu haben, seine Augen huschen blitzschnell durch die Eingangshalle, immer und immer wieder. Er macht eine auffordernde Geste mit seiner Hand, aber ich bewege mich nicht. Sam hat mir versprochen, dass er mich abholt. Ich kann ihn nicht versetzen, nicht nach dem, was gestern geschehen ist.
Was soll ich jetzt tun? Den Kopf schütteln? Irgendwie muss ich ihm begreiflich machen, dass ich nicht mit ihm, sondern mit Sam fahren will. Aber aus einem unerklärlichen Grund weigere ich mich ein Zeichen der Kommunikation zu geben. Eric soll nicht wissen, was ich bereits für Fortschritte gemacht habe. Auch wenn es bescheuert klingt, ich will es einfach nicht. Mein Bauch sagt mir, dass er unehrlich zu mir ist, dass er mir nicht helfen möchte, weil er Lust dazu hat, sondern, dass er eigene Pläne verfolgt und dass ich, also der Erfolg meiner Heilung, nur ein blödes, aber wichtiges Mittel zum Zweck ist. Und das ist das, was mich vor Eric zurück schrecken lässt, auch wenn er am Anfang sehr freundlich gewirkt hat. Seine Nähe erzeugt ein unangenehmes Gefühl in meiner Magengegend. Und von solchen Leuten halte ich mich normalerweise fern.
»Summer, komm jetzt bitte. Wir können hier nicht ewig herum stehen.«, sagt Eric ungeduldig. »Außerdem habe ich mit Dr. Magnus gesprochen. Wir müssen zum Arzt wegen deinem Fuß.« Er wechselt mehrmals sein Standbein in wenigen Augenblicken. Was mir verrät, dass er nervös ist. Wobei sich wiederum die Frage aufwirft: Warum?
Und dann dämmert es mir.
Erics Plan ist es zu verhindern, dass Sam weiterhin Zeit mit mir verbringt! Er weiß, dass Sam mich abholen kommt und will nicht, dass ich bei ihm mitfahre.
Aber warum?


- Sam -

Eigentlich hatte ich auf Summer unten in der Eingangshalle warten wollen, mit einem Strauß Blumen in der Hand. Doch das Leben klappt selten nach Plan. Es ist Siebzehn nach Neun.
Ich entdecke Summer nicht sofort. Aber ich weiß von dem Moment an, wo ich das Krankenhaus betrete, dass sie hier ist.
An der Wandseite sind ein paar Stühle aufgereiht, die fast alle besetzt sind. Und als ich meinen Blick durch die Eingangshalle schweifen lasse, entdecke ich Eric. Und dahinter Summer. Mein Herz scheint gleichzeitig einen Sprung zu machen und zu stocken. Einerseits weil Summer wieder wohlauf ist und es ihr besser geht, andererseits weil Eric direkt vor ihr steht und wild auf sie ein diskutiert. Was soll das? Was macht er hier?
Ich renne beinahe zu ihnen hin. Den Strauß halte ich fest umklammert, als ob er mir Mut machen würde, je fester ich ihn halte. Meine Fingerknöchel stechen weiß hervor.
Eric steht mit dem Rücken zu mir, sodass ich nicht höre was er sagt. Aber ich sehe Summers Gesicht. Es ist völlig ausdruckslos und für einen Moment zieht sich mein Herz auf schmerzhafte Weise in meinem Brustkorb zusammen. Ist der ganze Fortschritt, den sie gemacht hat, hin? Wenn das alles Erics Schuld ist, dann...
Doch bevor ich diesen Gedanken in meinem Kopf zu Ende formulieren kann, sieht Summer an Eric vorbei und entdeckt mich. Ihre Miene hellt sich auf und ich glaube sogar fast ein Lächeln zu sehen. Sie steht auf und jetzt dreht Eric sich um. Seine Augen verengen sich kaum merklich zu Schlitzen, als er mich sieht.
