Dark Paradise

Autor: Euphoria
veröffentlicht am: 13.02.2013


Kapitel 1-Das Licht
Sie
Zuvor in der ewigen Dunkelheit musste ich ganz meinem Hörsinn vertrauen. Ich lauschte vielen Stimmen, aufgeregt und durcheinander. Jetzt war es still und zu hell, als ich schließlich probierte die Lider hochzuschlagen. Wie sich Licht anfühlt musste ich wohl schon beinahe vergessen haben, fast war mir die Dunkelheit angenehmer. Doch irgendwann siegte die Neugier.
Das Zimmer erleuchtete im sterilen weiß. Weiße Wände, weißer Fußboden, ich schätze PVC Hochglanz oder eine riesige Fliesenplatte, das Material hätte mich mal genauer interessiert. Erschreckenderweise konnte ich kein einziges Fenster entdecken .Die Decke war auf eine sonderliche Art komplett verspiegelt. Dadurch musste auf irgendeine Weise Tageslicht in den Raum gelangen. Ich lag auf einem Bett inmitten wolkenweißer Bettwäsche. Hastig prüfte ich meine Kleidung: Baumwollleggins und Sweatshirt erinnerten mich an lange Unterwäsche. Auch weiß. Erst jetzt fand die Frage in meinem Kopf eine Formulierung: Wo und warum bin ich hier???

Er
Was hatte ich getan??? Dass sie ein paar Meter weiter nur durch eine getönte Fensterscheibe getrennt sich in dem Krankenhausbett aufgesetzt hatte und sich ohne Scheu, nur reichlich verwirrt umsah, machte mir erst das ganze Ausmaß, mein egoistisches Handeln deutlich. Andererseits beruhigte ihre Nähe mich unbeschreiblich, auch wenn mir vor Aufregung und Schock eiskalt war. Jetzt war es also soweit und ich konnte nicht mehr zurück. Es musste weitergehen und das würde es, ich hatte bloß keine Ahnung wie. Dieser Moment, wenn der größte Wunsch in Erfüllung geht, man es nicht glauben kann und auch nicht weiß, was nun anfangen damit, zog meinen ganzen Körper in seinen Bann. Tom beobachtete mich immer wieder genau aus seinem Augenwinkel, ich merkte dies, auch wenn er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, indem er konzentriert geradeaus blickte. Der Arzt und Psychologe, so sah die Szene von außen aus. In Wirklichkeit steckte allerdings vielmehr dahinter: Vater und Sohn, Alt und Jung, zwei enge Vertraute. Es ging hier doch um soo viel mehr, als um eine gewöhnliche e Behandlung. Das hier stellte mein Lebensprojekt dar. So wie ich jetzt auf dem Tisch saß, konnte ich noch nie gesessen haben. So, wie ich jetzt guckte, konnte ich noch nie geguckt haben. Dieser Moment war einzigartig. Tom lernte etwas ganz neues von mir kennen. Wie immer interessierte mich auch diesmal seine Meinung dazu. Doch seine Stimme verriet mir nichts diesbezüglich, als er sagte: „Sie sollte sich nicht zu lange festgehalten fühlen.“ Irgendwo hinter seiner faltigen Stirn verbarg sich ein Urteil oder ein Gefühl. Warum zeigte er es nicht? Ich nickte nur. Natürlich nicht. „Und wie soll es jetzt weitergehen, Can? Am besten fahrt ihr morgen nach Hause.“ Ich war ihm dankbar, dass er die Frage nicht alleine stehen gelassen hatte, denn darauf wusste ich keine Antwort. In mir breitete sich Leere aus, aber nicht als negatives Gefühl, sondern vielmehr das Gefühl fast angekommen zu sein. Dabei lag noch so viel vor mir. Ich musste jetzt irgendetwas sagen, um die angespannte Stimmung zu brechen. „Ich werde als Erster hineingehen….“ Am Ende hob sich meine Stimme, sodass meine Aussage eher wie eine Frage klang. Vor Tom konnte ich meine Unsicherheit sowieso nicht verstecken. Er legte mir seine kräftige Hand auf die Schulter und zog gleichzeitig irgendein wissenschaftliches Buch vom Tisch auf seinen Schoß. Er tat immer genau das Richtige. Er saß ruhig wie eine ihm nachgebildete Statue auf dem Praxisstuhl, als könne ihn nichts aus der Ruhe bringen, was wahrscheinlich ja auch so war. Türklopfen ließ mich hochfahren. Eine Schwester steckte ihren kleinen Kopf herein. Nur um etwas zu tun, ging ich ihr entgegen und nahm ihr das Frühstückstablett ab. Ich stellte es neben mich auch den Tisch. Nur einen Moment noch, dann würde ich den großen Schritt tun. Ich starrte weiterhin auf die weiße Wand im Zimmer gegenüber. Plötzlich blendete mich ein Lichtstrahl, ich suchte rasch nach seinem Ursprung und fand zwei dunkle, endlos tiefe Augen, die mich anstarrte und nach einer kurzen Zeit, die mir wie Millionen von Jahren vorkam zu Tom hinüberwanderten und ihn aus seinem Buch aufsahen und die Brille anheben ließen. Schon bald zeigte sich ein sanftes Lächeln zwischen seinen weisen Gesichtszügen. Dies war es also, dieses bedeutende erste Aufeinandertreffen, die Geschichte der Zukunft, auf die ich monatelang gewartet hatte. Es hatte begonnen und ich wünschte mir, sie könnte alles in meinen Augen ablesen, alles was ich ihr sagen wollte, was sie –über mich wissen musste. Aber so leicht war es leider nicht. Schließlich fing ich mich, nahm zittrig und ruhig zugleich das Tablett und steuerte die Tür in mein neues Leben, meine Zukunft an.

