Zwischen Sommer und Winter - Teil 3

Autor: Kathrin.
veröffentlicht am: 26.03.2013


Fluchend stieß ich mit meinem Fuß gegen eine Kiste aus der prompt alles herausfiel. Viele kleine Bücher, Zettel und Fotos flogen umher. Stirnrunzelnd betrachtete ich eines der Fotos. Darauf sah ich meine Oma. Wahrscheinlich ungefähr so alt wie ich. Mit einem jungen Mann. Der mit Sicherheit mein Großvater sein musste. Ich kannte die Geschichte nicht. Ich wusste, dass meine Oma meinen Vater und meinen Onkel allein großgezogen hatte. Mehr wusste ich nicht.
Ich betrachtete die andren Sachen aus der Kiste genauer. Auf den kleinen Bücherrücken standen Jahreszahlen. Wow. Die Tagebücher meiner Oma.
Es fühlte sich falsch an. Aber ich tat es trotzdem. Ich schlug blindlings eines auf. Doch leider fand ich nicht wie erhofft einzeln datierte Einträge rund um meinen Opa und sie. Sondern immer nur kurze, manchmal auch längere, Einträge. Für mich ohne Sinn. Leider.
„Freya, was machst du da?“, ich hatte nicht bemerkt wie sie hinter mich getreten war.
„Wirst du mir jemals davon erzählen?“, ich hielt das Foto hoch und das kleine Büchlein, das ich in der Hand hatte. Langsam schüttelte meine Oma den Kopf.
„Ich hab deinen Großvater sehr geliebt.“, war ihre schlichte Antwort. Ich sah sie forschend an.
„Willst du mir vielleicht mehr erzählen?“, fragte ich hoffnungsvoll.
„Du kannst die Bücher und Karten lesen und dir die Bilder ansehen. Aber darüber reden werde ich nicht.“, sie blieb eisern. So kalt kannte ich sie gar nicht. Es war so ungewohnt sie so zu sehen. Auf einmal wirkte sie sehr einsam.
„Weißt du Freya, du, deine Brüder und dein Vater und dein Onkel, ihr wart das Beste was mir passieren konnte. Ich will und ich kann nicht darüber reden. Ließ die Bücher, vielleicht wird dir dann manches klar.“, sagte sie und verließ den Boden. Also nahm ich mir die Bücher setzte mich auf das Bett und begann zu lesen.

Als ich aufblickte begann es bereits zu dämmern. Ich war geschockt. Meine Oma schrieb wunderbar. Aber alle war von solch einer Trauer, dass es mich so berührte wie noch nichts zuvor, dass ich gelesen hatte. Alles war so depressiv. Was war nur passiert? Ich wusste es nicht. Ich konnte mir nicht ausmalen was sie zu solchen Gedanken bewegt hatte.
Ausseufzend stand ich auf. Ich hatte noch eine Stunde um auf Arbeit zu kommen. Das würde reichen. Ich musste dringend meine Gedanken ordnen. Ich trampelte die Treppe herunter, meine Oma konnte ich nirgendwo finden. Sie war draußen und hackte, ohne für mich ersinnlichen Grund, in einem Beet herum.
„Ich gehe.“, sagte ich, gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging zu meinem Fahrrad.
„Es tut mir leid, Freya.“, sagte sie nur. Ich zuckte mit den Schultern, sah auf den Boden und ging. Es tat mir selbst leid, dass ich sie so verletzte, aber ich hätte so gerne mehr erfahren. Wer war dieser mysteriöse Mann? Es war nicht der Mann den meine Oma geheiratet hatte. Definitiv nicht mein Opa. Es war so verwirrend und komisch und es verunsicherte mich. Ich wusste nicht mehr wer ich war und wo ich hingehörte. Dieser Mann erinnerte mich an etwas. Doch ich konnte es nicht definieren. Ich konnte dieses Gefühl nicht beschreiben.

Den ganzen Abend konnte ich mich nicht auf die Arbeit konzentrieren. Ich dachte an das Schicksal meiner Oma. Und eigentlich wollte ich es am liebsten leugnen. Aber diese blauen Augen verfolgten mich. Und ich wusste nicht was ich tun konnte um mich vor ihnen zu retten. Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht einmal merkte, als Tom mich ansprach.
„Na, ganz schön in Gedanken, was?!“, fragte er mich neckend. Ich konnte nur müde lächeln. „Mach mal ‘ne Pause. Du siehst ganz schön fertig aus.“, sagte er lächelnd. Ich konnte ihm nicht einmal danke sagen, weil er schon wieder einen Kunden hatte. Ich schleppte mich nach oben und setzte mich. Und ich legte mein Gesicht in meine Hände. Was hatte es mit diesem Mann auf dem Bild auf sich? Es war mit Sicherheit nicht mein Opa. Hundertprozentig. Was war passiert? Warum hatte Oma mir nichts erzählt? Warum beantwortete sie mir diese Fragen nicht? Was war passiert? Was war passiert? Was war passiert? Diese Frage wiederholte sich ständig in meinem Kopf.
Ich blickte erschrocken auf die Uhr. Mittlerweile war schon eine halbe Stunde vergangen seit dem ich hier hoch gegangen war. Das bedeutete für die restliche Nacht keine Pause mehr.
Doch es wurde weniger stressig als erwartet. Aber als ich endlich sechs Uhr früh aus der Bar ging war ich heilfroh, dass ich in mein Bett konnte. Vorher noch einen Kaffee trinken und zum Bäcker und dann bis nachmittags durchschlafen. Darauf freute ich mich sosehr, dass ich anfing wie blöd zu grinsen.
„Na, da geht’s jemandem aber gut.“, erschrocken fuhr ich herum und sah in diese Augen die mich durch die ganze Nacht hindurch verfolgt hatten. Ich sah ihn noch einen Moment zu lange an und drehte mich schließlich wortlos um.
„Warte bitte einen Moment.“, er hielt mich am Arm fest. Ich blickte ihn wütend an.
„Was willst du noch von mir?“, zischte ich.
„Ich habe mich gestern Morgen nicht korrekt verhalten. Es tut mir leid.“
Mir verschlug es die Sprache. Wie konnte man nur so dreist sein? Ließ mich erst stehen mit dem Satz: “Was stellst du mit mir an?“ und jetzt entschuldigte er sich. Sechs Uhr früh! War er extra so früh aufgestanden, oder hatte er gar nicht geschlafen. Skeptisch sah ich ihn an. Er grinste ein spitzbübisches Lächeln und in seinen Augen glitzerte der Schalk. Und auch ich musste unwillkürlich wieder grinsen.
„Lust auf einen Kaffee?“, fragte er jetzt immer noch grinsend. Ich grinste zurück und nickte.






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