»Sam.«, sagt er und aus seinem Mund klingt mein Name wie ein Fluch, eine Seuche. Summer drängelt sich an ihm vorbei, bleibt direkt vor mir stehen und jetzt strahlt sie. Einen Augenblick lang vergesse ich alles um mich herum. Da ist nur sie. Und ihr unglaublich schönes Lächeln.
»Hey.«, sage ich leise und räuspere mich. Dann halte ich ihr die Blumen hin. »Für dich.« Summer nimmt mit großen Augen den Strauß entgegen und in der nächsten Sekunde legt sie ihre Arme um mich. Ganz zart und sanft. Ihre Haare berühren meinen Hals und ihr Duft steigt mir in die Nase.
Wäre Eric nicht gewesen, der mich wie gestern mit Giftpfeilen zu ermorden scheint, hätte ich die Umarmung fester, inniger erwidert. Ich hätte ihr übers Haar gestrichen, ihr vielleicht irgendetwas Romantisches oder Nettes ins Ohr geflüstert. Aber er lässt mich nicht. Stattdessen tippt er Summer auf den Arm und fragt mit geheuchelter Stimme: »Bei wem möchtest du denn jetzt mitfahren? So wie es aussieht hat Sam ebenfalls beschlossen dich abzuholen.« Summer löst sich sichtlich widerwillig aus unserer Umarmung, was mein Selbstwertgefühl hochsteigen lässt. Wenn Eric so weiter macht, wird sie ihn irgendwann nicht mehr sehen wollen. Dieser Gedanke gefällt mir mehr, als er eigentlich sollte. Ich lasse schon wieder den Egoist heraus hängen. Als wäre ich ein Drache und Summer mein goldener Schatz, den ich um jeden Preis für mich behalten will.
Mein goldener Schatz blickt von Eric zu mir, dann wieder zu Eric und wieder zu mir. Ich versuche, keinen flehenden Ausdruck in den Augen zu haben, auch wenn ich will, dass sie bei mir mitfährt. Sowas kommt, meiner Meinung nach, mehr als erbärmlich rüber.
Summer greift langsam mit der freien Hand nach meinem Arm. Ihr Gesicht ist wieder vollkommen ausdruckslos, während sie Eric ansieht. Dieser atmet lauter aus, als normal. Es missfällt ihm, dass Summer sich für mich entscheidet.
»Wir wollten heute ein kleines Picknick machen.«, sage ich als Erklärung, um es irgendwie für Eric erträglicher zu machen, jetzt wo klar wird, dass er Summers zweite Wahl ist.
»Klar. Viel Spaß.«, erwidert er knapp. Sein gehässiger Unterton ist nicht zu überhören. Dann schreitet er eilig und in großen Schritten davon. Summer wirft mir einen stirnrunzelnden Blick zu. Anschließend hakt sie sich bei mir ein und wir verlassen die Eingangshalle. Sie humpelt nicht mehr so stark wie gestern.
Es regnet draußen und sie zuckt zusammen als der erste Tropfen sie berührt. Doch dann hebt sie den Kopf zum Himmel, streckt ihre Zunge raus und versucht den Regen damit einzufangen. Dabei sieht sie so süß aus, dass dieser Anblick beinahe schmerzt. Meine schon ohnehin extrem große und extrem starke Sehnsucht wächst in diesem Augenblick gegen unendlich. Ich sehne mich danach sie in den Arm zu nehmen und allen zu sagen: Das ist meine Freundin. Ich sehne mich danach ihr tief in die Augen blicken zu können und zu wissen, dass dieses Strahlen meinetwegen ist. Ich sehne mich danach sie zu küssen. Und Ja, auch mit ihr zu schlafen. Ich will ihre nackte Haut unter meinen Fingern zu spüren.
Mir wird mit einem Mal ganz heiß bei dem Gedanken sie nackt zu sehen und ich merke, wie sich in meiner Hose etwas regt. Scheiße! Verdammt, warum kann ich mich nicht zusammen reißen?!
Zum Glück entdecke ich Mom\'s Auto und ziehe Summer dorthin.
»Komm, gehen wir. Ich möchte ungern nass werden.« Sie nickt und folgt mir. Ruby hätte bestimmt eine Szene gemacht. Sie macht immer eine Szene wenn ihr etwas nicht passt. Der Gedanke an Ruby lässt meine Erektion schrumpfen, worüber ich sehr erleichtert bin.
»Da seid ihr ja! Steigt schnell ein, bevor ihr noch klitschnass werdet.«, meint meine Mutter fröhlich und schenkt Summer ein nettes Lächeln. Mein goldener Schatz lächelt zaghaft zurück. Ich nehme ihre Hand und drücke sie, um ihr zu zeigen, wie stolz ich auf sie bin, dass sie versucht mit fremden Menschen Kontakt aufzunehmen.
Kaum sitzen wir im Auto, trommelt der Regen lautstark gegen die Fenster. Summer blickt während der Fahrt nach draußen und ihr Gesichtsausdruck wird dabei ein wenig wehmütig. Sie scheint an etwas aus ihrer Vergangenheit zu denken; vielleicht hat der Regen eine besondere Bedeutung für sie. Ich halte noch immer ihre Hand und fahre langsam mit meinem Daumen über ihren Handrücken.
Gott, sie ist so schön.
Womit habe ich nur verdient, dass jemand wie sie in mein Leben getreten ist?

Als meine Mutter vor unserem Haus anhält, regnet es immer noch. Ich will Summer helfen so rasch wie möglich ins Warme zu kommen, sodass sie nicht nass wird, doch stattdessen bleibt sie stehen, legt wieder ihren Kopf in den Nacken und streckt die Zunge raus. Schweigend sehe ich ihr dabei zu, wie sie erneut versucht Regentropfen einzufangen und lasse mich noch einmal von der bittersüßen Welle der schmerzhaften Sehnsucht überrollen. Ich merke nicht, dass meine Mutter uns ganz diskret allein gelassen hat. So was kann sie wirklich gut, sie weiß ganz genau, in welchen Momenten sie unauffällig verschwinden muss.
Summer wirft mir einen auffordernden Blick zu. Mittlerweile sind wir beide komplett nass und meine Kleidung klebt an mir wie eine zweite Haut. Was soll\'s? Es ist doch nur Regen. Sie wirkt richtig glücklich, als ich mich ihr anschließe und ebenfalls den Kopf in den Nacken lege. Ich greife nach ihren Händen, damit sie sich an mir abstützen kann und in diesem Augenblick komme ich mir vor wie in einem von diesen übertrieben kitschigen Filmen, wo die Protagonisten kurz vor dem ersten Kuss stehen. Als ich Ruby geküsst habe, war ich mir sicher, dass niemand solche Gefühle empfinden konnte, wie in diesen Filmen. Doch als ich jetzt Summer gegenüberstehe, das niedliche Leuchten in ihren Augen sehe und ihre Haare ihr nass ins Gesicht hängen, muss ich meine Meinung noch einmal überdenken. Ruby ist nicht Summer. Summer ist etwas unglaublich Besonderes und vielleicht war das zwischen Ruby und mir nicht tief genug. Bei Summer ist alles so anders. Ihr Lächeln erhellt den Raum, ihre Nähe macht mich wahnsinnig, ich liebe es ihre Hand zu nehmen, sie bei mir zu haben, mit ihr Zeit zu verbringen. Sie gibt mir ein gutes Gefühl. Bei Ruby ist das nicht der Fall und ich frag e mich, ob ich überhaupt jemals etwas ansatzweise Ähnliches wie Gefühle für sie gehabt habe.
Mir ist warm und der Regen stört mich längst nicht mehr.
Ich könnte sie küssen. Hier und Jetzt. Im Regen. Ich bin ihr nah genug, um mich nur ein wenig vorzubeugen und dann...


- Summer -

Durch den Regen fühle ich mich wie in den Tropen. Es ist angenehm warm, was nicht zuletzt davon kommt, dass Sam meine Hände in den seinen hält und mir in seiner Nähe sowieso immer warm wird. Mein Herz klopft aufgeregt gegen meinen Brustkorb und wenn ich mich stark konzentriere, dann kann ich ihn riechen. Ich wünsche mir, dass Momente wie diese für immer andauern könnten. In den letzten Tagen hatte ich viele von solchen, unbeschreiblich schönen Momenten und alle basieren auf Sam. Die unschöne Begegnung mit Ruby ist weit in meinen Hinterkopf gerückt. Im Augenblick zählt nur das Hier und Jetzt.
Ich habe früher mit Mom und Dad viele Regentänze veranstaltet, aber jetzt einen zu tanzen traue ich mich nicht. Der Regen lässt schöne, süße Erinnerungen hochkommen und zum ersten Mal bleibt die Taubheit, der bittere Nachgeschmack aus. Ich fühle mich keineswegs in Trance, mein Herz zieht sich nicht schmerzhaft zusammen. Es stockt einmal kurz, schlägt dann aber im normalen Rhythmus weiter.
Liegt das an Sam? Daran, dass er mir das Gefühl gibt, ich sei Besonders? Daran, dass seine Nähe rasendes Herzschlagen und glühende Wangen meinerseits verursacht?
Wir sind uns ganz nah. Ein unglaublich weicher Ausdruck liegt in seinen Augen. Und noch etwas Anderes, was ich nicht deuten kann, ein seltsames, fröhliches Glänzen.

»SAM! HIER bist du also! Ich habe dich schon überall gesucht!« Wir fahren auseinander, als hätte ein Blitz zwischen uns eingeschlagen.
Auf dem Bürgersteig steht Ruby, mit pinkfarbenem Regenschirm und ebenso pinken Gummistiefeln. Dazu ultrakurze Jeans und ein tief ausgeschnittenes T-Shirt. Sofort wird mir eiskalt, Sam hat meine Hände fallen gelassen und starrt mit erschrockenem Gesichtsausdruck zu Ruby. Für einen kurzen Augenblick hat er diesen Rehaugenblick, sodass mir schlecht wird, weil ich erneut auf ihn hereingefallen bin. Doch dann verhärtet sich sein Mund und er verengt die Augen zusammen.
Sam ist wütend, seine Hände zu Fäusten geballt.
Rubys perfekt geschminkte Lippen ziehen sich zu einem kaum merklichen, zufriedenem Lächeln.
»Ich wollte dich abholen, damit du und ich zum Jahrmarkt gehen können.« Sie sagt das alles mit voller Absicht, um einen Keil zwischen mir und Sam zu treiben und sie ist auf einem guten Weg. Die Unsicherheit hat mich erneut gepackt und mein Blick huscht hastig hin und her, von Ruby zu Sam, von Sam zu Ruby.
Sam wird nicht mit mir zum Jahrmarkt gehen können. Dort sind zu viele Leute und ich könnte wieder einen Anfall bekommen, obwohl ich nicht an Klaustrophobie leide. Noch hinzu kommt mein Fuß, mit dem ich nur sehr langsam vorankomme.
»Ich hasse Jahrmärkte, Ruby. Das solltest du eigentlich wissen.«, erwidert Sam überraschend ernst, mit einem kalten, unwirschen Unterton und seine Augen verdunkeln sich stark. Aber nicht vor Wut. Sie wirken mit einem Mal vollkommen leer, leblos.
Ruby schnaubt. »Und DU solltest langsam mal darüber hinweg kommen, dass dein Vater nicht mehr da ist! Jedes Mal wenn ich von Jahrmärkten oder Fußballspielen rede, bekommst du diesen Blick! Das nervt, Sam, echt!«

Sams Vater ist tot?
Ich stehe wie vom Donner gerührt da, sehe zu Sam, der Ruby anstarrt, als sei sie ein Monster, weil sie ihn daran erinnert hat. Okay, in gewisser Weise ist sie das auch.
Deswegen zeigt er also so viel Verständnis für mich! Ebenso wie Jenny, seine Mom. Er hat dasselbe durchleben müssen wie ich.
Plötzlich erscheint er mir in einem noch viel helleren Licht. Ich sehe nicht nur den freundlichen, lieben Sam mehr in ihm, sondern auch den verletzbaren, traurigen Jungen, der einer seiner Liebsten verloren hat.
Das macht ihn umso anziehender, umso interessanter. In mir kommt der Wunsch auf nach seiner Hand zu greifen, sie zu drücken, ihn zu trösten. Wie lange ist es her, dass Sam seinen Vater verloren hat?
»Geh jetzt, Ruby. Wir sprechen uns später noch.«, es scheint, als müsste Sam seine ganze Kraft aufbringen, um Ruby ins Gesicht zu blicken und ihr diese letzten Worte zu sagen. Das Monster schnaubt wieder genervt und setzt zu einer Antwort an. Da fasse ich blitzschnell einen Entschluss, greife nach Sams Arm und ziehe ihn in Richtung Haustür. Er stolpert hinter mir her und für einen kurzen Augenblick ist Ruby so überrascht und perplex von meiner Aktion, dass ihr tatsächlich die Worte fehlen. Die Tür fällt ins Schloss und wir hören sie von draußen irgendetwas Unverständliches schreien.
»Danke.«, murmelt er. Ich halte immer noch seinen Arm und jetzt gehe ich meinem Wunsch nach und gleite seinen Arm hinunter, bis unsere Hände sich berühren und ineinander verschränken. Er starrt darauf hinunter, ein, zwei Sekunden lang. Dann finde ich mich plötzlich an seiner Brust wieder, er hat die Arme um mich geschlungen, sein Gesicht an meinen Hals vergraben und atmet tief Ein und Aus.
Wir verharren eine Weile so. Von Ruby ist nichts mehr zu hören, bestimmt ist sie weggegangen.
Irgendwann sagt Sam: »Lass uns hochgehen. Mir ist kalt.« Mir nicht, im Gegenteil, meine Haut brennt, mein Gesicht glüht und ich fühle mich wie als wäre ich gerade aus einer Sauna gekommen. Wir sind immer noch klatschnass und um uns herum haben sich viele kleine Pfützen gebildet.
»Ich gebe dir was zum Anziehen, okay?«
Okay, denke ich mir und nicke. Er nimmt meine Hand und zieht mich nach oben in sein Zimmer. Ich entdecke wieder die riesigen Muscheln, die auf seinem Nachttisch liegen. Sam bemerkt meinen Blick und wieder verdunkeln sich seine Augen, werden vollkommen leer, ohne jeden Glanz.
»Die hat mein Vater mir von Madagaskar mitgebracht, das hatte ich dir ja schon erzählt.« Ich nicke als Antwort. Sam spricht weiter, seine Stimme klingt ganz brüchig und rau: »Wir wollten eines Tages zum Jahrmarkt, was wir dann auch getan haben. Und danach zu einem Fußballspiel. Weißt du, ich habe Fußball und Jahrmärkte früher geliebt, also war das so etwas wie der schönste Tag in meinem Leben. Aber nach dem Spiel, waren die Fans des Verlierer-Vereins sauer und einige haben eine Schlägerei angezettelt. Und plötzlich hat ein Mann mit einer Pistole auf mich gezielt und mein Dad hat ... «, er bricht ab und senkt den Blick zu Boden. Ich blicke mich hastig im Zimmer um, suche nach dem Block und finde ihn auf Sams Schreibtisch.
Du musst nicht weiter erzählen. Es ist okay., schreibe ich und halte ihm den Block unter die Nase. Sams Kopf ist immer noch zu Boden gesenkt und etwas Nasses tropft auf das weiße Papier, welches sich wegen der Feuchtigkeit aufbläht.
Er weint.





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