Deep Obscurity - Teil 7

Autor: Noa
veröffentlicht am: 15.07.2013


Kapitel 7 – Kalt

Am nächsten Abend wurde ich wach, packte meine Sachen und verabschiedete mich von Frau Cavalenia. Sie meinte, sie würde noch für einige Zeit hier bleiben und sich dann bei meiner Familie melden. Das Wichtigste war, das sie mir dankbar war. Ich konnte sehr gut verstehen wie es ihr ergehen musste, wenn ihre letzten beiden Kinder nun fortgingen. Meine Mutter fühlte ebenso. Aber es war nicht meine Entscheidung gewesen. Wer sich mir anschloss, der sei willkommen, wer nicht, dem würde ich auch nicht böse sein. Jeder durfte frei entscheiden.
Als wir wieder im Wald waren, fielen Schneeflocken vom Himmel. Ich spürte es nicht, wenn es kälter wurde. Die Temperatur blieb, in meinem Sinne, das ganze Jahr über gleich. Deshalb sollte es mich nicht stören. Aber es erinnerte mich daran, dass Snow vor vier Jahren im tiefsten Winter loszog. Wenn der Schnee wieder taute und die Blätter wieder blühten, wären es fünf Jahren, in denen ich ihn kein einziges Mal mehr sah.
„Blue! Wo lang?“, fragte ich und blickte um mich.
„Weiter gen Osten. Wenn wir North Brabant durchquert haben, müssen wir nach Süden zu Limburg. Dort werden wir in der Stadt Heerlen nach jemanden suchen, der genau weiß, wo sich Snow befindet“, antwortete er mir und drehte mich zu meiner neuen Gruppe um.
Stone hatte die Arme verschränkt, lächelte mich jedoch aufmunternd an. Hero schaute in die Leere, da er womöglich nachdachte. Crystal war aufgeregt und konnte es kaum fassen tatsächlich mitkommen zu dürfen. Sie liebte schon immer Abenteuer, auch wenn ich diese Reise eher als eine Rettung oder eine Befriedigung meiner Sehnsucht betrachtete. Jeder, außer mir und Stone, hatte ein anderes Ziel als ich. Blue wollte das Mittel gegen Sonnenlicht. Hero verbarg etwas von mir, das ich mit Sicherheit sehr bald zu hören bekam. Crystal wollte nur eine Geschichte, ein Abenteuer, erleben.
Also begannen wir loszulaufen. Unser Ziel war weit weg und wir würden es in einer Nacht nicht schaffen dort anzukommen. Wir waren zwar schnell, aber zwischendurch wurden wir von Menschen und Dusts aufgehalten. Währenddessen, als ich nach Blut dürstete, ernährte ich mich von einem Reh. Tierblut schmeckte nicht, aber ich durfte mir einen Blutrausch nicht erlauben. Er könnte meine Mission gefährden.
Es ist eine Schwäche der Vampire. Je nachdem wie viel Kraft ein Vampir aufwenden muss, desto mehr Blut braucht er. Wenn er einen eindeutigen Mangel hat, werden seine Gefühle und Sinne geschwächt, sodass er außer Kontrolle gerät und alles um ihn herum zerstört. Im Krieg lassen sich viele Vampire in einen Blutrausch versetzen, damit sie stärker gegenüber ihren Feinden sind, allerdings sind sie danach ausgelaugt und schwach.
Als der Morgen sich annäherte, mussten wir schleunigst einen Unterschlupf finden. Die Sonne würde uns ansonsten verbrennen. Ich bekam Hilfe von Blue, der die Gegend mit seiner Gabe abtastete.
„Siebzig Kilometer weiter gibt es eine verlassene Hütte“, antwortete er und wir folgten ihm alle. In nicht weniger als zehn Minuten befanden wir uns dort. Sie war tatsächlich klein, aber sie schützte uns vor der Sonne. Es gab keine Gelegenheit uns schlafen zu legen. Stone versuchte es hartnäckig auf dem feuchten Holzboden, aber auch er wälzte sich und seufzte. Crystal hatte ihr Interesse an Blue gefunden. Sie sprach mit ihm über den Krieg und meinte wie aufregend diese Zeit gewesen sein musste.
