Deep Obscurity - Teil 8

Autor: Noa
veröffentlicht am: 15.07.2013


Kapitel 8 – Lüge

Mit meiner schnellen Geschwindigkeit raste ich zu dem Gebiet und stand am Waldrand. Ich blickte auf einen schneebedeckten Hang hinunter. Ihre Schreie waren schon von weitem zu hören und spornten mich immer weiter an. Es waren über mindestens fünfhundert Kämpfer. Staubschwaden stiegen den Himmel empor, Schreie ertönten, silberne Messer klirrten und lautes Fauchen erstreckte sich über das Feld. Bei so vielen Kämpfenden hatte ich keinen Überblick. Aber auch mein Gefühl sagte mir, das Snow vermutlich nicht hier war.
Als meine Augen das Feld umblickten, hatte ich nicht bemerkte, das einem Dust meine Anwesenheit aufgefallen war. Er schlich sich von hinten an mich, aber ich spürte ihn schon vorher. Gerade als ich mich umdrehen wollte, um ihn anzugreifen, stach Hero ein Silbermesser in seinen Rücken. Er schrie kurz auf und zerfiel zu Staub, der sich in der Luft auflöste.
„Alles in Ordnung?“, fragte er besorgt. Ich nickte, warf ihm jedoch noch immer misstrauische Blicke zu. Das Gespräch war noch nicht vorüber.
„Wir teilen uns auf“, sagte ich, als der Rest auch ankam. „Wir halten nach Vampiren Ausschau und fragen, ob sie jemanden namens Snow kennen.“
Alle nickten einverstanden und verschwanden. Ich durchkämmte das Feld, wich Angriffen aus und musste einige Dusts aus dem Weg räumen. Sie waren kein Problem für mich. Aber es kam immer häufiger zu diesen Konflikten, je tiefer ich mich hineinwagte.
Als sich mein Kopf nach rechts drehte, entdeckte ich jemanden, den ich für tot gehalten hatte. Er sollte schon vor vier Jahren gestorben sein und doch sah ich seine Gestalt vor mir. Die blonden, bis zu den Ohren, gestuften Haare, die grauen, leuchtenden Augen und die schwarzen Stiefel, die er sich gerne in die Hose steckte. War das ... Rain? Mein Halbbruder?
Ich stand wie angewurzelt da und analysierte ihn weiterhin. Es brauchte einige Minuten bis ich mich gefasst hatte und zum Gehen ansetzte. Rain erkannte mich von weitem, riss seine Augen auf, als er sich an meine Gestalt erinnerte und ließ sein Messer fallen. Wie eine Statur starrte er mich gefesselt an. Als ich endlich vor ihm ankam, konnte ich es immer noch nicht wirklich fassen. Er war es tatsächlich.
„I-Ice?“, stammelte er und mein Herz machte einen Sprung gegen meinen Brustkorb. Er war nicht tot, Rain lebte. Mein Bruder war nicht gefallen. Aber wieso schrieb Vater es dann? Was war hier los?
„Du lebst? Du bist gar nicht tot?“, flüsterte ich und Rain nahm mich in den Arm. Er umschlang mich fest, als ob er seit Jahren niemanden mehr gesehen hätte. Ich hatte ihn tatsächlich vermisst. Als die Nachricht ankam, dass er gestorben sei, trauerte ich in meiner stillen und starren Art.
„Schon seit vier Jahren“, antwortete er und ich drückte mich von ihm ab.
„Wie kann das sein? Wir hatten von Vater einen Brief bekommen, das du gefallen warst!“, sagte ich ihm und er zog seine Augenbrauen zusammen.
„Was? Wir haben euch nie einen Brief geschrieben gehabt. Vater war auch nur ein Jahr lang an meiner Seite und danach hatten wir uns aus den Augen verloren. Er meinte, er müsste wieder nach Hause.“
Ich nahm immer mehr Abstand von Rain und fasste an meinen Kopf. Was ging hier vor sich? Hatten wir die ganze Zeit über falsche Briefe bekommen? Lügen? Und wieso wollte Vater nach Hause? Er kam niemals dort an.
