Das dunkle Etwas in meinem Schatten

Autor: Johanna
veröffentlicht am: 18.04.2013


Ich ging durch die Sonnendurchflutete Straße aber in mir durchflutete mich nichts mit Sonne. In mir war es dunkel, kalt und rau. Tiefe Augenringe unterliefen meinen Augen und meine Schultern hingen tief. Jeder Schritt fiel mir schwer und ich schaffte es kaum auf den Beinen zu stehen. Mein Gesicht hatte jegliche Farbe und jegliche Freude verloren. Ich schlich leise durch diese Straßen und hoffte nicht bemerkt zu werden. Zu Staub zu zerfallen und durch den Wind fort zu wehen, um mich still und unerkannt davon zu machen. Ich wollte fort. Fort von hier. Bei dem Gedanken rümpfte ich die Nase. Ich war allein! Allein auf mich gestellt. Ich hielt mich selber fest und meine Fingernägel gruben sich in mein Fleisch. Ich schaute zu Boden und schritt langsam voran. Aber jeder Meter kam mir vor wie ein unerreichbares Ziel in der ferne. Die heiße und brütende Sonne fiel mir auf meinen Kopf der wie die Hölle schmerzte. Ich war mir sicher das mein Blut kochte in dieser schwülen undurchbrechbaren Luft die wie ein dampfender Schleier alles durchnebelte. Ich rieb mir die kleinen Schweißperlen von der Stirn und blieb einen Moment lang stehen. Wohin ich gehen würde wusste ich nicht. Ich hatte kein Ziel! Ich ging einfach nur nach vorne. Die Richtungen waren mir egal. Die Straßen waren mir egal. Die Menschen waren mir egal.... Alles war mir egal, Hauptsache ich kam voran. Voran. Nie stehen bleiben. Ich wollte nicht liegen bleiben. Liegen bleiben aus dem Dreck woher ich kam. Meine Knie zitterten, obwohl nicht mal ein kalter Luftzug diese Straße streifte. Ich atmete tief durch und streichte mir die angeklebten Strähnen von meinem Gesicht. Ich schaute mich um. Ich hatte natürlich keine Ahnung wo ich war. Die Straßen waren leer. Ich hörte nicht mal die Autobahn in der nähe. Ich hörte nichts. Ich war allein mit mir. Die Sonne blendete mich und ich hielt schützend die Hände vor die Augen so dass mich ein kleiner Schatten sehen ließ. Die Straße war voller Häuser. Es war Neubaugebiet. Haus an Haus. An manchen Stellen deuteten Baustellen das Haus noch an. Ich schaute die Häuser an. Wie gerne würde ich einfach nur anklopfen und mich in ein kuscheliges Bett in einem dunklen Raum werfen. Aber ich hatte mein eigenes Bett aufgegeben und nun musste ich selber klar kommen. Ich hatte alles gehabt. Ich trug die angesagten Marken, wie Hollister und den ganzen teuren Rest. Ich bekam viel Taschengeld. Ich durfte bis früh morgens raus. Ich ging mitten in der Woche auf die angesagtesten Partys. Feierte mit Freunden, rauchte wann ich wollte und trank was ich wollte. Den Leuten war es egal ob ich 12, 14 oder 18 war, sie wollten Geld machen. Und ich wusste am besten, dass Geld die Welt regierte. Wer es hatte war was Besseres. So wie ich. Die Jungs himmelten mich an, die Mädchen machten das was ich wollte. Und doch hatte es mich nicht glücklich gemacht. Ich hatte versucht es zu überspielen und hatte mir fest eingeredet dass ich glücklich wäre. Ich ertrank meine Unzufriedenheit in Alkohol. Alle sahen mich lachen aber nie fragte mich jemand wie es mir wirklich ging. Nie traute sich jemand mir zu widersprechen. Und als ich zu hause mit Laptop auf der breiten Couch lag und mich 1000 unbekannte auf Facebook anschrieben und ich wieder mal auf meine Eltern wartete die noch arbeiteten, wusste ich es. Ich sah meine Eltern höchstens am Samstag zum Frühstück. Morgens wenn ich zur Schule ging lag immer Geld auf meinem Platz. Anfangs war ich echt zufrieden damit. Eltern wer brauchte denn schon Eltern? Ich war doch kein kleines Mädchen mehr. Ich konnte meine Hüften besser als Shakira schwingen und auch wenn ich Typen mit nach hause nahm, nahm keiner grimmig davon Notiz. Ich war frei von Regeln. Ich hatte alles, ich kriegte alles. Aber immer und immer mehr musste ich den traurigen Teil von mir überschminken. Bis die Schicht zu dick geworden war und ich nicht einen cm freie Haut noch besaß. Niemand sollte sehen wer ich war. Niemand. Nicht mal ich wollte mich sehen und so schaute ich jeden morgen zufrieden in den Spiegel und ging los. An der Schule küsste ich meinem Freund, traf mich mit meiner Gruppe und genehmigte mir schon mal eine Flasche V+ und eine Kippe die ich genüsslich saugte bis ich auf die Klingel hörte und mit schwingenden Hüften herein spazierte in den Unterricht. Aber ich hatte irgendwann die Lust verloren und als das saufen und rauchen dann zur allmorgendlichen Routine wurde, drückte sich der traurige Teil immer und immer mehr heraus. Ich schüttelte den Kopf. Ich weiß noch wie ich am Waschbecken stand. Verheulte Augen. Verschmierte Wimperntusche. Ich hatten mir kaltes Wasser ins Gesicht geschaufelt und als ich das Gesicht von der Schminke befreit hatte, hatte ich einen erschrockenen Schrei zu laut gegeben. Was ich im Spiegel sah war so erschreckend gewesen. Ich sah das ersten mal die dunklen Ringe unter den Augen. Ich sah zum ersten mal diesen hilflos verzweifelten fremden Blick und zum ersten mal sah ich mich wieder. Ich erkannte mich kaum noch selbst. Ich fragte mich wie ich mich schminken konnte ohne das gesehen zu haben was ich war. Ich hatte es immer vermieden in den Spiegel ungeschminkt zu sehen. Das was ich sah entsprach so gar nicht dem fröhlichen Bild was ich mir immer selber einbildete. Ich wollte es nicht wahr haben aber ich sah fürchterlich alt aus.
>>Nein<<
hatte ich geflüstert.
>>Nein, das kann nicht sein, das bin doch nicht ich<<
und es hatte so fremd geklungen. Ich erkannte meine Stimme selber kaum noch, da sie so hilflos klang. Ich wandte das Gesicht ab und als ich wieder hineinschaute war das schreckliche Gesicht verschwunden. Ich sah wieder mich. Ich sah wieder die strahlenden blauen Augen und die sanfte reine Haut.
>> Na also, das bin ich! Wer sollte ich auch anders sein?<<
sagte ich mit selbstsicherer aber immer noch belegter Stimme. Ich hatte mich umgedreht ohne zurück zu blicken.. ich hatte Angst gehabt wieder die Fremde zu erblicken! Doch mich beschlich die Gewissheit. Es war wirklich mein Gesicht gewesen. Das war wirklich ich gewesen...

Meine Hals war rau und es dürstete mich nach einer Erfrischung, vielleicht sogar einem Bier. Meine Beine zitterten immer noch aber endlich zwang ich sie weiter voran. Widerwillig folgten sie meinem Willen und rührten sich. Die Straße schien mir immer noch unendlich lang und ich sah immer noch keine Menschenseele. Sie war so leer wie ich. Bloß das die Häuser nicht schwarz waren. Die erste verzweifelte Träne wollte meinen Augen entweichen aber ich verzog nur das Gesicht. Ich hatte schon zu viel geweint. Noch eine Träne wollte ich nicht vergießen. Es war als ob die warme Sonne all die Tränen und den Schmerz verdampfen lassen hatten und nur das leere etwas in mir übrig geblieben ist. Es gab nur noch das vorankommen auch wenn es aussichtslos und mühselig schien. Auch wenn ich ziellos durch die Straßen irrte. Ich glaubte daran dass mein Schicksal mich schon irgendwann an einen Ort führen würde. Und wenn ich tot im Straßengraben liegen würde, sollte es wahrscheinlich auch so sein. Ich ging der Sonne entgegen. Sie blendete mich zwar immer noch aber meine Hände konnten es ein bisschen abschirmen. Sie war bereits am untergehen und der Himmel färbte sich rötlich. Unter anderen Umständen hätte er sogar schön sein können, aber er war mir vollkommen gleich.

Ich wachte auf einer grünen und äußerst unangenehmen Parkbank wieder auf. Zuerst schaute ich mich verwundert um. Wie war ich hier her gekommen schoss mir durch den dröhnenden Kopf. Ich rieb mir die Gesichtshälfte mit der ich auf der Bank gelegen hatte verschlafen und spürte das Muster der Rillen. Müde gähnte ich und nachdem ich mich einmal laut seufzend gestreckt hatte sank ich in einer sehr unvorteilhaften Haltung. Mein ganzer Körper war nach unten gesunken und mit breit geöffneten Beinen lag ich halb auf der Bank. Es muss ein sehr seltsamer Anblick gewesen sein denn die Leute die an mir vorbeigingen rümpften die Nase. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen wie schrecklich ich aussehen musste. Ich lief in dreckigen alten zerschlissenen Jeans die ich bei dem Wetter ein bisschen hoch gekrempelt hatte rum und mit einem verblichenen alten T-Shirt wo Speichel und Blutflecken ihren sehr unschönen Anblick offenbarten. Ich war ja schon lange unterwegs. Aber diese missbilligenden Blicke waren erniedrigend. Ich schaute also hinzu noch finster drein. Einige Blicke offenbarten aber auch mitleid das noch viel mehr erniedrigend war. Niemand sprach mich an aber all ihre Blicke sagten mehr als 1000 Worte. Ich versuchte ihren Blicken zu entgehen und wandte mein Gesicht ab. Ich war noch zu benommen um aufzustehen. Neben der Bank lagen mehrere leere Flaschen Bier. Ich hatte gestern noch geschafft diesem Drang nach zu gehen und hatte meine Sorgen in meinem jungen Kopf mit viel Bier weg geblasen. Ich versuchte die Flaschen zu zählen aber bereits nach der 5. Flasche hörte ich auf. Es war doch egal wie viele es waren es hatte gut getan und der Stoff war meiner trockenen Kehle wie Wasser runter gelaufen. Aber irgendwie schämte ich mich auch ein bisschen. Ich war erbärmlich. Ich hatte mich vollgesoffen und mich auf eine Parkbank gelegt wie ein Penner. Nun starrten mich halt all diese fremden Gesichter an. Sie rümpften alle zu recht die Nase. Ich roch bestimmt doppelt und dreifach so schlimm wie ich aussah. Nun zog selbst die beißende Bierfahne in meine Nase und ich rülpste um meinen Zustand zu beschreiben laut. Natürlich wendeten sich wieder viele Gesichter mir zu. Ein Grund mehr im Boden versinken zu wollen. Ich hörte eine Frau sagen
>>Unglaublich die Jugend von heute! Saufen sich die Köpfe voll und pennen dann überall ihren rausch aus!<<
sie zog ein kleineres Kind rasch an mir vorbei als ob ich den schlechten Samen der Jugend in diesem kleinen Fratz sähen wolle. Ich war nicht gekränkt ,die Frau hatte ja auch recht. Ich stand zu dem was ich leider war. Ich schaute dem kleinen Mädchen nach das brav an Mamas Hand ging.

Ich war auch damals Mamas Prinzessin gewesen. Ich sah plötzlich mich in dem kleinen Mädchen. Mama und ich waren damals oft auf den Spielplatz gegangen als sie noch nicht den guten Job hatte. Wir mussten ein kleines Stückchen gehen aber an Mamas Hand war das immer schön. Auf den Weg hin hatte sie mir oft ein Eis gekauft. Am liebste hatte ich das Zitroneneis. Also ging ich mit der Waffel in der einen Hand und mit Mamas Hand in der anderen fröhlich voran und lächelte mit der Sonne um die Wette. Mama hatte dann immer gelächelt. Sie hatte ein schönes Lächeln gehabt bevor diese schweren Zeiten gekommen waren.
>>Na was willst du schönes machen??? Wollen wir heute wieder wippen??<<
hatte sie immer schmunzelnd gefragt und ich war hellauf begeistert gewesen. Immer wenn wir gewippt hatten fühlte ich mich frei wie ein Vogel. Wenn Mama sich besonders angestrengt hatte war ich sogar ein bisschen in die klare blaue Luft abgehoben. Ja, das hatte immer Spaß gebracht. Ich hatte mein kindliches Lachen ertönen lassen was meine Mama immer angesteckt hatte. Ja, das waren schöne Zeiten.

Mit Tränen in den Augen sah ich mich jetzt mit betroffener Miene und schmerzvollen Blick, umgeben von einem Flaschenmeer. Und ich streckte diese leere dreckige Hand aus und schluchzte
>>Mama, lass mich noch höher fliegen...<< Aber ich wusste sie würde mich nicht noch mal an die Hand nehmen. Ich versuchte die eiserne Fassung zu halten und biss mir fest auf die Lippe so dass sie weh tat. Es war egal. Was würd ich dafür nur tun um noch einmal dieses Lachen zu sehen?? In dem Moment warf sich jemand genau neben mich auf die Bank. Ich drehte mich verwundert um, denn ich hatte es nicht für möglich gehalten das sich überhaupt irgendjemand neben mich setzen würde. Es war ein Junge. Es war kaum zu schätzen wie alt er wohl war. Er war groß, gut gebaut, hatte helle blaue Augen. Alles im einen sah er so um die 14 oder 15 aus aber seine Augen besaßen etwas was viel älter aussah als bloß 14. Es war kaum zu beschreiben. Sie schienen wissend und so erfahren zu sein. Der Junge drehte sich zu mir um.
>>Weißt du, jeder hat hier seine Geschichte! Schau dir bloß den Mann dort an.. Er war schwerster Alkoholiker, hat seine Frau geschlagen und so. Ist nie richtig Trocken geworden. Sie hat ihn mit seinen 2 Töchtern verlassen! Nach einen halben Jahr verlor er alles. Zuerst Freunde, dann Job und zuletzt sein Haus. Heute lebt er nur noch von dem was die Mülltonne her gibt. Er wohnt in seinem alten VW. Siehst du diese Frau?? Sie kam hier neu hin. Sie wurde da wo sie herkam ausgeschlossen weil sie nicht getauft war und es eine sehr gläubige Gemeinde war. Sie war nicht bereit sich taufen zu lassen wegen Wasserallergie und so. Kam hier her und nach 5 Monaten war sie auch schon Pastorin in der kleinen Kapelle hier. Hier kommen und gehen Menschen und alle haben ihre Geschichten. Du bist neu hier erzähl mir von deiner Geschichte.<<
er sprach langgezogen und mit ein par Pausen. Ich schüttelte den Kopf.
>>Es gibt nichts zu erzählen!<<
sagte ich bemüht gleichgültig. Er nickte, wandte aber seinen Blick nicht ab.
>>Weißt du was lustig ist? Sie antworten alle so wie du<<
meinte er grinsend und ich sah seine strahlenden weißen Zähne. Ich wollte aber auf keinen Fall Bewunderung zeigen und meinte darauf hin mit bemüht genervtem Tonfall
>> Tja, vielleicht gibt es aber wirklich nichts also nerv den Säufer oder die Nonne aber hau ab und nerv mich bloß nicht weiter.<<
Sein grinsen wurde breiter was mich so langsam wirklich wurmte
>> Jeder Mensch hat eine Geschichte, auch du!!<<
meinte er unbeeindruckt. Ich legte noch einen drauf.
>>Dann geh deine Phantasien wo anders ausleben oder denk dir deine Geschichte du.... du.... nerviger vorpubertierender Blödmann!!<<
und obwohl ich es gar nicht für möglich gehalten hatte grinste er mich noch breiter an.
>>Genauso stur wie die anderen bist du! Na ja, eins muss man dir aber auch lassen ihnen ist nie so etwas kreatives eingefallen wie dir!<<
>>Dann hast du halt Pech gehabt und nun nerv nicht! Ich vergeude meine Zeit nicht mit dir also zieh leine.<<
Er zeigte sich immer noch unbeeindruckt.
>> Ach, ja?? Dann sag mir was du heute noch mehr machen willst als wie ein Sack Lumpen auf der Bank zu liegen und vor dich hin zu dösen!<<
mir schoss ein Gedanken in den Kopf. Scheiße er hat recht. Unbeirrt fuhr er fort.
>> Es geht mich ja nichts an, aber genau so sieht es zumindest aus!<<
Ich schnappte nach Luft.
>> Was maßt du dich an überhaupt so was von mir zu denken?? Ich kenne dich nicht mal!<<
Er nickte nur, immer noch breit grinsend. Und Plötzlich wurde ich mir bewusst dass dies ziemlich komisch rüber kam. Ich, zugeschüttet mit Bier neben einem Heer an Flaschen in zerlumpten dreckigen Sachen verpennt und ungestylt auf einer Parkbank gammelnd ,fragte diesen gutaussehenden gepflegten Typen, der einfach nur die Wahrheit sprach ,was er sich anmaßen würde so was von mir zu denken. Beinahe hätte ich angefangen laut zu lachen. Stattdessen wandte ich mich nur mit grimmigem Blick ab. Er schaute immer noch nicht weg was mich so langsam aufregte. Aber er schwieg und das sollte mir recht sein. Es war mir sogar sehr recht. Ich wollte doch nur allein sein. Aber er ließ mich einfach nicht allein. Zwar war er ruhig aber irgendetwas störte mich immer noch an ihm. Vielleicht störte mich auch einfach nur die Tatsache dass er atmete. Ich schaute wütend zu Boden woraufhin er ein leises auflachen von sich gab. Finster warf ich ihm ein Blick zu doch das brachte ihn nur noch mehr zu lachen.
>> Weißt du, dein Gesicht ist zu komisch! Du strafst mich für die Wahrheit und das weißt du auch. Ich liebe es in den Augen anderer den Hass auf sich selbst zu lesen! Nur so kann man lernen das Leben zu lieben.<<
>>Schwachsinn!<<
war meine stumpfe und genervte Antwort.
>> Und doch kann ich es in deinen Augen lesen! sag mir wenn ich mich irre!<<
ich stöhnte genervt und rollte die Augen.
>> Ich brauche keinen Psychiater! Hau ab! Wenn ich Probleme mit mir hätte würde ich doch nicht hier sitzen.<<
schnaufte ich und in meinen Augen sprühte schon der Funken der Wut. Doch er hörte nicht auf zu lächeln.
>>Und eben doch sitzt du hier und deine Augen sprechen die Sprache deines Herzens!! Wie heißt du??<<
Ich war so entnervt das ich vermutete jeden Moment zu platzen aber zu groß war die Angst die ganzen Augen wieder auf mir zu spüren und diese gemeinen, aber doch so wahren ausrufe zu hören. Ich setze mich auf und sah ihn bemüht gleichgültig an damit er aufhörte mit dem Quatsch! Ich war doch nicht sein Mopfer!! Ich wollte ihn nur noch loswerden, aber um selber zu gehen reichte die Kraft nicht.
>> Was willst du von mir?? Ich sitze hier bloß! Zugegeben ich komme nicht von hier und habe auch nicht die leiseste Ahnung wie ich hier gelandet bin, aber wieso zum Teufel kannst du mich einfach nicht in Ruhe lassen??<<
Er zuckte die Schultern.
>>Jeder Mensch hat seine Geschichte, auch du!!<<
meinte er und zu meinem großen überraschen stand er auf und ging. Ja, jeder Mensch hat seine Geschichte, aber manche Geschichten werden einfach totgeschwiegen und so war ich wieder mit mir und meinem jämmerlichen Leben allein. Ich schaute diesem Jungen eine kurze Weile noch hinterher. Eigentlich schade dass der einzige der mich nicht wie eine Aussätzige angestarrt hatte und sich sogar neben mich gesetzt hatte die Flucht ergriff. Jetzt war ich es, die die Schultern zuckte. Ich trat in den Sand und eine kleine Wolke staubte auf. Ich trat unbeachtend weiter in dem Sand rum. Die Sonne war mal wieder voll am scheinen und ich schwitzte wie ein Wasserfall. Ich musste auch so ähnlich riechen nur dass wohl das Wasser im Wasserfall eher dem der Kanalisation glich. Zur Überprüfung schnupperte ich an meinem T-Shirt und verzog angewidert das Gesicht. Ich roch wirklich fürchterlich. Wann hatte ich bloß das letzte mal geduscht? Vor 2 oder 3 Wochen? Wer weiß? Ich auf jeden Fall nicht.

Meine Kehle war wieder staubig trocken und der Durst hatte mich in die Stadt getrieben. Ich suchte nach einem Kiosk oder nach einem Geschäft. Mir war nun alles recht nur ich wollte den Durst die Kehle runter schütten. Heiser und fast außer Atem hechelnd suchte ich die Straße ab. Als ich einen kleinen Kiosk gefunden hatte, war meine Geduld schon am Ende. Ich kramte in den Hosentaschen und suchte nach meinem letzten Geld. Schockiert suchte ich meine Taschen ab, fand aber nichts. Das konnte ja nicht sein. Ich hatte gestern Bier in Unmengen irgendwo hier in der Nähe gekauft gehabt. 250 € konnten ja nicht einfach so verschwinden. Ich hatte bevor ich abgehauen war genügend Geld mitgenommen um über die Runden zu kommen, aber nun war alles weg. Verzweifelt versuchte ich mich daran zu erinnern wo es nur sein konnte. Hatte ich das Geld verloren? Nein, niemals ich verliere doch kein Geld. Habe ich es dem Tankwart als Trinkgeld gegeben in meiner Not gestern?? Ich überlegte Fieberhaft. Nein, ich würde nie einem einfachen Tankwart meine letzten 250€ überlassen. Hatte ich Drogen gekauft?? Nein, ich war in einem Kaff gelandet wo das Wort Droge nicht mal zu denken war. Außerdem hatte ich noch nie Drogen genommen. Zumindest nicht bewusst. Der Tankstellenwart musterte mich mürrisch und tippte auf die Uhr. Er wollte mir damit wahrscheinlich bedeuten dass er gleich zu machen würde. Voller Panik suchte ich mein Geld. Aber es blieb und blieb unauffindbar. Ich hatte so einen großen Durst.
>>Entschuldigen sie, kann ich etwas auf meinen Namen anschreiben lassen??<<
fragte ich mit flehenden Blick.
>> Nein, hier wird nichts angeschrieben!!<<
murmelte er grimmig.
>> Ich bitte sie, ich habe kein Geld dabei! Es sind doch nur 1, 70€!! Seien sie doch nicht so!<<
seine Miene verfinsterte sich.
>> Ich sagte Nein<<
keifte er.
>>Hier wird von niemanden etwas angeschrieben! Wenn du nicht bezahlen kannst hast du hier nichts zu suchen!!!<<
Ich wich nicht zurück.
>>Ich bitte sie, ich habe...<<
>>RAUS<<
brüllte er wutentbrannt.
>>Hast du es immer noch nicht begriffen?<<
Ich versuchte es abermals aber als der Tankwart mir fast feixend ins Gesicht gesprungen kam gab ich es auf. Ich hatte ja so einen Durst. Was sollte ich denn tun? Mein Geld war weg, mein Schädel dröhnte immerwährend und meine Kehle war staubtrocken. Ich schaute den Zornesroten Tankwart an. Er schien fast über den Tresen springen zu wollen. Sein Gesicht verfärbte sich dunkellila und eine Zornesader trat auf seiner Stirn hervor. Ich betrachtete ihn ruhig und hoffte er würde sich irgendwann beruhigen. Doch die Zornesader schwoll nur noch mehr an und er schien immer größer zu werden. Er keuchte vor Anstrengung. Ich roch seinen Atem. Er packte mich ganz plötzlich am Kragen und zerrte mein Gesicht ganz nah an seines.
>>Hast du Göre es immer noch kapiert? Ich will dich raus aus meinem Laden haben. Und ob du aus der Bahnhofstoilette trinkst oder aus einer Pfütze sübbelst ist mir egal. Ich gebe dir hier nichts!<<
Er lockerte seinen Griff nicht und fletschte die Zähne. Oh ja, es waren gelbe Zähne. Er sah aus wie ein Besessener. Seine Augen stiegen mir entgegen und hinzu gaben die seinem Gesicht den Ausdruck des Wahnsinns. In mir steig so langsam die Angst. Was in Gottes Namen ging hier vor sich? Was packte mich dieser Mann am Kragen, weil ich am verdursten war? War dieser Mann wirklich so kaltherzig.
>>Lassen sie mich los!<<
befahl ich mit heiserer Stimme. Dem Mann interessierte das nicht. Er näherte sein Gesicht noch ein Stück, so dass seine Nase fast die der meinen berührte. Ich konnte kein Stück mehr zurückweichen. Der Mann schien wie ein Tier. Ich schloss die Augen denn er kam mir noch unangenehm näher. Ich wollte ihn nicht sehen. Die Nähte des T-Shirts bohrten sich in meine Achseln und in meinen Nacken. Tränen quollen vor Schmerz aus meinen Augen. Der Tankwart schüttelte mich.
>>Du hast hier nichts verloren du dreckiges Balg! Du solltest dich was schämen! Ich kenne euch! Ihr alle seid nur dem Spaß aus! Eure dreckige Sippschaft ist mir bekannt! Ihr wollt nur saufen und euch vergnügen und die Arbeit anderer ist euch egal!<<
Er spuckte mir während er mich anbrüllte ins Gesicht. Er hört nicht auf mich zu schütteln. Ich hörte ein leises Knacken, was mir bedeutete dass gerade mein T-Shirt ausleierte. Sein Griff lockerte sich nicht die Spur. Auch nicht als ich versuchte seine Hände wegzuziehen. Ich wollte nur noch weg. Weg von diesem gruseligen Tankwart. Er zog immer fester an meinem T-Shirt so dass ich kaum noch Luft bekam. Ich krächzte vergebens um Hilfe. Es kümmerte ihn nicht. Was nur zählte war seine mir unerklärliche Wut.
>> Ihr handelt so leichtsinnig mit eurem Leben, als ob ihr es verhöhnen wolltet! Ihr schüttet all das harte Zeug in eure Birnen und pennt im Dreck! Ja, und dafür, das ihr eure leben so verschwendet... Dafür müssen dann andere streben die es nicht verdient haben!<<
Hilflos bohrte ich meine Fingernägel in seine Hände doch er zuckte nicht mal mit seinen Wimpern. Ich konnte meiner rauen Kehle nicht einen Schrei entlocken. Verzweifelt hing ich also halb über dem Tresen und rang um Atem. Die Nähte schnitten immer enger ins Fleisch, aber ich war wie betäubt. Ich fühlte einen hämmernden Druck in meinen Kopf. Meine Augen quollen hervor. Machtlos und kraftlos ließ ich meine Hände sinken. Der Tankwart schüttelte mich wieder, aber diesmal nahm ich es nicht mehr ganz war. Ich fühlte mich leicht! Der Druck verschwand und ich sah durch einen schwarzen Nebelschleier in das wutverzerrte Gesicht des Tankwarts. Auf einmal verschwanden seine Falten. Er sah um viele Jahre jünger aus....

Ich saß zuhause. Das sogenannte „Amerikanische Sonntagsfrühstück“ fand gerade statt. Mein Vater verschwand hinter seiner Zeitung mit einer frischen Tasse Kaffee. Er trank den Kaffee ganz schwarz. Ich sah ihn also hinter diesem grauen Wall von Buchstaben verschwinden, mit seinen üblichen skeptischen Blick und seiner kleinen, randlosen und runden Lesebrille. Ich saß verschlafen und noch in Schlafanzug am Tisch neben einem vollen Glas Orangensaft. Meine Mutter schenkte mir sonntags immer Orangensaft ein. Ich saß da also mit einem üblen Kater und wohl einer noch schlimmeren Fahne und starrte wie hypnotisiert auf die graue Mauer von Wörtern die sich vor mir auftürmte. Was er mir angetan hatte war ungerecht! Ich hasste ihn! Ich hasste ihn dafür ja so sehr. Meine Mutter stand wie eine gewöhnliche Amerikanische Mutter in der Küche. Aber nicht etwa um zu kochen, nein sie schimpfte das fette Putzmädchen aus. Das Putzmädchen kam aus Polen. Meine Mutter hatte sie dabei erwischt wie sie in dem Gästezimmer eingeschlafen war. Für meine Mutter war es eindeutig gewesen, das Putzmädchen war faul, das Putzmädchen wird gefeuert! Ich aber wusste den Grund weshalb das mollige Putzmädchen eingeschlafen war.

Sie hieß Anna Palosvyci, war eine rassige Polin und aß für ihr Leben gerne Schokolade. Meine Mutter hatte nie ein Problem mit ihr gehabt, da sie eine sehr fleißige und gründliche Arbeitskraft war. Doch etwas hatte sich an ihr geändert. Ich hatte es sofort gemerkt. Ihre Arbeit war immer noch bemerkenswert Gründlich, aber es fing damit an das sie plötzlich mit Ringen unter den Augen ankam. Sie mied das Gästezimmer stets. Ich sah die Panik in ihren Augen wenn sie vorbei schritt. Sie schaute betrübt zu Boden und vollrichtete ihre Arbeit. Dass das Gästezimmer nie gemacht worden war, war meiner Mutter entgangen aus dem Grund, dass das Gästezimmer schon seit langen leer stand. Also verging eine Weile wo sie still und leise vor sich hin litt. Ich beobachtete sie Tag für Tag. Irgendwann dann sah ich etwas Erschreckendes. Sie trug einen langärmligen Pullover und als der verrutschte sah ich die stellen wo sie sich geritzt hatte. Es waren tiefe Schnitte. Sie zog den Pulli schnell wieder über ihren Arm aber ich hatte bereits alles gesehen. Mir waren diese schwarz-roten verkrusteten Streifen wie ins Gehirn gebrannt! Ihr Lächeln war gequält und bedeutete mir schweigen zu bewahren! Es sollte ein eisernes Schweigen sein! Ich beobachtete weiterhin ihre Veränderung. Ihr Gesicht wurde immer fahler, ihre Augen verloren an dem polnischen Glanz und ihre Ärmel wurden immer und immer länger. Ich wusste dass es so nicht weiter gehen konnte! Also stellte ich sie zur Rede. Sie war so erschöpft gewesen als ich vor ihr stand. Mit leeren Augen betrachtete sie mich. Ihre Stimme zitterte.
>> Nehme dich vor dem unscheinbaren in Acht mein Kind! Manchmal ist es eine Tugend, noch nicht erwachsen zu sein. <<
Ich hatte sie mit großen Augen angestarrt. Ich war doch so gut wie erwachsen! Ich hasste es, zu jung zu sein. Aber jetzt wusste ich was sie meinte.

