Schatten des Mondes - Teil 7

Autor: Ai
veröffentlicht am: 15.10.2012


Doch ich konnte nur bekannte Gesichter entdecken. Von den Geistern keine Spur. Etwas verunsichert machte ich einen Schritt nach hinten. Ein merkwürdiges Gefühl durchzuckte meinen Körper. Erschrocken drehte ich mich um. Hinter mir standen drei der Geister. Wo war der vierte?
„Entschuldigung“, hörte ich es hinter mir. Diese Stimme erzeugte eine Gänsehaut auf meinem Körper, langsam drehte ich mich wieder um und sah Geist Nummer vier, William Wilcker ganz knapp vor mir stehen. Erschrocken blinzelte ich ihn an. Wofür hatte er sich entschuldigt? Ich sah zu den anderen Gästen hinüber, wo sich Eric und seine Schwester nur mit großer Mühe das Lachen verkneifen konnten. Ich versuchte angestrengt, die Situation zu verstehen. Und erst nach einer gefühlten Ewigkeit begriff ich, was gerade passiert war.
Sie waren Geister. Okay, diese Tatsache war ja schon länger klar. Aber nur durch diese Tatsache verstand ich endlich, was gerade geschehen war. Die Geister waren genau in dem Moment herein gekommen, als ich einen Schritt nach hinten gemacht hatte und dabei bin ich wohl genau in William Wilcker hineingelaufen. Er hat sich dematerialisiert, damit wir nicht zusammen stoßen und das war auch dieses komische Gefühl. So ergab alles einen Sinn.
Oh mein Gott. Das bedeutete allerdings auch, dass William Wilcker und ich für einen Moment quasi „Eins“ waren. Wie peinlich. Als ich die Situation endlich begriffen hatte, wurde ich knallrot.
„Entschuldigung“, quickte ich. Erschrocken über meine brüchige Stimme, machte ich mich daran, schnell aus dieser peinlichen Situation und somit aus diesem Zimmer zu kommen. Im Foyer sah ich mich hecktisch um und entdeckte dann die Tür zum Wandschrank. Schnell huschte ich hinein, schloss die Tür und vergrub mein Gesicht in den Mänteln.
Ich hätte vor Scham im Boden versinken können. Wie peinlich! Und als wäre es so nicht schon schlimm genug, sieht dieser William auch noch echt gut aus! In peinliche Gedanken versunken, mit knallroten Wangen, ließ ich mich langsam auf den Boden sinken.
„Entschuldige.“ Ich erschreckte mich furchtbar und mir entfuhr ein quitschiger Schrei. „Entschuldige“, es war William. Er war einfach durch die Tür hindurch gegangen und kniete jetzt neben mir.
„Lass doch dieses dämliche ,Entschuldigung‘ die ganze Zeit!“ pfauchte ich ihn an. Mein Herz hämmerte bis zum Hals, ich konnte gar nicht glauben, dass ich es wirklich geschafft hatte, das zu sagen. „Hör auf mich zu erschrecken“, sagte ich dann schon etwas kleinlauter.
„Tja“, langsam ließ er sich neben mich auf den Boden sinken. „Ich bin ein Geist und ich fürchte, das ist mein Job.“ Ein süßes, freches Lächeln umspielte seinen Mund. Mein Herz schlug noch schneller, ich spürte es in meine Hals hämmern.
„Sehr witzig“, krächzte ich.
„Ich bin Bill“, er streckte mir seine Hand hin und lächelte. Ach du scheiße.
„Vio … Violetta“, stotterte ich und ergriff seine Hand mit meiner schweißnassen. Oh Gott, wie peinlich!
„Wie alt bist du?“ Warum wollte er das wissen?
„Sechzehn“, sagte ich unsicher. „Und du?“ Erst als ich es schon ausgesprochen hatte, fiel mir auf, dass es eigentlich eine ziemlich dumm war, diese Frage einem Geist zu stellen, immerhin lebte er nicht einmal mehr.
Doch er schien diese Frage überhaupt nicht merkwürdig zu finden. „Als ich starb, war ich achtzehn, das ist jetzt fünfzig Jahre her.“
„Fühlst du dich wie ein Achtzehnjähriger oder wie ein Achtundsechzigjähriger?“ Wo kommen nur diese ganzen dummen Fragen her? Das Blut pulsierte in meinen Wangen. Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. War das jetzt zu persönlich?
„Ich würde sagen, ich bin immer noch achtzehn“, sagte er dann kühl.
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, ich wusste ja nicht einmal, warum ich ihm diese Frage überhaupt gestellt hatte. Peinlich berührt zog ich meine Knie an meinen Körper, faltete die Arme darüber und legte meinen Kopf dazwischen.
„Es ist schon lange her, dass ich mich mit einem Mädchen unterhalten habe.“ Was?! Warum konnte er nicht einfach still sein und diese eh schon wahnsinnig peinliche Situation nicht noch schlimmer machen. Ich verharrte einfach in meiner Stellung und betete dafür, dass er endlich verschwinden würde, damit ich wieder normal atmen konnte. Wieso hatte ein Geist nur so eine starke Wirkung auf mich?
Nach einer gefühlten Ewigkeit wagte ich es, einen Blick auf die Seite zu werfen, wo Bill gesessen hatte. Er war weg. Erleichtert atmete ich auf, streckte die Beine aus und legte den Kopf in den Nacken. Aber damit war das Schlimmste noch lange nicht vorbei, immerhin lag noch ein Teil dieses Abends vor mir, den ich unmöglich dauerhaft im Wandschrank verbringen konnte.
Es war so schrecklich! Was sollte ich nur tun? Es dauerte peinlicher weiße eine ganze Weile, bis mir einfiel, dass ich eine Hexe war. Ich konnte zaubern, um mir diesen Abend wenigstens ein wenig erträglicher zu machen. Doch welcher Zauber brachte mir hier etwas? Ein Problem war schon einmal, das Vampire nur sehr schwer zu verzaubern waren, Werwölfe in ihrer verwandelten Form auf viele Zauber nicht so reagierten, wie man es gerne hätte und ob man Geister überhaupt irgendwie verzaubern konnte, wusste ich nicht. Das hieß also, mir blieb nur eine Möglichkeit. Ich musste mich selbst verzaubern.
Mit einem breiten Lächeln kletterte ich aus dem Schrank und spazierte schnurstracks ins Esszimmer, wo alle Anderen, bis auf die Geister, schon beim Nachtisch waren. Lächelnd setzte ich mich auf meinen Platz zwischen meiner Mutter und meinem Vater. In meinem Kopf war die Erinnerung an die letzten Stunden gelöscht, zumiendestens die, an die unangenehmen Dinge. Außerdem hatte ich mir auch noch einen Glückszauber verpasst. So war ich nun das absolut glücklichste und unwissendste Mädchen an diesem Tisch. Leider hielten beide Zauber nicht für immer an. In einigen Stunden würde das Glück verschwinden und die bösen Erinnerungen zurückkehren. Aber bis es soweit war, konnte ich das Essen einfach nur genießen.





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