„Rain, wir-“, begann ich und da griff uns ein Dust von der Seite an. Rain beendete mit einem geschickten, unvorhersehbaren Zug sein Leben. Er war unglaublich gut geworden.
„Lass uns hier verschwinden!“, rief er, griff nach meinem Handgelenk und wir durchquerten das komplette Schlachtfeld. Wir liefen in den Wald hinein und hielten Abstand von dem Gemetzel.
„Wie kann das alles sein? Vater kam nie zu Hause an, die Briefe waren anscheinend alle falsch und wieso wollte Vater nach Hause? Rain, was geht hier vor sich?“, fragte ich panisch und blickte nervös um mich. Hier stimmten so viele Dinge nicht, dass ich Angst bekam. „Heißt das, Snow wurde gar nicht von euch getrennt? Er ist hier?“ Langsam stieg wieder Hoffnung in mir auf.
Als ich ihm die letzte Frage stellte, verzog Rain ein schmerzerfülltes Gesicht. Ich wollte nicht daran glauben, was er vermutlich dachte.
„Anscheinend wurdet ihr von jemand hereingelegt oder es hatte einen tiefgründigen Grund. Was Snow anging ... er blieb an meiner Seite, bis vor acht Wochen. Die Dusts hatten ihn umzingelt, lähmten ihn und nahmen ihn mit.“
Ich fasste erneut an meinen Kopf und krallte mich an ihn. Acht Wochen? Er könnte längst tot sein. Was hatten sie mit einer Vampirgeisel vor? Alles in mir zitterte und ich bekam Panik. Ich konnte mich schon fast nicht mehr beruhigen. Wer wollte uns in dem Glauben lassen, das Snow verschwunden war, Rain getötet wurde und Vater weiter kämpfte? Jemand hegte offensichtlich einen Groll gegen unser Anwesen. Ob Mutter in Gefahr war?
„Rain, wohin haben sie Snow verschleppt?“, fragte ich panisch und hielt teilweise nach meinen Leuten Ausschau.
„Sie gingen in Richtung Heerlen. Offensichtlich haben sie dort eine Art Lager.“
Hinter mir tauchte Stone auf. Er musste die Anwesenheit von Rain gespürte haben.
„Bruder!“, rief er erfreut und nahm ihn ebenfalls in den Arm. „Wir dachten, du wärst tot.“ Rain schüttelte ernst den Kopf.
„Hier wird etwas Falsches gespielt. Ich habe Ice schon erzählt, dass wir nie einen Brief an euch geschickt hatten. Ihr wurdet hineingelegt. Außerdem scheint es, dass ihr dachtet, dass Vater sich von Snow abgewandt hatte. Das stimmte auch nicht. Snow wurde entführt und Vater wollte nach Hause. Er kam jedoch nicht an, was sich gerade herausstellte.“
Stone kam gar nicht mehr aus dem Staunen heraus. Genau wie ich konnte er ebenso nicht daran glauben, aber an Rain würde ich nie zweifeln. Meine Familie blieb auch meine Familie. Vertrauen hatte oberste Priorität. Doch dann erinnerte ich mich an Blue und Hero, die ich vor all dem zur Rede stellen wollte. Blue hatte gemeint, er hätte Snow vor drei Wochen gesehen, als er gegen einige Dusts ankämpfte. Das war offensichtlich gelogen und ich hatte meinen schwarzen Peter gefunden. Meine Mimik wurde eiskalt und ich blickte suchend um mich.
„Findet mir Blue!“, rief ich den beiden zu und lief zurück auf das Schlachtfeld. Dabei kreuzte Crystal meinen Weg und ich gab ihr denselben Befehl. Als wir beinahe über eine Stunde damit verbrachten nach dem Verräter zu suchen, kehrten wir zur selben Zeit dorthin zurück, wo ich und Rain miteinander gesprochen hatten. Jeder war aufgetaucht, aber niemand fand Blue.
