Dark Paradise - Teil 3

Autor: Euphoria
veröffentlicht am: 14.02.2013


Kapitel 2
Sie
Benommen raste ich unaufhaltsam durch die endlos leere Wüste. Die Hitze der Sonne, welcher ich hilflos ausgesetzt war, stieg mir zu Kopf, ich wand mich, aber weder konnte ich die Geschwindigkeit mit der ich nach vorne schoss drosseln, noch irgendwie der Leere oder der Sonne entkommen. Ich war so allein und es war viel zu heiß, ich würde das nicht mehr lange durchhalten… Ich sah ihn zu spät… den Ast, das lange etwas zwischen den Milliarden Sandkörnern. Mit einem lauten Aufprall knallte ich auf den Boden, es fühlte sich an, als wäre ich nicht in weichen Sand gefallen, sondern auf festen Beton… Aber dann presste mich auch noch ein unheimlicher Druck von oben weiter in die beweglichen Kiesel hinab. Ich rutschte hinein in das tiefe Meer von Sand. Winzige Steinchen schlossen jede nur so kleinste Lücke. Füllten meine Lungen und lagen dort wie Blei, es blieb mir immer weniger Platz zum Atmen. Ich wollte schreien, doch stattdessen schluckte ich eine weitere Ladung schweren Sand. Ich schlug und trat um mich, aber das bewirkte nur, dass ich immer tiefer in diese Hölle rutschte. Tiefer und tiefer. Plötzlich breitete sich endlich wieder Raum um mich aus. Luftraum, Platz zum atmen! Eine Höhle! Meine Rettung! Ich fühlte mich frei und begann zu tanzen….Schließlich bemerkte ich auch das Licht und den Spalt, durch den ich den blauen Himmel sehen konnte! Freiheit! Ich blinzelte… Da war plötzlich alles weiß um mich… und so dunkel wie am frühen Morgen, kurz bevor die Sonne aufging…Langsam dämmerte es mir...Es gab keine Wüste, keine Sandkörner…Ich hatte nur geträumt…Ich war auf meinem „Krankenzimmer“. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Allerdings spürte ich alles noch ganz genau, die Hitze quälte immer noch meinen Körper und ich fühlte mich immer noch benommen und unwohl. Ich tastete meine Stirn ab und fühlte Wärme und Schweißperlen. So schlecht hatte ich mich noch nie gefühlt! Schon diese kleine Bewegung genügte um mir schwindlig zu werden. Und in Höhe meines Knies pochte es schmerzvoll. Ich musste mich wieder daran erinnern alles nur geträumt zu haben…Wahrscheinlich hatte ich mich dabei irgendwo an der Bettkante oder so gestoßen…Aber beim genaueren Betrachten fiel mir auf, dass der blaue Fleck auf der Kniescheibe schon etwas älter sein musste. Egal, ich hatte trotzdem bloß geträumt! Aber irgendetwas hatte dieser Traum mit sich gebracht…Es fühlte sich so an, als würde ich mehr wissen als gestern. Auf einmal begann mir eiskalt zu werden. Meine Decke erschien mir viel zu dünn, als dass sie die Kälte daran hindern würde mich aufzufressen. Und ich konnte nirgendwo anders hintstarren als in dieses Weiß. Überall weiß. Das machte mich verrückt. Wenn ich nicht bald etwas anderes erleben würde, dann würde ich durchdrehen. Es war so schrecklich einsam hier! Ich nahm mein eigenes zittern war. Reflexartig huschte ich an die Glasscheibe und starrte hindurch. Aber dort drüben war es auch völlig leer! Warum waren sie nicht da? Jetzt konnte ich Gesellschaft gebrauchen! Ich war so allein zwischen den Wänden, die auf langsam, aber immer schneller auf mich zu wanderten. Gleich würden wie mich immer mehr einengen, zerquetschen…bei lebendigem Leib. Ich lebte doch noch, oder? Langsam war ich mir da nicht mehr so sicher. Aber ich hörte doch mein eigenes wimmern! Und ich konnte auf und ab laufen! Schnell umklammerte ich meinen Körper, weil mir augenblicklich übel wurde. Ich ging schneller und schrie, schrie, immer wieder und immer lauter, denn ich hörte immer nur mein Echo und es erschien mir viel zu leise! Da…ich meinte eine ruhige, angenehm tiefe Stimme zu vernehmen… Und dann wurde ich an einen warmen, harten Körper gepresst. Ich dachte erst, es wären die Wände und versuchte sie mit gezielten, starken Tritten fern von mir zu halten, aber dann schwand all meine Kraft und ich sackte in seine Arme. Ich musste nichts machen, sondern einfach nur still halten und der tiefen Stimme lauschen, dann konnte ich es aushalten! Noch angenehmer wurde es, als ich spürte, wie sich eine Nadel mit einem kleinen Piks in meinen Oberarm bohrte und sich danach wieder langsam meine Lider schlossen und ich in seine meerblauen Augen hinabtauchte in ein warmes, helles Meer lauter bunter, fröhlicher Fische.