Ich lauschte also meiner Mutter in ihrer fertigmachenden Art. Sie klang streng und sehr fremd. Ich konnte die Wörter nicht verstehen, aber ich unterschied die Stimmen in ihrem Ton. Anna sprach leise und wehmütig, meine Mutter hingegen sprach besetzt und abwertend. Mein Vater schaute immerwährend auf seinen Wall der Wörter und griff zur großen Abwechslung nach seiner Tasse Kaffee, schlürfte ein bisschen und stellte sie wieder tonlos zurück. Ich fühlte mich so komisch alleine als ich am Tisch saß und mich keiner beachtete, obwohl die Stimmen in mir schrien. Es verwunderte mich nicht dass meine Mutter mir immer den Orangensaft einschenkte, denn sie traute niemanden fremdes! Sie war auch überzeugt dass jeder käuflich wäre, und ich vielleicht die Köchin anbettelte mir etwas in den Kaffee zu kippen. Der Sonntag war der einzige beschissene Tag in der Woche wo ich nüchtern sein musste. Des guten amerikanischen Frühstücks wegen. Nun, endete nicht jedes dieser Frühstücke in so einem Desaster das mich schon früh morgens deprimierte. Mir war verdammt noch mal nach einem Drink. Ich wollte dieses graue Papier und diese lauten Stimmen vergessen und mich in die bunte Welt des Suffs fallen lassen. Aber es half alles nichts. Ich saß da, mit weit geöffneten Augen und wartete auf endliche Stille. Das leise wimmern ließ mich erneut aufhorchen. Mir war klar, Anna war gefeuert worden. Ich fand es ungerecht. Meine Mutter sah nicht das was ich sah. Sie wusste nichts und zog ihre lächerlichen Schlüsse. Ich wollte ihr am liebsten die Wahrheit sagen, aber die Wahrheit wollte sie nicht hören. Sie wollte nur hören was sie hören wollte. Das wimmern ließ mich wie erstarrt am Tisch sitzen. Diese Ungerechtigkeit! Ich konnte das doch nicht zu lassen! Ich stand auf! Das knittern der Zeitung verriet mir das mein Vater davon Notizgenommen hatte. Ich scherte mich nicht darum und ging entschlossen auf die Tür zu. Mir war bewusst dass sein Blick mir folgte. Schritt für Schritt. Ich sah die Tür immer weiter weg ziehen. In mir stieg die Panik. Ja, es war eine einfache Tür. Aber die Angst hielt mich zurück. Was war, wenn er nicht wollte dass ich das tat? Was war, wenn er mich in seiner Nähe haben wollte? Würde er mich aufhalten. Ein rascher Blick zurück zeigte mir dass er wieder vertieft in seiner Zeitung las. Erleichtert bewegte ich mich weiter zur Tür. Es war nicht mehr viel Raum zwischen mir und ihr. Ich musste nur noch die letzten 10 Schritte gehen, die Klinke runter drücken und sie aufdrücken. Das schien doch alles sehr einfach zu sein. Der 1. Schritt war noch leicht, der 2. ging auch noch, der 3. war in Ordnung, der 4. war auch noch in Ordnung, aber ab der Hälfte stieg der Adrenalin spiegel wieder. Ich stand still und lauschte dem wimmern. Einzig und alleine die Zeitung schnitt es mit seinen Seiten die, die Luft
striffen wenn man umblätterte. Er war also noch vertieft in seinen Informationen. Schritt Nummer 5 war eine leichte Überwindung, der 6. kostete mich etwa genau so viel Mühe, aber ab dem 7. Schritt fing ich leicht an zu zittern und die Panik stieg erneut. Ich drehte mich wieder um. Er schien sich nicht gerührt zu haben. Ich fühlte mich verdammt lächerlich. Mein Blick blieb noch etwas auf ihm stehen. Dann packte ich mich wieder am Schopf und zwang mich weiter voran. Ich atmete tief durch. Die Tür schien jetzt weniger weit. Ich packte mich am Herz und schritt weiter.8, 9 ,10 und ich war da. Ich stand genau vor der Tür. Gerade als ich die Klinke runter drückte, sah ich einen Schatten hinter mir. Mein Herz pochte. Ich schloss meine Augen, das war doch nur Einbildung! Mein Vater hatte einen Fehler gemacht, aber er hatte mich doch lieb! Er würde es nicht noch mal tun. Da war ich mir sicher! Ich hatte keinen Grund mich vor ihm zu fürchten! Jeder verlor mal die Fassung! Ich atmete ein 2.mal tief durch und drückte die Klinke runter. Zu meinen erschrecken spürte ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter.
>> Wo willst du hin? Wenn ich du wäre, würde ich mich da raus halten! <<
sagte mein Vater ruhig. Erschrocken drehte ich mich um und starrte ihm genau in seine grauen Augen. Seit gestern hatten sie für mich etwas Liebevolles verloren. Aber diesmal sah ich wieder in seine Augen. Das fremde war gewichen. Mein Herz hörte auf so wild zu hämmern.
>> Ich will Mama davon überzeugen das sie Anna nicht feuern soll!!<<
flüsterte ich verlegen wie ein Schulmädchen.
>>Meinst du, dass würde noch irgendetwas helfen?<<
Ich zuckte die Schultern.
>>Vielleicht!<<
Er schüttelte den Kopf.
>> Ich kenne deine Mutter nur zu gut! Sie ist genauso dickköpfig wie du! Das wird nichts bringen! Und wenn sie meint Frau Palosvyci hat einen Fehler gemacht wird das auch so sein! Was willst du also dagegen machen? <<
Wieder zuckte ich die Schultern.
>> Aber wenn ich vielleicht mit deiner Mutter rede, könnte das was bringen. Meinst du nicht auch? <<
>>Vielleicht<<
Er grinste.
>> Jetzt hab dich doch nicht so! Das was gestern geschehen ist, ist nie geschehen! <<
Ich zuckte zusammen.
>>Vielleicht.<<
sagte ich kalt und gleichgültig. Er packte mich an den Schultern.
>> Meintest du ich wollte das? Du weißt doch das ich dich lieb habe!<<
Ich schaute ihn finster an.
>>Vielleicht!<<
war meine kleinlaute Antwort. Wieder nickte er und ließ mich los.
>> Mach dir wegen Frau Palosvyci mal keine Sorgen, ich werde das schon regeln! <<
ich nickte. Doch innerlich war alles eingefroren. Als er gesagt hatte er würde mich doch lieb haben, war mir so unerklärlich kalt geworden. Er machte mir Angst.....

Als ich meine Augen öffnete lag ich in einem weißen fremden Bett. Ich sah helles Neonlicht über mir leuchten. Noch etwas verschwommen sah ich meine Umgebung an mir vorbeistreifen. Ich fühlte meinen ganzen Körper nicht. Das einzige was ich vernahm waren die Gerätschaften an denen ich hing, die in wilden Lichtern um die Wette blinkten. Halb bewusstlos blinzelte ich. Mein Hals fühlte sich unerträglich trocken an. Ich bekam keine Luft aus der Lunge gepresst. Es war wie ein zweites Mal ersticken. Hilflos fasste ich mir an die Kehle, aber mir gelang es nicht einmal einen Ton raus zu pressen. Das einzige was meiner Kehle entglitt war ein heiseres Krekelen. Ich zerrte an einem komischen Ding das meine Nase und meine Mund an Maschinen band. Jemand zog meine Hand weg und versuchte mich zu beruhigen. Doch je mehr ich erwachte, desto mehr Panik bekam ich. Ich wollte aufspringen und wegrennen. Jemand zweites kam dazu und versuchte mich wieder hinzulegen. Doch ich ließ mich nicht beruhigen. Ich wollte nicht liegen, und schon gar nicht wollte ich die Hände fremder spüren. Sie wussten meinen Namen aus meinen Unterlagen die in meinen Hosentaschen gelegen hatten, und wenn sie meinen Namen kannten, dann waren meine Eltern auf dem Weg. Wie lange sie mich schon suchen ließen? Ich schlug mit meinen schwachen Armen hektisch um mich und versuchte mich frei zu kämpfen. Ich wollte nicht zurück, sonst wäre ich doch nicht gegangen! Ein kleiner stechender Schmerz im Arm. Ich schaute kurz auf und sah die Spritze in meiner Haut prangern. Der Inhaltsstoff war bereits in mein Blut gelangen. Was das wohl war? Ich wusste es nicht, aber wie benommen fiel mein Kopf auch schon zur Seite.

Etwas ruhiger kam ich in einen stillen Raum zum erwachen. Ich blinzelte erst unsicher, sah aber dann auch schon klarer. Ich lag in ein typisches Krankenzimmer. Die weißen Schallosyen waren bis zur Hälfte runter gezogen. Es dämmerte bereits und ein schwaches Licht viel hellblau in den Raum. Ich sah das leere Bett neben mir. Das Bett war sorgfältig gerichtet. Alles erinnerte an ein Krankenzimmer. Das Bett neben mir stand auf Rollen und die Rückenlehne schien variabel. Auf dem Tisch daneben stand eine leere gläserne Blumenvase. Vorne am Bett hing ein Schild wo nach meinem wissen immer der Name und die Adresse eingetragen waren. Ich hatte ihnen wohl kaum die Informationen durch meine Papiere verweigern können. Ob meine Eltern schon da gewesen waren, während ich in tiefer Narkose lag? Ich konnte es nicht wissen. Ich wusste nichts. Wie benebelt starrte ich an die Decke. Der Raum war karg und leer. Ich fühlte mich so unwohl in dieser weißen langen Einöde. Die Fenster wurden von dicken weißen Vorhängen verdeckt. Meine Lunge schmeckte staubig. Ich hing wieder an zahlreichen Maschinen die ich nur aus Filmen kannte. Die vielen Schläuche und Blinklichter verwunderten mich. Ich war doch nur bewusstlos geworden. Nicht, dass das nichts war, aber diese ganze Aufmachung fand ich wirklich mehr als nur übertrieben. Die weiße Tür stand verschlossen in der weißen Wand und blieb unberührt. Ich hatte die ständige Schreckensvorstellung mein Vater würde durch gerade diese Tür spazieren. Ich sah seinen bedauernden Blick schon vor mir und wie er der Krankenschwester nur um den guten Schein zu wahren eine Lügengeschichte auftischte.
>> Ja, meine Tochter muss sich zurzeit für eine Sportveranstaltung für den guten Zweck engagieren und um nicht ganz untrainiert zu erscheinen macht sie eine Pilgertour durch ganz Europa. Doch leider ist ihre Begleitperson auf der Reise krank geworden und sie musste bedauerlicherweise alleine weiter, ohne dass ich unterrichtet wurde von diesem Desaster! Natürlich nehme ich sie wieder mit nach Hause wo sie sich entspannen und beruhigen kann, bis sie den Schreck auskuriert hat...<<
Das aller schlimmste an seinen Lügen war, das sie auch noch zogen. Die Menschen fraßen ihn aus der Hand. Er drückte sich gute aus um die wirklichen Tatsachen lieblich zu umschreiben. Ich war da schon etwas direkter. Ich versuchte nicht die Leute in Watte einzuwickeln sondern ihnen die Wahrheit jede Zeit aufzutischen, trotzdem war ich mir keiner Lüge zu schade. Aber in dieser jämmerlichen Situation an meinem Vater zu denken bereitete nicht gerade die überschwappende Lust in mir, es schreckte mich ab. Ich versuchte meine Gedanken umzuordnen, was gelang. Weshalb hing ich an diesem ganzen Gestrüpp? Ich war doch nur bewusstlos geworden. Ich hatte noch nie gehört, dass für so einen kleinen Unfall jemand gleich ins Krankenhaus an Beatmungsmaschinen muss. Ich ließ meinen Blick noch des Öfteren durch den Übergangsort wandern. Richtig deprimierende! Dieses schlichte weiß in diesen lieblos leeren Raum. Ich begriff nicht einmal warum sie mich betäuben mussten. Ich war hilflos gewesen, ja und regelrechte Panik war in mir ausgebrochen… aber war diese Spritze wirklich nötig gewesen? Ich hatte kaum kraft besessen mich zu bewegen und ich wäre wohl nicht lange unterwegs gewesen auf Beinen. Warum also dieser ganze Aufstand? Ich sah den Katheter, ich spürte den Beatmungsschlauch der mir bis in den Hals ragte. Die Kanüle die an meinen Finger prangerte. Die Geräte die meinen Puls und Herzschlag missen. Ich lag in einem weißen langen Nachthemd mit verzottelten Haaren hier als ob ich sterbenskrank im Sterbebette lag. Aber ich würde ihnen schon noch zeigen, ICH LEBE….

>>Hallo Elaine, haben sie sich jetzt beruhigt? <<
Ich mich beruhigt? Das war ja wohl die Höhe! Wer sollte sich in diesem Irrenhaus denn schon beruhigen! Ich wollte endlich wissen was los war.
>>Weshalb bin ich hier? Ich bin doch nur kurz bewusstlos gewesen? Was ist hier los?<<
Regte ich mich auf.
>> Ganz ruhig! Sie litten langzeitig an Sauerstoffmangel. Wegen diesem Mangel konnte kein Sauerstoff an das Herz und an zahlreiche Organe geliefert werden und ihr Körper ist zusammen gesackt! Sie wissen gar nicht was für ein Glück sie hatten! Sie mussten wiederbelebt werden und brauchen wegen diesem Unfall erstmals ausschließlich Ruhe.<<
Erklärte er ruhig.
>>Unfall?! Das ich nicht lache! Der kranke Kerl hat mich fast zu Tode gewürgt! Ich habe diesem Mann nichts getan und wegen einen lächerlichen Getränk hat der also das Recht mir an die Gurgel zu gehen?<<
Wetterte ich außer Rand und Band los. Der Arzt schaute überrascht.
<< Was regen sie sich denn so auf? Seien sie doch froh dass sie das alles überlebt haben und überhaupt noch reden können. Sie haben echt Glück das es noch keine schwerwiegenderen Schäden am Hirn verursacht hat. Wir werden sehen was für minimale Schäden das Ganze hinterlassen hatte aber erstmals ist Ruhe wichtig. Beruhigen sie etwas ihr Gemüt, sonst überlasten sie ihren Körper und in dieser Lage ist das nicht günstig!<<
Mir blieb der Mund offen stehen. Es war noch nicht sicher was für Schäden ich davon tragen würde? Minimale Schäden?! Was für ein Scheiß laberte er da?! Ich hatte mehr denn je die große Lust ihm an die Gurgel zu gehen. Schon alleine für seine Ausdrucksweise. Ich solle mich meines Lebens freuen? Nein, Sorry, aber ich und nicht er, wurde von einem halb wahnsinnigen Tankwart fast zu Tode gewürgt. Da war nichts mehr mit Ruhig Blut! Ich hatte gehörig die Nase voll! Mehr als nur genervt und “angepisst“ musterte ich ihn. Er las meine Krankenakte um diesen Blick zu entgehen aber da er schon längst vorher wusste was Sache war, wusste ich, dass er danach nicht mehr als zuvor sagen würde. Die Akte war einfach nur ein Vorwand nicht mit mir sprachen zu müssen. Wie nebenbei nuschelte er
>>Ich hoffe sie haben nichts dagegen dass sie zurzeit durch ihre derzeitige Lage nicht in der Verfassung sind Besuch zu empfangen.<<
Das ließ mich ein bisschen mehr entspannen. Zwar kochte das Blut in meinen Adern noch, aber ich konnte sicher sein dass mein Vater nicht demnächst in der Zimmertür stand. Das schien so was wie ein gewisser Trost zu sein. Es spiegelte sich wohl in meinem Gesicht, denn der Arzt legte die Akte weg, nickte mir einmal noch aufmunternd zu und schritt dann eiligen Schrittes aus dem Zimmer. Er ließ mich allein. Wenigstens war er jetzt endlich weg, sonst hätte ich ihn noch auseinander gefaltet!

Langeweile schrieben meine Tage. Ich lag da in diesem fremden Bett und musste warten. Mein Zimmer war am Ende des Flurs und somit völlig abgeschnitten von anderen Patienten. Ich hätte mich sogar über entbindende Frauen und Säuglingsgeschrei gefreut. Diese Stille war unerträglich. Ich durfte nur daliegen und auf einen komischen Brei warten, da meine Luftröhre angeschwollen war und ich noch nichts Festes zu mir nehmen konnte. Ich blies mein Trübsal während nichts geschah. Der Raum blieb immerwährend leer. Irgendwann hätte ich mich sogar über Besuch gefreut. Die einzigen Leute die ich sah war der Doc, stets beschäftigt und die Schwestern, immer auf der Flucht. Niemand hatte großartig Lust meinem Fluchen lange zuzuhören. Denn ich tat auch nicht mehr als nur zu fluchen. Was sollte ich denn auch anderes tun. Diese Einsamkeit war deprimierend! Die staubigen Vorhänge blieben immer verschlossen und ich lag da. Irgendwann gab ich sogar auf zu sprechen. Was sollte ich denn auch sprechen? Mein Fluchen brachte keinem was, und die große Erzählerin war ich eh nicht. Ich war still und in mich gekehrt. Der Jemand der sich für mich interessierte musste schon meine geheimnisvollen Augen entziffern. Irgendwann störte mich alles und jeder. Ich wollte nichts mehr sehen und alleine sein. Die vorher so ersehnte Gesellschaft verfiel und ich wollte meine Ruhe. Dann döste ich den ganzen Tag nur rum und starrte an die weiße Decke. Ich hatte ja sonst nichts Besseres zu tun.
>>Hallo Elaine, und wie geht es dir Heut?<<
fragte der Doc wie sonst auch immer.
>> Wie soll es mir denn gehen? Ich liege hier und es ist noch nichts recht interessantes geschehen!<<
Antwortete ich genervt.
>> Ja, wenn wir bald mehr wissen über deinen Zustand, kannst du auch in ein zentraleres Zimmer und du kannst dich dann auch ein paar Stunden frei bewegen! Aber dazu benötigst du erst einmal Geduld Elaine. Auf jeden Fall ist schon mal bekannt dass die Schwellung an deiner Luftröhre zurückgeht und dein Sehvermögen sich verbessert hat. Hab noch Geduld, bald wirst du auch Besuch empfangen können.<<
>>Apropos Besuch, hat schon Jemand nach mir gefragt oder seinen Besuch angekündigt?<<
Fragte ich bemüht nicht ängstlich zu klingen.
>>Nein, zu unseren großen Verwundern hat sich noch keiner ihrer Erziehungsberechtigten bei und gemeldet. Zu unserem Problem gehört das ihr Nachname zu einem sehr verbreiteten Namen gehört. Aber sie können uns eine sehr große Hilfe sein wenn sie uns die Vornamen und Geburtsdaten ihrer Eltern geben könnten, sobald es ihr Zustand erlaubt.<<
>>Ja, klar, das wird ich selbstverständlich machen!<<
Aber in meinem Kopf sagte eine Stimme: selbstverständlich NICHT!!!! Denn ich wollte ihnen auf keinen Fall begegnen.
>> Kommen ihre Eltern denn aus Deutschland?<<
Fragte er beiläufig wobei er meinen Hals besorgt abtastete.
>> Nein<< log ich >> Sie kommen aus Polen und wohnen immer noch dort! Ich bin eigentlich nur wegen einem Kurzurlaub hier!<<
Er zog die Augenbrauen hoch.
>>Sie sprechen aber ohne besonderen Dialekt!<<
Bemerkte er.
>>Ja, wir wohnten ziemlich an der Grenze und da ich schon seit Kindertagen hier in Deutschland Urlaub mache und bei Freunden unter komme, spreche ich am besten von uns allen Deutsch.<<
Noch verwunderter musterte er mich.
>> In ihren Papieren stand aber das sie Deutscher Angehörigkeit sind! Und in Deutschland macht man doch keinen Urlaub!<<
Ich fühlte mich seltsam ertappt, ließ es mir aber nicht anmerken.
>> Ich sagte doch bereits, ich wohne an der Grenze!<<
>>Aber man macht doch keinen Urlaub in Magdeburg!<<
Meine Kinnlade klappte runter. Ich war in Magdeburg? Wie konnte das sein? Ich war doch in Flensburg gestartet! War ich etwa so weit gereist ohne auch nur von jeglicher Polizei angehalten zu werden? Ich war immer noch vollkommen überrascht al der Doc fortfuhr.
>>Also, die meisten Menschen machen eher Urlaub in Berlin oder in Hamburg, was ich nur zu gut verstehen kann! Da ist wenigstens was los und man kann auch was tun dort! Hier ist tote Hose! Wo man hin guckt ist nichts! Nicht einmal anständiges Museum haben wir hier! Hamburg und Berlin haben viel mehr zu bieten und wenn ich mir das nicht leisten kann dann such ich mir doch wenigstens etwas ansatzweise Interessantes aus! Aber Magdeburg…?<<
>>Ich sagte doch bereits ich komme bei Freunden unter und ich finde es halt sehr schön hier!<<
Unterbrach ich ihn genervt. Er nickte nur.
>> Trotzdem gibt es schönere Orte!<<
>>Mag sein!<<
Murmelte ich und legte mich zurück ins Kissen.
>> Haben sie denn sonst irgendwelche Beschwerden oder Schmerzen?<<
>>Nein, keinerlei Probleme, nur das Essen ist scheußlich!<<
>>Sie sind in einem Deutschen Krankenhaus, was wollen sie da schon verlangen?<<
Lachte er und zwinkerte mir zu.
>>Vielleicht kann ich für sie ja etwas schmackhafteres zur Alternative finden!<<
Meinte er freundlich lächelnd: Er kam mir das erste Mal wirklich freundlich und nicht so reserviert rüber. Ab da an konnte ich den Doc leiden.


Trotz seiner Bemühungen konnte mir der Brei nicht schmackhaft gemacht werden. Ich hätte selbst in einen alten Pappkarton mehr Geschmack gefunden als in dem Fraß. In den Folgenden Tagen kam der Arzt öfter und befragte mich. Ich wurde getestet auf die einfachsten Sachen. Der Arzt schaute ob ich mental noch fit war und kabelte mich für zahlreiche Versuche an seltsam aussehende Gerätschaften die alle angeblich nur für mein bestes waren. Manchmal ertappte ich mich bei der Frage ob das nicht doch alles nur Show war um für deutsche Krankenhäuser zu werben. Aber ich musste da durch. Ich musste zahlreiche Urinproben und Blutproben abgeben, wobei ich es nicht einmal schaffte auf die Toilette zu gehen sonder wo ich dann mit Rollwagen hin chauffiert wurde und auf der Toilette bugsiert wurde. Es war regelrecht beschämend. Wie ein Kleinkind kam ich mir vor. Unsagbar beschämend war das Gefühl. Jeder sorgte dafür dass ich mich auch nicht zu sehr anstrengte. Doch ich war völlig bei Sinnen und auch vollkommen davon überzeugt ohne großen Schaden zu sein. Aber auf mein Augenrollen reagierten die Tanten einfach nur mit Skepsis und so kam es das ich wie eine alte Oma dahinvegetierte. Tag für Tag! Selbst das waschen und meine Körperhygiene übernahm zu meinem entsetzen jemand anderes. Ich war nicht mehr Herr der Lage, sondern das Opfer der Lage. Gegen all den Mist war ich machtlos und eine Hand voller Menschen waren davon überzeugt in meinem Sinne und für meine Besserung zu sorgen. Ich war total entnervt. Egal ob sie sich noch so um mein Wohlergehen sorgten, oder so taten. Wenigstens wusste ich jetzt dass ich klar denken konnte und meine Hand sich wegen Alkoholschäden um 16 Millisekunden verzögert bewegte. In Klartext hatte ich mein Hirn fast vollkommen geschrottet und von Tag zu Tag bin ich wegen dem saufen dümmer geworden. Was aber auch nichts Neues für mich war. Ich wusste dass ich körperlich frühreif war für mein Alter und dass mein Gehirn trotz den ganzen Alkohol Strapazen ausgeprägter als das der Gleichaltrigen war. Das war die einzige Überraschung gewesen bei dem ganzen Müll. Und wo sollte ich das dann auch in die Bewerbung schreiben? Was sollte ich überhaupt mit meinem noch durchaus jungen Leben machen? Ich konnte ja nicht ewig durch die Weltgeschichte schlendern und ziellos voran schreiten im glauben etwas zu suchen. Magdeburg!? Ich war wirklich in dieser ganzen Zeit ziellos rumgelaufen und nun hier gelandet. Die ganze Aufregung und Angst von der Polizei gestoppt zu werden. Das alles, ohne wirkliches Ziel, mit dem Vorsatz voran zu kommen. Ich musste schon einen gewaltigen Schaden haben. Wenigstens sprachen die Leute noch meine Sprache. Was hatte ich denn von Anfang an vor gehabt? Wollte ich nach Bayern marschieren und dann mit Urlaubsfotos zurück zu meinen Eltern? Nein, wohl eher nicht. Ich schaute aus meinem Fenster in den tiefen Gedanken vertieft. Was war wenn meine Eltern kommen würden? Was wäre wenn meine Lügen aufflogen? Was wäre wenn…. Ich den ganzen Weg umsonst gegangen wäre. Wo war der Sinn in dem ganzen Theater? Ich fasste die jetzige Situation in meinen Kopf zusammen: Ich war von zu Hause weggelaufen in der Hoffnung damit durch zu kommen, was ich auch tat. Auf dem weg bin ich ziellos voran und wurde dabei beraubt. Ich habe von einem komischen Typen gelernt das jeder eine Geschichte hat, was mich nicht einmal die Bohne interessierte und ich hatte die missachtende Blicke der Gemeinschaft kassiert. Ich wäre beinahe verdurstet und um den ganzen noch eine Krone aufzusetzen hat mich ein verrückter Tankwart fast zur Tode gewürgt weil ich Durst hatte. Ich sah erneut das wütende Gesicht vor mir. Diese dicke hervorgetretene Ader an seiner Stirn und der weiße Schaum vor seinem Mund, als hätte er einen Schlaganfall. Immer du immer wieder drückte er zu, wenn auch ohne Absichten mich umzubringen. Ich konnte mir seine Wut einfach nicht erklären. Ich hatte nichts falsch gemacht. Es ging um mein Leben und ich hatte wirklich etwas zu trinken gebraucht. Wie konnte man nur so unmenschlich sein und ein 16 Jahre altes Mädchen seinem Schicksal überlassen? Ich konnte mir nur ausmalen wie heruntergekommen ich aussah. Ich hatte noch den Dreck der Parkbank im Gesicht und er regte sich über ein paar lächerliche Kröten auf?! Das konnte doch nicht wirklich sein Ernst sein! Mich verließ das Gefühl nicht, vielleicht doch mehr getan zu haben. Irgendetwas musste ihn ja in meiner Art aufgeregt haben, dass er so handelte. Aber was? War es meine Aufmachung? Nein, sie schien mir eher bemitleidenswert. War es vielleicht die Art wie ich gesprochen hatte? Nein, ich hatte ganz normal mit ihm gesprochen. Nichts war irgendwie aggressiv in meiner Art gewesen oder abweisend. Ich war eine hilflose 16 jährige gewesen die kurz vor dem verdursten stand und an seinen Menschenverstand appelliert hatte. Ich hatte ihn keinster Weise bedroht und war ihn auch nicht angegangen. Weshalb er in so heftigen Ausmaßen reagiert war schien mir unerklärlich. Was war ihm so heftig aufgestoßen? Was hatte ich dazu beigetragen dass ich nun in der Gewalt anderer war? Fragen über Fragen die sich alle im Kopf auf einer Versammlung tummelten. Ich versuchte eine Antwort auf alles zu finden, aber während ich mir den dröhnenden Kopf zermarterte, wusste ich nicht mal was noch auf mich wartete. Die Tür ging auf und das Essen kam hereingefahren. Die übelgelaunte Krankenschwester legte etwas unsanft das Tablett auf meine Decke, sodass etwas von dem lieblich hergerichteten grauen Babybrei der eher aussah wie Erbrochenes und ebenso schmeckte. Ich rümpfte angewidert die Nase. Sie nahm keine Kenntnis davon und grabschte mit ihren dürren Fingern nach dem beiliegenden Löffel. Finster fluchend steckte sie ihn in den ekelhaften Brei und rührte kräftig und im Gedanken versunken darin rum. Noch mehr von der fast flüssigen Masse spritzte und tropfte auf die weiße Decke und das kleine Tablett. Neben dem Tablett lagen ein paar Pillen. Wie in damaligen Zeiten…..

