Nell - Teil 3

Autor: Caprice
veröffentlicht am: 28.05.2013


Das Türblatt schwang scharf auf und ein Arzt trat in das Zimmer. Es war der Oberarzt, der Jack vorhin angesehen hatte, als wäre er einer der unverantwortlichsten Menschen die es gibt. „So, hier sind ihre Medikamente. Zwei mal täglich dürfte reichen. Wenn die Kopfschmerzen schlimmer werden, müssen sie allerdings nochmal vorbei kommen.“ Sagte er mit routinierter, gutgelaunter Stimme und verschmolzenem Gesichtsausdruck. Dann drückte er Jack die Packung mit den Medikamenten in die Hände, der daraufhin sofort einen verwirrten Gesichtsausdruck machte und drehte sich auf dem Absatz um. „Hey! Moment mal, was soll ich damit?“ „Es ist eine "leichte" Gehirnerschütterung," betonte er. "Sie kann nachhause.“ Ein süffisantes lächeln malte sich in sein glattgebügeltes Gesicht. „Und? Sehe ich aus wie ein Taxiunternehmen? Ich kenne die Frau ja nicht einmal.“ Bei Jacks kalten Worten wurde Nell hellhörig und gleichzeitig etwas wütend. „Nein Sir, da haben sie vollkommen recht, aber sie sind der Grund weswegen sie überhaupt hier ist, oder irre ich mich da?“ Lehrend hob er eine seiner dicken, grauen Brauen, als wolle er sagen: Sie sind schuldig, sie Arschloch. Womit er eigentlich ja auch recht hatte. „Fein!“ Gab Jack missmutig nach. „Wunderbar!“ hauchte der Oberarzt triumphierend und verschwand selbstzufrieden aus dem Raum. Begeisterung sieht anders aus, schmeckt bestimmt auch anders, dachte Jack und stöhnte.

Die Sonne schien mittlerweile von einem blauen Himmel herab und tauchte den Wald, der sich rechts von der Straße, neben dem Krankenhaus formierte, in ein strahlend warmes Licht. Nach circa einer halbe Stunde Autofahrt hielt Jack auf einem geschotterten Parkplatz vor einem Steuerbüro. Nell hatte er bereits zuhause abgesetzt, er selbst konnte noch nicht nachhause. Zu viele Gedanken schwirrten in seinem Kopf. Er zog die Handbremse an, schaltete den Motor ab und lehnte sich tiefeinatmend zurück. Sogleich überkam ihn wieder dieses unwohle Gefühl. Es quälte ihn regelrecht und verlieh seinem Gesichtsausdruck eine leidende Note. Jack hatte keine Ahnung, weshalb er sich überhaupt sorgen machte, doch irgendetwas sagte ihm, dass etwas nicht stimmte. Polizeilicher Instinkt, würde man vermuten. Nell war so mit Schmerztabletten vollgepumpt, dass sie die ganze Autofahrt hinüber schlief. Jack musste lächeln, als er sich an ihren Anblick erinnerte, der so unschuldig und so weit weg war. Doch er blätterte es sich von den Lippen. Mit einer Sorgfalt, als wolle er sie nicht wecken, griff er in ihre Tasche und zog ihren Ausweis mit der Adresse und Name hinaus. Erst als Jack vor dem Altbau hielt, war Nell plötzlich aufgewacht, als hätte sie gewusst dass es jetzt Zeit zu gehen ist war sie tonlos aus dem Auto ausgestiegen. Und weil sie sich nicht mit Worten bedanken konnte, tat sie es auf ihre Weise und malte Jack etwas auf die Heckscheibe des Firmenfahrzeuges. Schon wieder musste er lächeln, als er ihr kleines Kunstwerk durch den Rückspiegel betrachtete. Es war ein Affe, der ihn freundlich anlachte. Jack schüttelte den Kopf. Nicht vor entsetzen, sondern weil es/SIE so anders war.

„Komm schon, es wird dir gefallen.“ Betonte Jack. Die junge Frau stemmte den Unterkiefer auf die Fäuste.
Immer noch skeptisch, starrte Nell den Mann mit großen Augen an, der sie gerade dazu überreden wollte am hellichten Tag das Apartment- sein Apartment, zu verlassen.
„Charlie würde es auch gefallen,“ murmelte er in einem letzten, verzweifelten Versuch, sie davon zu überzeugen mit ihm zukommen. Nach seinen Worten ließ Nell den Blick in ihre Hände gleiten. In Jene Hand, mit der sie Charlie, den kleinen Stoffaffen, mit den Haselnussfarbenen Knopfaugen fest umklammerte. Seinem Aussehen zufolge konnte man errechnen, wie lange sie ihn nun schon mit sich trug. Nach einem kurzen Moment schaute sie wieder auf. Jack stand die Ungeduld mittlerweile ins Gesicht geschrieben. „Und?“ Fragte er, die himmelblauen Augen strahlten sie an, wie man nur zu strahlen vermarg, wenn man sich seiner sicher war.

Nell machte ein Gesicht als müsse sie noch nachdenken. In Wirklichkeit aber hatte sie längst eine Entscheidung getroffen. Sie wusste dass sie ihm überall hin folgen würde und hielt ihn nur so zum Spass noch eine Weile hin. Dieser unruhige Ausdruck in seinen Augen. Er faszinierte sie, auf eine seltsame Weise und seine Art, wie er sie ansah, als könne er direkt in sie hinein sehen. Als Zeichen dafür dass sie einverstanden war, nickte sie nach einem weiteren Augenblick, der Jack wie eine Ewigkeit vorkam.
„Klasse!“ Entfiel es ihm. „Du wirst sehen, das wird toll!.“ Sie wollte ihm glauben. Ein kleiner Teil tat es auch. Der andere musste sich erst an dieses neue Gefühl der plötzlichen Vertrautheit gewöhnen. Und als sie den Mann, mit Grübchen im Kinn und Lachenfalten um den Mund zufrieden dreinblicken sah, stellte sie sich die Frage, ob es vorher schon mal jemanden gegeben hatte, dem sie nach kurzer Zeit so vertraute. Sie musste feststellen, dass ihr niemand einfiel, der nach dem tod ihrer Eltern, die Kraft hatte, eine Wirkung wie diese auf sie und ihr Innenleben auszuüben.






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