Mit dem letzten Atemzug - Teil 2

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 20.07.2012


*Elena*

In zehn Minuten erreichten wir unseren Lieblingsladen. Zum Glück, wie es sich nur in wenige Augenblicke herausstellte, denn kaum ging die Tür hinter uns zu, schon fing es an zu regnen. Ich pellte mich aus meiner Jacke und gab sie an Dean weiter, der mir bereits seine Arm entgegenstreckte, um diese anzunehmen und zusammen mit seiner, die er bereits ausgezogen hatte, an der Garderobe aufzuhängen. Dabei machte ich mich schon auf den Weg zu unserem Stammtisch.
Diesen Laden haben wir gemeinsam entdeckt, als wir beide in den Sommerferien nach unserem letzten Highschooljahr für ein Wochenende nach New York kamen, um uns schon mal mit der Stadt vertraut zu machen, in der wir beide studieren wollten. Ich bin dann direkt zwei Wochen später hierhin gezogen und Dean folgte mir nach den Sommerferien, da er noch in dem Angelladen seines Vater aushelfen musste. Wir haben den gemütlichen Laden sofort in unsere Herzen oder eher in unsere Bäuche geschlossen. Denn hier gab es den besten Burger der ganzen Stadt.
Als ich mich an den Tisch in der Ecke gesetzt hatte, winkte ich Vince zu. Noch ganz genau konnte ich mich daran erinnern, was ich gedacht habe, als ich diesen bulligen Mann mit einem Schnurbart und schulterlangem Haar, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden zum ersten Mal gesehen habe. `Sieht er gefährlich aus.`- war damals mein Gedanke gewesen, während ich ihn ehrfürchtig ansah. Doch jetzt wusste ich es besser. Vince war seinem Aussehen zum Trotz ein herzensguter Mensch, der keiner Fliege etwas zu Leide tun würde.
Vince lächelte zurück und nickte zur Begrüßung. Er war kein Mensch großer Worte.
Dean setzte sich zu mir und unsere Schultern berührten sich.
“Mach mal Platz.” - beschwerte er sich und stieß mich mit seiner Schulter.
“Zu fett? Mr Fleischklops.” - ging ich auf seine Stichelei ein.
“Reine Muskelmasse.” - berichtete er und lächelte mich an. Dann zeigte er mir seinen unter einem enganliegenden Hemd klar zu erkennenden Bizeps.
“Oh.” - meinte ich anerkennend und machte mit einer Verbeugung Platz.
Doch bevor wir uns weiter kabbeln konnten, kam Doris, Vinces Frau, mit zwei mit riesigen Burgern und Pommes beladenen Tellern auf uns zu. Im Gegensatz zu Vince war Doris klein und zierlich. Ihr Haar war pechschwarz und wie immer trug sie eine schwarze Bluse, schwarze Hose und eine strahlendweise Schürze, obwohl sie fürs Kochen zuständig war. Ihr Outfit ließ sie noch dünner und kleiner aussehen, als sie es schon war.
“Hallo ihr Schätze.” - begrüßte sie uns mit einem offenen Lächeln. “Wie geht es euch?” - fragte sie und stellte jeweils einen Teller vor Dean und vor mir auf den Tisch.
“Gut danke.” - sagte Dean und sah seinen Teller gierig an. “Doris, du machst die besten Burger überhaupt.” - lobte Dean ihre Kochkünste und ihr Lächeln wurde noch breiter.
“Du Charmeur.” - tadelte sie ihn und streichelte über seine Schulter. “Guten Hunger.” - wünschte Doris und ging wieder zurück in die Küche.
Während ich mich einer Gabel und eines Messers bediente, wählte Dean die unkonventionelle Art den Burger zu essen. Er presste diesen einfach zwischen seinen Händen platt und schob ihn sich Bissen für Bissen in den Mund.
“Echt lecker.” - murmelte er kauend.
“Ich kenne Doris` Burger.” - sagte ich und schnitt mir ein mundgerechtes Stück ab.