Ich ballte eine Faust und stampfte auf den Boden. Wie konnte ich nur so naiv sein? Die Liebe zu Snow hatte mich den anderen gegenüber blind gemacht.
Doch gerade dann, als ich verzweifelt neben den anderen stand, tauchte Blue auf. Er setzte zum Reden an, aber Rain und Hero drückten ihn mit beiden Armen gegen einen Baum. Er versuchte sich zu wehren, aber die beiden hielten ihn gut fest.
Ich biss wütend auf die Zähne und musste versuchen nicht loszuschreien. Verräter!
„Bitte, Ice, hör mir nur zu!“, versuchte er ein Gespräch mit mir zu führen. Aber ich kam seiner Bitte nicht nach und packte seinen Hals schlagartig. „Wer bist du wirklich? Ein Spitzel? Ein Dust, vielleicht? Sag schon!“, brüllte ich ihn an. Er japste nach Luft und versuchte die Schmerzen zu unterdrücken.
„Du musst mir vertrauen, Ice, ich bin nicht derjenige den du suchst. Alles was ich gesagt hatte, war wahr“, ächzte er und ich drückte fester den Hals zu.
„Wohin habt ihr ihn verschleppt? Raus mit der Sprache oder ich reiß dir den Kopf ab, Blue!“
„Ice! Ich sage die Wahrheit!“
„Eine letzte Chance!“, warnte ich ihn und mein Handgriff schnürte sich immer mehr zu.
„So glaub mir doch.“
„Wie du willst, Blue!“, knurrte ich und die anderen beiden wollten seine Arme auseinanderreißen, als Crystal einschritt. „Halt!“
Keiner bewegte sich mehr von uns und sie stellte sich vor mich. Wie gebannt verfolgten wir ihre Schritte, als sie auf Blue zuging und ihm intensiv in die Augen schaute. Sein Atemrhythmus wurde immer langsamer.
„Er hat wirklich die Wahrheit gesagt“, sagte sie und hielt angespannt die Luft an. Erwartungsvoll drehte sie sich zu mir um. „Er ist in diesen Fall nicht verwickelt. Ich konnte es an ihm ablesen.“
Ich musste Crystal glauben. Bevor sie mit uns kam, hatte sie mir von ihrer Fähigkeit erzählt und warum sollte sie auch lügen. Dafür kannte ich sie zu lange. Hero hingegen biss auf seine Zähne und umschlang Blues Arm fester.
„Vielleicht manipuliert er uns.“
Mein Blick fiel auf ihn. „Wie soll er das anstellen? Oder glaubst du deiner eigenen Schwester nicht?“
Er wandte sich von mir ab und ließ seinen Arm los. Rain tat es ihm gleich. Doch noch immer betrachtete ich Blue misstrauisch.
„Wie kann es sein, das du vor drei Wochen Snow begegnet warst und mein Bruder mit eigenen Augen sah wie er vor zwei Monaten verschleppt wurde? Mich irritiert es, das du auch noch die Wahrheit sprichst!“
Nervös spielte er an seinen Fingern und blickte jedem Einzelnen, um ihn herum, in die Augen. „Weil ich mit ihm gekämpft habe. Er musste sich befreit haben. Ich weiß es selbst nicht, Ice.“
Mich brachte diese Aussage kein Stückchen weiter. Tatsächlich glaubte ich Snow ein bisschen näher gekommen zu sein, aber anscheinend hatte ich mich geirrt.
Mein Blick wandte sich zu dem noch immer tobenden Schlachtfeld. Von Süden kamen immer mehr Dusts und von Norden weitere Vampire. Es schien, als würden sie noch die nächsten Tage kämpfen. Jedenfalls war es kein geeigneter Ort um über alles nachzudenken.
