Turkish Delights - Zucker und Zorn - Teil 6

Autor: Maggie
veröffentlicht am: 17.10.2012


Ein neuer Teil, etwas kürzer, aber hoffentlich genauso lesenswert ;)
Ich bitte um ehrliche Kritik, langweilt euch die Story? Ich hoffe nicht und verspreche hoch und heilig...bald kommt auch Liebe mit ins Spiel, die ist ja bis jetzt etwas zu kurz gekommen ;)
Ganz liebe Grüße
Maggie


Kapitel 6

Das sonst so idyllische Mittagessen war ausgeartet zu einem heftigen Konflikt, der sich nicht einfach so bei Seite schieben ließ.
Auf dem Rückweg zum Hotel war Marlena völlig in Gedanken versunken. Micha und Tülin wechselten besorgte Blicke.
Dass die Beiden sich irgendwie zusammen getan hatten, entging ihr natürlich nicht. Sie fühlte sich auf einmal wie ein Außenseiter, ausgegrenzt durch ihre Ansichten und ihr Wissen.
Sie versuchte dieses unschöne Gefühl zu ignorieren und ging erhobenen Hauptes voran.
„Bis später.“, sagte sie zum Abschied, bevor sie in ihrem Raum verschwand.
Sie bekam keine Antwort.
Während sie die darauffolgenden Stunden mit den Kindern spielte und ihnen einen witzigen, aber dennoch ziemlich entwürdigenden Tanz für die abendliche Mini-Disco beibrachte, wuchs in ihr ein Plan heran. Sie musste mit Yati sprechen. Auch wenn ihr der Gedanke, ihn zur Rede zur stellen, alles andere als behagte, so fand sie seine Verschwiegenheit am Morgen viel zu eigenartig.
Doch bevor sie sich ihm stellen würde, musste sie dringend ein paar Informationen einholen. Tülin hatte den Zeitungsartikel nur grob zusammen gefasst, außerdem war ihre Ansicht ziemlich subjektiv.
Der Kinderclub schloss um Fünf, dann hatte sie wieder zwei Stunden Pause, bis die Mini-Disco bis 21 Uhr die Pforten öffnete. In dieser Zeit würde sie nach Colakli in das Internetcafé gehen und ein bisschen recherchieren. Und dann, nachdem die Bälger sich die kleinen Füße blutig getanzt hatten, würde sie Yati suchen. Er war oft Abends in der Hotelanlage unterwegs, auch wenn ihr der Grund für seine Präsenz ungeheuerlich missfiel, so konnte sie heute diese miese Tatsache für sich nutzen.