Die bunten Pillen die man schluckte, wenn man entweder vergessen wollte oder einfach nur Spaß suchte. Ich betrachtete diese weißen und grünen Pillen die den Spaßmachern jeder Party gefährlich ähnelten. Ich wollte den bitteren Geschmack dieser Lustbomben und Wegdröhner auf meiner Zunge spüren und sie langsam den geschwollenen Hals hinab gleiten lassen. Ich wollte warten bis meine Pupillen sich weiteten. Ich dachte an das letzte Mal, wo ich so eine einzigartige Pille geschluckt hatte. Es war berauschend gewesen… Ich saß den Tränen aufgelöst und zitternd vor der Gästezimmertür. Das Licht war erloschen und nur der stille Mond spendete den gekrümmten Leib meiner Wenigkeit Licht. Ich spürte Schmerzen und hielt zerrissenen Stoff über meine Arme. Der Stoff war von Blut getränkt. Ich wimmerte, immer noch recht erschrocken. Regelrecht panisch suchte ich die bunten Pillen. Ich wusste, dass ich irgendwo im Haus noch einen Bunker haben musste. Ich riss die Schränke und Schubladen hektisch auf und verteilte den Inhalt rücksichtslos auf dem Boden. Es dürstete mir nur nach Rausch und Benommenheit. Ich war bleich gewesen und mir war bis zum umkippen übel. Ich hatte den Stoff im Eifer des Gefechts fallen lassen, und somit tropfte das warme schwarze Blut in allerlei Richtungen. Doch alles schien egal. Ich wollte wegtreten für die nächste Zeit. Egal was das Ticket zum Spaß auch kosten solle, an Geld mangelte es nicht. Ich warf mich durch das Haus von Schrank zu Schrank und von Tür zu Tür. Es ging hin und her und ich rutschte fast aus auf dem Blut. Erschöpft warf ich mich auf den Boden und zog die Dreckswäsche auseinander. Ich machte mir nicht die Mühe in jede Tasche zu greifen. Ich schüttelte die Hosen und durchsuchte die Sachen die aus den Taschen fielen. Aber außer ein bisschen Kleingeld war da nichts. Mit weit aufgerissenen Augen blieb ich wie versteinert in dem Chaos sitzen. Wie ein Gedankenblitz durchfuhr es mich und ich stolperte mehrmals beim Versuch aufzustehen, aber das war nebensächlich. Ich wusste wo der Stoff war. Ich war schon halb in der Küche, da blieb ich vor dem Spiegel stehen. In meinem Gesicht waren lauter Schweißperlen. Ich hatte wohl schon versucht sie weg zu wischen, denn das Blut meiner Arme hatte selbst dem Gesicht ein paar rote Flecken und Streifen beschert. Wenigstens bin ich jetzt nicht mehr so farblos dachte ich sarkastisch und betrachtete die vielen Streifen. In der Dunkelheit glichen sie kleinen Kratern, die glitzerndes Wasser in den tiefen Schluchten bargen.
Was wohl die anderen sagen werden wenn sie die Wunden sehen? Guck mal Elaine ritzt sich?!
Schoss es mir durch den Kopf. Es war egal, ich brauchte diesen Rausch und die benommene Ungewissheit. Ich würde es einfach verdecken, so einfach war das. In der Küche schleuderte ich beim torkelnden eintreten gleich die Obstschale aus der Toskana zu Boden, so dass es laut schepperte. Doch das war vollkommen nebensächlich. Ich riss den Küchenschrank auf und lies der Obstschale Töpfe und Tassen folgen. Der Schmerz der blutigen Messerschnittstellen war unerträglich. Mit letzter Kraft ergriff ich das Loch im Holz. Ich riss den Boden des Schrankes raus und Pulte aus der hintersten Rille 2 Tüten. Ein etwas dämlich klingendes Lachen erklang. Ich hatte es geschafft. Die zweite Tüte ließ ich in die Scherben fallen, denn ich brauchte nur eine Tüte. Ich wollte mich ja nicht umbringen. Einfach nur der Rausch. Ohne auch nur ansatzweise zu zählen schaufelte ich mir mehrere Pillen rein. Ich verließ ruhigen Schrittes die Küche und ging geradewegs in mein Zimmer. Die Pillen wirkten schneller als gedacht. Kurz nachdem ich meine Zimmertür geschlossen hatte sank ich auch schon wie benommen zu Boden. Der Schmerz zog immer weiter weg. Wie aus der Ferne pochten die Wunden. Die Sicht verschwamm und die Probleme wichen. Es war ein angenehmes weichen. Nun hatte ich wieder Platz im Kopf…. An mehr konnte ich mich nicht mehr erinnern. Ich war nur seltsamerweise in meinem Bett aufgewacht. Das Chaos in dem Haus das ich angerichtet hatte war unbeschreiblicher Weise verschwunden. Nirgends klebte auch nur ein Tropfen Blut. Meine Arme waren verbunden und ein langärmliger Pullover versteckte die Verbände. Ich wusste was Anna gemeint hatte mit ihren düsteren Worten. Und ich verstand warum es eine Tugend war noch nicht erwachsen zu sein. Ich sah nun klar. Niemand wusste was geschehen war in der letzten Nacht. Mein Vater hatte noch gesagt er habe neues Geschirr besorgt. Mehr wurde nicht zu dem Vorfall gesprochen. Meine Mutter blieb Ahnungslos. Niemals würde sie von jener Nacht erfahren, denn eines war klar: Jeder würde dunkles schweigen wahren…

Immer noch rührte sie in dem grauen Brei des Ekels. Bis sie aufhörte den Löffel zu kreisen und ihn plump in die Schüssel fallen ließ.
>>Guten Appetit<<
sagte sie und ließ alle der Pillen in den Brei fallen. Die Pillen sahen nun so aus wie Cornflakes.
Na was solls? Auf die alten Tage kann ich doch ein schönes Frühstück nehmen.
Sie ging zur Tür und nahm keine Notiz mehr von mir. Ich war ihr egal, aber wenn sie gewusst hätte, was eben in meinem Kopf vorgegangen war, dann hätte sie es nicht gewagt zu gehen. Ich schluckte die Pillen mit dem scheußlichen matschigen Etwas. Sie brachten zwar keinen Rausch, dafür aber einen tiefen Schlaf.

Als ich aufwachte war ich ganz erschöpft. Zwar brachte der Schlaf eigentlich eher das Gegenteil, aber ich war erschöpft. Ich öffnete müde die Augen und starrte wach werdend an die kahle Decke. Nur das matte Neonlicht schnitt das Abendgrauen. Dämmernd lag klein Magdeburg kurz vor der Nacht. Ich sah es an der einfachen Uhr an der Wand mir gegenüber. Für mich war eh immer Dämmerung. Selbst zu Beginn des Morgens. Die Vorhänge waren zu und die Rollläden stets herabgelassen. Kein erfreuliches Vogelgezwitscher läutete den Morgen ein. Nicht einmal ein kleiner Lufthauch klopfte ans Fenster. Es geschah rein gar nichts. Immerwährende stille. Langsam kam ich mir wirklich so vor wie auf einem Sterbebett. Einsam und vor dem Ende der Zeit. Die letzten Gedanken würden diesen Raum noch streifen, aber dann würde ich dem Tode die Beute sein und er würde mich reißen. Ich wusste zwar das ich an nicht ernsthaftes litt, die anderen wollten es aber nicht wahrhaben. So war es nämlich. Sie waren so einsam hier in Magdeburg und aus reiner Langeweile fesselten sie mich an dieses Bett. Sie wollten ihr Geld an meiner Pflege verdienen. So sah es aus. An dem wohl einer versoffenen 16 jährigen lag keinem was. Ihnen war es nicht einmal gelungen meinen Eltern zu orten! Ob es wohl daran lag, dass ich kurz nach meiner Flucht den Teil mir der Adresse unkenntlich gemacht hatte an einer öffentlichen Toilette mit normalen Wasser? Nein, sie waren einfach nur zu unbeholfen. Sie versuchten es ja nicht einmal richtig! Wahrscheinlich hofften sie regelrecht dass ich für immer bleiben würde, damit sie sich angeblich um mich kümmern konnten. Der Name Schröder war ja auch nicht so verbreitet das man zu dumm war die 2 Leute zu orten! Selbst wenn meine Eltern geschieden waren, hatten sie doch sicherlich eine Menge getan um nach meinem verschwinden meine baldige Rückkehr einzuleiten. Sie hatten doch bestimmt die Presse eingeschaltet. Ihnen lag doch etwas an ihren guten Ruf. Wie sah es denn aus dass die 16 jährige Tochter entlaufen ist? Sie wollten doch nicht das negative Gesprächsthema anderer sein! Also mussten diese Möchtegern Ärzte einfach nur verdammt unfähig sein. Na ja, zugegeben war es nicht leicht mit falschen Angaben jemanden zu finden, aber etwas mehr Mühe würde sie auch auf meine Eltern stoßen! Der Name Elaine Loreen Schröder war jetzt nicht so verbreitet und meine Eltern waren auch nicht gerade unbekannt. Für mich war sofort klar, die Ärzte sind einfach zu dumm dafür. Zwar war ihre Unfähigkeit bisher eher mein Glück, trotzdem ließ mich das verdammt an derer Kompetenz zweifeln. Immerhin musste ich mich von denen jeden Tag betreuen und befummeln lassen. Der Zeiger wanderte schnell wie ein Hürdenläufer auf die nächste Stunde zu. Meine Zeit verstrich in einem Gefängnis der Einsamkeit. Es war ja so ätzend so untätig hier zu liegen. Tagein tagaus geschah nichts. Das einzige was sich änderte waren die Gesichter der beschäftigten Krankenschwestern die das Essen brachten oder mir sonste was in den Arm spritzen. Diese Spritzen waren angeblich für die Sehkraft, weil ich doch so meine Probleme mit dem sehen nach diesen „kleinen“ Unfall haben sollte. Seltsamerweise hatte ich mich nie über meine Sehstärke beschwert und ich hatte vor diesen Spritzen auch keinerlei Probleme mit meinen Augen. Sie waren das einzige was ich unter Kontrolle hatte. Doch nun wurde mir auch diese Kontrolle genommen. Mein Körper hatte den Besitzer gewechselt. Nur meine Seele sträubte sich das zu zulassen, aber sie war machtlos. Der Besitzer war viel stärker. Es war schon fast beschämend das ich die Pillen mittlerweile freiwillig schluckte. Ich wusste es brachte nichts zu protestieren. Am Ende hatte ich keine Wahl und die Spritze der Beruhigung sauste hinab. Danach war ich willenlos und öffnete ohne Komplikationen oder Problemen den Mund. Andere waren die Herren der Lage. Ich war nur eine Spielfigur. Eine Spielfigur wie bei einem Schachbrett. Setzt mich jemand hatte ich zu gehorchen. Aber was für ein Spiel war das? War es ein Speil der Gier, oder doch nur die Demonstration der Macht? Und was war ich in diesem dreckigen Spiel? Warum wurde das Spiel gerade mit mir gespielt? Gab es da irgendeinen Grund drin? War ich eine Geisel und die bösen Ärzte erpressten meinen ahnungslosen Vater? Oder besser gesagt, das was er vorgab zu sein. War ich die Marionette oder der Faden der etwas zog. Ich fühlte wieder das Gefühl weg zu wollen. Ich setzte mich auf. Ich wusste ich hatte keinerlei Chance. Erstens kannte mich hier nicht aus und so viel Glück der Polizei ein zweites Mal zu entgehen hatte ich wohl nicht. Sie taten doch viel mehr wenn sie hörten eine angeblich heftig verletzte und halb wahnsinnige 16 jährige ist aus dem Krankenhaus geflohen. Zweitens würde ich mit meinen tauben Beinen eh nicht weit kommen. Ich würde vollkommen orientierungslos durch die Gänge irren bis irgendeine Krankenschwester mich zurück gebracht hätte. Also bleib die erneute Flucht eine Wunschvorstellung. Wo wollte ich denn diesmal hin? Einfach in die Schweiz spazieren? Oder doch etwas Größeres wie Frankreich oder Italien? Zwar müsste ich erst einmal die Sprache lernen, aber das wäre doch einfach gemacht.
Nein, ich werde nicht noch einmal so feige sein und fliehen. Ich mache mir doch selber nur Hirngespinste! Das sind doch völlig normale Ärzte die für meine Gesundheit arbeiten! Ja es ist scheiße verdammt langweilig, aber anders werde ich auch nicht Gesund!
Ich packte beide Hände an meinen Kopf und schüttelte ihn um diese Geister auszutreiben.
Ich werde hier noch verrückt, ich werde verrückt….

Es geschah am helllichten Tage. Als ob jemand meine Gedanken der Flucht gelesen hatte, zerstörte dieses Ereignis alles. Ich wartete auf den Doc. Eine Schwester hatte ihn angekündigt. Der Doc ließ mich eine halbe Ewigkeit warten. Diese blöde Kuh von Krankenschwester war nicht gegangen, sondern stand an der Bettkante. Wie bestellt und nicht abgeholt stand sie da. Sie wartete ebenso ungeduldig wie ich auf den Doc. Er war der einzige korrekte Kerl in diesem Krankenhaus der Bekloppten. Jeder der Schwestern hatte unergründlich schlechte Laune, sie schienen alle so reserviert. Fragte man sie etwas, antworteten sie knapp und einsilbig. Nie steckte in ihren Worten etwas, was zu einem munteren Gespräch einlud. Sie stand also einfach nur da, mit einer dieser typischen Klemmbretter und einen Kugelschreiber in der Tasche. War ich etwa hier das Versuchskaninchen? Sollte diese komische Tante etwa nach Lust und belieben an mir rumdoktern? Wohl eher nicht. Abwertend musterte ich die etwas plump wirkende Frau. Sie hatte ihre braunen Locken zu einem äußerst unbeholfenen Dud gebunden. Sie kam gerade aus ihrer Mittagspause, was den Ketchup in ihren Mundwinkel erklärte. Sie hatte wohl etwas den Termin bei mir verpasst und war dann mitten beim Essen los geeilt. Ich sah wo sie ihre dreckigen Wurstfinger nach den salzigen Pommes abgestriffen hatte. Der Doc eilte mit offenen zerzausten Haaren rein. Seine Brill war bis auf die Nase gerutscht. Er schien in Eile zu sein. Mit einem kurzen Blick deutete er der Tonne, dass sie nun für mich zuständig wäre. Sein Kittel war voller Blut und er schien im Gedanken versunken. Er stand nicht mal im Raum, da hatte er schon wieder die Tür geschlossen.
>>Also, dann wolln wir mal, ne!<<
Sagte sie mit belegter Stimme.
<<Sie habn ja gesehn in wat für ner eile der Doktor gerade steckt, aba ich weiß natürlich wat wir da so machen! Der Doktor hat eingetragn dat se heut noch zu röntgen solln junge Dame. Dann lassen se mal los! Wo isn der Rollstuhl hin?<<
>>Ich weiß es nicht aber ehe sie mich anfassen waschen sie gefälligst ihre dreckigen Wurstfinger!<<
Herrschte ich sie an. Sie schaute mich verdattert an.
>>Na man sieht das sie sich Pommes in ihr Maul geschaufelt haben, dann müssen sie mich aber nicht auch noch dreckig machen! Schon schlimm genug das mich der Doc so einer fetten Tonne überlässt!<<
Sie musterte mich verärgert.
>>Gehörs wohl zu der Sorte die auf so sachn wie Gewicht rumtrampeln. Wie ich solche Leute hasse. Se denken imma sie wärn wat besseres. Aba sie sin genauso Oberflächlich wie die andern…<<
>>Heulen sie wo anders rum, ich habe sowieso keinen Bock den ganzen Tag mit ihnen über so einen Mist zu reden!<<
Sie verdrehte die Augen.
>>Frisch i ner pubatät!<<
Grunzte sie unbeeindruckt.
>>Aba ich lass mir doch nich von so ner dahergelaufnen möchtegern fertich machen! Wo sin wir denn hier? Keine bildung und niveau die kiner von heute. Sin doch alle gleich!<<
Ich verdrehte genervt die Augen. Ich hatte auf diese olle Tante kein Bock.
>>Hören sie mir einmal gut zu: ich habe auf sie keinerlei Lust! Sie können noch ewig mit ihrem schlechten Deutsch über die Jugend von heute weinen, solange sie mir bitte jemand kompetentes der in der Lage ist mich zu Röntgen und sich nicht zu schade ist die Hände davor zu waschen schicken.<<
>>Ja dat is ja ma wohl die höhe! Ich bin kompetent un sehr gut in der lage mir die Finga zu waschen!<<
Sagte sie fast außer Atem.
>>Ja, dann machen sie doch endlich! Ich will ihr scheußliches Gesicht nicht den ganzen Tag sehen und für schlechtes Deutsch kann ich mir auch RTL ansehen!<<
Sie rang nach Luft. Dabei stand ihr Mund für wenige Sekunden offen, was sie sehr dämlich aussehen ließ. Noch dämlicher als zuvor schon.
>>Du has aba ne verdammt große klappe! Du kanns net wissen wat ich alles schon durchgemacht hab in meinm leben! Also hüte deine Fresse du vorlaute oberflächliche Zicke! Ich wird dich ja schon röntgen aber halt dein maul!<<
>>Da ist ja jemand besonders aggressiv! Na los, die fetten Wurstfinger waschen und die scheiß Aufnahmen machen! Wenn sie zu dumm dafür sind muss ich mir wohl was einfallen lassen, aber da ich um 15.00 Uhr mein Mittagessen erhalten soll müssen sie sich wohl schnell entscheiden ob sie mich nun röntgen wollen oder nicht.<<
Ihre Unterlippe zitterte, sehr zu meiner Belustigung. Die harten Worte hatten die Frau sehr schwer getroffen. Sie war aber selber schuld. Ihre Inkompetenz und ihr Auftreten schon alleine machten mich aggressiv und ich konnte es nicht leiden wenn jemand in schlechten deutsch versuchte auf mich hinab zu blicken. Mein Magen knurrte schon, denn wegen dieser beschissenen Bilder durfte ich seit dem Morgen nichts mehr essen und ich wollte verdammt schnell wieder zurück ins warme Bett. Sie war doch nur ein Bauernopfer, aber ich war bereit es einzugehen. Sie wusste dass ich immer das letzte Wort haben würde, also schwieg sie und ging ins Badezimmer. Ich hörte das rauschende Wasser aus dem Wasserhahn. Sie kam mit nassen Händen wieder, die sie sich an ihren Kittel abtrocknete. Dann ergriff sie etwas zornig das Bett und rollte mich raus auf den Flur. Dort ließ sie mein Bett stehen und versuchte einen Rollstuhl aufzutreiben. Nach einer halben Ewigkeit rollte sie einen neben mein Bett.

Ich war so genervt, dass ich beschloss die Situation mit Schweigen zu versehen. Immer noch verärgert stampfend fluchte sie in meinen Rücken. Ich war es leid. Sie hatte schon genug Contra von mir bekommen, also beließ ich es fürs erste dabei. Irgendwann würde sie auch aufhören! Sie rollte mich in den Röntgenraum und knurrte.
>>Wollen sie mich jetzt röntgen oder tuen sie nur so unfähig?<<
Sie lächelte spöttisch.
>>Wer so ne große Klappe hat kanns selbst besser!<<
Ich nickte und versuchte das Nachthemd hinten auf zu knöpfen. Doch das erwies sich als schwieriger als gedacht. Ich kam nicht tiefer und musste mich unnatürlich verrenken. Ich wollte jedoch auch nicht um Gnade winseln vor dieser Frau! Also machte ich mich mit langsam steigender Wut an die Knöpfe. Auch wenn die Knochen sich allmählich sträubten. Sie lächelte nur bitterlich. Ob sie Erfolg witterte? Ob sie dachte sie würde als Siegerin hervor gehen?! Nein, ich würde sie nicht gewinnen lassen. Ich würde sie verfluchen. Mit bemüht ausdruckslosen Gesicht schaute ich zu ihr.
>>Beeilse dich ma? Du wills doch noch geröntgt werden!<<
Ich schaute weg und verbog mich weiterhin umständlich in der Hoffnung die Knöpfe würden endlich nachgeben. Ich war doch die klare Gewinnerin! ICH und nicht SIE!!! Auch wenn mein armer Rücken bereits scmerzte und ich meine ungelenkigen Arme nicht dazu bewegen konnte die Knöpfe endlich auf zu reißen war ich nicht bereit aufzugeben! Noch hatte ich die Oberhand! Sie kam keinerlei gegen mich an! Sie war psychisch schon zu schwach. Sie war ein leichtes Opfer, eine leicht zu erlegende Beute. Mit gespitzten Zähnen funkelte ich ihr biestig zu. Sie würde den Fangzähnen nicht entgehen können. Ich schmeckte bereits ihr bittersüß warmes Blut auf meiner Zunge und über meine Zähne tröpfeln. Ich sah sie schon in einer riesigen Blutlache zu meinen Füßen. Ich würde sie aussaugen wie ein hungriges Tier. Denn es hungerte mich mal wieder das verbotene zu tun. Anderen Leid zu zu fügen! Ich war nicht euer Opfer! Ich war das Biest!!! Eine still schweigende Bestie. Unkontrollierbar und unbeschreiblich in einen Blutrausch. Ich wollte mich mal wieder als etwas Besseres fühlen! Ich wollte meine Fangzähne ausfahren und in ihren Hals senken. Wollte mich über den anderen befinden. Ich war nicht der schwächliche Patient! Ich war der tobende Satan… weshalb hätten die anderen sonst nicht mein Blut gekostet! Warum ?! Sie war berechenbar und kleinlich! Sie stand alleine vor mir und schaute auf mich herab, obwohl sie doch zu mir hoch schauen musste. Ich war stärker zum trotz meiner Verletzungen. Ich war bereit sie in Stücke zu reißen. Tod und missachten auf sie herab zu senken! Son wie es auf mich herab gesenkt wurde in der grausamen Nacht…
>>Beruhig dich ma mädel muss ja nich gleich so böse schaun!<<
Ich wachte aus meinen Gedanken auf. Ich hatte wohl aufgehört an den Knöpfen rum zu fummeln und sie böse angestarrt. Aber ich sah die Angst und Besorgnis in ihren kleinen Augen. Sie hatte Angst vor mir… der Düsternis in mir zu urteilen war das auch nachvollziehbar. Ich hatte sie am verbluten gesehen. Sie lag vor mir und ich hatte finster gelacht. Ich machte mir selber sorgen um mich. Ich verlor so langsam den verstand. Ich verlor mich immer mehr. Und dass weil mein Vater mir leid zugefügt hatte. Dieser schmerz. Diese Hilflosigkeit. Er hatte mich an dem Rande des Wahnsinns getrieben und ich war geflohen. Aus all dem schwindelerregenden schwarz. Aus all dem Hass und Schmerz. Ich war gelaufen und gelaufen ohne Ziel, Hauptsache weg von ihm. Weg von den Geistern der Vergangenheit. Auch wenn mein Leben so perfekt schien. Ich starrte sie immer noch finster an. Ihre Augen weiteten sich panisch.
>>Hör ma auf!<<
Sie sah mich flehend an. Ich stand auf. Ja zu meiner eigenen Überraschung stand ich auf. Ich stand da in einem halb aufgeknöpften Nachthemd und schaute sie düster an als ob ich ihr an die Kehle wolle. Sie fing an zu zittern.
>Ich muss sie bittn sich …. Aber sie… sitzen… sie müssen…<<
Ich lachte nur schaurig auf.
>Sie sehen doch das ich stehen kann ohne umzukippen. Ich bin nicht krank. Ich muss nicht hier bleiben! Ich bin ge…<<
Schwindel überkam mich. Es fing an sich heftig zu drehen und ich fühlte mich ob als ob ich den Boden immer näher kam. Ich stand auf weichen Knien. Plötzlich ging alles in den Keller. Mir wurde kalt und ich sah nur noch verschwommen. Wieder einmal verlor ich den halt in der Wirklichkeit. Wieder mal schien eine andere Welt an mir zu zerren. Jemand wollte mich aus der Realität oder das was ich dafür hielt holen. Raus aus diesem Alptraum. Ich presste die Augen zusammen… Ich wollte endlich erwachen. Aufstehen und verschlafen meine Familie begrüßen. Im Garten sitzen und Apfelkuchen essen. Doch dieses grauen wich nicht. Ich merkte wie ich nur noch halb stand, immer noch am wanken. Ich versuchte mich an den Umrissen des Röntgentisches zu halten. Ich durfte mich nicht verlieren. Ich durfte nicht aufgeben. Ja meine Gedanken waren düster und voller triefenden Hass. Doch ich war kein schlechter Mensch. Diese Leere und diese unheilvollen Gedanken nahmen mich in besitz. Als ob dieser Abend alles genommen hätte und nur den Hass gelassen hatte. An Schmerz und Trauer konnte ich mich nur zu gut erinnern. Aber die Sonne und die Freude war gewichen.. Sie war untergegangen und ließ mich in der verschlingenden Nacht zurück. Ich wurde verschluckt von etwas großen. Ich wurde kontrolliert von den Mächten des unerklärlichen. Konnte es nicht einfach schwarz werden? Konnte ich nicht einfach wieder umkippen und in meinem Bett aufwachen. Dort konnte ich fern ab von jeglicher Dummheit dösen. Ich musste mir die anderen nicht mehr antuen. Plötzlich war ich unerklärlich froh darüber so isoliert zu sein. Ich war für mich und musste mich mit den anderen nicht abplagen. Niemand kam mir nahe! Niemand ging mir auf die Nerven. Ich konnte sein was ich geworden war. Böse und widerlich. Unausstehlich…
Warum war ich so geworden? Warum beherrschte ich mich nicht mehr selber? Ich wollte nicht fallen. Ich wollte stehen und wach bleiben. Ich wollte wieder klar sehen. Sie war doch nur ein Opfer etwas großen. Was nahm so sehr von mir besitz? Der Hass? Ich wollte wieder die liebe alte Elaine sein. Der Sonnenschein. Das Mädchen das gerne an der Hand seiner Mutter zum Spielplatz ging. Das Mädchen das stolz darauf war ihre wackeligen Milchzähne verloren zu haben. Ich wollte zurück zu MIR. Zu dem Liebenswerten etwas dass ich mal gewesen bin. Ich spürte die warmen Tränen. Ich spürte den Schmerz. Er schlug auf mich ein. Wie um mich in die Schranken zu weisen. Ich schüttelte wie wild den Kopf was das Gefühl des Schwindens nur verstärkte.
>>Es tut mir leid. Ich…. Es tut mir leid!<<
War alles was ich aufbrachte. Dann ließ ich mich langsam in den Stuhl zurück senken. Totenbleich und erschöpft. Wie konnte nur etwas so alltägliches wie stehen so anstrengend sein? Wieso fiel es mir so schwer. Langsam sammelten sich die Bilder wieder. Langsam sammelte ich mich wieder. Ich saß da. Fast am keuchen. Sie starrte mich immer noch regungslos an. Na toll, ich war fast am Sterben und sie konnte nicht mehr als dumm zu gucken. Ich hasste so was. Wie konnte man nur bei so was zuschauen? Na was soll‘s genug gestänkert Elaine!

Die Röntgenaufnahmen waren in Ordnung. Auch wenn die Frau sich etwas unbedarft angestellt hatte, machte ich kein Theater und ließ es über mich ergehen. Ich hatte schon genug Mist von mir gegeben. Irgendwann war schweigen auch Gold. Die Frau schien mir dafür dankbar und so hatte sie wohl „gewonnen“. Doch es war egal. Denn gleichzeitig hatte ich etwas Schwarzes in mir besiegt. Ich war mir nicht mehr fremd. Ich schien wieder zurück zu sein. Nicht mehr hart sondern sanft. Nicht mehr feixend sondern verletzt und halt suchend. Nicht mehr widerlich und Böse. Und so strich die Zeit um und es dauerte gar nicht lange da schlief ich schon im Bett. Ich bekam den ganzen Weg ins Zimmer nicht mehr mit. Ich war so erschöpft dass ich fast drohte im Rollstuhl einzuschlafen. Also schlossen sich immer mehr die Lieder und ich saß wie benommen im Rollstuhl.

Strahlendes Licht.
Decke auf den Kopf
Ich mach heut dicht
Schmeiße Blumentopf

Das ging mir durch den Kopf als durch die weißen Vorhänge Licht reinstrahlte und versuchte mich an der Nasenspitze wach zu kitzeln. Ich wollte schlafen. Ich hatte doch sonst nichts Besonderes vor. Ich konnte mich auch nicht erinnern dass es je schon mal so hell in das Zimmer geschienen hätte. Aber egal, so war es heute halt. Mir war alles egal. Ich wusste nicht was wir für einen bescheuerten Wochentag hatten, wusste nicht welchen Monat wir hatten. Es konnte Juni sein, aber auch August oder September. Ich bekam nichts mehr mit. War abgeschottet von der Welt. und durch die schwarzen Tage wollte ich dösen. Mir war nicht nach aufstehen.
>>Hey, Elaine, du scheinst ja nichts vom Aufwachen zu halten! Aber wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss sehn was übrig bleibt!<<
Ich öffnete verschlafen die Augen.
>>Hey Doc, soll die Schwestern den Brei dochspäter bringen ich bin Müde!<<
Ich rieb mir die Augen. Er lächelte freundlich.
>>Ab heute ändert sich so einiges für dich Elaine! Du musst zusehen wann du aufstehst, sonst ist das beste schon weg! Neben dein Bett steht dein Rollstuhl, ich zeig dir wo alles ist!<<
Ich schaute ihn verwundert an.
>>Wieso auf einmal?<<
Er lächelte glücklich.
>>Deine Röntgenbilder sahen echt gut aus, sie haben mich zufrieden gestellt! Dein Zustand hat sich sehr zum guten verbesset!<<
Ich nickte dankend.
>>Das ist schön, ich hätte keinen Tag mehr im Bett verbringen können!<<
Er lachte auf.
>>Warte nur, es kommt noch besser! Du hast jetzt auch einen Zimmergenossen und für heute Nachmittag hat sich ein Besucher angemeldet. Das Zimmer ist recht zentral und nah am Park. Dort kannst du draußen entspannen!<<
Er schien begeistert, doch er steckte mich mit dieser Begeisterung nicht an. Mein Magen verkrampfte sich. Ich nickte ihm nur verlegen zu. Doch ich wollte weinen. Ja ich war kleinlich. Ich wollte weinen und mich in mein Kissen vergraben, weil ich wusste, nun kommen sie…
>>Ja, okay, wenn sie mir den Frühstückssaal zeigen will ich dann auch jetzt aufstehen!<<
Der Doc nickte und half mir ein bisschen als Stütze. Er stütze mich, damit ich nicht einknickte. Danach zeigte er mir den kurzen Weg zum Essenssaal. Der Saal war groß und voller Leute. An den Seiten waren Tische. Sie waren voller Tabletts und Automaten. Ich schaute mich um. Da gab es Kaffeeautomaten und Teekannen, Kakaokannen und kalte Milch, Joghurt und Cornflakes, Wurst und Käseplatten, Butter- und Marmeladen packen, Weißbrot, Schwarzbrot und Krustenbrot und zu guter Letzt noch geschältes Obst und frisches Gemüse. Für jeden Geschmack etwas dabei. Meine Augen hätten gestrahlt, würde die Tatsache dass meine Eltern auf dem Weg zu mir waren nicht den Magen verkrampfen. Ich bemühte mich zur Freundlichkeit und spielte Begeisterung. Der Doc verabschiedete sich und ich saß in Mitten der Massen. Einige Menschen schienen Gesund, andere ziemlich krank aus. Sie waren entweder verletzt oder sahen blass aus. Ich sah eine alte Dame in Bademantel, die ein Stange mit sich rollte. Ich kannte mich in der Medizin nicht aus und wusste nicht ob es ein Katheter oder Tropf war. Auf jeden Fall war es ein sehr scheußlicher Anblick. Sie ging Schritt für Schritt und schien nicht voran zu kommen. Ich wollte ihr helfen, aber was konnte ein Mädchen in Rollstuhl schon auswirken? Also wand ich meinen Blick ab und nahm die Räder in die Hand. Ich rollte zu den Tischen. Sie waren genau auf meiner Höhe und neben ihnen standen Teller. Ich nahm mir ein Schwarzbrot, das belegte ich voller Mühe mit Butter und Käse. Ich hielt die Reihe ganz schön auf, denn hinter mir schabten schon einige ungeduldig mit den Hufen. Ich musste ja auch unbedingt meine Sachen vor Ort schmieren. Das Brot sah aber dann doch etwas seltsam aus. Ich war es nicht gewohnt meine Sachen selbst zu machen. Zuhause waren immer die Brote in großer Vielfalt geschmiert. Bereit um gegessen zu werden. Krankenhäuser waren nicht meine Welt. Ich war nur bei meiner Geburt zuletzt in einem gewesen. Daran konnte ich mich nicht erinnern. Ich war nicht einmal da gewesen als mein Kindermädchen im Sterben lag. Ich bereute es.

Sie hieß Stacy. Stacy war liebevoller als meine Mutter es sein konnte. Ich hatte sie irgendwann sogar Mama genannt. Meine Mutter hatte einen guten Job bekommen wo sie gutes Geld verdiente und ich war nur noch ein Problem. Ich merkte wie ich den anderen nur noch im Weg stand. Mein Vater war nie da, und wenn er da war, war er betrunken. Seine säuerliche Rotweinfahne zog dann durch die Luft, und es konnte auch schon mal Schläge geben. Mama war dann immer auf Reisen im Ausland und Stacy kam dann und passte auf mich nachmittags auf. Sie hatte nie gesehen wie mein Vater nach seinen Kneipentouren nach Hause kam. Schon angetrunken verschwand er in sein Büro und nahm aus dem Keller etliche Flaschen Wein mit. Dann hörte ich ihn komisch lallen und manchmal sogar weinen. Ich war so klein und es zerriss mir das Herz ihn so zerstört zu hören. Ich erinnere mich noch an den letzten Abend wo er so was tat. Ich ging leise in sein Büro, die Tür war nur angelehnt. Er saß auf dem Boden neben seiner halbleeren Flasche Wein.
>Daddy, was hast du?<<
Flüsterte ich ängstlich und legte meine Hand besorgt auf seine Schulter. Er sah mich finster mit seinen verheulten Augen an. Ein schwarzer Funke treibte sein Unwesen in den glasigen Augen.
>>Du weißt gar nichts Elaine! Du verschwendest meine Zeit!<<
Er schubste mich zurück.
>>Aber Daddy..<<
Heulte ich. Ich war aufgestanden und sah ihn verwirrt an. Sein Blick wurde düster.
>>Ihr scheiß Frauen! Warum tut ihr mir nur so was an? Ich kann für das was ich tue nichts!<<
Ich zitterte
>>Was tust du denn?<<
>>Geht dich nichts an du Balg, hau ab!<<
Keifte er und schleuderte die Flasche die er eben noch am Hals gehalten hatte gegen die weiße Wand. Dabei schrie ich erschrocken auf. Panik war in mir aufgestiegen. Ich wollte nur noch weg. Was war in Daddy gefahren? Ich fing verzweifelt an zu heulen. Und das regte ihn nur noch mehr auf. Er packte mich an den Schultern und schüttelte mich wie wild.
>>Sei ruhig! Sei verdammt nochmal ruhig Elaine! Oder ich bring dich auch noch um!<<
Ich war erstarrt…

Ich rollte als ob nichts gewesen wäre zu einem der Esstische. Voller Mühe versuchte ich den Stuhl beiseite zu schieben. Ich kam nicht an den Tisch ran und der Stuhl war zu schwer. Ich war zu niedrig und drohte aus dem Stuhl zu plumpsen, aber ich versuchte es noch weiter. Ich Beugte mich nach vorne und gab nicht auf. Das war ein gehöriger Fehler! Denn als ich mich vorbeugte sauste der Teller, der mir gerade noch auf dem Schoß lag zu Boden und zerschellte in tausende Teile. Augen richteten sich auf mich. Wieder diese Augen. Ich wurde rot. Schnell legte ich den Rückwärtsgang ein und trat dann die Flucht zurück ins Zimmer an. Ich riss die Tür auf, rücksichtslos wie ich war, denn ich wusste ja, ich hatte jetzt einen Zimmergenossen. Ich stand schon mitten im Raum da bemerkte ich erneut die Augen auf mich gerichtet. Zwei Gestalten standen am Bett neben meinem. Sie verdeckten den Blick auf den Kranken oder die Kranke. Es waren eine Frau und ein Mann die mich wütend anstarrten. Ich hatte wohl die Ruhe des Patienten gestört, oder den Moment zerrstört. Ich schaute entschuldigend zu Boden, traute mich aber nichts zu sagen. Sie wandten wieder ihre Blicke von mir ab und ich wagte mich nicht zu rühren. Langsam rollte ich wieder aus dem Zimmer und schloss tonlos die Tür. Ich wollte wer immer das auch war, nicht stören. Hätte ich ein besseres Verhältnis zu meinen Eltern gehabt, so hätte ich mir auch das selbige gewünscht. Ich wartete stumm. Die Minuten verstrichen langsam und ich hörte die Besucher zu dem Patienten reden. Was sie sagten war nicht zu hören. Die Tür war zu dick um zu lauschen. Ich musste es nicht einmal versuchen. Aber das war auch nicht meine art. Auch wenn ich sonst Neugierig war, wusste ich was ging und was mich nicht anging. Also ließ ich die Zeit verstreichen. Ich stand mit meinem Rollstuhl vor der Tür und döste vor mich hin. Was würde wohl sein wenn meine Eltern später zu mir kämen? Panik stieg wieder in mir auf. Ich fühlte die eiserne Kälte in mir aufsteigen und das warme Gefühl sich übergeben zu müssen. Einerseits war es die Chance, ihnen all den Hass den ich auf sie hatte, entgegen zu schmettern, aber die Angst überwog alles. Ich fühlte mich taub. Fühlte mich erbärmlich. Ich wollte auf keinen Fall ihnen je nochmal begegnen! Ich presste meine Hände an die Armlehnen und versuchte mich in der Realität zu halten. Ich wollte nicht mehr denken, wollte nichts mehr sehen. Die Tür ging nach einer guten Stunde auf. Die beiden erwachsenen kamen raus und schauten zu Boden, sie schienen betroffen zu sein. Beide schienen anders betroffen. Jeder auf seine Art. Ich schaute sie bedauernd an aber sie entgingen meinen Augen, nun schienen ihnen die Augen zuwider zu sein. Ich wandte meinen Blick ab und rollte in mein Zimmer. Mal sehen ob der Zimmergenosse zu Spaß zu haben war, denn ich musste ja für die nächste Zeit mit ihm auskommen!
>>Hey, ich heiße Elaine, wer bist du?<<
Fing ich freundlich an. Doch ich hörte nichts von der Person. Ich sah nur das große Bett vor mir und die Decke. Ich schien in dem Rollstuhl geschrumpft zu sein auf eine jämmerliche Größe. Es bleib stumm. Ich zuckte die Schultern, vielleicht schlief der oder die neue ja! Also zog ich mich hoch auf mein Bett um einen Blick auf die Person zu erhaschen. Das erste was ich sah waren atemberaubende schwarze Haare, glatt und voller Glanz. Ich staunte nicht schlecht. Sie belegten wie ein Schleier ihr Kissen. Es musste ein Mädchen sein, denn ein Junge hatte nie im Leben solch ein Haar. Ich musterte das „Mädchen“ weiterhin. Oh mein Gott war sie eine Schönheit. Ihre Haut war makellos, ihre Lippen voll, ihre Wimpern lang und ihre Augen Haselnussbraun. Ein warmer Braunton. Sie war bestimmt ein sehr nettes Mädchen. Ich schätzte sie auf 16 oder 17, wenn nicht sogar noch älter. Sie starrte wie Hypnotisiert an die Decke.
>>Ganz schön unhöflich bist du!<<
Murmelte ich.
>>Na und?<<
War das einzige was sie darauf antwortete. Ihre Augen schienen leer. Was beschäftigte sie nur so an der Decke? Ich war doch mindestens genauso interessant!
>>Wie „Na und?“ ?<<
Ich sah sie verwirrt an. Wie konnte ein so schönes Mädchen nur so komisch sein? Wie konnte ihr Charakter nur so verkommen sein, dass sie es nicht mal für nötig hielt sich vor zu stellen.
>>Hast du nichts Besseres zu sagen?<<
>>Was meinst du mit Besseres?<<
Sie schaute immer noch zur Decke, hatte mich nicht einmal angesehen. Unhöflich!
>>Na wie heißt du, weswegen bist du hier? Fangen wir damit doch mal an, an die Decke starren bringt nichts, hab ich auch schon versucht! Die Decke wird sich nicht öffnen und es wird nie der Putz rieseln!<<
Ich versuchte es mit Humor zu versuchen. Wenn sie schon nicht höflich war, dann würde sie ja vielleicht so redseliger werden. Ich hatte keine Lust meine Zeit mit einer Stillen tot zu schlagen!
>>Ich heiße Jordan, und der Rest hat dich nichts anzugehen!<<
Sie redete ohne den Tonfall zu wechseln. Sie hielt sich sichtlich nicht für was Besseres, nein, sie wollte über ihre „Geschichte“ nicht reden. Mein Gott, was sie wohl zu dem Typen und seinen Theorien gesagt hätte? Vielleicht hätte sie sogar mit ihm gesprochen. Ach egal, versuch es weiter, lass dich nicht entmutigen.
>>Sag mal, bist du immer so unfreundlich?<<
>>Wer weiß?<<
Es kam, ohne dass sie lange überlegen musste. Oh ja, sie war sich der Antwort nicht verlegen.
>>Wer meinst du denn könnte das wissen? Jetzt mal ganz ehrlich. Ich hab ja auch den ganzen Tag an die Decke gestarrt, aber das verändert nichts an der Tatsache, dass wir hier sind und aus welchem Grund auch immer, nicht weg können! Also reiß dich am Riemen. Ich will nicht meine Zeit mit einer Schweigenden verbringen also reiß die Klappe auf und schieß los!<<
Sie schüttelte den Kopf.
>>Weshalb bist du hier?<<
>>Wegen so einem Assi der mich fast zu Tode gewürgt hat wegen 1,70€!<<
>>Erzähl!<<
>>Ich war so lange unterwegs durch die Hitze und dann bekam ich Durst. Über Nacht ist mir mein Geld abhanden gekommen und ich war kurz vorm verdursten. Da stand ich dumm da. Weißt du ich sah nicht gerade vorteilhaft aus! Ich bin in Lumpen gekommen und fragte ob ich die 1.70€ anschreiben lassen könnte. Der Tankwart ist ausgerasten und ist mir an die Gurgel gegangen, und dann war ich hier! Jetzt bist du dran mit erzählen!<<
>>Nein, ich habe nie..<<
>>Ich erzähl dir, du erzählst mir! Jetzt hab dich doch nicht so! Ich kann echt gut zuhören.<<
Ich wollte sie ermutigen mir mehr zu erzählen, sie aber schwieg weiterhin und antwortete einfach gar nicht mehr. Die hatte ja echt eine tolle Art. Ich hoffte wirklich nur, dass sie in nächster Zeit gesprächiger werden würde. Was sie wohl bedrückte? Wenn sie nicht darüber sprach, musste es ihr unangenehm sein. Genauso unangenehm wie es mir vor dem fremden der meine Geschichte hören wollte war. Ich kannte das Gefühl etwas tot schweigen zu wollen. Eigentlich Schade dass ich mich ihm nicht anvertraut hatte. Aber er hatte so munter über den Alkoholiker und die Priesterin geplaudert, da wollte ich nicht Anlass zu mehr Plaudereien geben! Aber sicherlich würde es gut tuen mit jemanden darüber zu sprechen.
>>Hey, ich bekomme heute noch unangenehmen Besuch! Willst du mit in den Park kommen und warten?<<
Ich hatte mich wieder in den Rollstuhl gezwungen. Der Eingang war vorne und der Park auf dem Hinterhof hinten. Es war also undenkbar, dass meine Eltern durch den Park anreisten. Sie schwieg, schüttelte nicht mal mehr den Kopf. Sollte sie mir doch egal sein.

Ich rollte langsam voran. Durch die Flurfenster sah ich hinaus in den herrlich bepflanzten Park. Eigentlich fand ich nichts an der Natur, aber das draußen bat Abwechslung zu dem tristen weiß. Und ich wollte auf keinen Fall meinen Eltern begegnen. Auch wenn das rollen ziemlich in die Arme ging, ich gab mein bestes. Ich war nicht den weiten Weg angetreten um am Ende doch wieder zurück geschliffen zu werden. Der helle cremefarbene Flur schien kein Ende zu nehmen. Ich schaute mich zwar nach einer Tür nach draußen um, fand sie aber nicht. Ich musste 3 mal auf und abfahren bis ich die Tür entdeckte. Ich hatte es einfach für eine Holztäfelung gehalten, denn die Tür war fensterlos und aus Holz. An ihr hing ein Zettel, den ich zuvor noch für einen Dienst oder Putzplan gehalten hatte. Aber auf dem Zettel stand dass der Hinterhof von 12:30 – 21: 45 Uhr offen war. Zu meinem Glück war bereits 13:57 Uhr. Das Wetter strahlte draußen auf. Die warmen Strahlen küssten meinen Kopf. Es war ein tolles Gefühl wieder draußen zu sein. Ein echt tolles Gefühl, nach der stickigen Luft die drinnen geherrscht hatte. Ich sog die frische Luft in mich wie eine gute Droge ein. Es war berauschend. Da war ein kleiner Brunnen inmitten des Hofes, umringt von pinken Blüten. Bäume reiten sich zu Empfang auf. Es waren blühende Kirschbäume und die weiß-rosanen Kirschblüten ließen mich staunen. Sie waren von solch einer Schönheit. Staunend rollte ich zum Brunnen und hievte mich mit ein bisschen Anstrengung hoch. Freudig und auch ein bisschen verträumt ließ ich die Beine baumeln und schloss die Augen. Die Sonne erwärmte meinen Körper. Ich merkte erst jetzt, dass ich meine alten Sachen wieder anhatte! Ich trug die diesaml gewaschenen Sachen. Oh ja war es schön endlich mal wieder normale Sachen zu tragen. Nicht dieser komische Krankenhausstoff aus dem die hässlichen Nachthemden waren. Ich roch das Waschmittel. Heute machte ich wohl einen etwas gesunderen Eindruck als damals auf der Parkbank. Die Augenringe waren gewichen, den Schlaf hatte ich hier genug bekommen. Ich hatte wieder zugenommen und sah nicht mehr ganz so abgemagert aus. Und da mich die Krankenschwestern immer wuschen war ich auch sauber. Die Klamotten waren ein Zeichen. Mit ihnen hatte ich diesen langen Weg bestritten! Mit ihnen war ich durch Freud und Leid gegangen! Vielleicht war ich endlich nach meiner Reise angekommen. Vielleicht hatte ich endlich meinen Frieden gefunden.

>>Und willst du mir jetzt deine Geschichte erzählen?<<
Ich war verwundert, hielt meine Augen aber geschlossen.
>>Sag mir wie du heißt!<<
Da meine Augen zu waren konnte ich seine Mimik nicht lesen, aber an seinem Tonfall hören, dass er zufrieden schien.
>>Ich heiße John.<<
>>Was ist deine Geschichte?<<
Ich öffnete langsam meine Augen ein Spalt um seine Reaktion zu sehen. Er schaute etwas verwundert. Ich dachte: Jetzt hab ich dich Bursche, doch dann fing er an zu erzählen.
>> Es gibt nicht viel das du wissen müsstest. Ich verlor mit 9 Jahren meine beiden Eltern bei einem Autounfall. Ich saß in dem Auto, als es geschah, blieb aber durch ein Wunder unverletzt. Meine Eltern waren sofort tot. Ein anders Auto war in unsren Wagen rein gerammt und wir wurden weit weg geschleudert, bis in einen Graben, eine Böschung hinab. Ich erhielt nur Schürfwunden und Prellungen. Die größte Verletzung war eine gebrochene Rippe. Ich hatte sehr großes Glück. Es dauerte nicht lange, da wurde ich aus dem Wagen befreit. Für meine Eltern war es jedoch zu spät. Sie hatten zu viel Blut verloren. Ich sah wie sie auf Barren geschaffen wurden und wie man sie weg brachte. Ein Arzt nahm mich auf seinen Schoß und versuchte mich zu beruhigen. Da ich wie ein Wasserfall geheult habe war das nicht so leicht. Ja und dann wurde ich nicht später daraufhin in ein Heim gebracht. Ich durfte nicht einmal auf die Trauerfeier oder Beerdigung. Sie wollten mich schützen, aber mit 9 war man nicht mehr dumm. Mit 9 wusste man was los war. Ja und jetzt bin ich 17 und krieg mein Leben allein auf die Reihe. Ich wohne in einer Wohngemeinschaft hier. Es ist eine Sozialwohngemeinschaft, aber die Bewohner wechseln ständig. Entweder werden sie versetzt, oder steigen auf. Ich verdien mein eignes Geld, und irgendwann bin ich auch weg von hier!<<
Meine Kinnlade klappte runter. Was für ein armer Junge! Ich war überrascht mit welcher Leichtigkeit er über seine Eltern sprach. Als ob es ihn nicht mehr berührte.
>>Und was ist deine Geschichte?<<
Ich schaute ihn verwirrt an. Was fand er nur so interessant an meinem Leben? Er kannte mich doch nicht!
>>Meine Geschichte ist nicht wichtig. Du scheinst mir nicht dumm zu sein, also lass dir eines sagen. Über einige Dinge spricht man nicht!<<
Er hob fragend die Augenbraue.
>>Und über welche Dinge spricht man nicht?<<
Ich merkte wie ich abblockte. Wie ich wieder abhauen wollte, die Situation beenden wollte.
>>Über viele Dinge! Und dabei bleibt es auch.<<
Ich versuchte fest zu klingen, aber trotzdem mischte sich ein kleines Beben in meiner Stimme. John oder wie dieser wunderliche Knabe hieß nickte nur. Er wollte es zum Glück dabei belassen. Er schaute mich nicht einmal mehr fragend an.
>>Einiges braucht Zeit! Ich habe Zeit!<<
Ich lächelte.
>>Willst du die Zeit nicht mit etwas vergnüglicheren als mir verbringen?<<
Ich schaute ihn freundlich an. Ich wollte kein Ekelpaket mehr sein. Sicherlich war ich der Menschheit schon genug aufgestoßen. Sicherlich!
Er lächelte auf eine wärmende weise.
>>Vielleicht verbringe ich ja meine Zeit gerne mit dir!<<
>>Und wieso solltest du das tun?<<
>>Wieso sollte ich das nicht tun?<<
Er schaute mich herausfordernd an. Ich überlegte.
>>Wieso nicht? Was für eine Frage: weil ich es nicht wert bin! Weil ich unfreundlich und launisch bin. Weil ich ein Fehler bin. Weil es am besten gewesen wäre, wäre ich nie geboren!<<
>>Und wieso denkst du so?<<
>>Wieso nicht?<<
Entgegnete ich ihn. Ich starrte stur in die Sonne. In die blendende helle Sonne die mich wärmte. Er schien ratlos mit mir zu sein, also begann ein unangenehmes schweigen. Ich gebe es nur ungern zu aber noch mehr als reden hasse ich, neben Leuten zu sitzen die einen nichts zu sagen haben. Die einfach nur still da sind. Und so war es also, so einer dieser verhassten Momente.
>>Wieso willst du eigentlich wissen warum ich hier bin?<<
Er zuckte die Schultern.
>>Weil du anders bist.<<
Ich lachte auf.
>>Und wegen diesem lächerlichen Grund interessiert dich mein Leben so brennend?<<
Es klang nur zu komisch. Freaks gab es überall, und wenn ich besoffen auf einer Bank lag, unterschied ich mich nicht gerade von der Jugend von heute.
>>Du zweifeste arg an dir selbst! Du scheinst auf der anderen Seite hilflos und kleinlich, aber der Zorn übertönt alles. Ich kann in deinen Zügen den tiefen Hass lesen. Ich weiß zwar nicht über wen oder was du dich aufregst, aber in deinen Augen ist mehr als in den gewöhnlichen Augen der Masse!<<
Und wieder machte er mir Angst! Er hatte wieder einmal recht. Er sah mit seinen schlauen Augen mehr als andere es zu können versuchten.
>>Sag mir wenn ich falsch liege!<<
Ich sah ihn nur an. Ohne Ausdruck, aber das Schweigen verriet alles. Ich war verwundert über seine Analyse, obwohl er mich nicht mal. kannte. Er lächelte wieder freundlich und in etwa so breit wie letztens. >>Auch wenn alle scheinen blind zu sein, gibt es immer welche, die mehr sehen!<<
Er hörte auf so breit zu grinsen. Er war ernst, aber nicht zu ernst. Er war irgendwie angenehm. Er schwätze nicht dummes Zeug. Er sagte nur die Wahrheit. Er redete nicht nur um zu reden, er vermittelte etwas mit dem was er sagte. Ich merkte wie sehr ich ihn dafür bewunderte. Ich fühlte mich auf einer Seite verstanden, auf der anderen hingezogen ihn mein Leid zu plagen. Ihm zu sagen was mein Vater mir angetan hatte. Ihm zu sagen wie am Ende ich war. Ihm in mein düsteres Innere zu lassen.
>>Warum tust du das?<<
Er lächelte wieder, diesmal leicht.
>>Um anderen blinden wie dir die Augen zu öffnen, damit sie sehen können!<<
Wieder steckte tiefe in seinen Worten. Er bezog sich auf das sehen. Nicht als Sinn, sondern als Gabe. Nicht als angeborene Gabe, sondern als erwachen. Als erwachen aus der alltäglichen Blindheit der Menschen. Sie sahen mit den Augen, meinten zu verstehen, sahen jedoch nichts. Sie sahen den Schein, das innere blieb bewahrt. Sie waren unfähig das wahre zu erkennen. Sie ließen sich täuschen. Sie täuschten sich selbst. Und dieser sonderbare Junge verstand es, all die Wahrheit in zwei simplen Sätzen nahe zu bringen. Sie da zu legen. So sichtbar und doch versteckt. Nur Wissende konnten es sehen. Ich schien zu erwachen. Ich schloss die Augen. Ich wollte dass mein Herz mich leitete. Was wollte ich schon verlieren, ich konnte doch nur gewinnen! Also atmete ich einmal tief durch.
>>Ich bin Elaine, 16 Jahre alt und komme aus Flensburg. Ich habe eine lange Geschichte, aber du sagtest, du hast Zeit! Ich fang an besten am


Anfang an. Aber ich warne dich. Wenn ich jetzt anfange, dann gibt es für mich kein zurück mehr!<<



Es war einmal vor 20 Jahren, da verfielen zwei erwachsene der Liebe. Selbst noch sehr jung, aber schon zu selbständigen Menschen gereift

Sie war eine wunderschöne junge Frau. Ihre langen Haare und ihre schlanke Struktur raubten den Männern den Atem. Sie war groß und bewegte sich mit solch einer Leichtigkeit. Es war kein Wunder dass jeder Mann ihr schnell zu Füßen lag. Sie hatte ein Talent die Männer zu umgarnen. Und so wandte sie die Kunst an. Sie betörte tausende von Männern, doch keiner war mehr als ein Spiel. Keiner konnte ihr in die Augen sehen, sie sahen alle nur herauf zu ihr. Doch sie spielte nur mit der hechelnden Meute. Sie lies die Männer zu ihrer Belustigung zappeln. Sie war die Junge Tochter eines sehr wohlhabenden Mannes. Sein Name war in aller Munde bekannt gewesen, denn er arbeitete als Moderator einer berühmten Quizshow am Abend. Es dauerte nicht lange da stieg er auf und irgendwann war er auch schon das Werbegesicht für den Sender. Heutzutage kennt man so alte Sender kaum noch und solch Namen haben an Bedeutung verloren, doch damals war er ein gefeierter Mann. Ihr Name war Mary und durch ihr Auftreten hatte sie nie die großen Probleme. Sie wurde geachtet und bewundert. Zwar stand sie nicht in den Medien aber unter den anderen Kindern, Jugendlichen und Frauen war sie immer Obenauf. Mary traf sich jeden Donnerstag zu einem Bücherkreis mit Freundinnen, traf sich oft zum Tee und blühte auf in Ihren Beruf. Sie schrieb für die Zeitung, und den Leuten gefiel was sie schrieb. Sie arbeitete für bekannte Magazine, sie war sozusagen die Starschreiberin der Zeit. Zufriedenheit machte sich in ihr breit. Sie wusste sie hatte etwas erreicht, auch wenn es ihr in die Wiege gelegt wurde.

Er war ein fremder. Er kannte sich nicht aus, wollte den großen Erfolg. Er kaufte sich jeden Morgen den selben Fertigkaffee und eine Zeitung. Er stieg immer in die selbe Bahn um die selbe Uhrzeit ein und vertiefte sich 45 Minuten lang in seine Zeitung. Wenn er ausstieg war er mit beidem fertig und er beförderte beides in den selben Mülleimer. Schlicht und ergreifend war er ein Gewohnheitstier und passte so gar nicht zu dem Männerschwarm. Sein Name war Jacob Baker und er war zielstrebig. Abends brütete er noch lange im Büro über seine Unterlagen. Die Fastfood-Imbisse waren wie für ihn gemacht. In der Mittagspause holte er sich das anspruchslose schnellfertige Essen und verkrümmelte sich dann wieder in seinem kleinen verwinkelten Büro. Jacob war ein sehr sorgfältig arbeitender Mann, doch sein Schreibtisch lies alles andere ahnen. Natürlich stapelten sich die Verpackungen seines Mittagessens in allen Winkeln und Berge von Papier waren im Raum verteilt. Er war wie nun zu erwarten ist ein Einzelgänger. Niemand nahm Tag für Tag Notiz von ihm. Er war ein unbedeutender Arbeiter der bestrebte sich hoch zu arbeiten. Doch auch er wusste dass all die Bemühungen so gut wie umsonst waren. Es gab mittlerweile immer mehr Architekten in der Gegend. Viele bestrebten es das große Geld zu verdienen und Erfolg zu haben. Doch das blieb Jacob vergönnt.

Nun fragt man sich was diese zwei so unterschiedlichen Menschen verband. Jacob war das genaue Gegenteil von Mary. Doch es geschah. Auf höchst unspektakuläre Weise trafen sich beide.

Mit zerzausten Haaren rannte er über den Bahnhof. Er schaute nervös auf seine Armbanduhr. Jacob hatte verschlafen, und nun musste er sich eilen seine Linie noch zu erwischen. Er war schon recht spät dran. Diesmal ohne Zeitung und ohne Kaffee kämpfte er sich also mit seiner ranzigen Aktentasche und mit zerknitterndem Hemd durch die Masse. Er schwitze und seine Brille war auf die Nasenspitze gerutscht. Jacob fiel aus allen Winden. Er stieß mit den Ellenbogen einige Leute beiseite die im Weg standen. Sie schauten ihn finster hinterher. Doch alles war egal, Jacob wollte und musste diese Bahn erwischen. Genau heute hatte er die Chance nach Jahrelanger harter Arbeit befördert zu werden. Was würde es denn für einen schlechten Eindruck machen wenn er zu spät käme. Dann wäre all die schlechtbezahlte Arbeit umsonst. Er konnte sich schon jetzt kaum seine Einzimmerwohnung leisten. Er wohnte weit außerhalb der Stadt wo die Wohnungen um einiges weniger kosteten. Deswegen war er leider Gottes jeden Tag auf die Bahn angewiesen. Fluchend erreichte er das richtige Gleis. Natürlich war die Bahn schon abgesaust. Was übrig bleib war der bedröbelte Jacob mit seiner alten Aktentasche.

Doch nicht nur er befand sich in Stress. Mary hetze genauso wie er durch die Massen. Doch als sie sich durch das Dickicht gestoßen hatte, war auch ihre Linie schon davongebraust.
>>Mist!<<
Zischte sie und stampfte wütend mit ihrem Absatz auf den Asphalt.
>>So ein Mist!<<
Stieß sie erneut aus und schaute auf die Uhr. Heute hatte sie aber auch ein Pech. Erst mal funktionierte ihr Wecker nicht und jetzt kam sie auch noch zu spät zu einem wichtigen Pressetermin. Er war viel zu wichtig um lange Trübsal zu blasen. Die Züge nahmen es aber auch 12 Minuten zu überpünktlich. Ärgern half nichts, heute musste sie zahlen. Dann würde sie eben in den sauren Apfel beißen müssen und zur Abwechslung mal den Daumen erheben. Welcher vernünftige Mann konnte einer so hinreißenden Frau denn nicht eine Mitfahrt anbieten. Auch wenn man so grausames über viele der Personen die Anhalter mitnahmen sprach. Es würde doch nicht Mary treffen. Mary hatte immer Glück, und die Wahrscheinlichkeit, dass etwas schief ging war relativ gering. Also warum nicht wagen?

Betrübt war Jacob durch die Menge gegangen. Seine Mundwinkel hingen an der Erde, er hatte es vergeigt. Alle Züge waren gefahren. Doch da fiel ihm eine andere Linie ein. Mit Glück würde er diese noch erhaschen können. Mit sehr viel Glück. Also sprintete dieser zerzauste Mann erneut über den halben Bahnhof um nur wieder den Schmollmund aufzusetzen. Auch diese Linie war nur noch von hinten zu ersichten. Er sank auf einer der Bänke nieder und fuhr sich mit der Hand über den Kopf. Das war aber auch ein großes Unglück.

Mary hatte kein Glück. Die Geschäftsleute von heute waren alle sehr beschäftigt oder hatten Ehefrauen. Auch wenn dass ihr unerklärlich war hielt keiner für sie an. Sie stand da mit ihrem grauen kurzen Rock und der kalte Wind säuselte ihr um die Beine.
>>Vielleicht muss ich dann einfach eine Bahn später nehmen! Was solls, bekomm ich wenigstens noch das Ende mit!<<
Also stöckelte sie den Weg zurück an ihr Gleis. Dort saß nun ein Mann der zu Boden starrte. Eigentlich hatte Mary Angst wenn sie Männer begegnete und um sie herum kein einziger zu sehen war, aber dieses schlappe Exemplar von Mann war zu nichts im Stande. Sie konnte die Gefahr gut abwägen. Er war untrainiert und hatte ein kleines Bäuchlein. Unter seinen Augen waren lila Ränder und er war durch und durch ein Bürotier. Als Hengst lies er sich nicht bezeichnen. Gefahr ging von solchen „Männern“ nicht aus. Also sank Mary nach dieser kurzen Analyse neben den „Mann“ nieder und streckte die Beine von sich. Sie musste noch gute 26 Minuten warten und es war nicht leicht stundelang auf Absätzen zu stehen. Der „Mann“ nahm keine Notiz von ihr. Sollte ihr recht sein, über was sollten die beiden auch reden?

Stumm und ohne ein Wort zu verlieren waren beide in den Zug eingestiegen und an der gleichen Station auch ausgestiegen. Es überraschte beide sehr, dass sie auch das gleiche Gebäude passierten.

Jacob war zufrieden mit seinem Vortrag. Er hatte es auf die letzte Minute noch geschafft und die Nervosität verflog. Er war in seinem Element und da er genauestens vorbereitet war konnte er auf alle Fragen Antwort liefern. Er hatte alles berechnet und bedacht. Nichts konnte ihn aus der Ruhe bringen und er war selbst von sich überzeugt. Es lief alles einfach glatt. Am Ende erntete er seinen ersten Applaus, auch den von Mary, sie hatte ihn unterschätzt.

Mary wartete noch öfters an ihrer Linie, doch sie sah Jacob nie wieder auf der Bank. Seine Arbeit war hervorragend gewesen und sie wollte vielleicht einen kleinen Artikel über ihn veröffentlichen. Aber auch als sie die Züge später nahm, er war nie da.

Jacob wechselte freudestrahlend sein Büro. Er erwartete nicht so viel, aber mehr als zuvor. Endlich hatte er einen Schritt vorwärts getan und endlich schien auch er auf einem grünen Zweig zu sitzen. Jacob nahm sich von dem besseren Gehalt eine Wohnung die näher dran war an der Arbeitsstelle und er konnte den Menschen nun beweisen was er so drauf hatte. Nun wurde er gesehen. Manche nennen es das Stufenprinzip, doch Jacob sah es wie die Aquarien. Am Anfang war er ein normaler Guppy. Ein Guppy paarte sich oft und war keine Seltenheit. Für wenig Geld konnte man sich ein paar holen, und sie erfüllten ihren Zweck. Doch wenn man sich durchkämpfte konnte man in das nächste Becken und war nicht nur der Zweckdiener. Man war mehr und bekam auch mehr. In diesem Becken waren weniger Fische und sie schienen prachtvoller. Bis man am letzten Becken angelangt war und dort ganz allein schwamm. Dann hatte man es geschafft. Von Becken zu Becken wurde man wichtiger, jedoch wurde es auch von Becken zu Becken schmutziger. Am Anfang hatte man als sauberer kleiner Fleißkopf angefangen, doch immer fauler wurde es zum Chefbecken hin und was nur noch zählte waren Kontakte, gute PR und gute Kleidung. Jacob verdiente mit immer weniger immer mehr. Er konnte sich adrett kleiden und endlich Erfolg schnuppern. Er wurde gesehen, und gesehen zu werden tat gut.

Mary war überrascht als sie seinen Namen in einem Artikel las. Jacob Baker hatte es geschafft. Der zerzauste „Mann“ hatte es zu mehr geschafft. Auf dem Foto glich er nicht mehr dem „Mann“ den sie an der Bahn begegnet war. Sie suchte sich seine Adresse aus dem Internet. Dann steuerte sie auf sein Büro zu.

Irgendwann musste er aber auch in einem Becken zu stehen kommen. Die laschen Etagen waren vorbei, nun stand echte Arbeit bevor. Nicht nur Fleiß sondern auch Schleimerei und Freundschaft sollten ihn hochkatapultieren. Er wollte ins nächste Becken. Ihn hatte der Ehrgeiz gepackt. Nun wollte er alles oder nichts. Jacob hatte sich geändert. Nun wusste er die Leute zu manipulieren und zu beeinflussen. Anders konnte man auch gar nicht voran kommen. Anders gab es keinen Weg ins nächste Becken.


Mary klopfte an seine Bürotür. Ihr Herz klopfte wie vor jeden Interview, doch dieses mal war es auch ein bedeutungsloses aber auch sehr komisches Wiedersehen.
>>Herein!<<
Sie trat graziös ein und versuchte sich die Nervosität nicht anmerken zu lassen.
>>Guten Tag, was kann ich für sie tun?<<
War die gewöhnliche Floskel die der Mann (!!!) ablies.
>>Guten Tag, ich komme von dem Flensburger Wirtschafts- und Politikmagneten „Der Fisch“. Ich bin Mary Mercy, sie werden sicherlich schon von mir und der Zeitung gehört haben und ich möchte sie gerne zu ihren Aufstieg und ihren Erfolg Interviewen. Ist es ihnen Recht?<<
Mary klang selbstbewusst und sie wusste was sie wollte. Jacob nickte. Er war der erste Mann (!!!) der ihr in die Augen sah. Der sie nicht als Objekt sah und der nicht hoch schauen musste. Er sah direkt in ihre Augen. Ihr gefiel seine Offenheit und seine Ehrlichkeit…

Wie weit kann man für den Erfolg gehen? Jacob wollte noch hoch hinaus. Es war das erste mal dass er auf die 13 Männer traf. Jacob war neu und er war der 14.. Eigentlich wollten sie nur 13 sein, doch Jacob war die einzige Ausnahme. Es waren die Männer aus seinem Büro. Die Leute die in seinen und höheren Becken schwammen. Zuerst sträubte sich sein Herz dagegen, doch der Wahn lies ihn blind werden. Er lies sich ein, und er verlor sich. Verlor sich in dem Bösen!


Ich war ermüdet. Mir war das Herz schwer. Für heute waren die Gedanken genug. Ich wollte wieder alles beiseite Drängen. Alle Gedanken schwirrten mir im Kopf. Es war grausam. Mir dröhnte der Schädel. Ich war überrascht dass ich überhaupt en Wort raus gebracht hatte. Das was mir wiederfahren war lag schwarz und schwer auf meiner Seele. Ich sank wie nach einem Kraftakt zurück in meinen Rollstuhl. Wieder schloss ich meine Augen und versuchte alles um mich herum auszulöschen. Als ich die Augen wieder öffnete war John gegangen.

Irgendwann beschloss ich wieder rein zu gehen da es ganz schön frisch wurde. Alte gebrechliche Menschen hatten die Schönheit besiedelt und trübten das Bild von Leben. Was ich sah war Tod. Ich war so am Ende. Weshalb hatte ich mir selber so ein Leid zugefügt und angefangen zu reden. Reden war immer die Quelle allen Übels. Ein Wort konnte man nicht mehr zurück nehmen. Worte taten immer Weh. Auch wenn es nur das simple Wort „Ich“ war verabscheute ich es. Auch wenn man nur einen normalen Satz sprach, es brach dass schweigen. Brach die Stille die versucht dich vergessen zu lassen. Aber auch die Stille die dich bis aufs äußerste verbluten lässt. Stille heißt teuflische Schönheit. Stille ist ein Zeichen von Fassung. Beherrschte man sich, erzählte man nichts. Erzählte man nichts, kam Niemand näher. Kam Niemand näher, tat dir Niemand weh. Aber mit deinem Schweigen konntest du vielen wehtun, auch dir selber. Und du wärest zu blind um es zu bemerken. Eher bist du tot, und nie würde jemand um das was du warst wissen. Auch wenn du Dreck warst wirst du nie nichts sein.

Ich öffnete die Tür, und da saß er! Am Fußende meines Bettes. Er schaute auf und ich merkte wie ein unleserlicher Zug sich breit machte.
>>Elli!<<
Flüsterte er.
>>Nenn mich nicht so!<<
Zischte ich.
>>Aber kleines, ich bin doch dein…<<
>>Ich bin nicht mehr dein kleines nach dem was du mir angetan hast und du bist auch nicht mehr mein Vater!<<
Meine Stimme war fest und entschlossen.
>>Du wusstest dass ich das nie wollte Elaine!<<
Murmelte und er saß mit bedauernden Blick an der Kante meines Bettes. Ich war immer noch nicht reingerollt und stand in der offenen Tür. Würde er zu weit gehen, würde ich noch abhauen können. Auch wenn es feige war wieder die Flucht zu ergreifen.
>>Du bist krank!<<
Keifte ich und der verletzte Teil in mir lies meine Stimme beben.
>>Das bin ich wohl!<<
Er schaute zu Boden. Seine Stimme klang so traurig. Doch er hatte mir Leid zugefügt. Er sollte büßen.
>>Kannst du mir nicht verzeihen?<<
Flüsterte er und hoffnungsvoll schaute er auf.
>>Ich meine du bist meine Tochter und ich dein Vater. Ich hab dich so sehr lieb, dass es mir das Herz aus der Brust gerissen hat, als du fort warst! Deine Mutter und ich waren vollkommen krank vor Sorge. Ich habe keine Nacht geschlafen ohne an dich zu denken. In unseren Ader fliest das gleiche Blut! Du und ich…<<
>>Ich wünschte du wärst verreckt. Es gibt kein Du und ich, du bist nicht mehr mein Vater und ich werde dir nie verzeihen! Hörst du? NIE!<<
Schrie ich. Mein Herz pochte wie wild. Ich war nur noch da, konnte mich nicht mehr rühren. Er schaute verletzt weg
>>Elaine<<
Flüsterte er. Er klang gebrochen. Dann endlich konnte ich mich bewegen und legte den Rückwärtsgang ein. Panisch und den Tränen nahe rollte ich davon. Ich wollte nichts mehr hören. Ich wollte weg. Weg von ihm. Weg von der Schwärze und der Dunkelheit die von ihm ausging. Es tat so weh. Wieder fühlte ich mich wie Dreck. Wieder fühlte ich mich benutzt und erniedrigt. Wieder holte mich die Vergangenheit ein. Mir war schwindelig und speiübel. Ich wollte schreien, doch es gelang mir nicht. Ich konnte nicht einmal weinen. Weinen ist erbärmlich, aber nicht weinen zu können ist noch viel erbärmlicher.

Als ich wiederkam saß Jordan kerzengrade in ihrem Bett.
>>Wag es nicht etwas dazu zu sagen, oder ich mach dich kalt!<<
Herrschte ich sie an. Sie war kreidebleich. Warum eigentlich? Mir ging es Scheiße, warum sah sie dann schrecklicher aus als ich?
>>Was schaust du so blöde? Bin ich auf einmal eine Aussätzige nur weil mein Vater denkt er muss nach der Scheiße die er mir angetan hat hier aufkreuzen?<<
Sie schüttelte hektisch den Kopf.
>>Was ist dann los?<<
Meine Stimme wurde allmählich ruhiger. Das Kopfschütteln hatte meine Wut gelindert.
>>Mein Vater ist daran Schuld das ich hier bin!<<
Flüsterte sie.
>>Meiner auch!<<
Sagte ich.
>>Ich weiß nicht ob du das überhaupt wissen willst, aber ich muss es jemanden erzählen!<<
Ich nickte. Was für einen Grund würde sie abliefern? War das was sie hier her führte schlimmer oder eine Leichtigkeit hingegen meinem Schmerz?
>>Erzähl es mir!<<
Forderte ich sie leise auf. Ich traute mich nicht mehr laut zu sprechen. Ich wollte wissen was sie hier her führt.

>>Anfangs war es befremdlich als er in mein Zimmer kam. Ich war grade mal 7 Jahre alt. Er kam nachts, wenn es schon dunkel war. Hinter sich schloss er immer die Tür. Wie ich das Geräusch des Schlüssels hasste.
„Es ist ganz natürlich und du brauchst keine Angst zu haben!“
hat er gesagt
„Ich bin dein Vater und Vater und Tochter zeigen sich so, dass sie sich lieb haben! Das ist ein ganz großes Geheimnis das Papas und Töchter miteinander haben! Daran ist nichts böse und es ist sehr schön!“

Anfangs habe ich ihm geglaubt. Ich habe gemacht was er verlangt hat, auch wenn es mir zuwider war. Ich habe ihn angefasst und er meinte es sei gut. Auch wenn ich Angst hatte er würde ersticken, denn er hatte wie wild gekeucht und gehechelt, versicherte er mir es wäre alles in Ordnung. Doch ich schämte mich, ich fand es schmutzig und es fühlte sich so falsch an. Wenn ich andere Mädchen mit ihren Vätern sah, schauten sie die Kinder anders an, und fassten ihnen nicht an Stellen, wo man nicht gerne angefasst wurde. Einerseits fühlten sich seine Berührungen gut an und ich spürte wie lieb er mich hatte, andererseits fühlte ich mich danach immer dreckig. So als ob ich mich lange nicht gewaschen habe.

“Papa, ich glaub das was wir machen ist falsch!“
sagte ich zu ihm. Doch er sah mich traurig an.
„Sich lieb zu haben kann doch nicht falsch sein! Hast du mich nicht mehr lieb?“
Er schaute enttäuscht zu Boden. Ich wollte ihn nicht enttäuschen. Es tat weh ihn so zu sehen.
„Nein, ich hab dich doch lieb!“
„Dann kann es auch nicht falsch sein!“
Er lachte wieder und ich fühlte mich besser.

Anfangs hatte er noch mit mir gekuschelt bevor wir uns anfassten, doch auf einmal wurde er irgendwie anders. Als ob er sauer wäre. Es fühlte sich nicht mehr wie lieb haben an und ich fühlte mich danach immer und immer dreckiger. Er sagte mir nicht mehr, dass er mich lieb hatte. Er packte mich fester an! Irgendwann berührte er mich nicht, er tat mir weh und ich habe geweint als er auf mir war. Ich habe lange geweint und gewimmert, bis ich wieder Angst hatte er würde ersticken! Er keuchte lauter als zuvor! Und dann tat es nur noch weh und er nahm mich nicht in den Arm und ging sofort. Nichts war mehr schön, er kam nur noch um mir weh zu tun.

„Papa du tust mir weh! Hast du mich nicht mehr lieb?“
Fragte ich ihn besorgt.
„Auf jedem Fall hab ich dich lieb. Du siehst doch wie doll ich dich lieb habe!“
„Aber du tust mir weh!“
„Manchmal muss man sich eben doller lieb haben. Das zeigt dem anderen dass man ihn sehr, sehr lieb hat!“
Ich nickte und verstand. Also wartete ich bis er wieder doller wurde und haute ihn ganz feste. Er schimpfte sehr laut mit mir und haute mich viel öfter als ich ihn.
„Aber ich hab dich doch so doll lieb!“
Winselte ich.
„Überlass das mit dem doll lieb haben mir, okay?“
Ich nickte, dann machte er weiter bis ihm die Puste ausging.

Ich fing an das Bett regelmäßig zu nässen. Meine Mutter schimpfte mit mir.
„Wenn du pinkeln musst, dann geh aufs Klo!“
Sie hat mich auch geschlagen. Ich verstand die Welt nicht mehr, hatte sie mich jetzt sehr, sehr doll lieb? Sollte ich sie jetzt auch anfassen? Abends fragte ich meinen Vater.
„Nein, das was wir haben ist ein Geheimnis! Mamas verstehen davon nichts und meckern nur rum! Willst du dass sie alles kaputt macht?“
„Nein!“
„Dann ist ja gut!“
Und er fing wieder mit der falschen Sache die so weh tat an.

Irgendwann begriff ich, dass etwas mächtig schief lief. Ich wusste wie die Sachen hießen, was wir taten, was er tat. Ich wusste, dass das kein liebhaben mehr war, sondern Missbrauch. Und je mehr ich wusste wie falsch das war, umso schlimmer ging es mir. Ich war 12 als ich begriff was da geschah.

„Hast du mich nicht mehr lieb?“
Fragte er in die Nacht. Ich hatte immer mehr Angst vor den Nächten, nässte das Bett doch vor allem, hatte ich Angst vor ihm. Der Mann der mich auf sehr widerliche Weise in den Bann zog. Irgendwann war der Schmerz gewichen, irgendwann wollte ich es sogar, und dann wieder nicht. Irgendwann musste er nicht mehr abschließen. Irgendwann wartete ich sogar auf ihn.
„Doch Papa, ich hab dich lieb!“
Versicherte ich ihn.
„Dann lass mich nicht immer die ganze Arbeit machen, sondern zeig mir wie lieb du mich hast!“
Und ich habe gehorcht und es hat mir sehr gefallen, und dann wieder nicht. Das war das erste mal oben. Der Moment war einzigartig, doch danach war es wieder falsch. Es widerte mich an, er widerte mich an. Doch am schlimmsten, ich widerte mich an.

Ich wurde 14 und immer mehr wurde mir bewusst, dass das alles ein Ende finden musste.
„Lass das, ich will das nicht mehr!“
Winselte ich. Seine Augen hatten lüstern aufgefunkelt als er mein Zimmer betrat, nackt wie er war!
„Was ist denn los? Hast du mich nicht mehr lieb?“
Fragte er. In mir kämpften jegliche Gefühle.
„Das was wir tun ist falsch! Und du weißt es genau! Das hat nichts mehr mit lieb haben zu tun! Das was wir tun ist Sex, und das ist falsch!“
„Wie kann etwas Schönes falsch sein? Ich meine, es gefällt dir doch auch!“
Etwas verlangte nach ihm. Es verlangte so sehr nach dem widerlichen das mich nun selber zum Ersticken brachte.
„Nur noch dieses mal!“
Bettelte er.
„Danach muss Schluss sein!“
Warf ich ein.
„Ja.“

Doch nach einer Woche war immer noch nicht Schluss! Er wollte nicht aufhören, nun holte er es sich mit Gewalt. Ihm war egal wie ich schrie. Er verrichtete sein Geschäft auf mir und lies mich allein, diesmal schloss er wieder ab. Und ich fühlte mich nur noch benutzt. Ich fühlte mich wie Dreck. Aber ich war an allem selbst Schuld. Ich wollte meiner Mutter nicht davon erzählen. Immerhin hatte ich es doch gewollt, doch es musste ein Ende finden, und so bin ich hier gelandet! Ich habe mein Zimmer abgeschlossen, habe lange geweint, aber dann haben die Schlaftabletten geholfen und endlich gewirkt!<<
Nun war ich kreidebleich. Das Mädchen hatte die Hölle auf Erden durchgemacht. Ich begriff dass es ihr, und nicht mir schlecht ging. Sie war am Ende, denn wenn man sich umbringen wollte war man das. Das oder mächtig dumm. Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Mein Mund stand weit offen. Ja, diese Schock warf mich derbe vom Hocker. Ich hatte damit gerechnet dass er sie geschlagen hätte, oder ähnliches, aber mit dem was sie erzählt hatte fehlte mir jegliche Kraft zu sprechen.
>>Elaine, ich möchte dass du mir beibringst stark zu sein, so wie du heute! Ich will dass es endlich aufhört! Kannst du mir das beibringen?<<
Ich nickte.

Man heult immer rum, dass es einem schlecht geht, und viele sagen sie wollen sich umbringen. Ich sage dazu, dass man nicht heulen sollte. Es gibt immer Leute die schlimmeres erlebt haben. Leute die wirklich leiden und den Tod als einzige Lösung sehen oder ihn für die Konsequenz des eigenen Versagens sehen. Auch wenn sie gar nicht versagt haben. Manche Leute denken gar nicht darüber nach was sie sagen, oder wie sie jammern. Sie sehen nur sich. Leute, macht die Augen auf! Seht nicht weg! Seht mehr! Macht die Augen auf!

Danach hatten wir beide geschlafen. Jordan hatte keine Probleme damit einzuschlafen, auch wenn sie erzählt hatte. Die Probleme hatte eher ich, aber irgendwann gingen auch meine Lider zu. Irgendwann siegte die Erschöpfung, denn das war für einen Tag sehr viel gewesen.
Ich wachte auf, da starrte sie schon wieder an die Decke.
>>Was ist denn los?<<
Fragte ich besorgt.
>>Ich möchte jetzt nicht darüber sprechen! Lass mich bitte erst mal allein, damit ich nachdenken kann.<<
Ich nickte. Ja, ich konnte sie nur zu gut verstehen. Manchmal half nur die Einsamkeit um voran zu kommen und zu verarbeiten.
>>Versprich mir dass du keinen Mist baust!<<
Ich scherzte nicht. Meine Stimme war ernst. Zwar verband uns jetzt etwas das ich nicht entziffern konnte. War es wirklich nur der simple Hass auf unsre Väter?
>>Ich werde mir nichts antun! Ich möchte nur gerne etwas nachdenken!<<
Ich nickte und war erleichtert. Auf keinen Fall wollte ich, dass sie sich etwas in meiner Abwesenheit etwas antat.

Ich lies mich in meinen Rollstuhl plumpsen und bewegte ihn ein kleines bisschen gekonnter. Heute wollte ich zeigen was ich gestern gelernt hatte. Ich bepackte mir einen Teller und rollte geradewegs zu den Tischen, aber neben der Tatsache dass sie besetzt waren, standen überall provokativ die teuflischen Stühle. Doch ich lies mich nicht davon beeindrucken. Kurzerhand rollte ich aus dem Essensaal ab in den Park. Es war ja schon 12:42 Uhr und somit stand die Tür offen. Diesmal war da keiner. Ich konnte mich also wieder an den Brunnen rollen und problemlos essen. Ich rollte hin und hörte das verspielte Wasser plätschern. Ja, Wasser war schon etwas Schönes. Ich fuhr meine Hand durch den kleinen und sanften Wasserstrahl der meine Hand liebkoste. Es fühlte sich zart und vertraut an. So vertraut, als ob man jemanden lieben würde.
>>Na, wie geht’s dir denn so?<<
Ich drehte mich nicht um, sondern bewunderte das Wasser weiter. Es glitzerte in der strahlenden Sonne.
>>Geht, mein Vater war gestern hier! Ich weiß nicht wie er mich gefunden hat!<<
John sank neben mir nieder und plötzlich linderte der Anblick seiner Füße die Schönheit des Wassers. Doch anstatt ihn anzufrotzeln fing ich an zu lachen. Es waren nur Füße. Er provozierte nicht, er genoss den Moment ebenso wie ich, nur anders. Ich schaute ihn an. Seine Augen waren verschlossen und sein Gesicht neigte sich der Sonne entgegen.
>>Das tut mir leid für dich!<<
Murmelte er, als wäre er in tiefen Gedanken versunken. Ich weiß nicht wie aber ich stemmte mich hoch und saß auf einmal neben ihn. Ich streifte die Nervigen Hausschuhe die nicht meine waren ab und tat es John gleich. Er strich mit seinen Sohlen über meine Füße und ich genoss jede seiner Berührungen. Jeder andere hätte es für eine Anmache gehalten, aber es war ein trösten. Er spendete mir trost.
>>Hast du Zeit?<<
Er nickte und wieder schien er mich zu hypnotisieren mit seinem Grinsen das nun zarter auftrat.

Mary beobachtete sein tun. Nicht das sie ihn stalkte aber sie las in anderen Magazinen immer mehr über ihn. Sie hatte den Anstoß geleifert um Jacob hoch zu katapultieren. Nun war er mehr als der zerzauste Mann. Doch sie wusste nicht wirklich was er war. Sie kannte ihn nicht. Er hatte ihr verschwiegen was er tat. Sie wusste nicht von dem bösen Unwesen was er trieb. Sie wusste nicht was er Monat für Monat tat. Was er mir später auch antat… Sie wusste nichts von den Kascerdas.

Sie sahen sich wieder und wie es geschehen musste vertieften sich beide in ein sehr angenehmes Gespräch. Sie nahm ihn später mit sich nach Hause und lies sich mit ihm ein. Er blieb die ganze Nacht. Am nächsten Tag ging keiner von ihnen zur Arbeit und sie liebten sich den ganzen Tag. Er fragte:
>>Werden wir uns wieder sehen?<<
Sie flüsterte:
>>Ja, Jacob Baker, ja!<<

Jacob spielte sein böses Spiel. Tagsüber war er Romeo und Abend war er wieder der Teufel. Er achtete nicht auf die Gefühle der anderen. Es gab nur ihn, die Kascerdas und Mary. Es dauerte nicht lange da machten beide ihre Beziehung offiziell. Doch er spielte nicht mit ehrlichen Karten.

Nach 3 Jahren Beziehung stand für Mary du Jacob fest, sie wollten mehr. Sie liebten sich wirklich. Mary und Jacob überlegten nicht lange und ließen sich Anonym trauen. Als der Ring dann da war wusste die Presse ja alles. Doch der Trubel um die beiden legte sich schnell und sie zogen zusammen. Sie führten eine glückliche Ehe. Zwar sahen sie sich durch das berufliche Engagement immer seltener, doch die wenige Zeit die sie hatten genossen sie.

Doch dann kam ich und zerstörte die Beziehung. Mary musste natürlich erst in den Mutterschutz und Jacob hatte Angst seinen Freiraum zu verlieren. Eigentlich mag man annehmen, dass 2 Verliebte sich über Nachwuchs freuen würden, jedoch nicht meine Eltern. Ich war die Zerstörung in Person. Doch Abtreibung kam für Mary nicht in Frage. Jacob versicherte ihr, ihr beizustehen und dass sie alles meistern würden. Doch am Ende arbeitete er nur noch und Mary hatte sehr viel mit mir zu tun. Ihr Problem war dass sie mich nicht richtig lieben konnte. Da kam ich und sie verabscheute mich. Ich machte sie wahnsinnig. Sie wollte mich nicht mehr sehen oder hören. Das war ja auch kein Problem. Beide hatten gut verdient also stellten sie Personal ein und lebten ihr unbeschwertes Leben weiter. Aber ohne es zu merken lebten beide aneinander vorbei und wenn sie sich mal sahen, waren sie immer noch mit ihrer Arbeit beschäftigt. Irgendwann nahm keiner von keinem mehr Notiz. Meine Mutter vereiste viel für Organisation die sie seit neusten leitete und für eine Stiftung die ihr mittlerweile verstorbener Vater hinterlassen hatte in Namibia zu erhalten. Ich ging verloren. Doch da ich noch klein war bekam ich das nicht mit. Ich wurde von Arm zu Arm gegeben. Keiner wollte mich.

Für das was er tat fürchtete Jacob sich. Er stieß an seine Grenzen, doch für den Beruf überstieg er sie. Er verlor jegliche Moral oder Menschenwürde. Die Kascerdas gewannen immer mehr an Bedeutung.
Mary und ich verloren immer mehr an Wichtigkeit. Es war Mary egal, denn sie versteifte sich auf andere Kinder die sie mehr als mich leiden konnte. Diese Kinder waren nicht böse. Diese Kinder versuchten nicht gesehen zu werden. Diese Kinder waren glücklich mit dem was sie hatten und gehorchten. Diese Kinder heulten nicht andauernd, nur weil sie sich weh taten oder Angst hatten. Diese Kinder hatten Manieren und mussten nicht gemaßregelt werden. Mit ihnen musste keiner spielen. Und wenn ich von meiner Mutter gesehen werden wollte, entgegnete sie immer
„Andere brauchen mich mehr als du!“

Ich wollte nicht in den Kindergarten. Meine Mutter gab es auf und auch die Angestellten. Ich hatte geschrien und geweint. Doch sie schüttelten nur den Kopf. Wieso verstand dass den keiner? Die anderen würden mich auch nicht wollen. Die anderen würden mich auch übersehen, oder noch viel schlimmer sehen. Ich war ein schlechtes ungezogenes Kind. Das meinten die Erwachsenen immer so zu mir. Mein Vater kam genervt aus seinem Arbeitszimmer und lies sich die Situation von der verzweifelten Amme schildern. Er schickte sie weg.
>>Nicht schlagen, Nicht schlagen!<<
Schrie ich in mein Weinen und er schüttelte nur den Kopf.
>>Was ist denn los Elaine?<<
Fragte er ohne Vorwurf. Ich sah zu ihm hoch.
>>Ich habe Angst, dass mich wieder keiner haben will im Kindergarten, weil ich doch so schlecht und ungezogen bin! Dann bin ich wieder so allein, und keiner will mich sehen. Doch sie sehen mich und finden es doof dass es mich gibt.<<
Er legte den Kopf schräg und schaute mich an. Ich konnte sein Blick nicht entziffern, doch ich hatte Angst. Er schaute mich an. Wollte er auch das ich nicht da bin? So wie die Mama?!
>>Wie kommst du denn auf so was?<<
>>Ich bin doch nicht doof. Ich hör immer zu wenn Mama mit mir schimpft und sich wünscht ich wäre nicht mehr da. Manchmal bin ich so böse, dass sie weint. Ich weiß dann nicht was ich getan hab, aber ich hab sie dann immer sehr sehr traurig gemacht!<<
Ich schaute schluchzte nicht mehr. Mein Blick war sehr ernst. So wie Mamas Blick wenn sie mich ansah.
>>Das ist doch Unsinn. Deine Mutter hat dich genauso lieb wie ich dich! Und jetzt komm erst mal in meinen Arm. Du bist die liebste und schönste 4 jährige Tochter die man sich nur wünschen kann!<<
Ich weinte wieder, aber diesmal weil er nicht log. Er fand ich war lieb. Er fand mich nicht böse oder schlecht. Ich war verwirrt. Was war denn los? Wieso sagte er mir so was? Papa nahm mich in den Arm.
>>Ich werde dafür sorgen, dass alles besser wird!<<
Versprach er und küsste meine Haare. Und dann musste ich nicht mehr weinen. Dann war ich stark und musste keine Angst mehr haben.

Ich lauschte, weil ich ein schlechtes Kind war. Ich lag im Bett und konnte nicht weg hören. Ich hörte einfach ungezogen zu.
>>Was fällst du mir denn jetzt in den Rücken! Das Kind hat es gut genug! Andere Kinder brauchen mich wirklich!<<
Schrie meine Mutter.
>>Ich finde du solltest erst mit deinem eigenen Kind klar kommen bevor du versuchst anderen zu helfen!<<
Entgegnete er völlig ruhig.
>>Du weißt dass das egoistisch von mir wäre. Ich kann wegen diesem kleinen Biest nicht aufhören den Kindern die es brauchen und verdient haben zu helfen!<<
Da war es wieder, ich war ein Biest. Ich war böse und schlecht. Mich wollte keiner haben.
>>Jetzt hör aber auf. Hast du dich eigentlich selbst gehört? Das arme Kind ist davon überzeugt schlecht zu sein. Sie hat mir erzählt dass sie weiß, dass es schlecht ist dass sie da ist. Sie macht sich mit ihren 4 Jahren schon grässliche Vorwürfe!<<
>>Sie hat ja auch recht!<<
Meine Mutter brach in Tränen aus. Ich hörte sie laut weinen.
>>Mary, ich versteh nicht was du gegen deine Tochter hast!<<
Sie warfen mich wie ein Ball. Keiner wollte mich haben, sonst hätte er unsere Tochter gesagt.
>>Ich weiß es doch auch nicht! Ich weiß nur, dass ich sie nicht haben will. Wir beide wissen dass sie ein Unfall war. Wir beide wissen dass sie alles kaputt gemacht hat!<<
Ich konnte nicht weg hören. Ich lauschte weiter, auch wenn ich es mir verbat. Lange kam nichts.
>>Etwas so schönes wie ein Kind kann kein Fehler sein und in ihr steckt etwas von uns beiden! Sie ist unser Kind, und zerstört haben wir unsere Ehe schon selbst. Sieh es ein!<<
Er hatte unser gesagt. Wollte er mich doch? Auch wenn ich böse war?!
>>Aber wie konnte das geschehen? Hast du mich nur weniger lieb gehabt weil ich wegen ihr fett geworden bin?<<
Sie klang auf irgendeine Weise verzweifelt und hoffnungsvoll zugleich.
>>Ah Quatsch. Ich habe dir gesagt, dass wir das schon regeln! Sie ist nun mal da und wir sollten das Beste daraus machen!<<
Und jetzt war ich wieder da. Jetzt war ich wieder ein Problem. Ein Unfall. Konnte er sich nicht mal entscheiden was er wollte?
>>Mary, ich liebe dich doch immer noch, aber im Moment ist das einfach schwierig mit uns beiden. Mach dir nicht so viele Gedanken! Was wichtig ist, ist Elaine! Denn sie kann für all dies nichts.<<
Wieso war ich denn wieder wichtig? Ich war doch schlecht. War ich Krieg? Oder Tod? Ich wusste nur dass diese Wörter sehr sehr schlimm waren, und ich war ja richtig schlimm.
>>Du hast ja recht Jacob! Ich wünschte es wäre alles ein bisschen einfacher!<<
Nun war sie nicht mehr feige und erbärmlich. Sie sagte immer wenn man weint würde man feige und erbärmlich sein. Was das war wusste ich nicht. Mal wieder nicht. Weil ich ja dumm war.

Es war richtig komisch. Plötzlich war meine Mutter lieb zu mir. Plötzlich war ich nicht mehr schlecht. Plötzlich wollte sie abends mit mir kuscheln. Ich verstand es nicht, aber sie sagte mir nicht wie böse ich war. Erst mal misstraute ich ihr, doch dann merkte ich wie gut ich ihr tat. Ich hörte ihr zu, wenn sie weinte streichelte ich sie. Wenn sie mich haute war ich nicht feige und blieb still, auch wenn es sehr weh tat und die Backe dann rot wurde und ganz ganz warm war. Wir gingen wenn sie am Wochenende frei hatte auf den Spielplatz. Am liebsten hatten wir gewippt und manchmal bin ich durch die Luft geflogen wenn sie sehr sehr doll gemacht hatte.

Stacy war wie eine Freundin für mich. Sie war mein Kindermädchen und hörte mir zu. Sie war da wenn Mama nicht da war. Sie hörte mir zu. Ich war bereits 6 Jahre alt und ging stolz in die Grundschule. Es war eine normale, auch wenn das Wort Privatschule oft gesprochen wurde. Wenn ich nach Hause kam machten wir meine Hausaufgaben und spielten mit meinem Spielzeug. Ich sprach mit ihr darüber wie gemein die Kinder immer zu mir waren. Wie sie immer fies waren und ich nicht feige und erbärmlich war und nicht geweint hatte. Wie sie mir immer meine Sachen weg Namen und wie diese Mädchen mich immer geschubst haben. Mädchen untereinander können kälter als Jungs untereinander sein. Stacy wurde dann immer sehr wütend und ich schämte mich dann wie schlecht ich war. Wenn ich gut wäre, würden die anderen mich ja nicht hassen. Und weil ich mich so schämte erzählte ich es Mama und Papa auch nicht.

Es war eine Schande was geschah. Jacob hatte sich feige und erbärmlich wie er war besoffen. Er wollte es einfach nur vergessen. Er hatte sie umgebracht. Stacy war Bluterin, auch wenn dies sehr selten war, denn wie man weiß sind eher Männer von der Krankheit betroffen. Sie verblutete jämmerlich in dem Angesicht der Männer. Sie sahen zu wie sie sich wand und um Hilfe schrie. Niemand hatte es verhindert. Niemanden war es nah gegangen. Sie waren alle nur so feige. Stacy verstarb im Krankenhaus. Sie hatte zu viel Blut verloren und da sie keine Blutkonserven kriegen konnte, verstarb sie bevor sie wieder zu Bewusstsein kam. Ich habe mir geschworen, er würde dafür büßen. Der Arzt meinte sie wollte ihr Leben beenden, aber ich weiß was er getan hat. Ich weiß was sie getan haben. Was die Kascerdas getan haben. Sie nahmen mir meine beste Freundin. Die Frau die ich insgeheim mein Mutter nannte, denn bei ihr war alles echt. Nichts war gespielt. Sie sagte nicht es wäre so schwer mich zu lieben und sie gäbe sich schon mühe, könne mich aber einfach nicht ertragen. Sie hatte mich lieb gehabt und ich sie. Ich habe mich Nacht für Nacht in den Schlaf geheult. Und er? Er hat getrunken und getrunken. Mit 9 Jahren ist man nicht mehr dumm und klein. Stacy war fort und ich war alleine mit dem Arsch und der Lügnerin. Ich habe meine Eltern gehasst.

Erwachsene denken nur nach wenn es ihnen schlecht geht. Meine Mutter bekam als ich 12 war Krebs und war sterbenskrank. Meinetwegen hätte sie verrecken können. Sie hatte mich belogen. Hatte so getan als würde sie mich lieb haben. Aber der ganze Mist war eine Lüge. Dass wippen war eine Lüge. Die Komplimente und das kuscheln. Sie konnte mich einfach nicht lieb haben und das wussten wir beide. Ich verabscheute sie. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht wieso mein Vater so soff. Ich sah zu ihm herauf. Auch wenn er nach seinen Kneipentouren sehr aggressiv war, mich manchmal schlug und Flaschen an die Wand warf. Manchmal meinte er sogar er habe mich lieb. Er hatte mich doch lieb. Dachte ich. Meine Eltern bekamen aus höchst unterschiedlichen Gründen schlechte Gewissen. Sie gaben mir Geld und Geschenke. Ich war 12 und könne selber für mich da sein. Am Anfang fühlte ich mich verarscht. Mein Vater haute ab und meine Mutter badete in ihrem scheiß Selbstmitleid. Ich machte das Beste draus.

Seit der Grundschule wurde ich gemobbt. Alle sagten ich wäre falsch und schlecht. Irgendwann kannst du das alles nicht mehr hören. Irgendwann glaubst du ihnen. Du hältst dich selber für hässlich, eingebildet, dumm. Und du denkst du bist daran schuld dass dich keiner lieb haben kann. Aber wenn du immer nur den Wackeldackel spielst kann es nie anders werden. Ich holte mir meinen Respekt mit 13. Ich schlug irgendwann einfach nur noch zu. Egal ob Mädchen oder Junge. Als ich dann beinahe einen Verweis bekommen hatte musste meine Mutter das grade biegen. Ich schämte mich keineswegs. Wenn ich schlechtes tat ging es ihr schlechter und dann würde sie mich nie wieder belügen können. Dann könnte sie ihr widerliches Geld sonst wo hin stecken. Also rauchte und trank ich, schminkte mich und trug knappe Klamotten. Ich knutschte schon mit Jungs und bleib lange wach.

Weißt du was der Scheiß ist wenn du so um Hilfe schreist und dich keiner hört? Wenn sie dich für das was du tust bewundern, auch wenn es schlecht ist?! Scheiße ist, dass dich dadurch nicht wirklich jemand lieb hat und dir das schlecht sein irgendwann gefällt und du irgendwann nicht mehr um Hilfe schreist sondern gerne den Shit machst. Gerne andere verletzt und das tust was andere mit dir getan haben. Wenn du den anderen einfach in die Fresse schlägst, weil sie dich damals windelweich geprügelt haben. Und du nicht mehr ohne diese Maske in den Spiegel siehst. Wenn du irgendwann denkst, diese Maske wärst du. Und wenn du irgendwann erschrocken feststellst, dass alles nur noch eine große Lüge ist…

Das Wasser auf meinen Füßen war warm. Selbst meine Tränen waren warm. Auch wenn in meinen Innern Eiszeit war. Ich sah wie sich meine Zehen spreizten. John berührte immer noch meine nackten Füße. Er fuhr beruhigend mit der Spitze auf und ab. Es half. Es half mich in das jetzt zurück zu befördern und den Tränen stumm ihren Lauf zu lassen. Stumm und auf äußerst seltsame Weise befreiend. Das Wasser und seine Füße strichen über die der meinen.
>>Ich kann dich leiden!<<
Er schaute mich freundlich an. In seinen Zügen war nichts gespielt. Er war zwar fremd für mich, jedoch schien ich ihn grenzenlos vertrauen zu können.
>>Ich dich auch, denn ich bin hier!<<
Ich sah ihn ernst an. Jetzt war er hier, aber würde er auch bleiben? Oder würde er mich wie die anderen es taten verletzen und verlassen? Ich war ratlos. Ich hatte vertraut, ohne ihn zu kennen. War es am Ende doch ein Fehler ihn einzuweihen? Ich meine zu den anderen wird er doch bestimmt sagen ich wäre voll der Psycho der nur rummheult und am liebsten seine Eltern tot sehen würde. Er würde sagen ich bin von Grund aus schlecht. Ich war der Teufel in Person. Ich war der Hass in Person. Ich war eine so schreckliche Person.
>>Wie lange wirst du hier sein? Wann wirst auch du mich verlassen? Und was gedenkst du dann zurück zu lassen?<<
Ich fragte ihn ohne unsere Füße aus den Augen zu lassen. Er hatte große Füße. Seine Füße waren weich und gepflegt, die Zehennägel geschnitten und rein.
>>Ich weiß es noch nicht!<<
Ich schaute ihn an. Er schaute mir tief in meine Augen.
>>Ich meine, muss ich dich verlassen?<<
Ich brach den Blick nicht.
>>Nein, aber du wirst. Und wenn du mich verlässt, werde ich mich wieder verlieren! Ich weiß dass wir uns nicht kennen, aber ich merke wie ich dich brauche. Ich merke wie ich das Gefühl brauche gesehen zu werden, da zu sein, für etwas zu leben. Und wenn du gehen wirst, werde ich dieses Gefühl verlieren. Ich werde mich verlieren. Ich werde alles verlieren!<<
Eine warme Träne rann meinen Gesicht hinab, sie rann über meine warme Wange.
>>Und wenn ich nicht gehen werde?<<
>>Du wirst gehen! ich weiß es, denn es ist das einzige Vernünftige. Du musst irgendwann gehen und unsere Wege werden sich trennen.<<
Ich konnte seine Augen nicht entziffern. Auch wenn sie graublau waren wärmten sie mich auf eine sonderbare Weise.
>>Nicht jeder wird gehen Elaine! Es gibt Menschen die begleiten einen ein Leben lang, und andere die sind nicht einmal ein Moment. Hab keine Angst vor Morgen, denn was zählt, ist das hier und jetzt. Versprichst du mir, mit mir das hier und jetzt zu teilen?<<
Ich nickte und wieder rann eine Träne meine Wange hinab. John nahm seinen Finger und fing sie leicht auf. Danach küsste er den durchsichtigen Tropfen meiner Traurigkeit. Der Tropfen zerrann auf seiner Lippe und bildete eine dünne Schicht. John fuhr die Zungenspitze über seine Lippen und weg war meine Träne. Ich hatte gebannt zugesehen.
>>Nun teilen wir deine Traurigkeit und die Last die du trägst, und ich schwöre dir, ich werde so lange ich es kann deine Tränen fangen und mit dir fühlen. Ich werde dich nicht allein lassen!<<
Ich sah wieder in seine graublauen Augen aber komischer Weise schien das Licht so dass sie einem Kristallblau glichen. Ich sah in ein tiefes Meer, in einen weiten Himmel und in das hier und jetzt, dass ich nun teilte, so wie meine Last.

Ich hievte mich um 15:23 Uhr in meinen Rollstuhl und es schellte mal wieder. Ich war wohl keinen Deut schlauer als gestern. Ich lies den Teller samt meinen Brotresten liegen. Ich hätte auch nichts anderes machen können, denn ich konnte mich nicht bücken. Was ja so was von klar ist wenn man schon im Rollstuhl sitzt. Ich hätte auch Bescheid sagen können, aber das war nicht meine Art. Meine Art war es sich feige zu verduften bevor es jemand bemerkte. Ich hatte keinen Hunger, wie immer. Nachdem du erzählst hast du nie Hunger. Nachdem du erzählst fühlst du dich wieder erbärmlich, aber auch etwas befreit. Ich beschloss nach Jordan zu sehen. Also rollte ich zum Zimmer und schob die Tür leise auf. Jordan starrte immer noch starr an die Decke.
>>Was ist denn nur los mit dir? Du weißt das du mir sagen kannst was los ist! Was immer es auch ist!<<
Sie nickte.
>>Ich bin krank. Ich bin abartig krank!<<
Murmelte sie und fixierte dabei weiterhin die Decke.
>>Du bist doch nicht krank. Hör auf so was zu denken! Wie kommst du darauf abartig krank zu sein?<<
>>Ich habe von ihm geträumt. In meinem Traum hatte er abgeschlossen. Er hatte so grässlich laut gelacht und er war nackt gewesen. Er hatte mir das Nachthemd vom Leib gerissen, wie ein Tier. Er hat mich wieder angefasst. Ich habe ihn versucht von mir zu drücken doch es war unmöglich. Er war zu stark. Ich war zu schwach. Und habe ich mich nicht mehr gewehrt! Er hat mir wieder weh getan und es war so scheußlich. Ich habe geweint, doch er wollte es nicht hören. Er einfach so weiter gemacht. Er hat einfach so weiter gemacht. Ich konnte mich nicht mehr wehren. Er war zu stark. Ich habe sein Gesicht gesehen. Diese Gier, das Verlangen in seinen Augen. Ich habe ihn angefleht er würde aufhören, doch er wollte nicht. Ich habe gehofft er würde aufhören. Ich habe gehofft, jemand würde ihn von mir zerren. Doch niemand hörte meine Schreie! Es war so als würde totenstille herrschen. Und dann…<<
Jordan schluchzte verzweifelt.
>>Und dann habe ich ein Messer gepackt und es ihm in die Brust gerammt. Überall Blut. Aber er hat nicht aufgehört, obwohl er so viel Blut verlor. Also stieß noch ein zweites mal zu, diesmal fester. Aber es half nichts. Ich stieß immer und immer wieder zu, und überall dieses Blut. Aber er wollte nicht aufhören. Er wollte einfach nicht aufhören. Seine Miene veränderte sich nicht einmal. Er machte einfach so weiter. Also… also habe ich ihm die Kehle aufgeschlitzt. Ich lag in dem ganzen Blut. Meine Haare färbten sich rot und es floss warm über mein Gesicht. Aber er schrie und schrie. Als würde er noch leben. „Du liebst mich nicht, du hast mich nicht lieb!“ und dann habe ich mir mein Herz raus geschnitten und hielt es in meinen Händen. Es war so fürchterlich warm und pochte. Dieses kleine Herz. Und ich sagte „Nimm es! Nimm es Papa!“<<
Ich stand auf, ohne auch nur auf die Schwindelanfälle zu achten und nahm sie in den Arm. Sie weinte bitterlich.
>>Ich… Ich hasse ihn für das was er getan hat… für das was er mir angetan hat…<<
Mein Herz zersprang in 1000 Teile. Dieses arme Ding. In diesem Moment hasste ich ihn auch. Dafür was er ihr angetan hatte. Jordan hielt sich fest an mir. Sie suchte verzweifelt nach halt und ich drückte sie so fest wie ich konnte. Und auch ich weinte und unsere Tränen mischten sich zu einem Meer an Verzweiflung und Hass. Für das was ihr und mir wiederfahren war gab es keine Entschuldigung. Wir weinten ganze Stunden und hielten uns gegenseitig fest. Bis die Erschöpfung an uns nagte und die Stimmen in Heiserkeit brachen. Und ein roter Streifen sich durch den dunkelblauen Horizont zog, der die kalte und klare Nacht brach. So wie wir gebrochen waren.

Der Doc. Lies sich wieder blicken. Es war lange her, dass ich ihn das letzte mal gesehen hatte.
>> Na Elaine, wie geht es dir heute?<<
>>Scheiße!<<
War meine knappe Antwort. Und so war es auch. Eine bessere Beschreibung gab es nicht. Scheiße stimmte vollkommen. Ich hatte Nächte lang nicht geschlafen, sondern mit Jordan den dunklen Nachthimmel mit Tränen und Geheimnissen geschmückt. Jeder der Sterne war in diesen Nächten geformt worden von dem Kummer zweier Opfer der Nacht. Zweier Opfer des eigen Fleisch und Blutes. Sie akzeptierte, dass ich nicht erzählte. Ich konnte einfach nicht.
>>Nanana, das hört sich aber gar nicht fein an!<<
>>Ja, soll es sich auch nicht!<<
Er schüttelte nur amüsiert den Kopf. Doch dann wurde sein Blick wieder seltsam ernst. So kannte ich ihn nicht, und mir war klar dass
Die Situation nicht so angenehm sein würde.
>>Ich wollte dir deine Befunde mitteilen. Dein Zustand ist einiger Maßen in Ordnung, jedoch haben wir einen Riss in deiner Lunge festgestellt. Dieser Riss muss dringendst zugenäht werden, ansonsten könnte es sein, dass du nicht mehr lange Zeit hast. Deine Eltern müssten aber erst einmal zustimmen, bevor wir dich operieren dürfen, da du noch nicht 18 bist. Du kannst also nicht selber bestimmen ob wir diesen Eingriff machen dürfen oder nicht.<<
>>Gibt es noch eine andere Möglichkeit?<<
Fragte ich verzweifelt. Ich wollte nicht wieder meinen Eltern begegnen.
>>Die einzige Möglichkeit wäre ihn nicht behandeln zu lassen und zu hoffen dass keine Komplikationen auftreten. Doch das ist höchst riskant und ich würde auf jeden Fall abraten.<<
Ich nickte. Ich musste ihn also noch einmal sehen. Obwohl mich das
letzte mal schon vom Glauben abgeworfen hatte und ich immer noch mit den Gedanken daran kämpfen musste.
>>Na gut, bestellen sie meine Eltern her, aber lassen sie sie auf keinen Fall zu mir!<<
>>Das erweist sich mit den falschen Informationen die du uns gegeben hast sehr schwierig!<<
Er schaute mich vorwurfsvoll an.
>>Sie wissen doch, jeder hat Dreck im Keller. Ich gebe ihnen die Handynummer meines Vaters. Er ist jederzeit zu erreichen!<<
Er nickte und sah mich forschend an. Doch er sagte nichts mehr. Er nahm seinen Kugelschreiber von dem roten Kreuz und notierte sich die Nummer die ich ihm diktierte auf seinem Klemmbrett. Danach ging er ohne ein Wort zu verlieren.

Es ist ein Scheiß Gefühl bei Leuten die man verachtet angeschissen zu kommen, wenn man was braucht, die dann denken man sei ihnen zu ewigen Dank verpflichtet. Ich nenne es nur teilweise Rückzahlung. Klaut man mir 100€ und gibt mir irgendwann ein jämmerliches 1€ Stück zurück, bin ich doch nicht zu Dank verpflichtet. Dann stehe ich doch nicht gleich in seiner Schuld. Doch genauso ein Mensch ist mein Vater. Er hält das was er tut für so bewunderns- und lobenswert. Er hielt sich für unfehlbar. Doch er war ein Dreck. Und noch schlimmer war, dass ich ihm dieses Gefühl gab ich würde ihm verzeihen, ich würde ihm danken.

Ich durfte nicht mehr raus, denn all die frische Luft und der Dreck in ihr könnte meiner Lunge schaden. Das hieß dass ich John nicht sah. Es war so unglaublich lange her. Er war nicht da, und ich vermisste ihn. Die Art wie er mein Herz mit Liebe füllte. Dieses Gefühl einen Moment teilen zu können, der ewig währen würde. Denn ich würde jeden dieser Tage in meinem Herzen bewahren. Das graublau seiner zarten Augen. Wenn seine Blicke mein Herz striffen. Ohne ihn war es komisch. Jordan war seltsam ruhig, sie meinte mich nicht strapazieren zu dürfen vor der OP und sie hatte recht. Es war sicherlich gut den Stress ausklingen zu lassen und ganz einfach die Kräfte zu schonen. Ich würde sie noch brauchen. Doch irgendwie wollte ich auch nicht mit Wattehandschuhen angefasst werden. Mir wurde wieder das Essen gebracht und wieder musste ich wie ein Kleinkind gefüttert werden. Wieder kam ich mir vor als wäre ich eine Gefangene. Ich vermisste die Freiheiten die ich zuvor hatte. Ich war gefangen.

Langeweile. Ich kenne dieses Wort. Ich hab es studiert, während ich hoffte, dass etwas oder jemand aus der Decke fiel. Aber außer das endlose staubige weiß war da nichts. Es war schon komisch das gerade die Decke vollstaubte. Das Atmen wurde immer mehr zum Kraftakt. Wie ein so komischer Tankwart mein Leben nur so verändern konnte. Es war schon seltsam. Das alles war alleine schon viel zu Absurd. Für 1,70€ hätte mich ein wütender Tankwart fast zu Tode gewürgt. Nun war ich hier in einem Krankenhaus und würde wohlmöglich an den Folgen sterben. Nicht einmal eine Karte hatte dieser Fettsack geschickt. Das wäre doch das mindeste gewesen, nachdem er mir so viel Leiden angetan hatte. Ja, der Humor verlies mich nicht, aber ich wusste nicht ob es wirklich Humor oder eher Sarkasmus war. Doch ich tippte eher auf zweiteres.

Irgendwann schwand mir die Kraft so sehr, dass jede Bewegung unglaublich schmerzte. Es war schier unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen. Ich bekam schrecklichen Husten und spuckte Blut. Das erste mal war ich noch schockiert gewesen. Mir war sehr heiß gewesen und Jordan hat wie am Spieß geschrien weil ich nicht aufgehört habe Blut zu spucken und nach Atem zu ringen. Doch jetzt ruft sie immer nur „Sie tut es schon wieder“ und die Krankenschwestern eilten dann immer rein. Jordan konnte kein Blut mehr sehen nach ihrem grausamen Traum. Nun erleichterte dies mein Zustand keineswegs. Hals war rau und ich hatte Schmerzen in der Brust. Das Atmen wurde immer schwerer. Jeden Tag checkte der Doc meine Befunde und ging jedes mal geknickter.
>>Was ist los? Wann operieren sie endlich Doc?<<
Er sah bedauernd auf mich herab.
>>Es wird keine Operation geben! Ihr Vater hat gesagt er wäre nicht mehr ihr Vater, dann hatte er aufgelegt.<<
Dieses Schwein. Wollte mich also elendig krepieren lassen. Er widerte mich mehr und mehr an. Wie konnte der Mann der mir so was angetan hatte mir mein restliches Geld auch noch aus der Tasche ziehen?
>>Dann gebe ich ihnen die Nummer meiner Mutter!<<
Er nickte und verkniff sich die Frage die doch schon im Raum stand. War sie denn überhaupt noch meine Mutter?
>>Sie müssen mich nicht schonen! Das regt mich verdammt nochmal auf!<<
Er nickte wieder und ich war gewollt ihn den Rollstuhl ins Gesicht zu schmettern. Doch wir beide wussten, dass ich zu schwach war.
>>Du darfst dich nicht zu sehr aufregen, denn ansonsten kann es sein dass dein Körper rebelliert! Das hätte zur Folge dass du innerhalb eines Momentes zusammenbrechen würdest und uns dann 10 Minuten lassen würdest. Und 10 Minuten sind ziemlich knapp, denn wir haben keine einzige Minute mehr. Wir müssen dich wiederbeleben und den Eingriff tätigen, das geht aber nicht ohne Einverständnis ihrer Eltern, ihren derzeitigen Ehrziehungsberechtigten.<<
Was war das für eine mistige Lage in der ich war? Ich musste bei meinen verhassten Ehrziehungsberechtigten um Leben betteln. Meine Mütter würde so was sagen wie
„Ich habe dir schon das eine mal das Leben geschenkt, also spiel nicht so damit rum. Ein 3. Mal wird es nicht geben. Selbst schuld wenn man von zuhause abhaut! Nicht einmal einen Brief hast du hinterlassen. Obwohl wir dir alles ermöglicht haben. So was von undankbar bist du! Schäm dich!“
und was mein Vater dazu sagte wussten wir ja. Ich bin nicht mehr seine Tochter. Man war das ein tolles Gefühl das von ihm zu hören.

Jordan ging nun öfters raus und lies mich lange alleine. Ich vermisste die Gesellschaft und die Vertrautheit die sie bot. Ich war ja nicht allein, aber ohne sie fühlte ich mich so. Eine Krankenschwester saß immer auf einem Stuhl an der Tür und tat stundelang nichts, bis die nächste sie ablöste und Schichtwechsel war. Das Blut spucken war heftiger geworden. Ich spuckte immer öfters und dann immer heftiger und mehr Blut. Einmal war ich so erschöpft danach, dass ich Bewusstlos wurde. Als ich danach aufgewacht war, war das Bett frisch bezogen, ich an Atemgeräte angeschlossen und frisch angezogen. Das Bewegen hatte ich gänzlich abgestellt. Ich konnte nichts mehr machen. Das Sprechen fiel immer schwerer.
>>Besuch für sie, sind sie in der Lage Besuch zu empfangen? Der Doktor meinte ich solle sie fragen.<<
Ich versuchte zu nicken, doch ich bemerkte schnell, dass ein gequältes ja genügen musste. Ich starrte an die Decke. Auch wenn ich es nicht wollte, half es nicht. Ich musste die Gunst erwerben um das Überleben zu versichern. Der Besuch trat leise ein. Ich spürte diesen Blick auf mir. Ich hasste es von Menschen für die ich Dreck war in diesem Zustand gesehen zu werden. Der Jemand setzte sich auf mein Fußende und er war leicht, das spürte ich. Also musste es meine Mutter sein.
>>Hallo Elaine.<<
Ich schwieg. Wie ich ihre Stimme hasste.
>>Ich habe natürlich zugestimmt das man dich operiert hier! Doch ich wollte dich vorher noch gerne sehen. Mich hat es lange beschäftigt weshalb du gegangen bist, ohne ein Wort zu sagen!<<
Wieder schwieg ich. Ach es hatte sie also gewundert? Sie war doch nicht in der Lage gewesen mir Liebe und Trost nach Stacys Tod zu spenden. Ich wollte sie wäre nicht da.
>>Aber ich will dich nicht belügen, ich weiß weshalb du
Die Nase voll hattest!<<
In meinen Adern fing es an zu köcheln. Sie wusste gar nichts.
>>Du bist gegangen weil du nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen hast.<<
Ich lachte spöttisch.
>>Ach ja? Vielleicht war mir das auch nur zu recht! Ich hasse euch. Du weißt gar nichts, also hau ab!<<
Ich zischte es bedrohlich erregt und mein Innerstes durchzog ein entsetzlicher Schmerz. Ich spürte alle meine Muskelstränge, als ob man sie zu sehr ziehen würde und sie drohten zu zerreißen.
>> Ich weiß was er getan hast. Meinst du ich war ahnungslos? Ich habe das Gästezimmer geschmückt, habe nach deinem ersten mal das ganze Haus aufgeräumt und ich habe die Drogen die du feiges Ding geschluckt hast aus dir raus geholt. Den Finger hab ich dir in den Hals gesteckt und du hast alles ausgekotzt. Beinahe wärst auch du gestorben da Jacob nicht daran gedacht hatte deine beschissenen Arme zu verbinden. Hast gar nichts mehr mit bekommen. Denkst du ich bin so blind?<<
Nun lachte sie erregt und höchst abstoßend.
>>Und ich schwöre dir, ich würde es jeder Zeit wieder tun!<<
Dann stand sie auf und verließ den Raum. Sie lies wieder Kälte und schwärze zurück. Ich fing wie wild an nach Atem zu ringen. Wieder kam Blut aus meiner Luftröhre und ich krümmte mich vor Schmerz. Doch die Krankenschwestern waren für meinen Besuch raus gegangen und ich krümmte mich hilflos und keuchte weiter. Das ganze Blut tränkte erneut die Bettdecke. Als ob ich kleine Punkte mit Pinseln auf die weiße Decke schleuderte. Doch die Flecken waren nicht mehr klein und irgendwann schien ein Teil der Bettdecke vollkommen rot zu sein. Panisch versuchte ich aufzuhören, aber ich konnte nichts machen. Ich konnte nicht schreien. Ich war nicht mehr in der Lage irgendetwas zu tun. Wieso unterschrieb das Miststück denn auch den Eingriff? Es wäre doch alles schöner wenn ich nicht mehr da wäre. Wenn es alles zu Ende gehen würde. Der ganze Mist. Ich war selbst schwarz wie die Nacht in meinem verkohlten Innern. Das ganze Leben war gewichen. Ich hatte Böses getan und anderen Leid angetan. Das was meine Eltern taten war die Gerechte Strafe. Ich war es nicht wert zu leben. Plötzlich erinnerte ich mich an so ein kleines Mädchen.
Wir hatten ihr nicht aufgelauert und doch hatte sie panische Angst. Ihr angstvoller Blick verriet alles als wir sie sahen. Sie schaute sich um, aber ihr war klar, dass wir alle viel schneller waren. Sie schluckte schwer und ging zitternd an uns vorbei. Ob sie gehofft hatte wir würden sie übersehen? Dass sie nicht abhaute regte mich auf. Dass sie uns für so blind hielt. Ich bedeutete den anderen, dass sie jetzt dran war, mit einem einfachen Blick. Sie nickten alle und wir nahmen sie ins Visier. Sie schaute nervös von dem einen zu dem anderen. Und dann wusste sie es. Kreidebleich ist sie geworden. Ihre kurzen Beine zitterten wie verrückt. Und ein nasser Fleck bildete sich zwischen ihren Beinen. Ich lachte. Ich nahm meine Zigarette aus meinem Mund und ging auf sie zu. Panisch fing sie an zu weinen und ich brauchte nur Buh zu sagen und sie kippte vor Angst um. Ich schaute auf sie herab. Wie sie da zitternd auf dem Boden lag und sich angstvoll an den Dreck klammerte
>>Sie ist es nicht wert!<<
Sagte ich und warf meine Zigarette neben ihren Kopf. Sie zuckte zusammen.
>>Hörst du, bedank dich bei ihr!<<
Brüllte Evan. Sie brachte kaum ein Wort raus.
>>Geht das nicht lauter?<<
>>Ach lass doch!<<
Hielt ich ihn zurück. Und dann sind wir lachend abgezogen. Ließen sie weinend am Boden zurück. Haben uns drüber lustig gemacht. Und ich wusste wie widerlich ich war. Ich wusste dass ich nicht besser als die anderen war, denn es war nicht lange her gewesen, da lag ich in dem Dreck mit vollgepisster Hose und wie Espenlaub am zittern. Wir waren alle so widerlich. Ich hasste mich dafür. Zwar hatte ich noch an mich gehalten, weil ich gerne in ihr Gesicht eingetreten hätte um zu sehen wie das Blut in alle möglichen Richtungen spritzte, wie bei mir damals. Doch ich war nicht besser. Ich bekam keine Luft mehr, war nicht mehr am keuchen, sondern am verzweifelten ringen um Atem. Keiner sah es, keiner hörte es. Keiner sah mich, keiner hörte mich. Ich bekam endlich meine Gerechte Strafe. Endlich war es vorbei. Ich viel kraftlos zurück in mein Kissen und ein lächeln machte sich zart auf meinem Gesicht breit. Die schwärze zog mich lieblich zu sich hinab und mein Körper wurde schwer. Mir war nicht warm, mir war nicht kalt. Es war vorbei. Der entsetzliche Druck wich in meinem Kopf. Kein dröhnen. Es war vorbei. Ich war vorbei. Es hörte auf. Es war vorbei.

