Wenn die Erde atmet

Autor: Caprice
veröffentlicht am: 22.11.2012


Ich landete auf hartem Waldboden und spürte sofort die Kälte, die von der Erde ausging. Erst nach einer Weile, die ich in dieser Selbstbehinderung verbrachte, wurde mir bewusst, dass ich keine Ahnung hatte wo ich überhaupt war und wie zum Geier ich hergekommen bin. Ich erinnere mich daran schlafen gegangen zu sein. Ich erinnere mich an den Regen, der gegen mein Dachfenster prasselte und an mein Bett und die vielen bunten Kissen.
Auf dem Gipfel präsentierte sich der Mond in seiner gänzlichen Pracht. Es war eine wolkenlose Nacht und hier und da funkelten die Sterne, wie winzige Diamanten durch abendliches Mitternachtsblau. „Ist jemand hier?“, flüsterte ich vorsichtig. Keine Antwort. Nur der Wald mit seinen unheimlichen Geräuschen, sonst nichts. Stille.
Züge von Ratlosigkeit spiegelten sich in meinem Ausdruck.
Ich stand rasch auf und klopfte Reste von Moos und Ästen aus meinen Klamotten, von denen ich keine Ahnung hatte, wie sie dorthin gekommen waren. Die Lichter der Stadt waren fort und die Tatsache, dass außer mir niemand hier zu sein schien beängstigte mich zunehmend. Es schüttelte mich regelrecht und daran war nicht die Kälte schuld. Ich zwang meinen Atem ruhig zu bleiben. Es war nicht der Wald, der mir Angst machte, dachte ich und schaute mich um.
Die schemenhaften Gestalten entpuppten sich als Fichten, die so wuchtig waren dass ich mir nicht nur vorkam, wie eine Ameise in einem riesigen Labyrinth mit Mauern aus Holz, sondern mich auch genauso fühlte.
Mit jedem Schritt den ich tat, hörte und spürte ich das Knirschen und Schmatzen des Waldes. Immer lauter, immer intensiver. Was ich sonst als entspannend empfand, klang mittlerweile einfach nur unheimlich. Mein Puls wurde schneller, je weiter mich meine Füße trugen, desto schlimmer wurde es.
Es führte dazu, dass ich mich noch stärker darauf konzentrieren musste nicht in Panik zu geraten. Um das Schlagen meines Herzen zu ignorieren versuchte ich meine Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten.

Nach einer Weile blieb ich atemlos stehen. Meine Beine taten weh und mein Hals war vor Kälte so trocken, dass es sich bei jedem Atemzug anfühlte als würde mir jemand ein Messer in die Lungenflügel rammen. Die Nacht hatte mich mittlerweile vollkommen eingehüllt und immer noch war weder ein erfreuliches Laternenlicht, noch ein Pfad zu erkennen, der mich aus dieser lichtlosen Hölle hätte befreien können.
Ein ohrenbetäubendes, metallisches Geräusch ließ mich ruckartig aus meinen Gedanken fahren. Beinahe hätte ich geschrien. Es hörte sich wie eine Art beißendes Schnappen an. Na, toll! Hier muss es Tiere geben, große Tiere! Schoss es mir zuerst durch den Kopf und bevor ich mich langsam und vorsichtig zu der Quelle umdrehte. Hätte ich vielleicht nicht tun sollen, denke ich im Nachhinein. Der Schmerz folgt auf dem Tritt.
Reflexartig griff ich nach meinem linken Fuß. Die Schmerzen waren so heftig dass ich annahm mein Knöchel sei gebrochen und dabei war ich weder hingefallen, umgeknickt oder gestolpert. Sichtlich verwirrt krämpele ich die Hose ein Stück weit hoch und fahre mir mit dem Fingern über Haut und Knochen. Weder ein Kratzer noch eine Schwellung, stelle ich fest und bin schockiert und genervt zugleich.
Frustiert ziehe ich meine ausgefranzte lieblings Jeans zurück über den Sportschuh und werfe einen Blick nach hinten. Nach einem kurzen Moment, beschließe ich dem Geräusch zu folgen. Während ich also zügig los gehe, hoffe ich auf jemanden zu treffen der mir aus diesem verflixten Wald hilft. Die Vegetation war so dicht, dass ich nur mühsam vorwärts kam, aber immerhin behielt ich einen klaren Kopf, denke ich und bleibe positiv. Noch.
Ich richtete meinen Blick auf die Erde unter mir. Der Waldboden ist übersätt mit Laub und kleineren Ästen, die im Mondlich aussehen wie schimmernde Edelsteine. Als ich kurze Zeit später einen merkwürdigen Schatten vor mir sehe bleibe ich stehen.