Wie auch jedes Mal konnte ich nur die Hälfte meines Burgers aufessen, die andere Hälfte riss sich Dean unter den Nagel und bediente sich auch noch an meinen Pommes.
“Jetzt bin ich aber satt.” - meinte er und lehnte sich zurück.
“Na hoffentlich platzt du jetzt nicht, wäre schade um den Burger.” - zog ich ihn auf und bekam von ihm einen giftigen Blick zugeworfen. Ich lächelte nur zuckersüß zurück.
“Was hast du heute Abend denn vor?” - fragte er beiläufig, während er sich über den vollgeschlagenen Bauch streichelte. Mein Herz schlug mir bis zur Kehle und ich schluckte.
“Wieso?” - fragte ich. Irgendwie wollte ich nicht, dass Dean von meinem Date mit Saltfish erfuhr. Doch anlügen wollte ich meinen besten Freund auch nicht. Vielleicht ihm das verschweigen.
“Wollte dich ins Kino einladen, nachdem du schon mal das Mittagessen bezahlt hast.” - informierte er mich.
“Ich habe schon was vor.” - sagte ich und versuchte es nur beiläufig klingen zu lassen. “Und wer sagt, dass ich dir das Essen zahle?” - wollte ich dann wissen und hoffte, dass die Sache mit dem Abend erledigt wäre.
“Immerhin habe ich 15 Minuten länger hungern müssen.” - argumentierte er. “Und was hast du vor?” - fragte er dann und sah mich mit seinen grünen Augen aufmerksam an. Einige Augenblicke dachte ich über eine Antwort nach, doch Deans Blick schien mich zu drängeln.
“Hab` ein Date.” - sagte ich schnell. “Außerdem kann ich dein Essen nicht bezahlen, ich habe mein Geld gar nicht mit.” - wechselte ich rasch das Thema.
“Ein Date also.” - sagte er und taxierte mich mit seinem Blick von der Seite.
“Ja.” - sagte ich und starrte auf einen Wasserfleck auf der weißen Tischdecke.
“Dürfte ich auch erfahren mit wem?” - interessierte er sich.
“Du kennst ihn nicht.” - antwortete ich und zeichnete die Umrisse des Flecks nach. Irgendwie wollte ich diese Unterhaltung nicht führen. Skeptisch sah er mich an und seine Skepsis war auch berechtigt. Wir hatten nur gemeinsame Freunde und Bekannte, da wir fast immer zusammen ausgingen. “Ich habe ihn im Internet kennengelernt.” - erklärte ich.
“Und dann triffst du dich mit einem Wildfremden?” - sagte Dean mahnend.
“Ich kenne ihn schon seit zwei Wochen.” - meinte ich trotzig.
“Und wie heißt er?” - wollte er wissen.
“Weiß nicht.” - murmelte ich leise vor mich hin. Irgendwie kam mir meine Idee, mich mit Saltfish zu treffen, jetzt richtig falsch und gefährlich vor. Vielleicht war er ja ein Serienkiller? Ich musste auf jeden Fall Pfefferspray und meiner Trillerpfeife mitnehmen.
“Du kennst nicht mal seinen Namen?” - wunderte sich Dean. “Nimm dann aber deinen Ausweis mit, damit ich deine zerstückelte Leiche nicht identifizieren muss.” - sagte Dean und jagte mir richtig Angst ein.
“Er ist nett.” - verteidigte ich mich schwach. Mir gefiel auch nicht, dass Dean ohne Saltfish zu kennen, so über ihn urteilte. Ich wurde wütend auf ihn. “Lass mich durch.” - verlangte ich böse von Dean und stieß ihn beinahe von der Kante der Sitzecke. Er sprang auf und ließ mich aufstehen. “Du bist echt blöd.” - warf ich noch über die Schulter als ich auf dem Weg zur Tür war.
“Elena.” - rief Dean mir hinterher. “Und wer bezahlt jetzt das Essen?” - fragte er noch, doch ich hatte mir bereits meine Jacke geschnappt und lief raus. Vor der Tür stieß ich beinahe mit Shane zusammen, dem Sohn von Doris und Vince und gleichzeitig dem Mitbewohner und besten Freund von Dean.
“Hi Elena.” - begrüßte er mich und wich zurück, um mich vorbeizulassen.
“Tschau.” - brummte ich nur und lief einfach weiter.
Blöder Dean.


