Died Again - Teil 12

Autor: Noa
veröffentlicht am: 29.08.2012


Kapitel 11

Trockene Luft


Nach zwei Tagen kehrten die Eltern von Lex zurück und Kayleigh musste auf unangenehme Weise zu Shain vorübergehend flüchten.
„Also, wenn ich ehrlich bin, so kann es nicht weiter gehen. Sie dir den Dreck doch mal an! Vielleicht fühlt sich ja ein Stinktier wohl, aber kein Mensch.“, beschwerte sie sich und versuchte auf den abgelenkten, am Computer sitzenden Shain einzureden. Aber jedes Mal erklang nur ein leise: „Hm“.
Irgendwann gab sie auf und aus Langweile schnappte sie sich aus dem gereinigten und gepflegten Bad – worum seine Mutter sich sorgte, die nur sehr selten auftauchte – kümmerte. In einem Pappkarton befanden sich Gummihandschuhe. Ohne zu zögern, stülpte sie den Schutz über ihre Hände.
In Shains Zimmer machte sie sich an die Arbeit, zog alle Rollläden hoch, öffnete die Fenster weit und ließ frische Luft durchblasen. Shain scherte es nicht, das sein Zimmer, das ihm so egal wie seine dreckige Wäsche war. In einem riesigen blauen Sack landete der Müll, Chipsreste, verschimmelte Plastikteller, verfaulte Bananenschalen und Getränke, die längst ranzig wurden. Es widerte Kayleigh an sein Zimmer aufzuräumen. Vor allen Dingen das Bett musste frisch bezogen werden. Obwohl sie ein bisschen die Arbeit nervte und sich undankbar fühlte, gab sie sich Mühe und ließ sich Zeit. Shain rührte sich kein bisschen, sondern arbeitete an seinem neuen, selbsterfundenen Programm, das Kayleighs Leben sicherte. Irgendwann als die Wäsche in der Waschmaschine steckte, der Müll draußen vor der Tür verweilte, das Bett frisch duftete und der Parkettboden sich zu erkennen gab, klopfte sie sich auf ihre eigene Schulter. Es war eine Arbeit von viereinhalb Stunden. Unter den Fußleisten waren Krümel, Staub und Gartenerde. Sein Zimmer musste eine Ewigkeit nicht mehr gesäubert worden sein.
Lex meldete sich immer noch nicht und ungeduldig setzte sie sich ans offene Fenster. Ihr Blick fiel auf die Straße in der Hoffnung Lex wurde mit seinem unglaublich unwiderstehlichen Charme vor der Tür stehen. Erst letztens sah sie ihn mit dem Motorrad fahren. Der Streetfighter passte zu ihm. Dadurch wurde er noch unwiderstehlicher. Die unermesslichen Gefühle in ihr wurden von Tag zu Tag stärker. Die Verbundenheit zwischen den beiden war ein unergründliches Rätsel.
Ihre Füße stemmten aufrecht gegen den Rand und ihr Rücken drückte sich gegen die Wand hinter ihr. Der Kopf ruhte am Rahmen des Fensters und ihre Augen beobachteten jeden Winkel der Straße. Was er wohl mit ihnen besprach? Ob Kayleigh noch zu ihm durfte? Vielleicht waren sie streng und mochten sie nicht. Bei diesem Gedanken durchströmte eine Kälte den Körper und mehrere Schauer glitten langsam den Rücken hinunter. Selbst Steven blieb lieber bei Lex und beobachtete die Situation mit. Kayleigh hatte ihn zwar gebeten mitzukommen, aber er weigerte sich. Selbst nach vier Stunden herrschte im Zimmer Totenstille. Nur das leise Brummen des Computers war zu hören. Shain brachte kein einziges Wort über seine Lippen und es wurde langweilig. Die Sonne brannte auf ihre blasse Haut und das goldbraune Haar schillerte. Ihr Blick fiel nach unten auf die Treppe. Was waren es wohl für Schmerzen, wenn sie nun dort hinunterspringen würde? Überlebte sie das? Immer. Aber dann wären ihre Freunde aus ihren Gedanken gelöscht.
Eine Erinnerung blieb ihr zurück. Die Schlimmste von allen. Damals war etwas Furchtbares passiert, das ihr Herz niemals verkraftet hatte und um diesen Schmerz zu beenden, noch bevor das erste Symbol sich auf ihren Rücken abzeichnete, sprang sie die Klippe freiwillig hinunter. Das Geschehen war gelöscht, so wie alles andere, nur der Gedanke etwas Schlimmes verbrochen zu haben, was ihr Gewissen in Stücke zerriss, blieb zurück.
