Badefrauen - Teil 5

Autor: Carly
veröffentlicht am: 27.08.2013


Fahnen mit dem Wappen des Kaisers wehten auf im Schlosshof im Wind. Schwer und ungelenkig öffneten sich die Tore und wir fuhren auf den Innenhof. Unglaublich! Meine Lippen konnten nicht mehr aneinander halten. Ich musste einfach mit offenem Mund bestaunen, welch Schauspiel sich meinen Augen bot. Die Kutsche fuhr einen Bogen und hielt vor den Schlosstüren an. Der Kutscher öffnete uns bin weniger Sekunden die Tür und half mir beim Aussteigen. Meine Beine waren wackelig und steif zugleich, doch dieses Gefühl wich meiner Überwältigung. „Sieh sich das einer an!“, ich war so begeistert, dass ich keine Worte fand für das, was ich hier sehen konnte.
Ich konnte es mir auch nicht verkneifen meiner Bewunderung platz zu machen. Ich drehte mich im Kreis, um das Schloss in möglichst wenigen Blicken komplett einzufangen. „Hier werde ich mich noch nach Jahren verlaufen.“, flüsterte ich mehr zu mir selbst, als zu jemand anderem.
„Das System versteht man eigentlich recht schnell. Und wenn man bedenkt, dass der nach Westen gerichtete, obere Baukörper fast ausschließlich aus Thronsaal besteht, fällt doch schon jede Menge weg.“
Ich drehte mich um, und der Kaiser stand in seiner stattlichen Haltung neben mir.
„Gefällt es Euch?“
„Und wie! Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus!“, in diesem Moment konnte nicht einmal ich patzig zu dem Kaiser sein. Dafür war ich viel zu sehr hingerissen von seinem zu Hause.
„Würdet Ihr mich herumführen? Vor allem die Geschichte dieses Gebäudes würde mich interessieren?“, fragte ich den Mann, der aus diesem wunderschönen, weißen Palast ein Gefängnis machen wollte.
„Ich fürchte, dafür reicht meine Zeit nicht aus, doch ich verspreche Euch, dass wir irgendwann einen Tag dafür finden werden.“
„Bitte, Euer Hoheit! Das dauert doch nicht allzu lange…“
Der Kaiser lachte mich an und zuckte schließlich mit den Achseln. „Gut. Aber nur eine kurze Rundführung.“
Er führte mich über die Schlossanlage und begann, als wir an den riesigen runden Stützpfeilern vorbei die Treppe rauf in das so genannte „Palas“ eintraten, die Geschichte des Schlosses zu erzählen. Der Palas war also das Hauptgebäude, in dem der Kaiser mit seiner Frau wohnte und vermutlich auch mit den Kindern. Es war fünf Geschosse hoch und bot einen großen Raum zum Wohnen. Etliche Schlafzimmer, ein Singsaal, der besonders meine Aufmerksamkeit erregte, Thronsaal, Arbeitszimmer und tausende Räume, die ich mir nicht merken konnte.
Ich wurde erschlagen von dem ganzen Schmuck. Von dem Gold überall und den unnötigen und übertrieben Dekorationen.
„Und wo sind die Schlosstürme?“, fragte ich neugierig, denn darauf hatte ich die ganze Zeit gewartet. „Habt Ihr von außen irgendwo einen Turm gesehen?“, antwortete der Kaiser mit einer Gegenfrage. Ich überlegte kurz und schüttelte dann schließlich enttäuscht den Kopf. „Ich glaube, Ihr verwechselt dieses Schloss mit Märchengeschichten. Hier wohnt niemand in einem Schloss im Wald am Gipfel eines Berges mit spitzen Türmen. Das solltet ihr doch bei der Anreise festgestellt haben. Wir befinden uns in einem Schloss aus der Barockarchitektur Ende des 17.Jahrhunderts, da gibt es keine Türmchen...Obwohl. Einen Turm gibt es im Schlossgarten. Dessen Geschichte ist mir jedoch unbekannt, wie ich gestehen muss.“
Ich hörte gespannt zu. Die Stimme des Kaisers hatte etwas Beruhigendes. Sie war leicht rauchig, dennoch weich und durchaus anziehend.