Sie
Nachdem ich irgendwann endlich die Glasscheibe bemerkt hatte, riss ich sofort die Milchglasfolie herunter, welche mir den Weg versperrte. Hinter dem Glas saßen zwei Männer. Sie und auch ich waren nicht wenig überrascht und erschrocken. Der Jüngere, ein Blonder mit blauen Karibikaugen, saß auf dem Tisch, die Hände an der Kante, um jeden Moment aufspringen zu können , was ihn noch jünger und unsicherer wirken ließ. Ich starrte ihn an und eine Zeit lang starrte er zurück, dann wendete er seinen Blick fast panisch ab und blickte auf seine Hände, die er nun im Schoß faltete. Der andere, ältere hatte genau die entgegengesetzte Ausstrahlung. Er war mir sofort sympathisch mit seinen grauen Haaren und Lachfalten. Und nahm mir mit einem freundlichen aufgeschlossenen Lächeln jede Angst. Er schaute immer wieder in ein Buch und hatte es sich auf dem einfachen Stuhl bequem gemacht. Ich wollte auch ein Buch oder etwas anderes mit dem ich so tun könnte, als hätte ich eine Beschäftigung. Ich wollte wissen, was ich hier sollte und was die Männer taten oder wollten. Ich wollte mit ihnen reden, was sollte ich denn sonst machen? Mir blieb nichts anderes übrig, als weiterhin unhöflich herumzustarren, obwohl so unhöflich war es ja gar nicht, wer beobachtete denn hier wen? Jedenfalls war ich froh, als der junge Blonde sich ein Tablett schnappte und es einen Augenblick später an der großen merkwürdigen Tür klopfte. Wie nett, anzuklopfen! Ich konnte einfach nicht auf ein scharfes „Ja?“ verzichten. Ich konnte ihn noch einmal schlucken sehen, bevor er eintrat und übersah nicht das ernste Gesicht oder die zitternden Hände. War nicht ich es, die Angst haben musste? Hatte ich aber nicht. „Guten Morgen, “kam es aus den dünnen Lippen gepresst. Ich zog die Stirn kraus und blieb unschlüssig im Raum stehen. „Ah, es ist also morgens!“ Wenn ich mich nicht täuschte, war da kurz ein hochgezogener Mundwinkel. Ich hörte meinen Magen förmlich brummen. Etwas zurückhaltender deutete ich auf das Tablett: „Ist das für mich?“ Er nickte und reichte es mir. Ich setzte mich damit aufs Bett und konnte mich nicht zurückhalten. Der Orangensaft, das Müsli mit Joghurt und die Früchte wirkten einfach zu ansprechend. „Ich wusste nicht, ob du Kaffee magst“, sagte er ausdruckslos. „Ich mag ihn.“ Ich trank stattdessen vom Saft. „Ich kann dir einen holen!“ Er wollte sich schon zum Gehen wenden, ich aber schüttelte den Kopf. „Nicht nötig. Verrate mir lieber wo und wieso ich hier bin!“ Ich verhielt mich kühl und bitter. Ich war beleidigt, dass ich es nicht selber wusste und fühlte mich hilflos, wenn ich mich wie jetzt nicht nur auf mich selbst verlassen konnte, sondern nur auf andere. Vielleicht fänden das andere entspannt, ich nicht. Der Blonde mit den Eisaugen stand immer noch einfach so zwischen der Schiebetür und dem Bett. Er blickte mich erschrocken an und blickte dann auf seine Schuhe. Das waren alte, ausgelatschte Segelschuhe aus porösem Leder, so welche, die knatschten, wenn man einen Fuß