Mit dem letzten Atemzug - Teil 9

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 08.08.2012


*Elena*

Wenn ich nicht gesessen hätte, würde mich Deans Nachricht sicherlich umhauen.
Ich spürte wie mein Herz stehen blieb und mir das Blut in den Adern gefror, als ich wie gebahnt auf das Display sah. Ich ließ mir die Wörter eins nach dem anderen auf der Zunge zergehen, ließ mir jedes einzelne durch den Kopf gehen. Mehrmals huschten meine Augen über die geschriebenen Zeilen, doch mein Gehirn weigerte sich, ihnen einen Sinn zu verleihen.
Meine Hand zitterte, als ich Deans Nummer wählte und das Handy an das Ohr drückte. Nach mehreren Freizeichen sprang die Mailbox an.
“Hi, hier ist Dean. Ich kann im Moment nicht drangehen, weil ich wahrscheinlich was besseres zutun habe, aber ihr könnt mir eine Nachricht hinterlassen und vielleicht rufe ich zurück.” - es tat so weh, seine vertraute Stimme zu hören.
“Hi, ich bin` s. Ich habe gerade deine SMS bekommen und würde gerne mit dir darüber sprechen. Wenn das ein Scherz war, war er nicht lustig.” - meinte Stimme bebte, genauso wie mein ganzer Körper und ich musste mich mehrmals räuspern, weil sich ein Kloß aus Zweifeln und aufkommenden Tränen in meinen Hals gebildet hatte. “Ruf mich bitte an.” - bat ich, verabschiedete mich und legte auf.
Einige Minuten blieb ich sitzen und sah auf das Gerät in meiner Hand. Lautlos flehte ich es an, endlich einen Ton von sich zu geben, doch es blieb gnadenlos stumm.
Desto länger ich wartete, desto verzweifelter wurde ich. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe, bis ich Blut in meinem Mund schmeckte.
Das Handy blieb stumm.
Meine verwirrenden Gedanken machten mich einfach müde. Unter meiner Decke rollte ich mich zusammen und schlang meine Arme um meinen Körper. Mit geschlossenen Augen lag ich da und bettete aus diesem Alptraum aufzuwachen.
Langsam fiel ich in einen unruhigen Schlaf.

Müde und mit derben Kopfschmerzen wachte ich etwa eine Stunde später wieder auf. Ich rieb mir den restlichen Schlaf aus den Augen. Vorsichtig glitt mein Blick auf das Handy auf meinem Nachttisch. Vielleicht hatte ich doch nur geträumt, dass Dean mit mir per SMS Schluss gemacht hatte?
Meine Hand schnellte nach vorne, doch als sich meine Finger um das Plastik der Hülle schlossen, hielt ich einen Moment lang inne. Und wenn es doch kein Traum war? Ich würde es aber nie erfahren, wenn ich nicht auf das Display sah.
Nervös warf ich doch ein Blick darauf und ging dann in das SMS-Menü.
Mein Herz brach entzwei.
“Hi, also die Sache ist die. Ich habe hier jemanden kennengelernt und bleibe länger. Sorry, ist einfach passiert. Dean.” - lautete die Nachricht. Es war doch kein Traum gewesen, stellte ich enttäuscht fest und Tränen liefen über meine Wangen.
Ich wählte Deans Nummer.
“Hi, ich bin` s noch mal. Ruf mich bitte an.” - hinterließ ich auf der Mailbox die zweite Nachricht und wartete auf eine Reaktion von Dean. Doch auch diese Nachricht blieb unbeantwortet. Ich legte mir die freie Hand an den Kopf und versuchte meine Gedanken zu sortieren.
Dean hatte jemanden kennengelernt. Blieb länger in Philadelphia. Hatte Schluss gemacht.
Langsam ergaben diese Worte für mich einen Sinn. Langsam wurde mir sein Verhalten in der letzten Woche klar. Er hatte eine Andere, obwohl er es abgestritten hatte.
“Hi, hier ist Elena. Bitte ruf mich dringend zurück.” - flehte ich seine Mailbox an.
Aber warum hat er es mir nicht schon vorher gesagt? Warum per SMS? Das war doch die gemeinste und feige Art Schluss zu machen. War ich einer Aussprache nicht wert? Einer Erklärung? Eines persönlichen Schlussstrichs?
Tränen liefen in Strömen über mein Gesicht.
“Dean, bitte ruf zurück. Du kannst unsere Liebe nicht so enden lassen. Bitte.” - weinte ich ins Telefon.
Nur seine Mailbox hörte mich den ganzen Tag an, Dean meldete sich selbst allerdings nicht.

