Schatten des Mondes - Teil 9

Autor: Ai
veröffentlicht am: 26.10.2012


„Was machst du denn?“ fragte ich verwundert, als Eric gerade dabei war, sich auf einen kleinen Hocker, fünf Meter von mir entfernt, zu setzten.
„Was?“ er sah mich verwirrt und unsicher an. Ich hatte ihn wohl mit meiner Bitte ganz schön aus dem Konzept gebracht.
„Komm her“, ich tätschelte das Stroh neben mir mit der flachen Hand.
„Im ernst?“ Die Unsicherheit war deutlich hörbar.
„Ja! Oder willst du die Nacht auf diesem Hocker verbringen?“
Er rieb sich die Augen. „Ich schlafe in letzter Zeit sowieso nicht mehr viel, in der Nacht.“
Wow, ich muss zugeben, dass mich das schon etwas überraschte. Denn diese Tatsache bedeutete, dass er langsam aber sicher ein richtiger Vampir wurde. Bei geborenen Vampiren war es nämlich so, wenn sie noch klein waren, konnten sie problemlos in der Sonne spazieren gehen, ihr Spiegelbild betrachten und normale Sachen essen. Dafür hatten sie keinerlei mentale Fähigkeiten, konnten sich nicht in Fledermäuse verwandeln und waren noch relativ schwach. Doch wenn ein junger Vampir langsam erwachsen wurde, fing seine Haut in der Sonne immer mehr zu brennen an, er konnte schön langsam das Bewusstsein Anderer manipulieren und er wurde Nachts nicht mehr müde. Wenn er sich dann zu guter Letzt in eine Fledermaus verwandeln konnte, war das Erwachsenwerden abgeschlossen.
„Wow, das ist ja toll!“ sagte ich mit überschwänglicher Freude, die mich selbst überraschte.
„Wenn du meinst“, sagte er seufzend, kam zu mir und ließ sich neben mir ins Stroh fallen.
Ich drehte mich auf die Seite, sodass ich ihn ansehen konnte. „Egal, ich will jetzt einfach nur schlafen.“ Ich nahm mir eine Decke vom Stapel, wickelte mich darin ein und schloss die Augen. „Danke, dass du geblieben bist.“
Mitten in der Nacht wurde ich, durch ein lautes Grollen, wach. Ich öffnete meine Augen und sah genau in die von Eric. Hatte er mich die ganze Zeit beobachtet?
Silver schnaubte nervös. Ein Gewitter war aufgezogen. Ich setzte mich auf und wollte gerade aufstehen, um die Pferde wieder mit einem Zauber zu beruhigen, da ergriff mich eine kalte Hand am Handgelenk. Wütend drehte ich mich um. „Was?“ pfauchte ich ihn an.
„Das Gewitter kommt nicht näher, verschwände deine Energie nicht für sinnlose Sprüche.“
„Woher willst du das wissen?“
„Weil es schon fast zwei Stunden so geht und das Donnergrollen immer leiser und in größeren Abständen zu den Blitzen kommt. Es verzieht sich, die Pferde werden bald wieder entspannt sein.“
Resignierend setzte ich mich wieder hin. Er hatte vermutlich recht, trotzdem wollte ich mir das nicht eingestehen.
„Geht es dir schon besser?“ Er klang richtig besorgt und ich war richtig überrascht.
„Ja, danke“ sagte ich unsicher. Als ich mich zu ihm umdrehte und in seine funkelnden Augen sah, erstarrte ich fast innerlich. Sie waren so schön. Ich hatte noch nie zuvor solche strahlenden eisblauen Augen gesehen, wie er sie in diesem Moment hatte.
Für das, was dann geschah, hatte ich im ersten Moment keine Erklärung und die brauchte ich auch nicht. Egal, was ich über Eric jemals gesagt hatte, in diesem Augenblick war ich wie hypnotisiert von seinen Augen und konnte dem Drang einfach nicht wiederstehen. Langsam näherte sich mein Gesicht dem seinen. Meine Lippen seinen und dann waren sie nur noch Millimeter voneinander entfernt.
Ein Blitz erhellte den Nachthimmel und im nächsten Moment war kein Millimeter mehr dazwischen, sondern meine Lippen auf seinen, meine Hand in seinem Nacken und meine Augen geschlossen. Doch er küsste mich nicht zurück. Sofort löste ich mich von ihm. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? Warum hatte ich gerade meinen ersten Kuss an Eric verschwendet?
„Entschuldige“, sagte ich und wandte mich von ihm ab. Warum war ich nur so dumm? Diese Situation konnte gar nicht mehr schlimmer werden. Ich spürte, wie die Schamesröte in mein Gesicht stieg. Gott, dieser Moment wollte einfach nicht vergehen, aber was sollte ich jetzt tun? Wegrennen? Einfach sitzen bleiben und so tun, als wäre nichts gewesen? Unmöglich. Unmöglich. Unmöglich!
Es war so peinlich. Was war nur in mich gefahren? Warum hatten mich seine Augen plötzlich so verzaubert? Ich hatte schon hunderte, tausende Male in seine Augen gesehen, nie hatte ich so ein Gefühl wie in diesem Moment. Ich kann nicht genau sagen, was es war. Irgendetwas an dem Funkeln seiner Augen hat mich dazu gebracht, ihn zu küssen.
Oh Gott, erst jetzt wird mir klar, dass ich gerade Eric Marley geküsst habe. Ich habe ihn geküsst. Ausgerechnet ihn! Diesen Arsch! Diese Situation wird mir für immer nachhängen. Kein Zauberspruch der Welt kann diese Scheiße wieder ausbügeln. Ich werde damit leben müssen, meinen ersten – und damit für ein Mädchen sehr wichtigen – Küss an den größten Idioten, den ich kenne, verschwendet zu haben.
Ich blieb, immer noch regungslos, mit hochrotem Kopf, neben Eric sitzen. Noch ein Blitz durchzuckte die Dunkelheit und wenige Sekunden später hallte ein Donnergrollen durchs Tal. Das Gewitter kam näher und die Pferde wurden unruhig. Der Regen trommelte auf das Blechdach und Silver schnaubte ängstlich. Normalerweise wäre ich in diesem Moment aufgestanden, um die Tiere etwas zu beruhigen, aber jetzt war das völlig unmöglich. Ich war wie versteinert. Meine Füße waren schwer, wie Blei. Ich hatte das Gefühl, der Zauber, der mich dazu gebracht hatte Eric zu küssen, hielt noch immer an.
Was war das nur für eine furchtbare Nacht? Und warum wollte sie nicht zu Ende gehen? Ich machte meine Augen ganz fest zu und betete, dass es, wenn ich die Augen wieder aufmachte, schon Morgen war und ich endlich wieder nach Hause gehen konnte.
Genau in dem Moment, als wieder ein Blitz den Himmel durchzuckte und der Donner gleich darauf grollte – das Gewitter war jetzt fast schon über uns – spürte ich eine Hand auf meiner Schulter.






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