Stone räusperte sich und machte einen Schritt auf mich zu. „Was machen wir nun?“, fragte er und blickte dabei die anderen an.
Ich ließ einen misstrauischen Blick über meine Gruppe schweifen und lief an ihnen vorbei. „Ich kann momentan nur meiner Familie trauen. Crystal gehört auch dazu. Von Blue und Hero werde ich Abstand halten.“
„Ja, aber wohin?“
„Keine Ahnung. Wir gehen nach Heerlen. Vielleicht finde ich dort weitere Hinweise, die mich zu Snow führen.“
Er stoppte und ich blieb ebenfalls stehen. „Das ist dein Plan? Wir haben gerade gemerkt, dass jemand unserer Familie einen üblen Streich spielt und an alles was du denkst, ist Snow?“ Er schüttelte den Kopf und zog seine Augenbrauen zusammen. „Hier geht es auch um deine Familie!“
Ich schnaubte. „Gehört Snow etwa nicht dazu?“ Ich wandte mich von ihm ab und lief den Hang wieder hinauf. „Wir umgehen das Schlachtfeld. Vielleicht schaffen wir es bis zum Morgengrauen nach Heerlen.“
„Ice!“
Ich drehte mich wieder zu ihm um. „Stone, du kannst gehen und tun was du möchtest. Diese Gruppe ist freiwillig hier. Ich zwinge niemanden zu bleiben. Auch nicht meinen Bruder.“
Ich wusste, dass er mich nicht einfach allein losziehen lassen würde. Er war zwar jünger, aber dennoch fühlte er sich verantwortlich für mich, selbst wenn er das nicht musste.
Wir liefen die ganze Nacht durch. Rain begleitete uns. Ich war nun mit einer fünfköpfigen Truppe unterwegs. Wir hatten mehrmals mit Dust-Angriffen zu tun, aber es hielt sich in Grenzen. Seit ich Misstrauen zwischen ihnen stellte, schien es immer ruhiger zu werden. Ich spielte dennoch mit dem Gedanken einen Verräter unter mir zu haben. An Hero hatte ich die gleichen Zweifel wie zuvor. Er verheimlichte etwas.
Wir schafften es die Nacht bis nach Heerlen durchzukommen. Dort blieben wir für den herannahenden Tag in einer Pension. Ich belegte ein Zimmer mit meinen zwei Brüdern. Dabei fragte ich Rain alles was mir im Kopf herumschwebte.
„Warum bist du Vater nicht gefolgt?“, fragte ich zum Schluss.
Seine Augen kreisten durchs Zimmer und er blieb an meinen hängen. „Ich wollte nicht zurück. Jahrelang hatte ich Vater bei seinen Experimenten geholfen und war nie wirklich etwas wert. Aber hier konnte ich mich verteidigen, meine Familie stolz machen. Ich wollte nicht flüchten.“ Ich nickte einverstanden. Doch dann lächelte er bitter. „Und du bist nur hier um Snow zu finden. Warum bist du nicht einfach mit in den Krieg gezogen?“
Ich zog meine Augenbrauen zusammen. „Weil ich es ihm versprochen hatte.“
Es klopfte an der Tür und Blue trat ein. „Kann ich unter vier Augen mit dir sprechen, Ice?“ Zuerst wollte ich reflexartig nein sagen, aber in seinem Gesichtsausdruck erkannte ich wie ernst er es meinte. Also folgte ich ihm und wir nahmen einen großen Abstand von den anderen.
Am Ende des Hauses schlichen wir in ein leeres Zimmer und er atmete angespannt aus. Ich spürte wie nervös er wurde, als er seine Worte ausspucken musste. Seine Füße dribbelten auf dem Boden und er biss sich auf die Unterlippe.
„Ich glaube Hero ist ein Dust“, sagte er in einem flotten Satz und ich riss die Augen auf. War das sein Ernst?






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