*Dean*

Ihr Gesicht vor Ärger gerötet, ihre Stimme einige Oktaven höher als normal. Ich liebe es einfach, wenn sie so zornig war. Der Blick, den sie mir zugeworfen hatte, als sie mich beinahe von der Bank geschupst hätte. Einfach göttlich.
“Elena.” - rief ich ihr nur hinterher und breitete unschuldig meine Arme aus. “Und wer bezahlt jetzt das Essen?” - fragte ich und konnte mir kaum mein Lachen unterdrücken, als sie zur Antwort nur knurrte. Als sie aus der Tür war, ließ ich mich wieder auf die Bank fallen und lächelte vor mich hin. Sie auf das Treffen mit dem Unbekannten anzusprechen und zu versuchen, sie davon abzuhalten, war nur eine Taktik von mir. Denn es war nämlich so. Desto mehr man Elena von einer Sache abriet, desto mehr wollte sie es.
“Dean.” - hörte ich meinen Namen und hob meinen Kopf. Mein bester Kumpel und Mitbewohner Shane stand in der Tür.
“Hi.” - grüßte ich ihn über das ganze Lokal. Shane sprach noch etwas mit Vince, seinem Vater an der Theke und kam dann auf mich zu.
Shane war genauso groß wie sein Vater, aber das Aussehen hatte er von seinem Mutter.
“Wie geht`s?” - fragte er und setzte sich mir gegenüber.
“Gut.” - sagte ich nur.
“Ich bin gerade mit Elena zusammengestoßen.” - klärte er mich auf. “Habt ihr euch gestritten?” - wollte er wissen.
“Ah Quatsch.” - sagte ich nur mit eine wegwerfenden Bewegung.
“Sie sah aber richtig wütend aus.” - meinte Shane nur.
“Ich treffe mich heute mit ihr.” - wechselte ich das Thema und strahlte Shane an.
“Was?” - meinte er und kratzte sich am Hinterkopf. “Willst du ihr endlich reinen Wein einschenken?” - wollte er wissen.
“Ja.” - nickte ich nur. “Ich habe mich heute mit ihr bei `Roadtrip` verabredet.” - erzählte ich Shane, der über meine Gefühle Elena gegenüber im Bilde war.
“Na endlich.” - meinte Shane und stöhnte erleichtert auf. “Langsam habe ich dein Geheule aber satt.” - verkündete er mir. “Ich liebe sie, aber unser Freundschaft.” - äffte er mich nach. Ich beugte mich zu ihm über den Tisch und verpasste ihm einen Schlag auf die Brust. “Aua.” - schrie er auf und rieb sich die von mir getroffene Stelle.
“Ich heule nicht.” - stellte ich nur klar. Dann musste ich lachen und blitzartig bekam ich Kopfschmerzen. Ein stechender starker Schmerz direkt hinter der Stirn. Ein Schwindelgefühl überkam mich und ich legte mir meine Hand auf die Stirn.
“Was ist los, Mann?” - wollte Shane wissen und sah mich misstrauisch an.
“Diese Migräne.” - beschwerte ich mich. In letzter Zeit hatte ich diese blitzartigen Kopfschmerzen immer häufiger, aber sie gingen so plötzlich wie sie kamen.
“Du sollst vielleicht zum Arzt gehen.” - schlug mir Shane vor. “Du hast diese Kopfschmerzen bereits seit mehreren Wochen.” - erinnerte er mich.
“Ich weiß.” - antwortete ich und rieb mir die Stirn. “Aber wegen mickrigen Kopfschmerzen laufe ich doch nicht zum Arzt.” - sagte ich nur und langsam entspannte sich der Schmerz und auch das Schwindelgefühl verging. Etwas ratlos sah mich Shane an.
“Du musst es besser wissen.” - gab er dann klein bei, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass ihm andere Wörter auf der Zunge lagen. “Ich habe dir Unterlagen der letzten Vorlesung bei Cooper auf den Tisch gelegt.” - teilte er mir mit.
“Danke.” - sagte ich nur und erhob mich. “Ich muss auch schon los, mich für mein Date mit Elena fertigmachen.” - meinte ich und ließ meine Augenbrauen hoch- und runterhopsen. “Bis dann.” - verabschiedete ich mich von Shane. “Vince, schreibst du mir das Essen an.” - bat ich noch den Besitzer an der Bartheke im Vorbeigehen.
“Klar Dean.” - sagte er nur.
“Bis dann.” - verabschiedete ich mich, schnappte meine Jacke und lief auf die Straße. Der Regen hatte etwas nachgelassen und nieselte jetzt nur. Trotzdem zog ich den Reißverschluss meiner Jacke zu und stellte den Kragen auf. Ich vergrub meine Hände in den Jackentaschen und machte mich auf dem Weg nach Hause. Vor dem Date mit Elena hatte ich etwas Bange, doch ich freute mich auch, ihr bald die Wahrheit sagen zu können.

Fortsetzung folgt ...





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