„Was befindet sich dort?“ „Nichts. Er steht seit Jahrzehnten leer.“
Das erregte meine Aufmerksamkeit. Ich wusste genau, was ich in einer eigen organisierten Erkundungstour als erstes untersuchen würde.
„Euer Hoheit!“, ein flinker Mann in Uniform kam auf uns zugeeilt, schien mich jedoch nicht wahrzunehmen, „ich habe hier vier Verurteilte, ich bräuchte Eure Signatur für die Hinrichtung.“
„Um was für Verurteilte handelt es sich?“, er nahm ihm die Unterlagen ab und blätterte sie flüchtig durch. Kaum war er zu Hause angekommen, wurde er also wirklich mit Arbeit bombardiert. Keine Einbildung. Der arme Kerl. Da empfand man ja fast Mitleid.
„Bringt es in mein Arbeitszimmer, ich werde mich gleich darum kümmern.“
„Sehr wohl, Euer Majestät.“
Er verbeugte sich demütig und ging.
„Dann möchte ich Euch nur noch Euer Gemach zeigen. Wie Ihr seht, ruft die Arbeit bereits nach mir. Die erneute Reise nach Bad Nauheim war nicht geplant gewesen.“
Ich schwieg. Was sollte man darauf schon sagen? Wenigstens hatte er nicht so körperlich anstrengende Arbeit zu verrichten. Das sollte er mal zu schätzen wissen!
Wir liefen wieder eine Weile durch den Palas, bevor er vor einer großen, weißen Tür stehen blieb. „Hier befindet sich Euer Gemach, Fräulein Katharina.“
Er drückte den goldenen Henkel herunter, der sich auf Brusthöhe befand. Zumindest auf meiner Brusthöhe.
„Habt Ihr nicht eigentlich Diener, die mich hier hätten hinbringen können, dann könntet Ihr schon längst arbeiten.“
„Doch. Jedoch wollte ich mich vergewissern, dass Euch Euer neues zu Hause gefällt und mich von Eurer Reaktion überraschen lassen.“
Endlich schob er die Tür so weit auf, dass wir eintreten konnten.
„Das gehört alles Euch, Katharina. Jede Kleinigkeit, die Ihr hier entdecken könnt.“
„Das nehme ich nicht an!“, fauchte ich. „Doch, ich möchte es Euch schenken. Ich weiß doch, dass Euch diese Reise nicht leicht fiel.“, er schloss die Tür hinter uns, „und ich bin unsagbar Glücklich, dass Ihr dennoch die Reise angetreten seid.“
„Als ob das freiwillig gewesen wäre.“, ich wusste, dass meine Stimme den Vorwurf transportierte. „Ja, da habt Ihr wohl Recht. Dennoch hoffe ich, dass Ihr die Ankunft nicht bereut, sobald das Heimweh in Vergessenheit geraten ist.“
„Wir werden sehen, Euer Hoheit.“
„Nun, aber das Zimmer gefällt Euch?“
„Ja, zu sehr.“
Die weißen Zähne des Kaisers wurden wieder sichtbar und sein Gesicht strahlte diesen Charme aus.
„Schön zu hören. Dann werde ich nun meine Arbeit antreten. Wir sehen uns heute Abend. Möchtet Ihr einen Diener in Anspruch nehmen, so läutet dieses Glöckchen. Gehabt Euch wohl“
Er legte mir ein goldenes Glöckchen in die Hand und verschwand. Ich konnte gar nichts mehr recht sagen. Aber einen Diener in Anspruch nehmen? Ich? Wo ich solange Zeit mich hatte von Adligen herumkommandieren lassen, sollte ich nun selbst so etwas tun?