Ich stand am Fenster, abgeschnitten von den anderen und blickte dem Schneefall zu. Der Boden war bereits weiß geworden und der Wald wurde dadurch noch stiller. Ich spürte einen Luftzug neben mir und wusste sofort, wer sich an mich herangeschlichen hatte.
„Kannst du nicht schlafen, Hero?“, fragte ich.
„Du ebenfalls nicht“, antwortete er und blieb hinter mir stehen. In der Glasscheibe konnte ich seine Spiegelung erkennen.
„Vielleicht will ich das auch gar nicht.“
Er zog einen Mundwinkel nach oben und stellte sich ebenfalls ans Fenster. „Es ist vier Jahre her, als wir uns das letzte Mal richtig gesehen hatten. Ansonsten hattest du in Snows Zimmer am Fenster gesessen und wie eine Statur nach draußen gestarrt. Du hast ein unglaubliches Durchhaltevermögen.“
Ich zog meine Augenbrauen aneinander. „Durchhaltevermögen? Das hat nichts damit zu tun. Ich halte einfach nur Ausschau.“
Er lehnte sich auf die Fensterbank und stützte mit seinem Armen den Kopf. Dabei bewegten sich seine Augen kreuz und quer. Er beobachtete den Wald.
„Das sehe ich anders. Du hast gehofft, dass Snow eines Tages zurückkommen wird. Aber das wird er nicht. Wenn man einmal im Krieg ist, kommt man dort nicht mehr heraus.“
„Ach und das weißt du am besten?“, fragte ich in einer schärferen Tonlage.
„Ich sehe es doch an meiner Familie. Niemand ist zurückgekehrt. Oder ist etwa jemand von deiner Familie aufgetaucht?“
Ich saugte meine Lippen in meinen Mund und atmete durch die Nase aus. Auf irgendeine Art hatte er Recht. Aber selbst wenn der Krieg eine Ende gefunden hätte, müsste er zurückkommen. Jedenfalls hoffte ich es. Wegen seiner jahrelangen Abwesenheit konnte ich mich nur vage an sein Gesicht erinnern. Die Details, wie die kleine Narbe über seinem Auge verschwand, die Grübchen auf seinen Wangen fehlten und seine Art. Ich sah nur ein ausdrucksloses Bild vor meinen Augen, so ähnlich wie ein einfaches Gemälde, das sich weder bewegte, noch etwas sagte. Es erschien mir kalt und still.
„Deshalb bin ich losgezogen um ihn zu finden. Mit Blues Hilfe kann ich es schaffen“, antwortete ich wieder kalt.
„Und wie lang möchtest du noch aus einem Fenster starren und dabei spüren wie kalt es ist?“
Er richtete sich auf und verschwand zu den anderen. Ich wusste, was er mir damit sagen wollte, aber glauben konnte ich es nicht. Mir war nicht kalt, wenn ich aus dem Fenster blickte, sondern die Hoffnung gab mir Wärme. Je eher ich mir versuchte einzureden, dass Snow kommen würde, desto schlimmer belog ich mich selbst. Hero hatte auf irgendeine Weise erneut Recht. Ich hatte vier Jahren auf ihn gewartet und er gab nicht einmal ein Zeichen von sich. Meine einzige Hoffnung an die ich mich klammerte, war Blue. Erst jetzt kam mir der Gedanke in den Sinn, dass er eventuell auch gelogen haben könnte und nur das Mittel bekommen wollte. Diese Theorie wäre sogar möglich. Aber nun umzukehren und weiter vor dem Fenster zu sitzen und zu frieren, brachte mich nicht weiter. Wenn alle Stricke reißen würden, suchte ich Snow auf eigene Faust.
Als die Sonne schon die Baumkronen erreicht hatte, verbarrikadierte ich die Fenster. Anschließend legten wir uns auf den Boden und zogen eine Decke über unsere Körper. Der kleinste Sonnenstrahl konnte höllische Schmerzen verursachen. Die Wand der vermoderten Hütte bestand nur aus dünnem Holz und Löcher ließen das Licht hindurchströmen. Wir hatten auch an diesem Tag Pech. Weit und breit war keine Wolke zu sehen, denn auch in der Nacht konnte ich jeden einzelnen Stern zählen. Die nächsten Tagen würden wahrscheinlich auch wolkenlos bleiben, deshalb war ein Schutz umso wichtiger.
