Schatten des Mondes - Teil 6

Autor: Ai
veröffentlicht am: 13.10.2012


Draco Marley hat diese Stadt, in der ich jetzt lebe, quasi gegründet. Er war zwar nicht der erste hier, aber er hat die vereinzelten Bauernhofe zu einem Dorf zusammengeschlossen und dafür gesorgt, dass Alle, die davon wissen sollten, auch davon wussten. So kam es auch, dass auch heute noch Menschen hier leben. Es sind die Nachkommen der Bauern, die hier schon vor zweihundert Jahren gelebt hatten.
Im Laufe der Jahre siedelten sich dann immer mehr übernatürliche Wesen an und so wurde aus dem Dorf die Stadt, die ich kenne. Draco ist der Bürgermeister und Vorsitzender des Rats. Der Rat besteht aus fünf Mitgliedern. Zum einen einmal Draco als Vertreter für alle Vampire. Dann Henry Erikson für die Werwölfe. Flör Bruth für die Feen. Thomas Skott für die Menschen und meine Mutter, Sandra Rivers, für die Hexen und Magiere. Jedes Ratsmitglied wird alle vier Jahre von der zu vertretenden Gruppe gewählt und nur er kann etwas im Tal ändern. Draco wurde bis jetzt immer zum Vertreter der Vampire gewählt und da sich noch nie jemand beschwert hat, würde auch noch nie eine Neuwahl des Bürgermeisters Veranstaltet. Draco ist sozusagen der Liebling Aller. Kann ich aber auch irgendwie verstehen. Er hat so eine Art, die wohl nur Vampire seines Alters haben können, denn sein Sohn hat sie definitiv nicht. Außerdem macht er seine Sache einfach nur gut.
Normalerweise wird über jeden neuen Bürger, der in das Tal ziehen will, im Rat abgestimmt. Denn der Frieden soll gewährleistet bleiben. Doch bei der Sache mit den Geistern hat Draco einfach über die Köpfe Aller hinweg alleine entscheiden. Deshalb war meine Mutter auch so verwundert. Sonst wusste sie immer über Neuankömmlinge bestens Bescheid.
Es war Sonntagabend. Ich saß in meinem Zimmer am Fenster und sah zum Haus unserer neuen Nachbarn hinüber. Seit dem gestrigen Morgen hatte ich niemanden mehr vor dem Haus gesehen. Ich fragte mich, wie Geister wohl lebten. Konnten sie Gegenstände greifen? Wahrscheinlich schon, sonst hätten sie unmöglich Licht anmachen können. Aber war es ihnen dann trotzdem möglich, durch Wände zu gehen? Konnten sie sich dematerialisieren und dann wieder materialisieren? Vielleicht sollte ich einfach einmal hinübergehen. Aber um ehrlich zu sein, traute ich mich das nicht so recht. Ich fand es viel bequemer hier am Fenster zu sitzen und mir wüste Theorien zu überlegen.
Aber ein Treffen mit der Geisterfamilie schien unvermeidlich, wie mir meine Mutter am nächsten Morgen am Frühstückstisch verkündete. „Wie Wilckers sind diesen Freitag auch zum Abendessen eingeladen.“ Ach wie schön. Ich konnte den geliebten Freitagabend gar nicht mehr erwarten. Blanke Ironie. Ich war es nicht gewohnt mich mit derart unbekannten Sachen auseinander setzten zu müssen. Man könnte fast sagen, ich war ein bisschen Voreingenommen und wollte eigentlich nichts mit ihnen zu tun haben. Irgendwie seltsam, wenn man betrachtet, dass ich an Vampire, Feen, Werwölfe, Hexen, Putzfrauen-Skelette und sogar Dschins gewöhnt war.
Schneller, als mir lieb war, war es Freitag, halb fünf Uhr abends. Zeit zum Anwesen der Marleys aufzubrechen. Immer wenn man es nicht gebrauchen konnte, rann einem die Zeit zwischen den Fingern durch. „Los komm schon!“ rief mich meine Mutter. Als wäre dieser Abend nicht auch ohne Geister und Vollmond schon schlimm genug geworden, war noch zu allem Überfluss Vollmond und eine ganze Geisterfamilie war auch noch zum Essen eingeladen. Aßen Geister überhaupt etwas? Wahrscheinlich nicht.
Lustlos kam ich die Treppe herunter. „Hier“, meine Mutter hielt mir meinen Besen hin. „Bei so einem schönen Wetter muss man einfach fliegen.“ Wenn sie es sagt. Dazu muss man aber auch anmerken, dass ich nicht besonders gut im fliegen bin. Also das Fliegen selbst bekomm ich noch ganz gut hin, aber starten und landen ist bei mir eine sehr unsichere Sache. Aber an diesem Abend hatte ich Glück, vermutlich das einzig Gute, was passieren würde. Ich legte mir in Gedanken schon einen Plan zurecht. Ich würde das Essen selbst versuchen, so schnell wie möglich hinter mich, beziehungsweise in mich hinein, zu bringen, um mich dann zu den Pferden in den Stall zu verdrücken. Vielleicht hatte ich auch eine kleine Chance darauf, mit Silver ausreiten zu dürfen. Aber darauf spekulierte ich erst einmal nicht.
Zu Fuß ging man von unserem bis zu Dracos Haus ungefähr eine halbe Stunde. Mit dem Besen verkürzte sich die Zeit auf fünf bis zehn Minuten, je nachdem, wie ich mich anstellte. Ein kürzerer Hinweg hieß infolge dessen auch ein kürzerer Rückweg, also schneller wieder zuhause. Alles positiv sehen und diesen Abend so schnell wie möglich hinter mich bringen, das war mein Plan.
Bei unserem Ziel angekommen, waren wir wieder einmal die Letzten. Bony begrüßte uns an der Tür, wir wurden anscheinend schon erwartet. Wie sich herausstellte, waren nicht nur die Geister als zusätzliche Gäste eingeladen, sondern auch die restlichen Mitglieder des Rates. Als würde das jetzt noch etwas ändern. Es war eh schon egal.
Zusammengefasst kann man sagen, ich musste also an diesem Abend sieben verwandelte Werwölfe, drei arrogante Vampire, eine uralte und sehr auf Manieren bedachte Fee und vier mir vollkommen unbekannte Geister ertragen. Ach ja, das Leben konnte so schön sein, wenn man es nur machen ließ.
Ich gab also Bony meinen Mantel und trottete hinter Mama in den Speisesaal, wo die versammelte Mannschaft schon auf uns wartete. Unsicher ließ ich meinen Blick über die Gäste schweifen.





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