Da verstummte das Brummen und Kayleigh konnte es nicht fassen, dass Shain sich endlich zu seinem nun gesäuberten Zimmer wandte und seine Augen aufriss. Seine Fingerspitzen fuhren über den glänzenden Parkettboden.
„Wow! Ich erkenne es ja gar nicht wieder.“, sagte er. „Danke, Kayleigh!“
Sie lächelte stolz und starrte weiter aus dem Fenster. Shain bemerkte ihre ständige Abwesenheit und wusste genau was in ihr vorging. War es denn wirklich so offensichtlich, dass es sogar Shain bemerkte?
„Er kommt bestimmt gleich. Keine Sorge. Sag mal, wieso musstest du deine Daten ins System hinein schmuggeln? Ich will ja nicht neugierig sein, aber interessieren tut es mich schon.“, erwähnte er und wollte das Thema nur nebenbei andeuten, obwohl er fast platze vor Neugierde.
Diese Frage musste irgendwann auftauchen. Aber wie sollte ihre Antwort lauten? Eine Lüge hatte sie keine parat. In ihrem Nacken kitzelte die Angst und Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Am liebsten hätte sie so getan, als ob sie nichts gehört hätte und starrte weiter aus dem Fenster. Aber Shain blieb erwartungsvoll stehen.
„Es gibt zwar einen Grund… Reicht dir mein Dank nicht aus?“, fragte sie abweisend. Lex müsste jetzt auftauchen, damit sie sich aus dem Gespräch entziehen konnte und ihm in die Arme springen konnte. In den letzten zwei Tagen hatte sich ihre Beziehung erheblich verbessert. Den Albtraum musste er vergessen haben und das ständige Lächeln, wenn sie in seinen Augen in eine Trance versank.
„Wusste nicht, dass es so geheim war.“
„Nachdem Umschlag habe ich auch nicht weiter nachgefragt.“, konterte Kayleigh mit ernster Stimme, wollte dabei Shain nicht beängstigen, sondern nur deutlich machen, das es ihn nichts anging. Und es würden nur mehr Probleme entstehen, wenn er die Wahrheit wüsste.
Endlich erklang in ihren Ohren der Motor seines Streetfighters und Steven stand neben ihm. Ihr Bauch kribbelte, als sie beobachtete wie Lex geschmackvoll vom Motorrad abstieg. Er erblickte am Fenster Kayleigh, die mit einem breiten Grinsen sehnsüchtig auf ihn gewartet hatte.
Shain nahm Luft um noch einen letzten Satz über seinen Mund zu bringen, aber Kayleigh flitzte schon die Treppe hinunter. Unten an der Treppe wartete er hielt unter seinem Arm an seine Hüfte gepresst den Helm. Mit der anderen Hand streckte er ihr eine weitere Schutzhaube entgegen. Er trug ein dünnes dunkelblaues T-Shirt mit V-Ausschnitt und an seinem Hals hing eine silberne Kette mit einem Kreuz als Anhänger. Seine lange beige Jeans passte perfekt zu seinem schlanken Körper.
Kayleigh griff nach dem Helm und zog ihn sich über den Kopf. Shain stand unten an der Tür und winkte ihnen nach.
„Bis in einer Woche, Shain!“, rief sie und stieg mit Lex auf den Streetfighter. Ihre Arme umklammerten seinen Oberkörper, wodurch sich seine ganzen Bauchmuskeln zum Vorschein kamen und ein sanftes Kribbeln lief über ihren Rücken. Am liebsten hätte sie ihren Kopf auf seinen Rücken gelegt und wäre stundenlang mit ihm in der Gegend herumgefahren. Seine Wärme war wie Feuer, das ihren Körper zum Anschwellen brachte.
Das Motorrad fuhr los und ihre Arme umklammerten seinen Bauch umso fester. Ihre Finger zuckten zu seiner Brust, aber Kayleigh musste diesem Willen widerstehen. Vielleicht mochte es Lex nicht.
Es dauerte einige Minuten bis beide an der Villa angelangten und ängstlich wuchsen ihre Beine am Boden fest. Ein Kloß glitt langsam ihren Hals hinunter. Mit einem entsetzten Blick starrte sie zur Tür.