Er
Endlich regte sich die wie ein Stein schlafende Gestalt auf dem Beifahrersitz. Sie räkelte sich elegant und blinzelte ein paar Mal verträumt vor sich hin. Dann inspizierte sie ihre Umgebung, also das Auto und die Landschaft, durch die wir fuhren. Während ich aus dem Augenwinkel bemerkte, wie sie zufrieden aus der Windschutzscheibe in den klaren Himmel sah, steckte mich ihr guter Zustand an und ich versuchte mich langsam daran zu gewöhnen, dass ich mit ihr ganz alleine in einem Auto saß und eine schön lange Fahrt vor mir hatte, die mir Gesprächsthemen gefüllt werden wollte. Da musterte sie mich. Danach lehnte sie sich entspannt zurück. Dass keine Panik oder Angst oder dieser schleierhafte benommene Ausdruck in ihren Augen lag, bestätigte meine Vermutung, dass es nicht allzu leichtsinnig war, sie auf den Beifahrersitz zu setzen. In ihrem aktuellen Zustand würde sie bestimmt auf keine dummen Ideen kommen. Das konnte sich natürlich in den nächsten Stunden ändern, aber ich hatte zum Glück eine ordentliche Dosis Baldrian in Reichweite und außerdem gab es noch ihren speziellen Sicherungsgurt, wo ich jederzeit noch andere Funktionen einschalten konnte… Auf der Straße war-wie immer bei uns, fast kein Betrieb und so war das fahren relativ entspannt und lud zum Nachdenken ein. Obwohl ich mit den Gedanken woanders war, hatte ich sie immer unauffällig im Blick. Gerade schlug sie ihr rechtes Bein über das linke und drehte sich dann in meine Richtung. Es war immer noch ungewohnt für mich, wenn sie mich ganz gezielt ansah wie jetzt. Ich war begeistert, dass sie den ersten Schritt für unser Gespräch wagte. Das zeigte, dass sie in so einem guten Zustand war, dass sie selbst die Initiative ergriff. Ich meinte fast, ihr wirkliches Ich neben mir zu haben und das machte mich ganz verrückt. „Es tut mir Leid, dass ich vorhin sooo abgedreht bin…Gott, ich weiß auch nicht, was da mit mir los war, das war nicht ich selbst!“
Ich jubelte innerlich! Aber jetzt bist du es, dachte ich und konnte es nicht glauben. Meine Gefühle überwältigten mich! Fast vergaß ich etwas zu erwidern.
„Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Du kannst nichts dafür!“
Sie strich sich verlegen eine dunkle Haarsträhne hinters rechte Ohr. „Naja…ich war bestimmt nicht gerade angenehm…“
Ich schüttelte den Kopf, musste aber gleichzeitig daran denken, wie sie sich in meinen Armen gewandt hatte…“Ach, mach dir darum keine Sorgen! Ich kann mit sowas umgehen…!“ Sie schaute mich fragend an. Mein Blick blieb auf der Straße, hätte ich sie angeschaut, hätte ich mich bestimmt nicht mehr abwenden können. „Machst du so was von Beruf? Menschen zähmen?“, fragte sie grinsend. Ich schmunzelte. In meinen Ohren klang „zähmen“ wie ein Kompliment. „Fast. Ich kümmere mich um die Neulinge, die sind psychisch nicht immer auf dem neusten Stand, wenn du weißt was ich meine.“ Sie nickte und drehte sich wieder zum Fenster. Eigentlich konnte sie natürlich nicht wissen, was ich meinte, aber ich war ihr dankbar, dass sie jetzt keine Fragen stellte. „Ich muss sagen, ihr habt es aber wirklich schön hier…“ Ich schmunzelte wohl Dauer! „Das finde ich ja auch. Warts nur ab, da wo wir hinfahren ist es meiner Meinung nach am schönsten…!“ Sie lachte. Ohne mich anzuschauen fragte sie: „Darf ich mal fragen, wie alt du eigentlich bist?“ Ich glaube ich wurde rot, sie sagte das so normal, dass es schon komisch klang und ich fragte mich warum sie sich für mein Alter interessierte. „Oh ehm entschuldige, ich glaube ich habe mich dir noch gar nicht vorgestellt! Ich bin Can und vier Jahre älter als du.“ Sie nickte erst reflexartig, doch dann schwand plötzlich ihr Lächeln und sie schien angestrengt über etwas nachzudenken. Dann schluckte sie und räusperte sich leise. Ihre Stimme klang heiser und sie sprach leise, als sie fragte: „Und das wäre?“ Ich schaute sie kurz verwundert von der Seite an. „Kannst du nicht rechnen?“, fragte ich scherzhaft. Aber ihre ernste Miene wich nicht. „Doch rechnen kann ich merkwürdigerweise, aber …sag mir doch bitte wie alt ich bin…“ Ich starrte sie an und verstand einfach nicht, was sie wollte. War das ein hinterhältiger Test? „Ich denke nicht, dass ICH dir das sagen muss…“ „Doch, weil… ich selber weiß es nämlich nicht…dazu habe ich keine Erinnerungen, wie zu vielen Dingen nicht, da ist einfach nichts hier oben….“ Sie deutete zu ihrer Stirn. Dazu habe ich keine Erinnerungen, wie zu so vielem nicht…. Langsam begriff ich die Bedeutung ihrer Worte! Ich konnte nicht von ihren glasigen Augen lassen, ich versuchte darin zu versinken und alles Verborgene auszugraben… „CAN! PASS AUF!“ Jetzt sprang ihr schmaler Oberkörper in meine Richtung und griff ins Lenkrad, berührte dabei meine Finger mit ihren zarten dünnen….
In letzter Sekunde hatte sie den nagelneuen Mercedes wieder zurück in die Spur gelenkt! Ich erstarrte vor Schock, klammerte routineartig die Hände um das Leder des Lenkrads, das Bild vom Graben noch vorm inneren Auge, den Wind ihrer Berührung noch auf meinen Fingern und ihre Stimme, von der ich nicht genug kriegen konnte noch in meinem Ohr…Sie stieß mich an und drehte meine Schulter in Richtung Windschutzscheibe. „Guck nach vorne, Mensch!“ Es dauerte noch eine Weile, bis ich mich wieder vollständig im Griff hatte und in der Lage war, den Wagen sicher zu steuern. Sie starrte starr geradeaus und bemühte sich gefasst auszusehen. Aber ich spürte ihren unregelmäßigen Atem und meinte Tränen in ihren dunklen Augen zu sehen. Ich schluckte und murmelte eine Entschuldigung. Sie hatte genug damit zu tun, sich zu beruhigen, sodass eine Weile Stille herrschte. Am liebsten hätte ich ihr meine Hand auf ihr Knie gelegt, aber ich traute mich nicht. Stattdessen fragte ich nur ob alles okay wäre. Sie nickte nur und meinte: „Das war knapp!“ „Du hast uns womöglich das Leben gerettet!“, rutschte es mir heraus und mit einem Mal wurde mir die Heftigkeit des Vorfalls bewusst. SO ETWAS DRUFTE MIR NIE WIEDER PASSIEREN! Ich warf ihr einen Seitenblick zu, doch sie deutete nach vorne. „Da spielt die Musik, Herr Chefeur!