Mir war es ja immer noch ein Rätsel, womit ich den Kaiser scheinbar so verzaubert hatte. Das letzte Mal vor seiner Abreise hatte ich ihn so wütend gesehen, dass sich meine Nackenhaare gestellt hatten und nun war von alledem nichts mehr zu sehen. Das würde ich ihn gewiss fragen, wenn ich ihn das nächste Mal zu Gesicht bekam. Nun war es erst einmal an der Zeit mein neues zu Hause zu begutachten.
Was zuerst auffiel, war natürlich dieses riesig große Himmelbett. Tausende Kissen stapelten sich voreinander. Eine glänzende Tagesdecke verdeckte die eigentliche Decke. Blaue Vorhänge hingen von den Holzstangen herunter und waren an den Säulen festgebunden. Das gleiche Blau befand sich auch an den bodenlangen Gardinen, die an den Fenstern neben herunterhingen und ebenfalls mit den gleichen goldenen Bändern zusammengebunden waren. Das dunkelbraune Holz des Bettrahmens fand man an allen Möbeln wieder. Der Schrank, der Schminktisch mit dem goldenen Spiegel, die Kommode, das Tischchen mit dem Schachspiel und den Stühlen. Die Sofas waren jedoch wie die Stühle mit dem blauen Stoff aus Satin überzogen. Der Boden war wie die Wände. Gold war der nächste Farbakzent, der sich bei der Bettwäsche wieder fand. Auf dem Nachtschränkchen stand ein Strauß frischer Sonnenblumen. Woher wusste der Kaiser, dass ich diese mochte oder war es nur Zufall gewesen?
Ich öffnete das Fenster und blickte nach draußen. Ich konnte wirklich alles sehen. Den großen Schlossgarten auf der hinteren Seite des Gebäudes, dessen Gradlinigkeit und Sortiertheit mich anwiderten. Doch der Wald am Ende des Horizonts spendete mir eine komische Ruhe. Ein Stück Natur. Als sei die Heimat in greifbarer Nähe.
Es klopfte an der Tür.
„Herein?“
Ein junger Mann kam mit meinem Lederkoffer herein. „Oh, ich danke Euch sehr. Den habe ich vergessen, sonst hätte ich ihn selbstverständlich selbst geholt.“
Der Junge schaute mich verwundert an.
Als ich so auf mein Hab und Gut blickte, fielen mir die Worte des Kaisers wieder ein: Alles, was ich hier fand, gehörte mir! Das alles würde ich nicht mehr in diese kleine Tasche bekommen.
„Habt Ihr noch einen Wunsch?“, fragte der Junge und unterbrach damit meine Gedanken.
„Nein.“, sagte ich und öffnete zuerst meinen Koffer. „Dann darf ich gehen?“
„Natürlich, da braucht Ihr mich doch nicht fragen. Nur zu.“
Der Mann verbeugte sich und schloss die Tür, als er gegangen war. Süßer, kleiner, komischer Kauz!
Als ich meine Kleider so betrachtete musste ich ernsthaft lachen. So erbärmlich. Damit würde ich mich an diesem Schloss sicher blamieren. Aber warum eigentlich? Ich lief doch sonst auch damit herum! Ich musste schwer aufpassen, dass solch merkwürdige Gedanken nicht Oberhand nahmen.
Ich öffnete die Schranktüren, und wollte meine Klamotten dort verstauen, doch da war definitiv kein Platz mehr. Kleid an Kleid hing dort. Ich dachte, ich sehe nicht richtig. Das sollte tatsächlich mir gehören? Ich nahm eines heraus. Pompöse Verziehrungen. Schnell hängte ich es zurück. Das war bestimmt ein Missverständnis und es gehörte der Kaiserin. So sah es zumindest aus. Ich hätte mir sonst nie vorstellen können, dass man solch einen großen Schrank wirklich voll bekommen könnte. Aber gut.