Im Internetcafé hatte sie bei Google mehrmals vergeblich versucht, die gestrigen Ereignisse so präzise wie möglich zu einem Suchbegriff zusammen zufassen, dass sie mögliche Internetartikel von deutschen Websites erhielt. Doch der Computer spuckte keine nennenswerten Ergebnisse aus. Sie war kurz davor, dass Handtuch zu werfen, als sei eine mickrige Meldung bei „BILD online“ fand, in der ziemlich kurz und erschreckend präzise stand, dass deutsche Soldaten im Auslandseinsatz ein türkisches Versteck voller todkranker Hühner gefunden hatten, die höchstwahrscheinlich aus einem Schlachtbetrieb stammten, welche die gesamte türkische Riviera mit Geflügelfleisch versorgte. Der Geschäftsführer wies alle Anschuldigungen von sich. Zur Zeit wird trotzdem noch überprüft, woher genau die Tiere kamen.
Marlena überlief beim Lesen der paar Zeilen eine unglaubliche Gänsehaut.
Diese Vermutung hatte Tülin aber nicht erwähnt. Wobei sie sogar bezweifelte, dass es so überhaupt in der türkischen Zeitung gestanden hatte.
Sie googelte daraufhin diesen Schlachtbetrieb. Die Homepage war auf Türkisch und das Unternehmen nannte sich \'Ünlü, tavuk yumurtasi ve kasap, Tic.Lfd.Sti\'.
Sie hatte noch nie von ihm gehört, der Name war ihr völlig unbekannt, was an sich für die Schlachterei stand, so war sie jedenfalls noch nie negativ aufgefallen und in den schwarzen Listen des Tierschutzes erschienen.
Anhand der Bilder konnte sie allerdings erahnen, wie riesig der Betrieb war. Und wenn es stimmte, was die BILD schrieb, so war es wohl die größte und einflussreichste Fleischfabrik an der ganzen Küste.
Marlena konzentrierte sich auf die flimmernden Buchstaben auf dem Bildschirm, als neben ihr eine bekannte Stimme sprach.
„Was machst du denn hier?“
Sie zuckte zusammen, fühlte sich ertappt und sah Theresa vor sich.
Sie starrte die Frau mit dem freundlichen Gesicht an. Theresa sah aus, als hätte sie eine schreckliche Nacht hinter sich, sie hatte Augenringe und ihr kurzes Haar wirkte stumpf.
Ohne nachzudenken, sprach Marlena sie sofort auf das an, was sie schon den ganzen Tag beschäftigte:
„Was zur Hölle war das gestern?“
Theresa riss erschrocken die Augen auf, blickte sich hektisch um und bückte sich dann zischend zu Marlena hinunter.
„Dies ist nicht der richtige Ort für so ein Gespräch. Komm mit.“
Marlena schloss ohne zu Zögern den Internetbrowser, folgte Theresa und verließ mit ihr gemeinsam das Café.
Kurz vor der Tür blickte sie sich ein letztes Mal um, es war Gewohnheit, ein schlichtes Vergewissern, dass sie nicht irgendetwas hatte liegen lassen, als ein Augenpaar ihre Aufmerksamkeit erregte.
Dort, keine zwei Tische von ihrer eigenen kleinen Nische entfernt, starrte sie in jene braune Augen, die sie in Gedanken schon den ganzen Tag verfolgten.
Es war unverkennbar der junge Soldat, auch wenn er diesmal ohne Uniform war und genauso erschrocken drein blickte, wie sie selbst. Er riss die Augen auf und sah aus, als würde er einen Geist sehen.
Marlena verspürte ähnliche Gefühle. Sie drehte sich auf der Stelle um und ging aus dem Café, ihr klopfte das Herz bis zum Hals. Sämtliche Farbe war ihr aus dem Gesicht gewichen und sie folgte Theresa automatisch. Diese drehte sich nicht einmal um, während sie Marlena durch ein paar Gassen führte.
Marlena war völlig aus der Fassung geraten. Schon nach den ersten Metern fragte sie sich, ob sie ihn vielleicht verwechselt hatte. Aber da brauchte sie sich nichts vorzumachen, seine Reaktion war eindeutig gewesen. Sie fragte sich stumpf, was er hier verloren hatte. Die Armee war doch sicherlich in Antalya stationiert. Warum war dann in einem Internetcafé in Colakli?
Ihr blieb keine Zeit, weiter über dieses verstörende Zusammentreffen nachzudenken, da Theresa nun ihre volle Aufmerksamkeit beanspruchte.
Sie waren in einer verdreckten Hintergasse gelandet. Die Mauern um sie herum waren erschreckend hoch und warfen lange Schatten.
„Was willst du von mir wissen?“, fragte sie in einem fordernden Ton, der so garnicht zu diesem sanftmütigen Wesen passte.
„Wusstest du davon?“, fragte Marlena relativ ebenbürtig.
Theresa schüttelte verwirrt den Kopf. „Wovon?“