Langsam verschwand die Sonne hinter dem Horizont und ich saß immer noch mit dem Handy in meiner Hand auf meinem Bett, und hoffte auf ein Lebenszeichen von Dean.
Wenn er es so enden wollte. Bitte. Aber ich nicht. Mir war unsere Liebe mehr wert, als nur ein paar Wörter. Ich wollte eine Aussprache. Eine Erklärung. Irgendetwas.
Schnell zog ich mich an und wusch das verweinte Gesicht. Ich schnappte meine Tasche und lief auf die Straße. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich vorhatte. Ich war voller Tatendrang, doch hatte gar keinen Plan. Etwas musste ich machen, also lief ich einfach los.
Ich weiß nicht wie, aber meine Beine trugen mich von selbst zu Deans Wohnung. Was wollte ich hier, er war doch noch gar nicht da? - dachte ich, lief aber schon die Treppen hoch. Es könnte ja auch sein, dass er mich angelogen hatte und schon längst Zuhause war.
Wie besessen drückte ich auf die Klingel, doch die Tür blieb versperrt. Erneut kamen mir die Tränen, die ich mit dem Handrücken wegwischte. Verzweifelt und hoffnungslos setzte ich mich auf die Treppe und wählte zum hundertsten Mal an diesem Tag seine Nummer. Ich wartete auf die Mailbox, als ich einen mir bekannten Klingelton aus der Wohnung hörte. Schnell sprang ich auf die Beine und klingelte erneut an der Tür.
“DEAN!” - rief ich nach ihm. “Mach bitte auf. Ich muss mit dir reden.” - sagte ich, während ich an die Tür hämmerte. Tränen tropften von meinem Kinn und die Nachbarn hatten mich sicherlich gehört, doch das war mir egal. Ich wollte nicht aufgeben, nicht Dean, nicht unsere Liebe. “Mach auf!” - brüllte ich und hämmerte wie wild. “Bitte.” - flehte ich ihn an und fing an zu schluchzen. “Bitte.” - flüsterte ich kraftlos und meine Beine gaben nach. Ich fiel auf die Knie und drückte meine Wange an die Tür. “Ich liebe dich. Verlass mich nicht.” - bettelte ich und weinte immer lauter. “Mach auf.” - schrie ich zum letzten Mal. “Dean!” - rief ich seinen Namen und das letzte Mal berührte meine Faust das Holz der Tür. Ich sackte vor der Wohnung zusammen und weinte.
Wie konnte er mir das antun? Er war da, ließ mich aber hier vor der Tür wie eine Bettlerin um seine Aufmerksam flehen.
Wie konnte er nur so herzlos sein?