Jetzt hatte der Raum natürlich erstrecht meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Ich öffnete alle Schubladen der Kommode und suchte darin herum. Ein Handspiegel und eine Bürste und etliche Gegenstände, die ich nicht mal kannte.
In dem Nachtschränkchen gab es nur eine Schublade, in der sich ein Tintenfässchen, eine Feder, Papier und ein Buch befand. Ich hob das Buch an und blätterte darin herum. Unter dem gold verzierten Einband gab es nur leere Blätter. In dem Schminktisch gab es natürlich nur Schönheitsutensilien.
Nach meiner Besichtigung ließ ich mich auf dem Bett nieder und sank sofort um einige Zentimeter ein. Die Matratze war knautschweich. Ob ich darauf schlafen konnte?
Dadurch, dass das Bett nur an der Kopfseite die Wand berührte, stand es mitten im Raum und ich konnte das Zimmer mit schwärmenden Blicken überhäufen. Es war sehr groß und zwischen den Möbeln gab es massig Platz.
Ich holte meinen Brief wieder hervor und strich über das raue Papier. Jemand musste ihr den bringen. Auch wenn es mir sehr viel Überwindung kostete, klingelte ich das Glöckchen. Ich wusste mir einfach nicht anders zu helfen. Aber zur Angewohnheit sollte dies selbstverständlich nicht werden.
Dennoch war ich überrascht, wie schnell ein Diener auf der Matte stand. „Was kann ich für Euch tun?“, fragte er. „Wenn es nicht zu viele Umstände macht…könntet Ihr dafür sorgen, dass dieser Brief nach Bad Nauheim zu Händen Helena von Verdenz gebracht wird?“
„Aber selbstverständlich, ich werde den Transport sofort veranlassen.“
„Ich danke Euch sehr!“, ich gab diesem wohlerzogenen Mann die Zettel und nickte ihm zu.
„Kann ich sonst noch etwas für Euch tun?“
„Nein, danke.“
„Ich darf also gehen?“
„Ja, natürlich.“
Schon wieder die gleiche Frage. Vielleicht musste ich den Bediensteten erst die Erlaubnis geben, bevor sie abtreten durften.

Nach einer weiteren halben Stunde, die ich mir in diesem Zimmer totschlug, hatte ich genug vom Rumsitzen und beschloss, doch noch mal auf eigene Faust loszuziehen. Ich ging aus dem Zimmer und schaute mir zu allererst die Bilder an, die im Flur verteilt waren. Dazu hatte ich ja bei der kleinen Tour keine Zeit gehabt. Viele Hoheiten, die den Maler mit hochnäsigem Blick angestarrt hatten. Niemand lächelte. Das höchste der Gefühle waren zum lächeln angedeutete Mundwinkel. Dabei schienen sie sich schon einen Krampf zu holen. Dennoch waren sie teilweise attraktiver, als ich gedacht hätte. Trotzdem gab es auch die ekeligen Schleimbolzen, wie diese, die immer im Badehaus anzutreffen waren. Mit Vollbärten und Bierwampe. Und es dauerte nicht lange, bis ich feststellte, dass der Kaiser William wirklich eine Schönheit war. Unter allen Menschen, ob arm oder reich. Er war überdurchschnittlich schön. Wahrscheinlich ließ man sich deswegen leicht von ihm zu Sachen hinreißen, die man sonst niemals tun würde. Ich folgte weiter dem roten Teppich und betrachtete die goldenen Lichter an den Wänden. Die über und über verzierten Wände und die weißen Türen, die aneinandergereiht waren, wie in einem Hospiz.
Viele Angestellte, die mir entgegen kamen, begrüßten mich mit einem Lächeln oder machten sogar einen kleinen Knicks. Ich erwiderte jeweils das, was sie taten und spazierte unermüdlich weiter.