vor den anderen setzte. Ich wollte nicht zugeben, dass er traurig aussah. Ich konnte es einfach nicht. Er wusste etwas, dass eigentlich auch ich wissen sollte. Ich war wütend, denn das war alles andere als fair! Vielleicht schaute ich jetzt trotzig und verärgert meiner Hand beim lustlosen Vermischen des Müslis mit dem Joghurt zu, aber das war mir egal. Ich hatte immerhin Grund genug dafür. Außerdem kam es mir so vor, als wären Stunden vergangen, bis er sich endlich dazu äußerte. „Jetzt?“, fragte er ohne den Blick von seinen Lederlatschen zu nehmen, sodass ich leicht erschrak. Ich bemühte mich, nicht zu gereizt zu klingen. „So schnell wie möglich!“ Schnell fügte ich noch ein „Bitte.“ Hinzu. Ich konnte seine Traurigkeit und Unsicherheit immerhin nicht ganz ignorieren, auch wenn sie mich maßlos ärgerte. Das wäre meine Rolle!!! Wie auf Kommando richtete er Schultern und Kopf plötzlich auf und schaute wenigstens in meine Richtung. „Gut, ich will es versuchen. Aber nicht hier, die Dachterrasse erscheint mir geeigneter“, sagte er schließlich mit gefesteter Stimme. Er ging zu mir und nahm mir das Tablett weg, obwohl ich mich noch nicht satt gegessen hatte. Verwundert folgte ich ihm zur Tür. Natürlich wusste ich irgendwie schon, dass ich eingesperrt war, aber das Zahlenfeld für den Code in der Tür führte es mir auch noch direkt vor Augen. Ich war am durchdrehen. Ich atmete die angestaute Luft scharf aus. Mir stach das Messer auf dem Frühstückstablett ins Auge, er balancierte es locker unter dem linken Arm, während er den rechten zum Zahlenfeld führte. Eine gezielte Bewegung, könnte ich es schaffen? Sollte ich es wagen? Meine Hand zuckte gefährlich. „Entschuldigung, aber ich muss dich bitten kurz wegzusehen.“ Seine Stimme unterbrach meine Gedanken. Ich sah weg, dachte aber gleichzeitig: Was erwartet der von mir? Brav gehorchen, während er mich gefangen hält? Vielleicht irgendetwas mit mir vorhat, wovon ich gar nichts wissen, gar nichts mitbekommen will? Beim nächsten Mal durfte ich nicht wieder zimperlich sein. Damit würde ich nicht weiterkommen! Ich schüttelte bestätigend den Kopf. Da sprang die Tür auf. Ich beobachtete ihn erwartungsvoll und er drehte sich zu mir um. Würde er mir jetzt Handschellen oder so etwas in der Art anlegen? Vor uns lag ein scheinbar endloser, breiter, langer, weißer Flur. Er tat es nicht. Gab es hier also kein Entkommen? Mein Verstand arbeitet mit meinem Instinkt alleine zusammen. Ich schaltete automatisch nur das praktische Denken und Handeln ein. Eine Seite von mir, die ich noch nicht kennengelernt hatte. Kurzfristig beschloss ich, ihm brav zu folgen und erst einmal auf der Dachterrasse zuzuhören. Auf dem Rückweg würde ich dieselbe Chance haben. Ich konnte es kaum erwarten, die Frischluft und den Ausblick zu genießen. Das klang alles so nach Freiheit und Weite! Leider nur schien meinem Führer alles daran zu liegen, den Weg so lange wie möglich hinauszuzögern…








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