“ Ich lächelte beim konzentrierten Autofahren, normalerweise war ich ein guter Fahrer. Etwas wie eben ist mir noch nie passiert! Da fiel mir wieder der Hintergrund der Sache ein und ich begann zu erzählen, während ich mit der linken Hand im Seitenfach meiner Fahrertür wühlte: „Hier ist dein Pass, …Kaete! Er ist gefälscht, beziehungsweise gwissermaßen schon echt, aber eben auf unsere Art…Allerdings…hast du einen neuen Namen bekommen…Den, den dir deine Eltern gegeben haben kenne ich nicht…Tut mir Leid!“ Früher hatte ich mir öfters ausgemalt, wie es wäre sie uneingenommen zu treffen. Zugegeben ich hatte daran gedacht, sie zu belügen oder ihr zumindest nichts über ihre Familie, ihr Leben hiervor zu sagen. Jetzt gab es diese Option für mich einfach nicht mehr. Jeder hat ein Recht auf Wahrheit und Vergangenheit. Und ich werde der Letzte sein, der ihr dieses Recht nimmt. Sie starrte das grünliche Papier an, als wäre es lebenswichtig für sie…“Kaete Hellen…“, flüsterte sie. „Ich bin 16, erst 16, hmm…“ Ich betete, dass sie jetzt nicht wieder abschweifen würde…“Gefällt er dir?“ Sie schaute auf: „Wer?“ Ich deutete mit dem Kopf auf den Pass. „Dein Name: Kaete Hellen.“ Ich bog rechts ab. Sie wägte mit dem Kopf ab. „Ist das Kaete nicht ein sehr häufiger Name?“ Ich dachte danach, wie es wohl ist, wenn man sich nicht an seine Vergangenheit erinnern konnte. So einen Fall hatte ich noch nie gehabt und ich fand es äußerst interessant, dass von ihrem Allgemeinwissen noch alles vorhanden war und sie sich also nicht wie eine Außerirdische fühlen musste. Ich sagte: „ Mag sein, dass der Name allein es ist, aber solange eine einzigartige Person ihn trägt, ist der Name genauso besonders wie sie. Und bei uns bist du die Einzige, die diesen wunderschönen Namen trägt. Ich kenne keinen, der besser zu dir passt.“ Sie ignorierte, dass ich meinte beurteilen zu können, was zu ihr passte und was nicht. Ich hatte Angst, dass sie verlangte, sie aufzuklären über all das, wofür sie keine Erinnerungen besaß. Aber noch tat sie es nicht. Sie drehte sich nur zum Seitenfenster um und weil es schon leicht dämmerte konnte ich ihre gespiegelten Tränen sehen. Wahrscheinlich wusste sie, dass ich es gesehen hatte, denn sie meinte: „ Ich frage mich nur, ob ich mich je wieder erinnern werde. Und ob ich…ob ich ohne Vergangenheit trotzdem … derselbe Mensch bin.“ Sie weinte stille Tränen. Es gibt keine größere Qual für mich, als sie leiden zu sehen. „Das bist du. Deine Vergangenheit ist tief in dir, Kaete. Sie ist nicht weg. Es gibt keinen Menschen, der sich nie wieder erinnert hat.“ „Einer ist immer der Erste.“ Sie klang erschöpft. Im Radio lief irgendetwas von Reamon, ein Alltagssong, der so gar nicht zu der Situetion passte. Aber ich wollte die Musik nicht ganz ausstellen. Ich trat aufs Gas, plötzlich wollte ich die Fahrt gar nicht mehr ewig hinauszögern. Wir würden noch alle Zeit der Welt haben. „Mach dir darum keine Gedanken, Kaete. Das bringt rein gar nichts, sondern setzt dich nur unter Druck. Glaube mir, es wird alles von alleine kommen.“ Ich sagte das vielleicht mehr zu mir, als zu ihr. „Du hast Recht,“meinte sie und versuchte sich unauffällig das blasse Gesicht trocken zu wischen. Ich bezweifle, dass ich sie getröstet habe, aber wenigstens war damit das ungemütliche Thema vom Tisch. „Gleich sind wir da,“ verkündete ich voller Vorfreude und bog in den ersten Waldweg ein, nach dem ein großes Netz an wilden Wegen durch einsame Berggegenden führte. Von Weitem sah ich schon die große Anlage als einziger hell erleuchteter Punkt in der Dunkelheit und drehte das Radio dann doch etwas lauter. Kaete wurde unruhiger, vielleicht aus Interesse? Es wartete einiges auf sie, aber ich würde stets an ihrer Seite wachen.






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