Ich lief eine monsterbreite Treppe nach oben und sah mich im fünften Stock um. Nach einer Doppeltür, die mehr als doppelt, eher dreifach, so groß war, wie ich, erspähte ich den Thronsaal. Den hatte ich hier, offen gestanden, auch erwartet. Er war mit Abstand auch der pompöseste Saal von allen. Er diente anscheinend auch als Ballsaal, denn der Boden war ein sauberes Parkett. Große Kronleuchter hingen von der Decke und richteten meinen Blick nach oben. Wie sollte man die denn anmachen? Das waren ja Kerzen! Weiter entdeckte ich wunderschöne Zeichnungen an der Decke. Blauer Himmel und fliegende Engelchen, beschützende Gottheiten, tanzende Schönheiten. Ich drehte mich mit ausgestreckten Armen im Kreis und stellte mir vor hier unter vielen schönen Gästen zu tanzen. Mit einem Kleid, wie man es nur von den Hoheiten kannte.
Von niemandem ignoriert zu werden und in den Armen des Kaisers über den Boden schweben.
Ich war schon immer eine Träumerin gewesen und dass dieser Thronsaal momentan nicht bewacht wurde, kam mir da nur zu Gute. Ich blieb stehen und nahm nun den Thron genauer unter die Lupe. Ein goldener Thron bezogen mit einem dunkelroten Stoff, aus dem auch die Gardinen dieser Meterhohen Fenster waren. Dort saß also Will immer. Daneben stand ein etwas kleinerer Thron, der wohl für die Kaiserin war. Zusammen standen sie auf einem hohen Podest, der von einem roten Teppich umspielt wurde. Ich hatte den Drang mich einfach darauf zu setzen, doch soweit konnte ich mich dennoch zur Besinnung bringen.
„Fräulein Katharina. Hier seid Ihr also.“
Ich drehte mich erschrocken um und blickte in das Gesicht des Grafen. „Ja, ich wollte mir noch einmal den Palast genauer ansehen.“
„Der Kaiser erwartet Euch im gelben Salon.“, ignorierte er meine Aussage.
„Und wie komme ich da jetzt hin?“
„Ich führe Euch.“, schlug Graf Emil vor und wartete darauf, bis ich ihm folgte. Das tat ich selbstverständlich auch. Leider mussten wir wieder relativ weit runter. „Wie lange habt Ihr gebraucht, um Euch hier auszukennen?“, fragte ich während ich versuchte, seinem schnellen Gang gerecht zu bleiben.
„Nicht lange. Es ist alles logisch aufeinander aufgebaut, das muss man nur erkennen.“
Ich nickte zwar, erkannte jedoch die Logik dahinter nicht. Das Graf Emil aber auch immer so gehalten war. Das er Gefühlsregungen zeigte, war sehr selten. Er schien mehr Mannieren als Gefühle zu kennen. Armer Kerl.
„Hier ist es. Geht nur rein.“
„Danke.“, ich schenkte ihm ein kleines Lächeln und trat ein. Der Name „gelber Salon“ wurde diesem Raum wirklich gerecht. Mehr als gelb und gold war hier nicht zu finden. Die Stühle waren mit gelbem Seidendamast bespannt und Profilleisten waren mit Gold verziert, wodurch sie sich von den weißen Wänden kontrastreich abhoben.
„Fräulein Katharina. Wo wart Ihr nur?“, der Kaiser hatte mir den Rücken zugewandt und drehte sich nun um. Das Licht, welches durchs Fenster schien, ließ ihn in einem sanften Schimmer leuchten.