*Dean*

Ich saß mit dem Rücken an die Tür gelehnt und Tränen rannten über mein Gesicht. Ihr Flehen und das Hämmern an die Wohnungstür waren wie schmerzhafte Schläge auf mein Herz. So gerne wäre ich rausgegangen, sie in den Arm genommen und ihr gesagt, dass alles in Ordnung sei und die ganze Geschichte nur ein blöder Scherz war. Doch dem war nicht so.
Sie rief meinen Namen und sagte, dass sie mich liebte. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht schmerzhaft aufzustöhnen und presste meine Hände an die Ohren. Ich wollte sie nicht hören und ich wollte ihr nicht wehtun, aber es ging nicht anders.
Es wurde ruhig vor der Tür und ich hörte nur ihr leises Weinen.
“Es tut mir leid.” - formte ich mit den Lippen. “So leid.” Ich legte meinen Kopf in den Nacken.
Ihr Wimmern tat mir so weh, mehr als zahlreiche Messerstiche.
Einige Minuten lang saß ich weinend da und hörte sie leise auf der anderen Seite der Tür weinen. Ich schloss meine Augen und vergrub das Gesicht in meinen Handflächen.
Hinter der Tür war es jetzt still geworden. Kein Weinen, kein Wimmern, nur eine eisige Stille. Mit wackligen Beinen erhob ich mich und lauschte. Elena war weg. Sie hatte aufgegeben. Dafür war ich dankbar, doch auch irgendwie nicht. Ja, sie hatte aufgegeben, aber nur für heute. Ich kannte sie lang genug, um zu wissen, dass es noch nicht vorbei war.
Jetzt musste ich mir etwas einfallen lassen. Ihr glaubhaft machen, dass unsere Beziehung für mich von vorne herein, nichts ernstes war. Doch wie sollte ich das anstellen? Sie wusste ganz genau, dass ich sie liebte und das tat ich auch.
Wie gerne wäre ich mit ihr zusammen, bis zum Ende, doch es ging nicht. Mein Ende war so nah.
“Drei bis sechs Monate.” - hatte mir Dr Morrey zugesichert. “Vielleicht länger.” - fügte er noch hinzu. Erneut rannten Tränen über mein Gesicht als ich an mein Schicksal dachte. Es war so unfair und verdammt unpassend.
Endlich hatte ich den Mut gefunden, Elena meine Liebe zu gestehen. Endlich hatte ich das Glück, mit ihr zusammen zu sein.
Vielleicht war es zu viel Glück? - dachte ich sarkastisch und lächelte traurig.
Langsam ging ich ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch fallen. Dort blieb ich sitzen, bis Shane nach Hause kam.
“Hi.” - begrüßte er mich und sah fragend drein. “Schon zurück?” - fragte er.
“Ja.” - sagte ich bloß ohne ihn anzusehen.
“Ich habe gerade Elena getroffen.” - informierte er mich und ich schluckte schwer. “Sie sagte, dass du mit ihr Schluss gemacht hast.” - fuhr er vorsichtig fort, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich nickte nur und kämpfte gegen die aufkommenden Tränen an . “Wie? Ich meine, warum?” - fragte er mich verständnislos.
“Ich habe meine Gründe.” - sagte ich nur und stand auf. Ich hatte überhaupt keine Kraft eine Diskussion mit Shane zu führen.
“Sie sagte auch, dass du eine Andere hast.” - meinte er dann.
“Ja.” - sagte ich nur.
“Das ist doch nicht wahr?” - das war eine Frage und eine Feststellung zugleich. Ich schüttelte bloß mit dem Kopf. “Ich verstehe nicht.” - sagte er dann.
“Ich werde sterben, Shane.” - sagte ich dann leise.
“Was?” - fragte er nur fassungslos.
“Ich habe noch drei bis sechs Monate.” - erklärte ich und weinte wieder.
“Scheiße.” - hörte ich Shane nur schimpfen.
“Das ist es.” - pflichtete ich ihm bei. “Ich habe einen Gehirntumor vierten Grades. Die Prognose ist eher negativ” - erklärte ich ihn.
“Es tut mir leid.” - sagte er dann nur. “Kann ich etwas für dich tun?” - wollte er wissen.
“Nein, keiner kann noch etwas für mich tun.” - erwiderte ich bloß. Shane fuhr sich nervös durch das Haar.
“Aber warum hast du Elena angelogen?” - wollte er wissen.
“Ist das nicht offensichtlich?” - fragte ich und er schüttelt bloß mit dem Kopf. “Ich will nicht, dass sie mir beim Sterben zusieht. Sie ist nicht stark genug.” - erklärte ich ihm und dachte an mein Gespräch vor einigen Tagen mit Elena. “Wenn sie denkt, dass ich sie verlassen hatte, wird sie mich zuerst hassen und lässt irgendwann los. Wenn sie mich sterben sieht, wird es sie aber nie loslassen. Verstehst du?” - ich sah Shane hoffnungsvoll an.
“Ich verstehe das nicht.” - sagte er dann. “Vielleicht ist Elena gar nicht so schwach, wie du denkst.” - machte er mir klar.
“Shane, ich kenne sie schon so lange und denke schon, dass ich das sehr gut beurteilen kann.” - meinte ich dazu. “Sie ist nicht stark genug.” - versicherte ich ihm.
“Oh Mann.” - sagte er nur und umarmte mich.

Fortsetzung folgt ...


P.S.: Um dem noch mehr Dramatik zu verleihen, habe ich mir dieses Lied angehört, als ich den Teil geschrieben habe, wo die beiden an der Tür sitzen und weinen.
http://www.youtube.com/watch?v=XS-RkBIvKew&feature=related. LG Eure Raindrop





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