Wir lagen ganze zehn Stunden am Boden und schwiegen. Hero war unruhig, genau wie Stone. Blue hatte es geschafft einzuschlafen und Crystal versuchte ein Gespräch aufzubauen, aber es gab ihr keiner eine Antwort. Ich hingegen war die Geduld in Person. Durch das stundenlange Starren aus dem Fenster konnte ich mich wie eine Statur benehmen. Still, kalt und starr.
Als die Nacht anbrach und die Sonne am Horizont verschwand, setzten wir unseren Weg fort. Die Menschen zu umgehen, brachte uns jedes Mal zu den Dusts. So langsam glaubte ich nicht mehr an Zufälle. Mir kam es eher vor, als würden sie uns mit Absicht verfolgen und töten wollen. Ich warf einen kurzen Blick zu meiner Gruppe. Sie begann immer mehr zu stinken. Einer von ihnen war der Auslöser. Stone konnte es nicht sein. Crystal auch nicht. Meine Augen pendelten zwischen Blue und Hero. Beiden misstraute ich noch immer. Aber würde Hero tatsächlich eine alte Freundin hintergehen? Und konnte meine Theorie über Blue stimmen?
Inzwischen waren wir auf fünf weitere Gruppen von Dusts gestoßen, hatten gesiegt, aber es kostete Zeit. Wir kämpften viel mehr als wir laufen taten. Nach wenigen zehn Kilometer kam uns erneut eine Gruppe entgegen. Das gefiel mir nicht und ich musste der Sache auf den Grund gehen.
Als ich vor allen anderen herging, blieb ich stehen und die anderen taten es mir gleich. Fragliche Blicke musterten mich, als ich mich zu ihnen umdrehte. Mit verschränkten Armen warf ich ihnen mit meiner Mimik Misstrauen zu.
„Crystal und Stone stellt euch mal bitte hinter mich. Die anderen beiden bleiben da stehen“, befahl ich und zögernd kamen die zwei zu mir.
„Was ist los, Ice?“, fragte sie mich ängstlich und schaute um sich. Sie glaubte die Gefahr käme von außen, dabei hatte ich den Verdacht, dass sie direkt vor mir stand.
Mit einer Handbewegung brachte ich sie zum Schweigen. Meine Augen beobachteten die beiden. Hero blieb gelassen und kalt, aber Blue bemerkte, das ich etwas mit ihnen vorhatte.
„Ich habe eine kleine Frage an euch beide, habt ihr auch bemerkt, dass wir ständig kämpfen?“, stieß ich ihnen das Brett vor den Kopf.
„Ach so, ich verstehe. Du denkst, wir sind der Auslöser dafür?“, signalisierte Blue schnell und lächelte spottend. Er fand meine Theorie anscheinend lächerlich.
„Genau. Also warum verfolgen uns wohl die Dusts?“
„Es ist Krieg, Ice!“, konterte Blue als Ausrede. Hero schien ihm auch liebend gern den Vortritt zu überlassen. Mein Blick fiel sofort auf ihn.
„Da bin ich Blues Meinung. Hier lungern zu viele Dusts herum. Sie halten sich genauso von den Menschen fern wie wir. Es gibt keinen Grund misstrauisch zu werden. Warum sollte einer von uns das auch tun?“
„Na, um die Mission zu gefährden oder zu verlangsamen. Einer von euch verheimlicht mir etwas.“
Die Stille schob sich zwischen uns. Aber sie verweilte nicht lang, denn plötzlich hörte ich einen lauten Knall. So, als ob eine kleine Bombe irgendwo in der Ferne abgeschossen wurde. Mein Herz begann schneller zu schlagen.
„Was war das?“, kreischte Crystal und drehte sich einmal um ihre eigene Achse. „Sind wir in ein Kriegsgebiet geraten?“
Blue wandte seine Fähigkeit an und riss erschrocken seine Augen auf.
„Crystal hat Recht! Dreißig Kilometern weiter, an der Grenze zu Limburg und North Brabant, kämpfen Dusts und Vampire gegeneinander.“
Meine Membran kribbelte. Snow!






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