„Ich habe die Führung weitergeführt, könnte man sagen. Ihr wolltet mich sprechen?“
„Ja, das ist korrekt. Setzen wir uns.“, er zeigte mit seiner Hand auf die Sofas, auf denen wir es uns nun bequem machten. „Es wundert mich, dass Ihr Euch nicht umgezogen habt. Gefallen Euch die Kleider nicht? Sie sind extra für Euch angefertigt worden.“
„Doch, doch. Ich dachte nur, es handele sich um eine Verwechslung. Aber was heißt für mich angefertigt? Ihr kennt meine Maße doch gar nicht.“
„Ich bin stolz mir eine Stärke im Schätzen von Frauenmaßen zusprechen zu können. Ihr habt eine Größe von etwa 1,61m, eine schmale Taille, und schmale Arme. Eure Beine stehen in einem gesunden Verhältnis zu ihrem Oberkörper. Man könnte fast vermuten, dass es sich bei halb zu ganz verhält. Eure Schultern sind weiblich und ihre Brust zierlich. Somit kommen wir auf ein Gewicht zwischen 47 und 49Kg. Es ist nicht schwer.“
„Soso.“, wenn er glaubte, mich mit solchem Gesäusel einspannen zu können, irrte er sich gewaltig. Es beeindruckte mich nicht im Geringsten.
„Aber warum ich Euch eigentlich sprechen wollte, ist etwas ganz anderes.“
„Womit kann ich Euch dienen, Euer Majestät?“, schauspielerte ich, denn ich erwartete das Schlimmste und musste mich davon abhalten, etwas zu sagen, was ich nachher wieder bereuen könnte.
Wir setzten uns gegenüber. Seine Azuraugen ruhten auf meinem Gesicht und tasteten jeden Millimeter ab. Betastete er nun mein Gesicht für eine Maske oder so was?!
„Ich dachte, es sei an der Zeit, Euch zu erklären, warum Ihr hier seid.“
„Mir ist die Tätigkeit einer Mätresse wohl bekannt, Euer Hoheit.“, ich verdrehte aus versehen die Augen. Ich wollte doch gar nicht mehr patzig sein.
„Nun. Das werden wir sehen. Davon werde ich mich überzeugen, darauf könnt Ihr Euch verlassen.“, lachte er.
Mir lief es schaurig den Rücken herunter. Das klang unheimlich…und pervers.
„Meine Frage zielte eher darauf ab, zu erfahren, ob Ihr eine Ahnung habt, warum ich ausgerechnet Euch dazu auserkoren habe.“
Ich überlegte, welch dumme Frage! Wenn er eine ehrliche Antwort wollte, bitte sehr!
„Ja, Ihr wollt mich dafür bestrafen, was ich in Bad Nauheim zu Euch sagte.“
Er begann herzhaft zu lachen. Er schien ernsthaft amüsiert von mir zu sein. Doch es war das falsche Lachen. Musste er nicht dreckig und gehässig lachen, stolz auf seinen bösen Plan?
„Umgekehrt, Fräulein Katharina. Ich belohne Euch. Es ist eine Ehre, sich Mätresse des Kaisers nennen zu dürfen.“
„Oh, ja! Ich schmelze gleich dahin. Kommt schon, wofür wollt Ihr mich belohnen? Oder war das eine Kostprobe von Ihrem Sarkasmus?“
„Nein, es ist mir durchaus Ernst.“, ein Diener brachte uns einen Feuerroten Wein. „Lasst uns auf eine gemeinsame Zukunft anstoßen.“
Ich nahm das Glas zwar an, entfernte es jedoch vom Kaiser, der tatsächlich darauf anstoßen wollte, mich als legitimierten Ehebruch wie ein Schoßhündchen zu halten.
„Hört mir zu. Ja, ich war sehr überrascht, welche Vorwürfe Ihr mir machtet, doch mein Zorn hat sich schnell gelegt. Ich muss beachten, diese Meinung kam direkt vom Volk. Wie kann ein Kaiser davon reden, Glück über die Menschen bringen zu wollen, wenn er nicht zuhören kann. Ihr seid die Erste, die mir je eine ehrliche Meinung sagte, kein Blatt vor den Mund nahmt, Eure Gefühle auszudrücken. Ich hoffe jedoch, Eure Meinung mir gegenüber wird sich noch ins Positive verändern.“
„War schon mal ein guter Anfang. Dennoch kann ich meine Kritik nicht zurücknehmen.“, ich stellte das Weinglas ab. Ich mochte doch gar keinen Alkohol! Ein Teufelszeug, welches jeden normalen Menschen zu Schandtätern machte. Und dazu hatte ich soetwas noch nie gekostet und hatte keine Ahnung, was es mit mir anstellen würde. Am Ende sollte es mich Gefügig machen!