Zwischen zwei Bäumen, die elegant im Rythmus des Windes tanzten, lag etwas abnorm großes regungslos auf der Erde.
Das feine Mondlicht machte es mir möglich zu erkennen, dass es sich um ein Tier handelte. Ich musste schlucken. Um zu verhindern, dass es aufwachte, oder mich bemerkte, rührte ich keinen Muskel.
Sonst fühle ich mich in der Natur und vorallem in der Nähe von Tieren zugehörig. Heute nicht. Was wahrscheinlich daran lag, dass ich immer noch nicht wusste, wie ich hier her gekommen bin, was ich hier zu suchen hatte und überhaupt. Joe, mein Onkel, war der Meinung ich hätte eine mentale Verbindung zu Tieren. Zumindestens war das seine Erklärung dafür, dass mich die Nachbars Hunde und Katzen in regelmäßigen Abständen besuchen kommen. Manchmal empfand ich es als störend eine Schar von Tieren vor der Haustür vorzufinden, wenn ich nur mal kurz die Zeitung holen wollte. Mittlerweile habe ich mich aber daran gewöhnt. Sie waren eben da und das ist gut so.
Ich erschrak als sich das Tier plötzlich bewegte. Es hatte sich gestreckt. Endlich gelang mir zu sehen, um was es sich handelte.

Im letzten Jahr, als ich noch in Phoenix lebte, haben wir bei Mr. Collins alles über Groß- und Kleinkatzen in Biologie studiert. Ein Raubtier hatte mich damals besonders faszinierte, der Puma concolor.
Und so einer lag hier, genau vor mir. Schlafend.
Ich wusste alles über Pumas, so auch, dass sie eigentlich keine Schwarzfärbung, sondern eine Weiß-silbrige oder Braun -rötliche Fellfarbe hatten. Außerdem sind sie normalerweise wesentlich kleiner. Dieser war gerade zu- gigantisch. Sein pechschwarzes Fell war zugegebenermaßen äußerst bewundernswert, wenn auch selten, wenn nicht sogar einmalig. Jetzt wo ich ihn besser sehen konnte, war ich begeistert von seiner Schönheit.
Etwas derart makelloses habe ich vorher noch nie gesehen. Er war wunderschön, so schön, dass ich es gar nicht schaffte meine Augen von ihm abzuwenden. Das dichte Fell schimmerte weiß-bläuchlich, wie ein Saphir, geradezu mäjestätisch.
Ich schlich noch etwas näher und versteckte mich hinter einer Fichte. Der Stamm war breit genug, so dass ich mich vollkommen dahinter verbergen konnte. Mein Knöchel schmerzte nach wie vor und mittlerweile spürte ich wie ein vibrierendes Pochen meinen ganzen Fuß durchzuckte. Ich stellte fest, dass der Puma selbst liegend unwahrscheinlich groß aussah und fragte mich, wie groß er wohl war wenn er stand.
Ein Pferd würde neben ihm wahrscheinlich wie ein Pony aussehen. Ich musste schmunzeln und war im gleichen Moment erschroken über meinen Übermut. Seine Tatzen waren drei mal so groß wie meine Handflächen.“Oh,“ entfiel es mir. Mein Blick wanderte auf seine linke Vordertatze. Sie war zur Hälfte in einer alten, rostigen Bärenfalle eingeklemmt, deren eiserne Zähne tief im Fleisch steckten. Dass war das Geräusch, das ich gehört habe. Plötzlich ergab alles einen Sinn.
Ich fuhr mir über die Stirn und biss die Zähne zusammen. Ich wollte ihm unbedingt helfen. Doch was wenn er mich angreift wenn ich es versuche? Bei dem Gedanken schüttelte es mich. Dass er mit seinem Gebiß problemlos Knochen brechen konnte war mir bewusst. Und gerade in diesem Moment, verfluchte ich es in Biologie aufgepasst zu haben.
Welche Wahl habe ich? Würde ich umkehren würde ihn wahrscheinlich eine Jäger finden. Andererseits, wenn er mich nicht umbringt, dann dieser Wald. Früher oder später. Nur Mut, dachte ich und verließ mein Versteck, sowie ich mir genug davon eingeredet hatte. Der Waldboden knackte und knirschte. Fast bei ihm angelangt, übersehe ich eine Baumwurzel, die aus der Erde ragt und stolperte wenig vorteilhaft. Alle viere von mich gestreckt lande ich genau zwischen seinen Klauen.
Bin in Sekunden und ohne die Augen zu öffnen, spüre ich einen warmen, rasselnden Atem auf meinem Gesicht.

Ich befürchte jeden Moment sein Gebiß an meinem Hals zu spüren und presse meine Augenlider noch fester aufeinander. Der Geruch von Grün liegt in der Luft. Mein Herz raßt so heftig, dass ich annehme gleich einen Herzinfarkt zu bekommen. Ich finde die Vorstellung irgendwie angenehmer, als den Gedanken bei lebendigem Leib gefressen zu werden und stelle mich schon mal geistig darauf ein. Wenn das überhaupt geht. Ich wartete. Und wartete. Doch nichts geschah.

Als auch nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit nichts passierte, vermutete ich, dass er bereits gefressen haben könnte. Oder er hatte vielleicht einfach nur keinen Apetitt auf ein komisches Mädchen in einem altmodischen Tranchcoat. Hätte man es ihm verübeln können?

Ich redete mir geschlagenen 5 Minuten genügend Mut zu, entspannte anschließend meine Augenlider, holte einmal tief luft und riskierte endlich einen Blick.
Was ich dann sah, ließ mich alles andere vergessen.






Teil 1 Teil 2 Teil 3


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz