Ozeanliebe, oder auch: Fischerliebe

Autor: Bellyflop
veröffentlicht am: 16.09.2013


Es war in den Sommerferien und meine Familie und ich waren in Frankreich. Meine Mutter ist nämlich Französin und so bin ich zweisprachig aufgewachsen. Und um mein Französisch zu perfektionieren, wollte ich drei Monate in Frankreich bei meiner Tante und meinem Onkel leben.
Meines Onkels Leidenschaft ist Fischen, da er und meine Tante in einer Stadt wohnen, die direkt am Meer ist. Er hat auch ein eigenes Boot, mit dem er am Wochenende immer aufs Meer hinaus fährt.
Es war das letzte Wochenende bevor die Schule in Frankreich wieder losging. Meine Cousine (10) hat bei uns von Samstag auf Sonntag übernachtet. Am Abend fragte uns mein Onkel uns, ob wir am nächsten Morgen, also Sonntag, mit ihm Fischen gehen wollten. Ich sagte sofort Ja, weil ich das Meer liebe, da ich in Deutschland eher im Innenland wohne. Meine Cousine willigte ebenfalls ein.
Und so kam es, dass wir am Sonntagmorgen um 9 Uhr zum Hafen fuhren. Der Himmel war in einem wunderschönem Blau getaucht, die wenigen Wolken, die es gab, waren leicht rosa gefärbt. Unterwegs erklärte mein Onkel uns, dass noch zwei weitere Freunde von ihm mitkommen würden. Er gab uns Schwimmwesten und Anoraks, die viel zu groß für mich und meine Cousine waren und wir sahen ziemlich bescheuert aus. Gerade wollten wir das Boot ins Wasser verladen, da hielt ein Auto in unserer Nähre und es stiegen zwei Männer aus. Der Erste war bestimmt schon Mitte Fünfzig, trug eine runde Sonnenbrille und hat spärliches, blondes Haar. Ich weiß alles so genau, weil ich die darauffolgenden Sekunden sehr intensiv durchlebt habe. Denn der Zweite ... oh mann. Als ich ihn gesehen habe, war mir der Atem weg geblieben und ich musste mich heftigst zusammenreißen, um normal zu reagieren, um normal zu begrüßen (in Frankreich begrüßt man sich mit Wangenküschen). Der junge Mann, der gerade aus einem meiner intensivsten und wunderschönsten Träume gestiegen schien, kam mit einem jungenhaften, spitzbübischen Grinsen und hüpfendem Gang auf mich zu, sagte seinen Namen, den ich gleich wieder vergaß, und gab mir zwei federleichte Küsse auf die Wange. Meine Haut brannte wie Feuer danach und mir wurde unerträglich heiß. Die ganze Situation war mir furchtbar peinlich, denn wie schon erwähnt, in dem Anorak mit der Schwimmweste, sah ich mehr als bescheuert aus. Ich sagte leise meinen Namen, vielleicht hat er ihn sogar nicht mehr gehört, da er schon wieder wegging. Ich lief zu meiner Cousine und zwang mich über etwas Belangloses zu reden, um nicht wie ein begossener Pudel dazustehen. Schließlich fragte ich sie, ob sie wüsste, wer diese beiden Männer waren. Mein Cousine ist zwar erst 10, doch da sie viel öfter mit meinen Onkel und meiner Tante zusammen war (schließlich kam ich ja nur während der Sommerferien nach Frankreich), bestand vielleicht die Möglichkeit, dass sie die beiden schon einmal gesehen hatte. In der Tat, das hatte sie. Sie erklärte mir, dass der blasse Mittfünfziger der Vater war und nannte mir den Namen meines Traumes: Anthony.
Anthony hat eine olivfarbene Haut, schwarze, zum verwuscheln einladende Haare und unglaubliche braune Augen, die meine Knie weich werden ließen, ebenso wie sein zauberhaftes Grinsen. Verlieben geht so schnell..