„Das dachte ich mir, doch was ist es, was Ihr als Heuchelei betrachtet?“
„Warum werden solche Unterschiede zwischen Arm und Reich gemacht? Es soll Allen Gut gehen? Warum zahlen Menschen, die für jeden Pfennig arbeiten müssen mörderische Steuern? Warum fließt hier Wein in Strömen, und wir wissen nicht mal, wo wir das tägliche Brot herbekommen sollen? Es ist eine Ungerechtigkeit, Euer Majestät. Welcher Monarch kann Wohlstand genießen und die Leiden seines Volkes betrachten? Ist es ein Verschließen der Augen vor der Wahrheit oder sind Euch diese Probleme ein oft gehörtes Thema?“
Er nippte an seinem Weinglas, hatte ich ihn damit außer Gefecht gesetzt? Sein Mundwerk mit Sicherheit, womit sollte er mir nun kommen? Mit dummen Ausflüchten? Ich wusste doch eh, wie es lief!
Ein Mann in Uniform erlöste William, denn er kam herein und berichtete, dass irgendein Schnösel, dessen Namen mir nicht im Gedächtnis geblieben ist, ihn dringend sprechen müsse.
„Ich komme nachher in Euer Gemach, dann reden wir weiter.“, sagte der Kaiser ruhig und selbst ich verstand, dass ich nun zu Gehen hatte.
Der Kaiser nickte, worauf dieser, den erwähnten Mann hereinbat. Beim Herausgehen musterte ich einen kaltblütigen Mann, groß, breit, bärtig.
„Euer Hoheit, das Todesurteil, welches Ihr ausspracht, wurde so eben durch die Giutine vollstreckt.“
Ich drehte mich ruckartig wieder um, hatte ich da gerade richtig gehört?! Der Kaiser nickte skrupellos und anscheinend durchaus zufrieden, oder war es mehr Gleichgültigkeit? Was es auch immer war, es zog mir durch Mark und Bein. Sie unterhielten sich darüber als ginge es um den Markt des letzten Sonntags oder irgendwas anderes Unwichtiges.
Ich sendete dem Kaiser einen weit entfernten, bösen Blick, den er wahrnahm und dann wieder seinen Untertan ansah. Ich eilte endlich nach draußen. Mir schnürte es die Luft ab. Wenn hier Menschen einfach so umgebracht wurden, war mein Vater wohl wirklich tot. Aber wie konnte man nur so grausam sein? Wie konnte das Schicksal der Menschen einem Kaiser so verdammt wenig bedeuten? Ich fasste es einfach nicht! Ich drückte mich gegen die Wand und versuchte mich zu beruhigen, doch ich war innerlich so aufgewühlt. Ich wollte wieder nach Hause! Fette Hintern schrubben, war alle Mal besser, als das hier!
Aber wo sollte ich nun hin? Ich kannte mich in diesem riesigen Gefängnis einfach nicht aus. Selbst wenn ich nach langem Suchen den Ausgang finden würde, so bliebe der Weg nach Bad Nauheim eine unüberwindbare Hürde, die ich niemals stemmen konnte. Ich war hilflos. Gefangen in einem Käfig aus Gold. Warum war Helena nun nicht bei mir? Mein Körper wurde zu einer Hülle. Eine Hülle die ich nicht mehr steuern konnte. Alles war unecht, unwirklich, verschwamm vor meinen Augen. Alles aus und vorbei.






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