„Dass unser Verein die deutsche Bundeswehr verständigt hat?!“ Ihre Frage klang wie eine Anschuldigung und sie hatte es lauter gesagt, als sie beabsichtigt hatte.
Theresa riss die Augen auf, nahm dann das zierliche Mädchen vor sich an einem Arm, zog sie noch tiefer in die Gasse und flüsterte aufgebracht:
„Wie zur Hölle kommst du DARAUF?“
Ja, wie kam sie eigentlich darauf? Marlena dachte kurz nach. Eigentlich hatte es ja nur Tülin behauptet und das auch nur, nachdem sie selbst so offensichtlich auf das Zeitungsbild reagiert hatte und damit verraten hatte, dass sie das Gebäude kannte, woher auch immer.
Sie entschloss sich erstmal nicht zuzugeben, dass es nur eine Vermutung war und sie keine Beweise besaß.
„Ist doch egal. Ich will wissen, ob du es wusstet!“, keifte sie zurück.
Theresa fasste sich geschockt durchs Haar, sie wirkte noch blasser.
„NEIN! Nein, natürlich nicht!“ Sie sah ziemlich verzweifelt aus und ihre Worte klangen ehrlich. An Marlena nagten sofort Zweifel bezüglich ihrer eigenen Annahmen.
„Also muss es niemand von uns gewesen sein.“, schlussfolgerte sie laut und einsichtig.
Nun wirkte Theresa vollends durcheinander.
„Du weißt es also doch nicht hundertprozentig? Warum fährst du mich dann so an?“
Marlena biss sich auf die Lippen. „Ich habe es vermutet. Tut mir leid, ich stehe etwas unter Schock.“
„Wir stehen alle unter Schock. Hätten wir gewusst, dass es Deutsche sind, die uns da gestern so überrascht haben, hätten wir nicht fliehen müssen. Das war ein dummer Zufall.“
Sie lächelte bei den Worten erleichtert und fuhr fort. „Aber letztendlich ist es doch ein Grund zum Feiern! Wir haben unser Ziel erreicht – das Elend hat ein Ende!“
Ja, dieses euphorische Hochgefühl hätte Marlena am liebsten auch verinnerlicht, doch hafteten an den Vorkommnissen zu viele Schatten, als das sie sich hätte aufrichtig freuen können.
Sie nickte nur, dann fragte sie vorsichtig:
„Woher könnte die Bundeswehr denn den Tipp bekommen haben. Hat da irgendwer eine Vermutung?“
Theresa zuckte mit den schmalen Schultern.
„Keine Ahnung, ehrlich. Aber ist doch egal. Es liegt nicht mehr in unserer Hand.“
„Und weißt du, was mit den Hühnern überhaupt war? Warum sie dort gelagert wurden?“
„Auch das liegt nicht mehr bei uns. Dieser Ausschuss kümmert sich jetzt darum.“ Theresa sah sie wachsam an, dann stellte sie gespielt unverfänglich die Frage: „Woher weißt du eigentlich davon?“
„Es kommt doch überall in den Nachrichten.“, antwortete Marlena herausfordernd.
„Und dein Türkisch ist so gut, dass du es heute Morgen im Radio gehört hast?“
Der Sarkasmus entging ihr nicht, sie seufzte.
„Natürlich nicht. Meine türkische Freundin hat mir davon berichtet und den Zeitungsartikel übersetzt-“ Sofort fiel Theresa ihr ins Wort:
„Du hast ihr doch nicht irgendwas von unserer gestrigen Aktion erzählt!?“
Sie klang schockiert und ängstlich. Marlena fand diese Geheimniskrämerei ziemlich nervig, erst recht, nachdem eh schon alles raus war. Sie fragte sich langsam, wie der Tierschutzverein es vertreten konnte, von seinen Mitgliedern ein so hohes Maß an Verschwiegenheit zu verlangen. Das kannte sie aus Deutschland nicht.
Klar, auch da gab es geheime Aktionen und manche Dinge brauchte die Öffentlichkeit nicht im Vorfeld zu erfahren, aber letzten Endes war Tierschutz immer Arbeit FÜR die breite Masse. Was hatte ein Verein von Heimlichkeiten, wo er doch auf die Spenden der Bevölkerung angewiesen war und gleichzeitig dafür Sorge tragen musste, die Menschen aufzuklären. Ohne Publicity war Tierschutz sinnlos.
„Nein, natürlich nicht.“, konterte sie trotz ihrer Zweifel. „Sie hat mir nur davon erzählt, weil sie weiß, dass ich im Tierheim aushelfe, mehr nicht....“
Den prüfenden Blick Theresas hielt sie tapfer stand. Diese gab sich mit der Antwort zufrieden.
„Gut. Es wäre nämlich wirklich unschön, wenn heraus käme, dass wir dort waren. Wir hatten keine Befugnisse und unser Handeln zu rechtfertigen, bringt nun, nachdem sich quasi die „wichtigen Leute“ drum gekümmert haben, gar nichts mehr.“, bei den Worten wirkte sie leicht unsicher.
Ihr Lächeln war müde und sie sah sich kurz um, bevor sie fortfuhr: „Hast du gerade Pause?“
Marlena antwortete mit einem Nicken.
„Dann komm mit. Ich lade dich auf einen Tee ein.“

*

Die Mädchen saßen in Theresas enger Küche und schlürften in stiller Eintracht an ihren Tassen. Marlena war etwas überrascht gewesen, dass die Tierschützerin ein Apartment in Colakli bewohnte. Es war eine typische Mietwohnung für die Gegend, klein, spartanisch und sauber.
Allerdings im Vergleich zu ihrem Zimmer ein wahrer Palast.
Theresa besaß zwei Katzen, die ihr unaufhörlich um die Beine schlichen und später faul auf dem kargen Balkon schliefen.
Bis jetzt hatten sie nicht weiter über die letzte Nacht geredet, Marlena hatte festgestellt, dass Theresa entweder nicht ganz ihr Ansichten teilte oder einfach nur naiv war. Letzteres konnte sie sich jedoch nicht vorstellen.
Irgendetwas war merkwürdig an ihrer Reaktion gewesen. Sie war sich nur noch nicht sicher, was genau das gewesen war.
Im Moment beschäftigte sie allerdings etwas anderes.
„Warum lebst du hier?“, fragte sie unschuldig.
Theresa lächelte. „Warum lebst DU hier?“
„Ich lebe ja nicht richtig hier. Ich arbeite nur und das auch nur auf Zeit. Aber du hast eine richtige Wohnung hier.“ ,antwortete sie ausweichend und peinlich berührt. Im Nachhinein war die Frage vielleicht doch zu persönlich gewesen.
„Ich arbeite auch.“ Theresa hatte noch immer einen amüsierten Ausdruck im Gesicht.
„Wo denn?“, fragte Marlena ermuntert durch die offene Art ihres Gegenübers.
„In dem Internet-Café, wo du vorhin warst.“
Marlenas Augen weiteten sich überrascht. „Ach ja?!“
„Ja.“ Sie grinste frech. Wahrscheinlich war ihr bewusst, worauf die kleine Blondine vor ihr aus war. Sie wollte wissen, was ihre Beweggründe gewesen waren, Deutschland hinter sich zu lassen. Das wurde sie oft gefragt.
„Und...“ Marlena zögerte. „-...wie kam es, dass du jetzt hier lebst? Oder wurdest du hier geboren?“
Nach einer Türkin, sah sie jedenfalls nicht aus, dachte Marlena. Theresa war klassisch schön, unauffällig, mit braunen Augen und kurzen braunen Haar, sanfte Gesichtszüge verliehen ihr eine mütterliche Art, obwohl sie maximal Anfang Dreißig war und ziemlich jung wirkte.
„Nein, ich komme ursprünglich aus Magdeburg.“, erklärte sie nachsichtig. „Vor fünf Jahren war ich hier im Urlaub und...-“, sie zögerte kurz. „-habe mich verliebt.“ Dann lächelte sie etwas traurig. „Seitdem lebe ich hier, arbeite in dem Café, betreibe Tierschutz und werde mir mit jedem Tag sicherer, nie wieder nach Deutschland zurückkehren zu wollen.“
Trotz der großen Worte, machte sie einen geknickten Eindruck..
Marlena sah sich unauffällig um, wie um festzustellen, ob sich in der Wohnung irgendwo Anhaltspunkte auf einen Lebensgefährten finden ließen.
Die Einrichtung war ziemlich schlicht, aus der Wohnsituation ließ sich kein Rückschluss darauf ziehen, ob Theresa wirklich ihr Glück mit einer Urlaubsliebe gefunden hatte.
Sie selbst hielt sich dabei auch auffällig bedeckt und kurzzeitig schien sie sich in Erinnerung verloren zu haben. Sie blickte verträumt auf ihre Tasse und sah dabei verletzlich aus.
Marlena traute sich nicht die alles entscheidende Frage zu stellen und blickte stattdessen ebenso verträumt aus dem Fenster auf die vertrocknete Landschaft.
Ein mutiger Schritt, den Theresa da gemacht hatte. Für die Liebe auswandern. Und dann wahrscheinlich noch für einen Ausländer mit einer ziemlichen intoleranten Einstellung Frauen gegenüber.
In dieser Hinsicht war Marlena sehr voreingenommen und ebenso intolerant.
Es klopfte an der Tür.
Sie zuckte zusammen, genauso wie Theresa, die verwundert zur Haustür blickte.
Dann murmelte sie. „Ach, das muss Ben sein.“, und stand auf.
Marlena machte sich drauf gefasst, nun dem Auswanderungsgrund von Theresa vorgestellt zu werden, doch was sie erwartete, bereitete ihr fast einen Herzinfarkt.
Zum dritten Mal innerhalb von 24 Stunden, völlig zufällig, blickte sie in die Augen des jungen Deutschen.
Er sah diesmal nicht ganz so verblüfft aus und lächelte reserviert.
Marlena saß da wie versteinert, während er vor ihr stand und höflich zu ihr hinabblickte.
Theresa trat hinter ihm hervor und nun erkannte Marlena auch die Ähnlichkeit.
„Marlena, darf ich dir meinen Bruder vorstellen?“





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