Wir stiegen ins Boot, meine Cousine und ich vorne, mein Onkel, der Mittfünfziger und Anthony (leider) hinten. Als wir aus dem Hafen hinaus fuhren und ich auf den weiten Horizont blickte, vergaß ich für einen Moment alles um mich herum. Das Meer hatte schon immer eine besondere Anziehungskraft auf mich gehabt, so auch heute. Ich schloss die Augen, atmete tief die frische, salzige Luft ein und fühlte mich so glücklich wie noch nie. Am liebsten hätte ich getanzt.
Irgendwann fragte meine Cousine, was wir denn nun eigentlich fischen wollten. Die Antwort: Macro (= Makrele).
Ich hatte keine Ahnung, was das bedeutete, also fragte ich meinen Onkel, der mir so gut wie es ging beschrieb, wie die Fische aussahen.
Es dauerte eine Weile bis mein Onkel fand, dass wir weit genug von der Küste entfernt waren. Die Wellen waren ein wenig unruhig, sodass das Boot oft ein wenig hoch flog und dann wieder hart auf der Wasseroberfläche landete. Ich habe meinen Hintern tagelang danach nicht begutachtet, aber ich weiß, dass ich mehrere blaue Flecken davongetragen hatte.
Es dauerte lange, bis endlich eine Makrele anbiss. Und wer war der Erste, der einen Fisch ins Boot holte? Anthony.
Wir gratulierten ihm und dann hieß es wieder warten.
Die Kiste, die für die Makrelen bestimmt war, füllte sich von mehr zu mehr. Doch plötzlich hatte Anthony ein Problem mit seiner Angel und er und mein Onkel tauschten kurz, damit Letzterer die Angel reparieren konnte. Anthony kam währenddessen zu uns nach vorne und setzte sich neben mich. Ich hatte gerade eine Makrele in der Hand, da die auf dem Boden lag und ich sie in die Kiste packen wollte. Meine Cousine wollte partout keinen Fisch anfassen, weil sie sich extrem davor ekelte, also habe ich das ausgenutzt, mich nach vorne gebeugt, mit dem Fisch vor ihrer Nase rumgewedelt und gesagt (natürlich auf Französisch): "Hallo ich heiße Mister Fish", woraufhin Anthony mir einen ziemlich verwirrt Blick zuwarf. Meine Cousine kreischte leise, was Anthony zum Lachen brachte. Er fragte uns in welche Klasse wir gingen und ich erwiderte, dass das französische Schulsystem anders, als das deutsche ist und er war dann ein wenig erstaunt/überrascht. Er fragte mich wie alt ich sei und ich antwortete: Fast 17. Länger konnten wir uns dann nicht unterhalten weil mein Onkel die Angel repariert hatte und Anthony wieder nach hinten ging.
Nach drei Stunden hatten wir wieder festen Boden unter den Füßen und ich schälte mich aus dem Anorak und der Schwimmweste, sodass ich schließlich nur noch einen Shorty (Taucheranzug mit kurzen Armen und Beinen) anhatte. Während mein Onkel das Boot auf den Anhänger lud, merkte ich, dass Anthony mir immer wieder Blicke zuwarf. Da ich ein sehr schüchterner Mensch bin, sah ich ihn nicht an, sondern blickte weg und unterhielt mich mit meiner Cousine.
Und dann kam die Stunde des Abschiedes. Anthony gab mir wieder zwei federleichte Küsse auf die Wange, während ich "Auf Wiedersehen", sagte. Und was erwiderte er? "Bisous."
Bisous sagt man unter guten Freunden oder Geliebten. Wie vom Donner gerührt stand ich da und er ließ mich wie zu Anfang allein um den anderen Tschüss zu sagen.

Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen. Es ist fast ein Monat vergangen. Und ich glaube, er hat sich für immer in meinem Kopf festgesetzt. Ein paar Infos habe ich noch über ihn erfahren können: Er ist 18 und er wird in eine Stadt ziehen, die eine Stunde mit dem Auto von meiner entfernt ist.







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