Weiß. Große Enttäuschung. Nichts. Nirgendwo. Alles still. Grell. Blendend. Verschwommen. Herabziehend. Gefühl von Leichtigkeit. Wie ein Rausch. Es ist vorbei…. Ich bin vorbei…

10 Minuten hatte er gesagt, und er hatte sich daran gehalten. Nun war es vollbracht, sie hatten mir eine neue Lunge geben müssen, da meine von der ganzen Aufregung großen Schaden genommen hatte. Ich schwor mir sie wollte mich umbringen. Ich kam erst mal nicht zurück zu Jordan. Der Doc wollte warten bis mein Körper die neue Lunge angenommen hatte. Ich hatte sehr großes Glück gehabt. Derjenige der die Lunge vor mir gebraucht hätte war kurzzeitig verstorben, also blieb ich mit ihr am Leben, denn ich war die nächste in der Warteschleife. In den Tagen allein stellte ich fest, dass es einen Gott geben muss. Einen der über dich wacht und auf dich aufpasst. Der dich fängt und dich nie allein lässt. Der dich sieht. Denn das größte Glück auf Erden ist es geliebt zu werden. Und er liebt dich selbst nach der ganzen Scheiße die du baust. Er übersieht dich nicht in der Menschenmasse. Er gibt dir seine große Hand und zieht dich aus deinem Leid. Er hilft dir und ist immer da. Auch wenn du ihn gar nicht brauchst, brauchst du ihn. Und wenn die Zeit gekommen ist, nimmt er dich zu sich. Ich durfte keinen Besuch empfangen, dass hatte der Doc verboten, doch es ging mir nur wenig besser. Ich fühlte mich einsam. In den Momenten war ich dann Gott nahe. Ich merkte wie wichtig es ist zu lieben, um geliebt zu werden. Wie schön es ist da zu sein. Dass nichts für ewig währt und man bereit sein muss zu verzeihen. Das hieß nicht dass ich meinen Eltern verzog, aber ich merkte dass ich meinen Frieden damit finden musste. Ich musste was ich begonnen hatte zu Ende führen. Ich musste John erzählen was mir wiederfahren war. Das was Gott nun wusste. Denn nun war ich endlich bereit seine Hand zu ergreifen. Zu verstehen und zu vergessen. Wenn man etwas totschweigt ist man bald selbst tot. Man darf es nicht verdrängen. Auch wenn man es nicht verstehen kann. Das Schweigen ist der Weg zur Geißelung. Und auch wenn man sich den Rücken blutig peitscht, vergisst man nie. Man muss lernen die Dinge hinzunehmen und zu verstehen. Ich habe verstanden, dass es schön ist da zu sein und dass ich gesehen werde. Auch wenn man sich noch so klein vorkommt. Denn Gott und seine Liebe ist überall. Und es ist nicht feige traurig und zerbrochen zu sein, man muss nur wieder aufstehen. Liegen bleiben war feige. Liegen bleiben war erbärmlich. Und ich war stark. Ich würde aufstehen. Das wusste ich.

Irgendwann begann ich das Beten. Und es fühlte sich gut an, es fühlte sich richtig an. Es ging mir immer besser und ich musste nicht mein Dasein verachten. Ich konnte es genießen. So wie ich es genoss. Man ist da und keiner ist einem böse. Man ist da und es ist nicht falsch da zu sein. Es fühlt sich endlich weniger schlecht an.

>>Na, wie geht es dir heut?<<
Ich strahlte ihn freundlich an, was ihn ganz verwunderte. Normalerweise war er dafür zuständig.
>>Gut Doc, sehr gut sogar!<<
Er nickte zufrieden und machte sich frisch an sein Werk. Er überprüfte meine Atmung und meinen Puls.
>>Was hat dich denn bloß so aufgeregt? Ich meine, es war ein Wunder, dass wir dich überhaupt rechtzeitig gefunden haben. Deine Lunge war vollkommen ruiniert, also musst du sehr erbost über etwas gewesen sein.<<
Ich nickte.
>>Ich sagte ihnen doch mal, dass jeder sein Dreck im Keller hat, und meiner saß mit mehr Dreck in den Händen an meiner Bettkante.<<
Er konnte wie wohl jetzt auch nicht anders zu vermuten war nur nicken. Er belies es dabei. Ich war ihn dafür dankbar. Denn ich wusste, sie wollten mich alle nicht schonen, aber einiges steht auch schon ohne ein Wort darüber gesagt zu haben im Raum.

Es ging mir immer und immer besser. Irgendwann waren die Fütterungszeiten vorbei und die Krankenschwestern fuhren mich in einem anderen Rollstuhl zu dem Essensaal. Sie packten mir die Sachen die ich verlangte auf den Teller und schoben die Stühle beiseite. Ich hatte gelernt für die Hilfe dankbar zu sein. Ich hatte eingesehen dass keiner mich hier gefangen halten wollte. Dies war nur ein Krankenhaus wie jedes andere. Nur dass es in Magdeburg war und ich aus Flensburg kam. Ich erinnerte mich an ein Gedicht von Mascha Kaléko dass er um 1940 geschrieben hatte. Ich erinnerte den Namen „Sehnsucht nach dem Anderswo.“

Drinnen duften die Äpfel im Spind,
Prasselt der Kessel im Feuer.
Doch draußen pfeift Vagabundenwind
Und singt das Abenteuer!

Der Sehnsucht nach dem Anderswo
Kannst du wohl nie entrinnen
Nach drinnen, wenn du draußen bist,
Nach draußen, bist du drinnen.

Und ich sah dass es stimmte. Ehe man Ankommt ist man tot. Also sollte man die Such genießen. Ich mochte sein Gedicht. Irgendwie beruhigte es mich. Es war normal sich fort zu sehnen. Es war keine Schande. Auch wenn ich mich hier nicht wegsehnte war ich nicht angekommen. Das hieß dass ich nach der Zeit im Krankenhaus weg musste, um diesen Ort zu finden. Auch wenn es ihn nicht gab. Ich würde John und Jordan mitnehmen.

Einsam zu sein ist schon ein komisches Gefühl. Auch wenn Gott dir beisteht. Du fragst dich warum keiner da ist. Ob es eine Strafe ist. Denn auch wenn es nicht so schlimm scheint kann Einsamkeit der Psyche sehr doll Schaden. Man denkt anders, man erlebt vieles anders. Man wird geformt durch sie. Gewohnheiten sind unser Schicksal! Das waren die Worte eines Philosophen namens William James, oder wenigstens so ähnlich. Und ich musste sagen, das stimmte. Einige Gewohnheiten eigneten wir uns an über die Zeit. Und später waren wir ihre Opfer. Wir waren bloß das Opfer unserer Selbst. Nicht einmal man selbst wusste warum man manches tat. Gewohnheiten konnten etwas ganz simples wie aufstehen, zu Bett gehen oder immer das Licht im Flur anlassen sein. Und manchmal waren Gewohnheiten ein Fieber das im Kopf sein Unwesen trieb und einem immer den Weg zur Wahrheit versperrt. Manchmal beeinflussen Gewohnheiten unser denken. Mehr als wir denken sind sie von Bedeutung. Ich bin davon überzeugt dass jede Gewohnheit etwas über einen aussagt. Auch wenn es noch so klein scheint. Es sind Eigenschaften und Charaktereigenschaften die uns nun mal auch auszeichnen. Und jeder dieser Eigenschaften ist von großer Bedeutung. Wenn man einen Menschen wirklich liebt ist man auch bereit jede Eigenschaft, auch wenn sie nicht immer so angenehm ist, zu lieben. Aber jeder dieser Gewohnheiten entwickeln irgendwann ein Eigenleben. So wie man selbst und die Gedanken die immer eigensinnig abschweifen und uns zum nach und umdenken veranlassen. Und ich denke dass man aus jeder Gewohnheit etwas lernen kann. Auch wenn sie noch so simpel scheint. Man muss nur den Hintergrund erforschen und sich im Verstehen lernen. Und dieses Verstehen ist Gott. Er ist dein Schatten der dich immer und überallhin verfolgt. Er wacht über dir und auch wenn es schwarz um dich wird ist er da. Du kannst ihn vielleicht nicht immer sehen, aber er wird dich nie verlassen. Doch im jeden Schatten ist ein schwarzes Etwas. Dieses schwarze ist unser Zweifel. Sei es auch nur der Selbstzweifel. Doch der Zweifel lässt sich im Verstehen belehren und dann bleibt das Wissen übrig. Das Wissen dass es Gott gibt und dass er immer da ist. Dass er uns nicht allein lässt und uns selbst in den Sturm folgt. Und das beruhigt mich wenn ich mich einsam fühle. Denn das schwarze etwas in meinem Schatten scheint zu weichen und die Erkenntnis kommt. Ich erwache aus dem tiefen Schlaf und beginne zu sehen. Jeder muss das für sich selbst erfahren.

>>Kann ich bald wieder zu Jordan in das Zimmer?<<
Er schaute mich bedauernd an.
>>Das wird nicht gehen.<<
>>Warum?<<
Er schaute zu Boden.
>>Was ist denn los?<<
Ich war besorgt. Ich hatte ihn als stets freudigen Mann kennen und mögen gelernt. Sein Schweigen beunruhigte mich immer mehr. Ich wollte dass er mir sagte was los war. Naja, eigentlich wollte ich nur eines: wissen was mit Jordan los war. Ich hatte sie so lange nicht gesehen und bald würde doch die Zeit kommen, da würden wir wieder zusammen sein. Ich wollte ihr doch noch beibringen wie sie stark sein konnte. Ich wollte mein Versprechen ihr gegenüber halten. Sie war so ein armes Ding. Ganz alleine musste es doch unerträglich für sie sein. Sicherlich wünschte sie sich auch schon sehnlichst meine Wiederkehr.
>>Ich weiß nicht wie ich dir das sagen soll Elaine.<<
Gab er nur kläglich leise zu Antwort.
>>Was sagen?<<
In mir läuteten alle möglichen Alarmglocken. Er schaute nur zu Boden und schwieg wieder. Und ich wusste es. Manchmal muss man gar nichts sagen. Manchmal ist ein Schweigen schon Antwort genug.
>>Sagen sie dass das nicht stimmt.<<
>>Es ist leider so! Sie war nachdem sie dich so fand, sehr durch den Wind. Hat geweint und geschrien ohne Ende. Meinte was von „Er ist daran schuld!“<<
In meinen Augen füllten sich die Tränen. Es war also wahr. Jordan… Aber das konnte doch nicht sein.. Sie konnte doch nicht… Nicht jetzt… Jordan war doch erst 14…. Ich konnte kaum an mich halten.
>>Was ist geschehen?<<
Meine Stimme war heftig am zittern.
>>Elaine, du solltest dich lieber beruhigen, deine neue Lunge…<<
>>Sagen sie es mir!<<
Schrie ich. Ich war mehr als er überrascht. Meine Stimme hallte schrill in meinen Ohren.
>>Elaine! Du darfst dich nicht…<<
>>Sagen sie es mir!<<
Diesmal war sie schon ruhiger, doch immer noch wie verrückt am zittern und wanken.
>>Sei still, beruhig dich Elaine…<<
>>Sagen sie es mir verdammt nochmal!<<
Ich schrie ihn verzweifelt an. Diesmal schrie ich, denn ich verlor Kontrolle und Verstand.
>>Alles zu seiner Zeit!<<
Ich schrie und schrie so laut es nur ging. Keiner konnte mich beruhigen. Nicht einmal die Spritze die sie mir gaben. Jordan war meine Vertraute gewesen. Sie konnte doch nicht… Das war nicht möglich.. Das war ein schlimmer Traum. Gott? Er verkroch sich in meinem Schatten. Dieser Jammerlappen verkroch sich in meinem Schatten und stand nicht zu dem Mist den er getan hatte. Das war unrecht. Sie hatte niemanden etwas getan. Sie war ein Opfer dieser Welt gewesen. Ich konnte es einfach nicht verstehen.

Um mich zu schonen bekam ich ein anderes Zimmer. Als die Spritze die am Ende doch geholfen hatte nachlies erkundete ich die Gänge. Ohne Bescheid zu sagen. Ich stand vor der Tür und wartete eine gute Ewigkeit. Erst nach zwei Stunden wurde sie aufgeschlossen. Ich saß in diesem neuen Rollstuhl und kam mit der Lenkung nicht klar. Doch ich wollte eh nur raus. Ich wollte endlich wieder die frische Luft auf meiner Haut spüren. Ich wollte auf John warten. Warten dass ich mich in seine Arme werfen konnte. Ihm von der Ungerechtigkeit erzählen konnte. Sie war gegangen. Sie wollte zwar nicht gehen aber sie musste es. Ich wollte nicht dass John auch gehen müsste. Meine Gedanken waren wirr. Auch wenn ich wusste dass es für sie die Erlösung war, wollte ich es nicht wahr haben. Gott hatte sie erlöst davon, wovon ich sie nicht erlösen konnte. Sie hatte es nicht geschafft. Aber mein Herz war schwer wie Blei und es war so als ob Quecksilber in mir sein giftiges Unwesen tat. Die Tränen liefen ohne mich zu fragen und wenn sie nicht liefen juckte meine Nase um sie anzukündigen. Ich war ein einziges Frack. Ich weiß nicht für wie lange die Spritze gewirkt hatte aber ich definierte meine Zeit nur noch mit dem Wort ewig. Manche Dinge lassen alles um dich unwirklich wirken und sie brechen deine Gewohnheiten. Um nicht vollkommen den Verstand zu verlieren versuchst du dann dich an andere Gewohnheiten zu klammern. In meinem Fall war es die kleine Reise zu dem Brunnen. Ich rollte aus der Tür. Die Luft liebkoste meine Haut wie ein Segen. Sie war kalt und lies mich erschauern. Langsam schien dem Sommer der Herbst zu weichen. Ich war schon sehr lange hier gewesen. Zu lange. Ich rollte an den Brunnen, brachte aber nicht die Kraft auf mich hoch zu hieven. Ich war erbärmlich und erniedrigend schwach. Ich gab lächerlich schnell auf. Ich weiß nicht wie lange ich da nur saß und wartete. Aber rein gar nichts geschah. Und mit gar nichts meine ich auch gar nichts. Ich saß da und die Welt stand Ewigkeiten lang still. Nichts geschah. Nicht einmal ein Blatt fiel von den Bäumen. Das Wasser des Brunnens war tonlos und bewegte sich nicht. Niemand war da und brach diese Stille. Und ich genoss es nicht denken zu müssen. Nicht den Ergüssen meines Kopfes folgen zu müssen. Keine Luft brauste um meinen Kopf. Und auch wenn sich das verrückt anhört, tobte in dieser Stille der Sturm. Der erlösende Sturm der mir die Luft nahm und gab in seiner Ektase. Gierig sog ich die kalte Luft in mich ein und fühlte sie wie Eisennägel in meiner neuen Lunge. Sie schmeckte so und sie war eisern und stählern steif. So wie ich. Sie war frisch und die Luft rann erlösend meiner Luftröhre hinab. Ich ertrank in diesem stillen Sturm. Das Laub raschelte obwohl es regungslos war. Die Zeit lief obwohl sie zum Stehen gekommen war. Minuten verstrichen nicht obwohl Stunden umgingen. Dieser Moment war berauschend. Er war einzigartig. Ich war ein Blatt in den Laubhaufen, auch wenn er noch klein war. Ich war einer der vielen Grashalme die irgendwann in dem Blättermeer ihren Tod fanden. Ich war ein Hauch von nichts und doch war ich. Die Luft war nicht mehr da und trotzdem schüttelte mich die Kälte ihrer Züge. Ich war einfach nur noch auf der Welt die still und regungslos da stand und doch an mir vorbei rann. Jetzt schien alles endlos zu sein. Jetztstanden alle Türen offen. Entweder ich wachte auf oder die Schwärze breitete sich aus in meinem Schatten. Es waren überall diese zwei Wege. Ob ich das Leben und seine Schönheit erfahren wollte oder liebe weiterhin der Stille verfiel wie schon immer. Ob ich mich weiter selbst belog, oder endlich verstand. Verstand dass da mehr war als ich. Verstand dass das Leben gut war. Verstand dass ich etwas auf der Welt erreichen konnte, anderen helfen konnte. Ich war ja so doof. So naiv und unfassbar blind. Doch manchmal muss man viel Dreck fressen und sich dann von dem kalten Wind rein waschen lassen. Begreifen ist etwas Schönes. Es ist nicht so dass man das schlechte Gewissen hat und sich für alles schämt. Es ist ein Weg aus allem mehr zu machen. Anderen die Chance zu geben dies erfahren zu können. Wenn ich raus war wollte ich die Schule weiter machen. Ich würde Pädagogik studieren und dann könnte ich anderen Kindern helfen. Anderen die sehen wollten, jedoch erblindet waren an dem Schmutz und die Abgase der Welt. Magdeburg war nicht schlecht. Magdeburg war der Sammelplatz für die verloren Seelen. Er sammelte sie bis sie sich wieder fanden. Und Nachdem ich mich finden würde wäre meine Zeit hier vorbei und ich müsste weiter. Voran kommen. Voran.

John war nicht gekommen. Auch als es aufhörte zu regen. Ich hatte gar nicht bemerkt wie es in Strömen geschüttet hatte. Es fühlte sich gut und berauschend an. Doch drinnen wartete schon ein vorwurfsvoll dreinblickender Doc.
>>Was denkst du dir dabei dein Leben so aufs Spiel zu setzten?! Du hast schon das Glück weiter Leben zu können und kaum geht es dir besser, schon setzt du dich der nächsten Gefahr aus!<<
Ich war mir keiner Gefahr bewusst gewesen. Fragend und überrascht sah ich ihn an.
>>Was ist daran schlimm dass ich frische Luft brauchte?<<
Er schlug sich mit der Hand gegen den Kopf.
>>Elaine du bist so unbelehrbar! Deine Lunge ist zwar schon stabil, jedoch darfst du nichts riskieren. Warte das nächste mal bitte auf meine Erlaubnis! Wenn du dich jetzt erkältest oder eine Lungenentzündung bekommst, schwebst du erneut in Lebensgefahr. So langsam denke ich du bist gerne hier.<<
Nun war er weniger ernst und vorwurfsvoll. Er hatte recht. Ich war ja so blöd. Ich schämte mich und hatte ein richtig schlechtes Gewissen.
>>Das wollte ich echt nicht!<<
Beteuerte ich und schaute ihn schuldbewusst an. Meine Wangen wurden rot vor Scharm.
>>Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, es ist nicht meine Gesundheit mit der du spielst.<<
Dann wuschelte er mir über den Kopf und ich fühlte mich besser. Ich konnte ihn echt gerne leiden.
>>Was wirst du tun wenn wir dich entlassen?<<
Ich schaute ihn an.
>>Ich meine, wir beide wissen dass du nicht zu deinen Eltern zurückkehren wirst, denn die bloße Flucht aus Flensburg nach Magdeburg erfordert schon so seine Gründe.<<
Ich nickte. Er verstand mich neben John immer noch am besten. Die Krankenschwestern wechselten immer, auch wenn ich nie die pummelige mehr sah. Sie hatte wohl beschlossen mich zu meiden und ich verübelte ihr es nach unserem Zusammentreffen auch nicht.
>>Ich werde weiter reisen. Vielleicht sogar mit einem Freund. Ich möchte gerne die Schule weiter machen und danach Pädagogik studieren. Wir beide wissen dass man auch aus Dreck was machen kann!<<
Er sah mich an.
>>Ja, das wissen wir! Aber wie willst du voran kommen ohne Geld?<<
Ich zuckte die Schultern.
>>Ich muss wohl erst mal einen kleinen Nebenjob einplanen. Ich weiß dass das nicht einfach wird. Erst recht weil ich ja die Schule abgebrochen habe, aber ich krieg das schon hin!<<
>>Und wo wirst du wohnen?<<
Schon wieder hatte er sich mehr Gedanken als ich mir gemacht. Er war ein Realist. Er durchplante alles und wog alles ab bevor er es in die Wege leitete. Gerade deswegen konnte ich ihn so gut leiden.
>>Ich habe mal so was von Sozialwohngemeinschaften gehört! Wenn ich da unterkomme muss ich mir um Miete und Strom erst mal weniger die Sorgen machen. Und wenn ich Geld verdiene kann ich dann meinen Teil beisteuern.<<
Wieder einmal nickte er wie so oft.
>>Und du denkst es wird so einfach sein?<<
>>Ich hoffe es!<<
Noch immer sahen wir uns an. Sein Blick wirkte so warm und herzlich. Er hatte etwas väterliches an sich. Nicht dass ich ihn mit meinem eigenen verglich. Auf einmal nahm er sein Klemmbrett und er schrieb mit seinem Rotes Kreuz Kugelschreiber etwas darauf. Er riss die beschriebene Ecke ab und reichte sie mir.
>>Das ist meine Nummer. Falls du Hilfe brauchst kannst du einfach anrufen. Ich versichere dir, auch wenn du nach Polen, Baden- Württemberg oder wo auch immer reist, ich werde kommen wenn du mich brauchst. Verlier sie nicht und ruf wenn du die Gelegenheit mal hast an. Ich habe immer ein offenes Ohr für dich und wenn du keine Bleibe findest kannst du auch bei mir unterkommen.<<
In meinen Augen bildeten sich schon wieder Tränen.
>>Doc?<<
>>Ja?<<
>>Ich hab sie lieb!<<
Er lachte. Und nun lies die Rührung mir keine andere Wahl und meine Augen ließen die Tränen ab. Er nahm mich in seine erwachsenen großen Arme und es fühlte sich so gut an.
>>Ich dich auch Elaine, ich dich auch!<<

Ich hatte Glück. Mein kleiner Ausflug ins kalte Nass trug keine Erkältung oder ähnliches mit sich. Ich machte Fortschritte. Es war schön. Schon bald bekam ich die Kraft die fiesen Stühle im Essenssaal beiseite zu schieben. Endlich gelang es mir die Teller mal ohne Hilfe ganz zu lassen. Es war erfreulich und ich gewann immer mehr die Kontrolle über meinen Körper. Der Doc fing das laufen üben mit mir an. Es war recht schwierig, aber ich gab mir die größte Mühe und kam auch Stückchen für Stückchen voran. Vorankommen ist toll. Irgendwann war meine Lunge so stark, dass ich auch raus durfte, aber wo ich auch im Hinterhof nach ihm suchte, ich erblickte ihn nicht. Das war das einzige dass meine Laune manchmal trübte. Ich vermisste John und der Herbst war unglaublich nass hier in Magdeburg. Also war ich die meiste Zeit im Gemeinschaftsraum und sprach mit anderen Patienten. Ich lies mich jedoch auf keinen mehr ein. Die Trauer um Jordan war noch zu groß. Auch wenn ich John lange nicht sah, wusste ich, er würde mich nicht verlassen, denn er hatte es versprochen. Ich würde auf ihn warten. Wahrscheinlich hatte er selbst grade Stress in seiner Sozialwohngemeinschaft. Er war 17 und wollte auch bald weg von hier. Bestimmt würde er arbeiten ohne Ende um bald raus zu können. Oder war er schon gegangen? Hatte er nicht mehr auf mich warten können?! Fragen über Fragen aber nirgendwo John. Ich wusste nicht einmal seinen Nachnamen.

Es war komisch aber ich sah plötzlich diesen komischen Tankwart im Gemeinschaftsraum. Zuerst war ich erschrocken und etwas erbost. Er war schuld an alle dem. Doch dann war ich ihm plötzlich auch schrecklich dankbar. Ohne ihn wäre ich nie so zur Erkenntnis gekommen. Erst mal beobachtete ich ihn nur. Weshalb er das wohl getan hatte? Es musste doch einen Grund geben weshalb er mich beinahe umgebracht hatte.
>>Was ist ihr Geschichte?<<
Ich rollte mich genau neben ihn. Er schaute nicht einmal auf.
>>Wieso willst du das wissen?<<
Er schaute auf den Gips an seinem Bein. Der Gips war schon etwas dreckig und nicht mehr so strahlend weiß.
>>Weil ich mich frage was in ihnen vorgegangen ist, als sie mich gewürgt haben bis zu geht nicht mehr!<<
Nun schaute er auf. Seine Miene verhärtete sich.
>>Siehst du nicht dass es mir dreckig genug geht? Du brauchst mir jetzt nicht auch ein schlechtes Gewissen zu machen. Das hab ich mir schon selbst gemacht!<<
>>Deshalb bin ich doch gar nicht hier. Ich will wissen was dich so erzürnt hat. Weshalb dich so eine Wut gequält hat. Jeder Mensch hat eine Geschichte und es tut gut darüber zu sprechen, auch wenn die Stille erst angenehmer erscheint. Doch das Schweigen wird dich geißeln und nie wird einer um dich wissen.<<
Er schaute mich an. In seinen Augen bildeten sich salzige Tropfen.
>>Jetzt wo sie tot ist, muss keiner mehr um mich wissen!<<
Ich schüttelte den Kopf.
>>Das ist doch Unsinn. Jeder Mensch auf dieser Welt trägt dazu bei, dass der Schmutz bereinigt wird. Sei nicht so blind und schmeiß das weg!<<
>>Aber du bist doch bestimmt ganz sauer auf mich. Ich meine, dass du jetzt hier bist ist doch meine Schuld!<<
Ich lachte was ihn sehr verwundert.
>>Du brauchst mich jetzt nicht zu verhöhnen!<<
Verärgert schaute er weg.
>>In mir ist keinerlei Zorn. Zu Anfang war ich sehr wütend, doch die Zeit hier hat mir gut getan und die Augen geöffnet.<<
Er wandte sich wieder mir zu.
>>Ist das dein ernst? Wünscht du mich nicht zur Hölle?<<
Ich schüttelte den Kopf und lächelte ihn an.
>>Sehe ich wütend aus?<<
Klar war das eine rhetorische Frage. Er lächelte scheu zurück. Er schien dem Braten immer noch nicht ganz zu trauen.
>>Also weswegen waren sie so böse auf mich? Was hat sie so aufgeregt?<<
Er schüttelte den Kopf.
>>Das musst du nicht wissen. Was interessiert es dich eigentlich?<<
>> Ich möchte verstehen und vor allem möchte ich ihnen helfen. Für mich ist es wichtig ihnen zu helfen und sie von dem Leid zu befreien.<<
Er musterte mich misstrauisch.
>>Und wieso sollte ich leiden? Ich habe dich doch fast umgebracht! Das sieht doch nicht danach aus, als würde ich leiden!<<
Ich lächelte immer noch unbeeindruckt. So dermaßen verschlossen war ich auch mal gewesen.
>>In dir kocht und dampft es. Du bist sehr aufgebracht, aber ich kann sehen dass neben all dem immer noch der Schmerz am meisten wiegt.<<
>>Spielen wir also Hobbypsychologe? Ich sag dir, dass dich der ganze Mist nichts anzugehen hat! Auch wenn ich dir beinahe die Lampen ausgemacht hätte.<<
>>Sie haben lediglich das Licht dass aus war mit kalten Wasser übergossen, und damit auch wenn es komisch klingt den Funken entfacht.<<
Wieder musterte er mich. Er sah auf mich genervt herab. Ich verstand seine abweisende Art. Manchmal tat die Wahrheit weh und man wollte sich in das schwarze etwas in dem Schatten zwängen. Doch die Gewohnheit würde nicht immer siegen.
>>Hör auf mir dem Quatsch, ich will nicht mit dir sprechen!<<
Er schaute beleidigt und angesäuert weg.
>>Dann tue ich es doch einfach nicht. Aber mich kannst du nicht still stellen. Gegen Leid werde ich nicht tatenlos da sein.<<
>>Quäl mich nicht noch mehr. Es reicht schon dass du ihr ähnlich siehst!<<
Es hatte wohl mit einem geliebten Menschen zu tun dem Leid wiederfahren war.
>>Sie hat sehr viel durchgemacht, oder?<<
>>Sei still, sei endlich still!<<
Er war gereizt und wurde bedrohlich laut.
>>Und du hast sie geliebt!<<
>>Du weißt gar nichts!<<
Schrie er und sprang auf, Durch die Schmerzen dass er auf sein Gipsbein sprang sank er schnell wieder auf den Stuhl zurück. Seine Krücken schepperten zu Boden.
>>Kannst du nicht einfach aufhören!<<
Wimmert er hilflos. Alle Augen waren auf uns gerichtet, aber dies war eine kleine Nebensache. Hier war mehr als ein paar lächerliche Blicke.
>>Wenn man nicht darüber spricht wird einen der Schmerz umbringen. Schweigen ist schlecht und nützt keinem! Nicht einmal dir!<<
>>Hab doch Erbarmen! Ich habe schon alles verloren. Drum möchte ich mich jetzt nicht verlieren!<<
>>Du kannst nicht verlieren, nur gewinnen!<<
Ich nahm seine zitternde Hand und er zuckte erst zusammen, lies es aber zu. Ich wollte ihm Wärme spenden. Ihm sagen dass ich da war. Dass er nicht allein sein musste. Und das sagte ich ihm mit dieser Berührung. Und er spürte es auch tief in seinem Herzen. Er drückte meine Hand fester.
>>Sie war doch erst 18. Ich kann es nicht begreifen. Keinem hat sie je etwas getan. Diese Rasselbande hat sie einfach skrupellos zusammengeschlagen. Nur weil sie sich an die Regeln hielt. Nur weil diese Typen saufen wollten und sie nichts anschrieb. Sie haben ihr die Flasche über den Kopf gezogen und auf sie eingetreten. Ich konnte sie noch verscheuchen, aber als ich da war… Es war so grausam. Sie hatten ihr Gesicht vollkommen eingetreten. Es war ganz und gar unkenntlich und sie hat nicht mal mehr geschrien. Es war so widerlich. Nirgends war mehr etwas übrig von meiner Tochter. Ich habe geschrien. Es war so schrecklich. Sie war schon tot. Ich war zu spät gekommen. Und diese Saufbolde haben nicht einmal lebenslänglich bekommen. Nach 2 Jahren dürfen diese Wichte wieder raus und alles ist vergessen. Alles was sie getan haben! Ihnen tat es nicht einmal leid. Sie haben sich über sie lustig gemacht und sie beschimpft! Ihre Visagen. Ich kann es einfach nicht vergessen. Und das schlimme ist, dass ich meiner Tochter versprochen hatte immer da zu sein. Aber ich war ein scheiß Dreck da. Ich kam zu spät! Ich konnte ihr nicht einmal helfen. Sie war so ein liebes Mädchen. Niemanden tat sie unrecht…<<
Sein Blick war leer und er drückte meine Hand fest, er brauchte meine Wärme. Und gab sie ihm.
>>Ich bin ja da! Ich bin ja da!<<
Er schwieg eine gute Ewigkeit.
>>Es tut mir ja so leid! Ich wollte dir doch nicht weh tun, aber du sahst ihr einfach so verdammt ähnlich… und du wolltest was anschreiben lassen und all die Bilder sind wieder gekommen… Und dann ist alles vorbei gewesen und mein Kopf ging aus! Ich wollte das ganz bestimmt nicht! Das wollte ich echt nicht!<<
Ich strich ihm mit meiner Hand über den Rücken und brach diesen Mann damit. Für ihn gab es keine anderen mehr. Er weinte unbeschwert los und vergrub sein Gesicht an meiner Schulter. Ich lies ihn und hörte nicht auf ihn zu streicheln. Manchmal braucht man einfach jemand anderen, wenn die Schultern von der Last schon zu schwer sind. Und es tut genauso gut für jemand anders da zu sein. John lehrte mich wie schön es ist eine Last zu teilen! Gott, nimm von ihm den Schmerz. Nimm das Leid in diesen schwarzen Tagen von ihm. So wie du es mir nahmst! Und ich war einfach nur noch da. Und es tat ihm gut.

