What we used to be - Teil 10

Autor: Ai
veröffentlicht am: 19.08.2012


Richard:
Es ist halb elf, als es mal wieder an der Tür klingelt. Zu meiner Überraschung steht aber weder Oliver noch irgendein anderer Verwandter da, um sich auch bei mir einzunisten. Nein. Es ist Sophie.
„Hallo“, sage ich verwundert.
„Entschuldige, stör ich?“ Sie sieht fertig aus.
„Nein, nein. Komm ruhig rein.“
„Danke.“
Sie geht an mir vorbei, ihr Gang hat etwas Bedrückendes.
„Möchtest du etwas trinken?“
„Hast du eine Cola?“
„Ja klar.“ Ich gehe in die Küche und bringe ihr ein Glas Cola. „Hier.“
„Danke.“ Langsam lässt sie sich auf meinen Sitzsack fallen.
Ich gehe zu ihr und setzte mich neben sie auf den Boden. „Ich spiele gerade xBox. Magst du auch?“ Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ihr etwas Ablenkung gut tun würde.
„Was spielst du?“ Bis jetzt war in ihrer Stimme kaum mehr Leben, doch jetzt kommt es langsam wieder.
„Halo: Reach.“
„Oh cool, spielen wir zu zweit?“ Sie ist begeistert. Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Und das sie Halo: Reach kennt, hätte ich auch nie gedacht.
„Du kennst das Spiel?“ frage ich überrascht.
„Ja klar“, sie klang verwundert. „Ich hab einen kleinen Bruder. Der hat eine xBox und wenn schon so ein Ding bei uns rumsteht, habe ich mir auch das ein oder andere Spiel dafür gekauft.“
„Wow“, ist Alles, was ich herausbringe.
Sie lächelt kurz und zieht dann die Augenbrauen zusammen. „Soll das etwa heißen, dass Mädchen nicht xBox spielen dürfen?“ fragte sie mit gespieltem Entsetzen.
„Ich entschuldige mich aufrichtig für diese unbedachte Aussage“, sage ich grinsend.
„Dir sei verziehen!“
„Also dann, los geht’s.“
Während der nächsten Stunde spielen wir Halo: Reach und es ist einfach großartig. Sie spielt echt gut, obwohl sie ab und zu mal so etwas wie: „Woah, wo bin ich? Wo bin ich? Ich sehe mich nicht mehr!“ oder „Warte doch, ich steck hier fest!“ sagt, ist sie eine spitzen Schützin.
Als mal wieder der Game-Over-Bildschirm auf meinem Fernseher auftaucht sage ich: „Du spielst echt gut.“
„Und du klingst echt überrascht.“ Sie lächelt.

Sophie:
„Warum bist du gekommen?“ fragte Ric mich. Im schwachen Licht des Fernsehers kamen seine Gesichtszüge noch besser heraus. Er sah echt gut aus.
„Was?“
„Warum bist du gekommen? Irgendetwas bedrückt dich doch.“
„Ja …“
„Wenn du nicht darüber reden willst, ist es auch okay.“
„Warum fragst du dann?“
„Nur für den Fall, dass du es erzählen möchtest, dich aber nicht traust. Du kannst es mir ruhig sagen.“ Sein Gesicht kam immer näher. Unwillkürlich lehnte ich mich ein Stück zurück. Als er das merkte, hielt er inne.
„Wer war eigentlich der Typ auf deinem Balkon?“
„Das war mein Bruder. Keine Sorge, er ist harmlos.“
„Oh, okay …“
„Das war aber noch nicht Alles.“
„Nein, das war nicht Alles.“ Also erzählte ich ihm von meinem Vater, wie er meine Mutter für eine Andere verlassen hatte, als sie gerade mit mir schwanger war. Wie er versucht hatte, die Beziehung zwischen meiner Mutter und Marco zu verhindern und wie er mich seit 8 Jahren fast bei jedem Gespräch darüber ausfragt, wie es zwischen meiner Mutter und Marco läuft. „Wenn es in jeder Familie ein schwarzes Schaf gibt, dann ist es in meiner ganz sicher mein Vater.“
„Tja und in meiner ist es mein Bruder.“
Wir sehen uns an, kein Wort kommt über unsere Lippen. Seine grün-braunen Augen funkeln im schwachen Schein des Fernsehers. Langsam legte er seine Hand auf meine Wange. Unsere Gesichter näherten sich einander. Dieses Mal rutschte ich nicht zurück. Ich konnte seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren. Als ich meine Augen schloss, konnte ich schon fast seine Lippen auf meinen spüren.
Doch plötzlich klingelte es an der Tür.

Richard:
So ein Mist! Oliver hatte Alles versaut! Ich war so kurz davor gewesen, Sophie zu küssen. Und dann muss ausgerechnet dieser besoffene Vollidiot nach Hause kommen. Sophie hat sich dann relativ bald verabschiedet. Es war schon weit nach Mitternacht.
So ein Mist! Ich könnte diesen kleinen Dreckskerl umbringen. Es hatte so gut angefangen. Wir haben Halo: Reach gespielt und sie war echt gut. Ich hatte nicht erwartet, dass ein weibliches Wesen sich so sehr für xBox-Spiele begeistern konnte, wie sie es tat. Zumiendestens keine, mit ihrem Aussehen. Sie war ohnehin das ungewöhnlichste Mädchen, das ich bis jetzt kennen gelernt hatte.
Die ganze Nacht konnte ich nur daran denken, wo das Alles hätte hinführen können, wenn Oliver nicht gekommen wäre. Ich verfluche diesen Mistkerl, wie er da total besoffen in meinem Wohnzimmer auf dem Boden liegt. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, sich den Schlafsack auszurollen.
Als er hinein getorkelt kam, wäre er fast auf Sophie gefallen. Ich konnte sie gerade noch wegziehen. Und so, wie er sich fallen gelassen hatte, so blieb er auch liegen. Dieser kleine Säufer hatte gestern sicher mehr Glück als ich. Entweder bei Sophies Freundinnen oder bei irgendeiner anderen Tussi in der Bar. Aus irgendeinem Grund fanden ihn die meisten Frauen charmant. Zum Glück schien Sophie nicht dieser Meinung zu sein, aber ihre Freundinnen waren ihm offensichtlich schon verfallen gewesen, als er nur mit ihnen von Balkon zu Garten geredet hatte.
Sophies Familie war also auch nicht perfekt. Ihr Vater war wohl ein mindestens genau so großer Arsch, wie meiner. Meiner hatte wenigstens den Anstand zu warten, bis das jüngste Kind älter war, bis er etwas mit einer Anderen angefangen hatte. Ihr Vater hingegen hatte schon etwas mit einer Anderen, da war sie noch gar nicht geboren.
Aber Sophie und ihrer Mutter hatte das wohl nicht halb so viel geschadet, wie meiner Mutter und Oliver. Ihre Mutter hatte offensichtlich einen neuen Mann und, was noch viel wichtiger war, neues Glück gefunden.
Ich versuche mir vorzustellen, wie mein Leben und vor allem Olivers Leben gelaufen wäre, wenn Mama einen neuen Mann gefunden hätte. Wie es gewesen wäre, wenn Oliver weiter zur Schule gegangen wäre, nicht mit den Drogen angefangen hätte. Wenn Mama nicht jede Woche einen halben Nervenzusammenbruch gehabt hätte und wenn ich mir nicht ständig Sorgen um die Beiden hätte machen müssen. Unvorstellbares Wunschdenken.





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