>>Es geht dir besser Elaine. Deine Befunde sind echt mehr als nur gut und das Laufen fällt dir auch nicht mehr schwer. Ich sagte alles zu seiner Zeit. Möchtest du jetzt wissen was mit Jordan geschah?<<
Er sah mich stolz an. Er wusste, dass ich nicht mehr lange bleiben musste. Er wusste dass ich schon gut mit den Krücken klar kam. Er wusste dass unsere Zeit bald um war.
>>Nein. Einiges ist nicht von Bedeutung. Was zählt ist, dass sie erlöst ist. Auf ihrem armen Herz lastete zu viel, um dass sie es noch weiter tragen konnte. Und ich bin mir ganz sicher dass sie jetzt an einem besseren Ort ist. Ich werde sie in meinem Herz bewahren, so wie ich sie kennen lernte. Ich will es nicht mehr wissen!<<
Er nickte. Wie immer. Wie ich es mochte.
>>Du hast dich echt zum positiven geändert Elaine. Ich möchte dir gerne sagen, dass ich sehr stolz auf dich bin und dass ich dich sehr in mein Herz geschlossen habe! Du wirst mir sehr fehlen!<<
Ich war gerührt. Mal wieder. Dieser warme Mann. Er war so was wie mein Vater. Es tat weh ihn verlassen zu müssen. Aber ich musste es tun.
>>Sie werden mir auch sehr fehlen Doc! Ich weiß gar nicht wie ich ihnen danken kann.<<
Er lachte.
>>Vielleicht indem du das nächste mal mehr nachdenkst bevor du handelst!<<
Ich nickte und wir beide strahlten uns an. Wir strahlten die Liebe die uns verband aus. Ich fühlte mich so verdammt gut in seiner Nähe.
>>Es ist echt sehr selten, dass einem ein Patient so sehr ans Herz wächst. So wie du mir.<<
Ich nickte mal wieder. Jaja, das nicken hatte ich schon von ihm.
>>Elaine, ich möchte den Abschied nicht noch schwerer machen als er mir jetzt schon ist. Ich kann als Arzt nicht meine Arbeit außeracht lassen. Auch wenn es weh tut habe ich beschlossen dir jetzt schon alles Gute zu wünschen und mich von dir zu verabschieden. Ich hoffe es war nicht das letzte mal in diesem Leben wo wir uns sehen. Ich hoffe du machst was aus dir und rufst mich bald an. Ich glaub an dich Elaine, du wirst es schaffen!<<
Ein letztes mal geknufft, und dann war er gegangen. Ich wusste dass sein Herz genauso schwer sein musste wie meines. Ich hatte ihn sehr lieb. Jeder Abschied tut weh.

Ich bekam mein Zeug wieder.
>>Das ham wir in deim Schuhn gefundn!<<
Sagte die molige alte Bekannte an der Rezeption und reichte mir ein paar dreckige Scheine. Es waren die 250€ die ich damals so verzweifelt gesucht hatte. Es war ein Segen. Nun hatte ich erst einmal etwas um über die Runden zu kommen. Ich würde dringend neue Sachen kaufen müssen, denn in dem T-Shirt würde ich frieren! Alles findet sich an. Jeder findet sich an. Ich nahm das Geld glücklich entgegen.
>>Vielen Dank. Ich würde mich bevor ich gehe noch gerne bei ihnen entschuldigen. Es tut mir so leid dass…<<
>>Ach Quatsch!<<
Winkte sie ab.
>>Jeder hat ma ne schlechte Zeit. Wollt dich auch net dissen, verstehste. Ich kenn dat!<<
Dann zwinkerte sie mir zu. Mir ging es besser nachdem ich das aussprach. Wir wünschten uns noch viel Glück und ich ging aus dem Krankenhaus mit erhobenen Haupt.
>>Ey, wart ma. Da hat son knorke Typ wat abgegebn!<<
Sie tippelte mit einem Brief mit dem sie wank hinterher und ich kam ihr entgegen. Sie war schon vollkommen aus der Puste.
>>Danke. Vielen Dank!<<
Sie grinste.
>>Hätse dich besser benomn hätse ihn früher bekomn!<<
Ich lachte.
>>Werde ich mir merken!<<
Diesmal zwinkerte ich ihr zu.
>>Wir verstehn uns, wat!<<
Ich nickte.
>>Fast schon wie der Herr Doktor!<<
>>Jip, man lernt halt immer dazu!<<
Und dann gingen wir wirklich auseinander. Ich riss den Brief auf. Ja, ich hoffte dass er von John war, denn ich konnte mir keinen anderen knorken Typen vorstellen.

Hey, Liebe Elaine,
Hab lang nichts mehr von dir gehört. Mach mir Sorgen! Hoffe du lebst noch! Wollten mir nicht sagen was mit dir ist! Durfte nicht zu dir!

John Moon

PS: Hab das „Dein“ vergessen :P

Ich schüttelte den Kopf. John war echt so niedlich. Er hatte mich nicht vergessen. Und ich wusste jetzt auch seinen Nachnamen. Ich strahlte. Es ist schön wenn jemand an dich denkt, an den du auch denkst und den du liebst.

Mein Herz pochte wie wild. Menschens Kinder, es würde mir gleich aus der Brust springen. Ich wartete aufgeregt vor der Tür. Es dauerte nicht lange, und da hörte ich auch jemanden zu ihr schlürfen. Die Tür wurde aufgerissen. Ein komischer Junge schaute auf mich herab. Er blieb an meinen Brüsten stehen.
>>Hey Jungs, erwartet irgendwer von euch so ne scharfe Schnecke auf Krücken! Wenn nicht, nehm ich sie!<<
>>Kannste Knicken! Ich nehm sie!<<
Kam es aus der Wohnung.
>>Ich seh zwar klein und zerbrechlich aus, aber mit den Krücken kann ich sehr gut umgehen wenn du mir zu nahe kommst!<<
Ich feixte ihn an.
>>Passt lieber auf, das Ding ist bissig!<<
>>Will ich sehen!<<
Und dann streckte noch ein zweiter Junge den Kopf aus der Tür.
>>Jap, das ist doch mal nen krasses Fahrgestell!<<
>>Ihr seid echt so kindisch!<<
Tönte es von jemand anderen aus der Wohnung und jemand schob sich durch die anderen durch und packte mich am Handgelenk.
>>Kennste die!<<
Riefen die beiden Typen hinterher. Ich musste mich zusammenreißen um nicht laut los zu plustern. John zog mich in sein Zimmer.
>>Tut mir echt leid, die sind immer so drauf! Der eine heißt Kevin und der andere Bill. Bill ist der Gaffer von beiden und Kevin der möchtegern Aufreißer!<<
Er verzog genervt das Gesicht. Es sah süß aus wie er sich aufregte.
>>Ganz locker!<<
Sagte ich und knuffte ihn in die Seite.
>>Wieso bist du eigentlich hier?<<
Fragte er mich und schaute mich erwartungsvoll an.
>>Ich hab in einem Internetcafé nach dir gegoogelt!<<
Gab ich kurzerhand zu. Er nickte und fing an zu grinsen.
>>Und was führt dich in unser bescheidenes Haus?<<
>>Ich wollte dich wieder sehen. Ich hab dich vermisst irgendwie! Naja und, ich wollte vielleicht fragen, ob ihr vielleicht für eine gewisse Zeit ein Dach für mich habt!<<
>>Na klar, wenn du es mit dem Sauhaufen aushältst!<<
Er lachte und knuffte mich zurück.
>>Darum mach dir mal keine Sorgen!<<
>>Ich weiß dass ich mir das bei dir nicht machen muss. Aber um Kevin und Bill mach ich mir das jetzt!<<
Er grinste breit. Ich nickte.
>>Da hast du schon recht!<<
Und da hatte er verdammt nochmal recht.

Dies war eine höchst eigenartige und typische Männer-WG. Bill war ein totaler Macho und machte sich an jeden Rock ran, den er ersichten konnte. Sein kleiner Bruder tat es ihm schön mächtig gleich. Bill war 19 und er rauchte ohne Ende. Immer wenn ich ihn so betrachtete sah er mich fragend an, ob ich nicht auch eine wolle. Ich schüttelte dann immer den Kopf. Kevin war erst 17 und eiferte Bill in allen nach. Er schaute sich ebenfalls äußerst fragwürdige Filme und Hefte an und surfte ebenfalls auf den selben Seiten wie sein großes Idol. Bill und Kevin waren sehr kindisch und das Maximale an Faulheit. Ehe einer der beiden im Haushalt ein Finger hob, war eine Schnecke 200 mal um jede Ecke gesaust. Also war es auch sehr unwahrscheinlich dass ich viel daran ändern könne.
>>Putzen ist was für Weiber. Deswegen sind die Handschuhe auch immer so klein!<<
>>Gummi und Plastik macht Impotent!<<
>>Putzen ist kein Männersport!<<
>>Weiber machen dabei eine bessere Figur!<<
Und damit war das Thema dann endgültig gegessen. John arbeitet oft sehr lange, und wenn er wieder kam hatte er immer was aus einem Imbiss dabei. Ich wurde zum Glück nie in die Verlegenheit gebracht zu kochen. Also lenkte ich mich mit putzen und vielerlei Hausarbeit ab und suchte nebenbei nach Stellenangeboten.
>>Es ist doch sowieso alles für den Arsch!<<
Meinte Bill dann immer. Er selbst war arbeitslos und ging abends lieber saufen, als sich Geld zu erarbeiten. Kevin tat ihm auch das gleich. Und so wurde die Wohngemeinschaft eher von John bezahlt. Jeden Tag kam so ein Sozialarbeiter schauen, ob alles glatt lief. Knettrer hieß er. Er hatte auf all die Telefone mit Folie seine Telefonnummer drauf geklebt. Er sagte die meiste Zeit nichts und wenn er was zu laut gab, dann war es ein einfaches „Bis morgen!“. Ich kannte ihn kaum. Anfangs hatte er mich noch etwas skeptisch beäugt, aber mit der Zeit wurden seine beobachtenden Blicke weniger. Er sah, dass ich nicht auf Krawall gebürstet war.
>>Eigentlich müsste ich dich anmelden, dass du jetzt hier wohnst, aber da das ja eh nicht eine Lösung für die Dauer ist, sehe ich mich auch nicht dazu gezwungen dich raus zu werfen!<<
John hatte dies nur belächelt. Und Bill hatte mal wieder nicht die Klappe gehalten.
>>Chill ma! Hier kommt und geht doch eh jeder! Ist doch unsre Sache!<<
Ja, und dann kam die Standpauke. Der Sozialarbeiter ist mindestens 45 und ich schätze er ist verheiratet. Er lässt sich nicht auf Diskussionen ein. Was er sagt gilt. Wer sich nicht dran hält, muss gehen! Bill kam noch mal mit einem blauen Auge davon. John hat ihn danach ausgelacht. Bill war es egal. Jungs sind echt komische Wesen!

Es dauerte nicht lange, und da hatte ich auch schon ein Bewerbungsgespräch. Ich war vorbereitet auf alles und musste wohl einen sehr guten Eindruck gemacht. Auf jeden fall beschäftigten sie mich auf Probe. Der Beamte Knettrer meldete mich dann doch zerknirscht an.
>>Du bringst ja auch Einkommen, da kannst du auch hier wohnen!<<
Hatte er gesagt. Ich wusste nicht, ob das so gut war. Eigentlich wollte ich auch gar nicht lange dort bleiben. Die Jungs waren zwar echt in Ordnung, aber ich war für eine Männer-WG nicht gemacht. John hatte kaum Zeit. Das hatte ich mir echt anders vorgestellt, aber es ging voran. Irgendwann konnte ich sogar Kevin und Bill dazu bewegen ihren Dreck etwas weg zu räumen. Den Putzteufel würde ich ihnen nicht eintreiben können, jedoch etwas maßregeln ließen sie sich.

>>Bist du zufrieden hier?<<
Verwundert schaute ich ihn an.
>>Ich meine, ich bin so selten da, und wir sprechen in letzter Zeit gar nicht mehr miteinander!<<
Ich nickte.
>>Du bist ja auch sehr selten da, und wenn, dann brauchst du deine Ruhe!<<
Er nickte und schaute mich weiterhin an mit seinen klugen Augen.
>>Ich hab in letzter Zeit so viel zu tun!<<
Gab er zu.
>>Ich habe nur Angst, dass du dich allein gelassen fühlst! Ich meine, Bill und Kev sind nicht so die beste Gesellschaft!<<
>>Es geht. Ehe ich allein bin, sind sie mir schon recht!<<
Er forschte in meinen Blick. Hoffentlich verriet er nicht mehr als ich wollte.
>>Ich denke, du hast das dir alles anders vorgestellt. Und ich verstehe wenn du unzufrieden bist. An deiner Stelle wäre ich es auch. Aber im Moment ist alles sehr schwierig. Da Kevin und Bill nicht mehr für die WG aufkommen, muss ich sehr viel arbeiten. Es bleibt kaum Geld für mich übrig. Du weißt von meinem Traum. Ich will fort von hier. Raus aus Magdeburg. Raus aus der Sozialwohngemeinschaft und ab ins Unbekannte. Aber das ist ein Traum der in weite ferne rücken muss. Sei mir nicht böse, wenn es besser läuft, dann gehen wir zusammen! Und das Verspreche ich dir!<<
Dann küsste er mich auf der Stirn und ging. Ich wollte ihn fest halten. Das Wort wir, war so ein schönes Wort. Ich sah ihm nach. Ich war einfach nicht in der Lage ihn fest zu halten. Wie gerne hätte ich ihm gesagt er solle bleiben. Ich fühlte mich oft sehr einsam. Bill und Kevin waren auf Sauftouren und strotzten auch nicht gerade vor Moral und Niveau. Besonders Bill machte sich oft an mich ran und wurde immer mehr unangenehm. Manchmal stellt man sich die Sachen einfach zu leicht vor. Als Mädchen bleibst du für viele immer nur ein Objekt, egal wie du dich dagegen sträubst. Aber allein dass John mich mitnehmen würde, gab mir wieder Kraft. Er würde mich nicht alleine lassen. Irgendwie lief das ganze ja auch schon recht stabil. Ich musste mich also nur gedulden.

Kevin und Bill hatten schrecklichen Streit. Die beiden durfte man nicht mehr alleine lassen. Das letzte mal als ich wiederkam, hatte Bill einen Büschel Haare in der Hand. Weshalb sie sich so stritten wusste keiner. Nicht einmal der Knettrer. Er musste des Öfteren kommen. Wenn ich arbeiten musste und die beiden alleine waren, gab es nur Unglück. Dann schimpfte er immer mit mir, als ob ich deren Mutter wäre. Es war nicht grade einfach zwei Möchtegern Stecher zu erziehen. Besonders schwer war es, da sie sich so gar nicht ab konnten.
>>Pass doch mal besser auf die beiden auf Elaine!<<
Hieß es dann immer. John meinte, ich solle mir nichts draus machen. Aber es stank mir gewaltig. Es ist nicht gerade einfach unter 3 Chaoten zu bestehen. Johns Zimmer war ein Saustall. Kevin und Bill schliefen zuvor ja nicht mal hier. Und wenn war es eine Seltenheit gewesen. Doch jetzt wo sie sich nicht mehr gemeinsam davonstahlen, verbrachten sie viel Zeit hier. Es war einfach nur noch nervig. Nichts konnte man ohne Gemecker machen. Die beiden waren einfach tierisch anstrengend. Kevin schaute nur noch in seinem Zimmer die Privatsender, die er abonniert hatte. Der Inhalt lies sich Schlussfolgern. Und Bill machte sich immer scharmloser an mich ran. Er kam mir körperlich zu nahe und er überschritt andauernd die Grenzen mit Obszönitäten und verruchten Anspielungen. Das letzte mal wo er mich gefragt hatte ob ich ihm einen blasen würde, hatte er eine von John kassiert. Danach hielt sich seine Wortwahl etwas in Grenzen. Ich hatte John versichert ich würde schon klar kommen, doch wir beide wussten, dass alles drunter und drüber ging. Er kam extra etwas früher von der Arbeit um mich zu unterstützen. Ich hatte unter diesen Umständen keine Lust mehr gehabt im Wohnzimmer auf der Couch zu schlafen. Das war aber auch sehr verständlich. Wer würde schon gerne von Tag bis Nacht in diesem Irrenhaus verbringen? In meiner freien Zeit räumte ich nur noch auf und hielt das Haus instand. Es war alles ein bisschen schwerer als gedacht. Die Arbeit laugte mich aus und zerrte sehr an mir. Immer wenn ich nach Hause kam wartete schon die nächste Katastrophe und ein Haufen voller Vorwürfe. Und jeden Abend lies ich mich dann auf die Couch fallen und versuchte bei neu anlaufenden Krach zu schlafen.
>>Hey Elaine, wie hältst du das überhaupt noch aus? Du siehst echt fertig aus! Wollte mich bedanken das du mein Zimmer aufgeräumt hast. Bin da echt nicht zu gekommen!<<
Ich nickte.
>>Es wird alles schon, da bin ich mir sicher!<<
Log ich. Ich war mir über rein gar nichts sicher. Nicht mal, ob ich auf ein irgendwann noch warten konnte.
>>Du brauchst das nicht bestreiten Elaine. Ich seh doch wie du dir die Hände Wund arbeitetest und hier alles schmeißt. Wir haben überhaupt nicht über deine Geschichte weiter geredet und…<<
>>Meine Geschichte geht jetzt nun mal weiter und für alte Sachen hab ich im Moment keinen Platz! Ich bin so froh, dass ich überhaupt hier sein kann. Also glaub ich muss ich mich nicht beschweren!<<
Er schüttelte den Kopf.
>>Ach Elaine. Das ist doch auch keine Lösung. Du bist mit dem ganzen Mist hier allein.<<
Ich schüttelte heftig den Kopf und betrachtete ihn.
>>Ich hab doch dich. Und der Knettrer lässt sich auch jeden Tag blicken!<<
John sank neben mir auf die Couch und wuschelte mir durch die Haare. Ich war überrascht, aber das war nichts neues. John war immer für eine Überraschung gut. Er legte seinen Arm um meine Schultern.
>>Geb mir noch eine Woche. Dann machen wir uns auf und davon!<<
Ich sah ihn an.
>>Versprich nicht, was du nicht halten kannst!<<
Er nickte und betrachtete mich.
>>Das mach ich nicht, nächste Woche sind wir weg!<<
Dann küsste er mich auf die Stirn. Seine Lippen waren warm und weich und ich fühlte mich sicher und geborgen.
>>Elaine?<<
>>Ja? Was ist?<<
Er sah mir in die Augen. In mir war es warm und schön. Er wärmte und umgab mich wie eine Decke. Ich kuschelte mich an ihn.
>>Ich glaub ich hab mich in dich verliebt!<<
Ich schloss die Augen und nahm seine Worte in mich auf. Es blieb lange still um uns. Es war so schön. Er hatte mich lieb. Nein er liebte mich. So was zu hören und in nichts von dem eine Lüge zu hören ist schön.
>>Und wie lange wirst du mich lieben?<<
Er hauchte mir warm ins Ohr.
>>Solange ich kann!<<
Ein lächeln formte sich auf meinem Gesicht.
>>Ich nehm dich beim Wort!<<
Dann hauchte ich meine Lippen auf seine. Er war überrascht, aber er stieß mich nicht weg und geschockt war er auch nicht. Er schloss seine Augen und lies seine Hände auf meine Rücken wandern. Er drückte mich einfach fest an sich. Ohne einen Hintergedanken. Und es fühlte sich gut an ihm nahe zu sein. Er war zärtlich und liebevoll. Und dann wusste ich, nächste Woche würden wir uns auf und davon machen. Nur er und ich. Ohne die anderen Chaoten und den Knettrer. Einfach nur wir beiden. Wir.
John verschwand ganz. Nachdem wir uns näher gekommen waren, war er verschwunden. Ich sah ihn nicht einmal mehr abends. Und es war komisch. Also stürzte ich mich auch in die Arbeit. Es würde nicht mehr lange dauern. Es würde nicht mehr lange dauern und ich würde mich auf und davon machen. Mascha Kaléko hatte mal wieder Recht. Als ich im Krankenhaus war wollte ich fort, einfach nur noch raus, aber als ich draußen war, wollte ich nur noch rein. Und jetzt wollte ich bald wieder ins Ungewisse. Doch diesmal nicht mehr allein. Diesmal war alles hinter mir. Auch wenn ich manchmal noch Alpträume hatte. Doch ich wollte John nicht damit belasten. Nicht mit dem vergangenen. Damit hatte ich abgeschlossen. Dachte ich.

Bill stürmte nach Hause. Er schmiss mir aufgeregt eine Zeitung vor die Nase.
>>Das glaubst du nicht! Kevin ist nun im Knast! Der hatte Irgendwas mit den Kascerdas am schaffen! Ich hab ihn ja gewarnt, aber er wollte nicht hören!<<
Mir war schlagartig schlecht geworden. Ich musste mich setzten, denn ich stand kaum noch.
>>Was hatte er denn mit denen am schaffen?<<
Fragte ich ihn bemüht gleichgültig.
>>Das dauert zu lange es dir zu erklären. Dann müsstest du erst mal wissen wer die Kascerdas sind!<<
Ich sah ihn finster an.
>>Ich weiß schon wer die sind!<<
Ich rieb mir unauffällig ein paar verblichene Streifen. Es waren die Narben des Grauens. Bill blieb der schüttelte den Kopf.
>>Das ist ja wohl nen Scherz! Von so was wissen keine Laien! Das wissen nur welche mit Kontakt!<<
Ich nickte nur stumm und riss ihm die Zeitung unbeeindruckt aus der Hand.
>>John, du kommst grade richtig. Kevin ist im Knast und Elaine hat den Verstand verloren!<<
>>Was ist los?<<
Fragte John verwundert und seine Blicke wechselten von mir zu Bill.
>>Ja Kev hatte was mit den Kascerdas zu tun!<<
Sagte Bill in das Schweigen.
>>Was sind die Kascerdas?<<
>>So ne böse Sekte die komische Rituale gemacht hat. Ja und Kev hat denen KO-Tropfen verkauft.<<
Ich sprang vor Wut auf. Beide schauten mich überrascht an.
>>Elaine, was regste dich so auf?<<
Bill musterte mich skeptisch. John bedeutete ihn ruhig zu sein. Dann packte er mich am Arm und zog mich in sein Zimmer.
>>Was haben die mit dir gemacht? Was für ein Ritual?<<
>>Woher weißst du..<<
Stammelte ich.
>>Du hast mir von den Kascerdas erzählt, aber nicht von den Ritualen. Ich dachte du würdest mir wenn die Zeit kommt von ihnen erzählen. Aber jetzt musst du es mir erzählen!<<
Ich schüttelte den Kopf und mir kamen die Tränen.
John packte mich an die Schultern bevor ich anfangen konnte zu weinen.
>>Elaine, das ist mir sehr wichtig. Du bist mir sehr wichtig, und ich muss das jetzt wissen!<<
Er küsste mich auf die Stirn und ich drückte still die ersten Tränen ab.
>>Ich kann nicht John, ich kann nicht!<<
Wimmerte ich in seine Brust. Ich klammerte mich an ihn.
>>Elaine, ich muss es wissen!<<
>>Aber noch nicht jetzt!<<
Er nickte und hielt mich fest. Ich fing an zu schluchzen. Es war so als wäre ich wieder auf dem Altar.

Ich hatte mich in den Schlaf geheult. Als ich aufwachte war John noch da. Ich war ihm sehr dankbar dafür. Ich fühlte mich in all den Horror zurück gesetzt. Ich sah immer wieder das Grauen auf Erden.

Es war abends gewesen. Ich war schläfrig geworden auf einmal. Ich wusste nicht einmal wie mir geschah. Müde legte ich mich in einem weißen Nachthemd zur Ruhe. Diese Müdigkeit war so plötzlich über mich gekommen und im Haus war es totenstill geworden. Die Stille vor dem Grauen. Ich lag ahnungslos in meinem Bett. Ich merkte nicht einmal wie seine starken Arme mich trugen. Aber irgendwann ließen die Müdigkeit und der kalte Schauer in ihrer Wirkung nach und ich wurde wach. Es war schlagartig kalt und ich spürte harten Stein in meinem Rücken. Erschrocken hatte ich meine Augen aufgerissen. Und da sah ich sein vertrautes und kaltblütiges Grinsen.
>>Bist du bereit liebes?<<
Hatte er geflüstert. Ich hatte mich tierisch erschrocken. Ich wusste nicht was los war. Der Raum war dunkel und kerzenbeschienen. Doch auch wenn die Flammen in der Nacht tänzelten, war es bitterlich kalt.
Ich sah in sein finsteres Gesicht das düster und unheimlich vom Kerzenlicht beschienen wurde.
>>Ich erkläre dir nun was geschieht. Du musst keine Angst haben. Eigentlich kannst du dich sogar freuen. Du wurdest für Gott erkoren. Gott will dich zu seiner Braut diese Nacht um uns die Freude des Lebens zu gewähren. Habe keine Angst. Der Segen Gottes ist etwas schönes und nach diesem Akt wird heiliges Blut in deinen Ader fließen. Du wirst in der Lage sein Glück zu schenken und es zu teilen! Und du bist sicherlich bereit zu teilen!<<
Ich war wie benommen. Was er sagte klang so unwahr. Als ob ich noch schlafen würde. Ich dachte es wäre ein schlechter Traum. Ich sah noch 12 andere schwarze Gestalten an der Wand stehen. Es waren Männer die in langen Umhängen gehüllt waren. Kapuzen verdeckten ihr Haupt und verdunkelten ihr Gesicht. Man sah nur in dem Kerzenschimmer ihre Augen aufblitzen. Sie waren alle auf mich gerichtet. Ich spürte den Stein, wie er sich in meinen Rücken bohrte.
>>Bist du nun bereit den Heiland zu empfangen?<<
Fragte er mich. Ich sah ihn erschrocken an.
>>Was geht hier vor sich? Was soll der Unsinn? Wieso liege ich auf Stein und was genau habt ihr mit mir…<<
Er legte mir einen Finger auf die Lippen und ich verstummte erschrocken.
>>Du stellst zu viele Fragen!<<
Hatte er gezischt. Ein kalter Schauer war über meinen Rücken gelaufen. Ich starrte die Männer die sich nach den Nicken meines Vaters von der Wand weg bewegten. Ich wollte aufstehen, aber Lederbänder die sich ins Fleisch schnitten hielten mich auf dem kahlen Stein zurück. Sie banden mich fest und ich konnte mich kaum aufsetzten.
>>Kommt mir nicht zu nahe!<<
Herrschte ich die Männer in den Kutten an. Sie schritten unbeeindruckt weiter. Mein Vater stimmte einen ungewöhnlichen Kirchengesang an. Es war unheimlich. Doch noch unheimlicher war es geworden, als die anderen Gestalten in diesen düsteren Gesang mit einstimmten. Tief und beängstigend sangen sie. Ich zuckte zusammen und drückte mich an den Stein zurück. Es war unheimlich. Ein Alptraum der sich zu echt anfühlte um ein Traum zu sein. Sie sangen und sangen verschwörerisch, mein Vater leitete mit seiner Stimme den Gesang an. Ich sah den Gestalten zu. Sie bewegten sich immer noch langsam auf mich zu. Ich fing an zu zittern. Panische Angst stieg auf. Sie wurde bedrohlich laut. Mein Herz pochte wie verrückt und ich zitterte wie am Spieß. Und plötzlich hörten sie auf.
>>Es ist vollbracht. Er ist nun bei uns, um seine Braut zu nehmen!<<
Rief mein Vater wie ein wahnsinniger. Nun setzte auch er seine Kapuze auf.
>>Nimm sie und schenk uns deinen göttlichen Segen!<<
>>Macht das Licht aus! Macht das Licht aus! Es ist soweit! Gott wird sein Weib nehmen!<<
Ich erschrak. In wie fern war ich hier das Weib? Die Gestalten pusteten die Kerzen aus. Eine lange Zeit lang tiefes Schweigen und ein kleiner Unterton des beschwörenden Chores. Ich zitterte und hoffte aufwachen zu können, doch das Leder verriet die Wahrheit. Es war kein Traum. Ich war wirklich hier. Ich lag auf einem Steinaltar und sollte das Opfer Gottes sein. Man ganzer Körper bebte. Ich traute mich nicht,
etwas zu sagen. Die schreckliche Angst überwog alles. Diese tiefen maskulinen Stimmen. Meine Tränen waren geflossen und die Wangen waren nass. Ich wollte weg, doch ich war gefesselt. Und plötzlich wurden sie wieder still. Ein Feuerzeug ging an und erleuchte ein bisschen den Raum. Wie ein Befehl herrschte das Licht der Flamme. Die anderen Kerzen wurden entzündet. Mein Vater nahm eine Kerze aus ihrer Halterung und schritt langsam zu mir.
>>Wir haben dir die Knospe der Jugend gegen und bitten um die Gabe des Segens und Erfolges in unserem sein!<<
Er tunkte seinen Zeigefinger in das wieder flüssige Wachs und fuhr mit ihm über die Stirn. Ich zuckte zurück, doch er hörte nicht auf. Es war warm und ich spürte irgendein Muster oder Zeichen, denn seine Bewegung war gezielt.
>>Wir bitten dich um Seelenheil und Erhörung! Wir, die Kascerdas.<<


>>So Elaine, nun musst du dein Blut mit uns teilen!<<
Meine Augen weiteten sich. Was sollte ich tun? Wieder startete der Gesang und wieder wuchs die Angst. Mein Vater bückte sich und kam mit einer Glasschale und einem spitzen Messer wieder zum Vorschein. Ich habe geschrien. Es war so grausam und es tat so weh. Wie er die Klinge einmal hinabfuhr über meinen Unterarm. Ich hatte es nicht geschafft aus den Lederbändern raus zu kommen und meine Handgelenke waren wund gescheuert. Ich hatte immer und immer wieder geschrien. Bei jeder der 13 Schnitte in meinem Unterarm. Wie sich die kalte Klinge auf meiner Haut angefühlt hatte. Wie sie hinabfuhr und mein Vater das dunkelrote Blut in die Schale rinnen lies. Sein begieriger Blick unter der Kapuze. Dieser tierische Blick. Dieser Schmerz. Ich hatte so laut es ging geschrien. Aber keiner hörte mich. Keiner erlöste mich. Keiner war da. Niemand. Sie hatten es getrunken. Es einfach so getrunken. Jeder hatte einen Schluck aus der gläsernen Schale genommen und dem Herren gedankt für die Gabe. Ich hatte geweint und geschrien. Und als ich heiser war wimmerte ich leise weiter. Das Blut tropfte auf den kalten Stein. Dieses warme süßliche Blut. Meinem Vater war die Kapuze runter gerutscht, und ich sah wie er sich begierig über die Lippen leckte und trank. Wie ein kleiner Tropfen seinem Mundwinkel hinab rann. Er hatte ihn mit seiner Zungenspitze aufgenommen. Mir war so unsagbar schlecht. Ich fühlte mich dreckig und benutzt. Er war mein Vater. Und trotzdem tat er mir dies ganze 5 male an.
John schenkte mir wärme.
John schenkte mir Glanz.
John gab mir Hoffnung.
John machte mich ganz

Ich brauchte ihn. Und er war da für mich. Er war einfach nur da und er lies mich nicht los. Er verließ mich nicht und an ihm war alles echt.
>>John lass uns heute schon gehen! Einfach auf und davon!<<
>>Wenn das dein Wille ist!<<
Und er nahm mich in den Arm. Und ich wusste, ich würde ihm alles erzählen. Sobald wir fort waren!






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