Lex hatte erwartet, das Kayleigh ihr folgte, aber beim Umdrehen, bewegte sich ihr Körper keinen Schritt. Was sollte sie sagen? Wie sollte sie sich verhalten? Ob seine Eltern gerne Besuch hatten oder ihnen Neulinge auf die Nerven gingen? Fragen über Fragen und keine Antwort fügte sich hinzu. Ohne es zu merken, nahm er ihre Hand und brachte ihre Beine zur Bewegung. Die Knie wurden weich und eine Hitzewelle überkam sie. Wenn er bei ihr war, verschwand das Angstgefühl.
An der Tür schloss er den Eingang auf und drückte mit der flachen Hand auf ihren Rücken, um den Körper zwangsmäßig hineinzuschieben.
Nachdem das Schloss zugefallen war und ihre Eltern vor ihr standen, wäre sie am liebsten vor Scharm in den Boden versunken. Ihre Mutter sah wie Marilyn Monroe aus. Nur alt. Die Frisur war wie abgemalt und am Rand ihrer Sonnenbrille stand eine teure Marke. Im Laufe der Jahre hatte Kayleigh sich die modische Fashion erlernt und wusste wie viel Geld dieses einzelne Stück kostete. Sie trug ein rotes enges Kleid, das einen weiten Ausschnitt besaß und am Hals zusammengebunden worden war. Die Knie waren frei und die roten Stöckelschuhe perfektionierten ihr Outfit.
Lex Vater hingegen trug einen Smoking, dessen Jacke auf gehangen wurde und die Ärmel des Hemdes nach oben gekrempelt wurden. Im Gegensatz zu seiner Frau war er klein und eine Wölbung streckte sich am Bauch hervor. Die Schuhe liefen vorne spitz zu und bestanden aus schwarzem Leder.
Die schlanke Dame kam auf Kayleigh zugelaufen und schaute auf ihre Umklammerung von Lex’ Arm. Ein kleines Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Ihre sanfte und freundliche Stimme entzog die Angst aus Kayleigh.
„Mein Name ist Elena Nason.“
Kayleigh nahm zitternd ihre Hand entgegen und sie kicherte kurz. „Was hat dir denn Lex erzählt, dass du dich vor uns fürchtest?“
Ihre verschwitzte Hand streifte sie an ihrer Hose ab und versuchte die Nervosität abzuschütteln. Mit einem unsicheren Lächeln, da auch der Vater von Lex auf sie zukam, versuchte sie - so gut es ging - einen freundlichen Eindruck zu schinden. Doch seine kalte, verbitterte Mimik schien sie wiederum zu verängstigen.
„Robert.“
Die raue, und doch behagliche Stimme fühlte sich wie ein Anstoß gegen ihren Körper an. Er sagte ihr: Vorsicht! Das ist mein Sohn. Kayleigh versuchte noch immer ihre Füße in den Boden zu rammen, um sich aus dem Blickfeldern seiner Eltern entziehen zu können. In diesem Moment würde sie gerne den Platz mit Steven tauschen, der ruhig neben Elena stehen blieb. Er konnte von der bildschönen Frau, dessen äußere Erscheinung eher wie eine dreißigjährige wirkte, seine Augen nicht abwenden.
Lex räusperte sich, als Stille in den Raum kehrte. Mit einem munteren Lächeln lief er mit Kayleigh an der Hand an ihnen vorbei und entführte sie in ihr Zimmer.
Nachdem sich das zwickende Gefühl in ihrem Bauch beruhigt hatte, fiel ihr Oberkörper erschöpft aufs Bett.
„Du scheinst ja ziemlich fertig zu sein.“, bemerkte er und betrachtete ihren daliegenden Körper von Kopf bis Fuß. Seine haselnussbraunen Augen klebten an ihren, als er sie entdeckte.
„Lex!“, rief sie plötzlich und er schreckte ahnungslos zurück. „Könntest du mir etwas Geld leihen. Ich frage das wirklich nur sehr ungern, aber zurzeit habe ich selbst keines...es ist so...mir...“
Kayleigh seufzte, weil sie es nicht so formulieren konnte, dass es sich nicht anhörte, als ob sie eine Schnorrerin wäre. Geduldig warte Lex mit verschränkten Armen auf ihre Bitte.
„Ich möchte nicht nur mit einer Hose und einem Tanktop, das schon anfängt zu stinken, ins Internat gehen.“
Als er ihr Problem erkannte, konnte er sich ein Lächeln nicht verkneifen. Kayleigh wollte shoppen gehen.
„Ich verstehe.“, sagte er und kratzte sich nachdenklich am Kopf. „Klar, wieso nicht?“
Ein Stein fiel ihr vom Herzen. Allein der Gedanke, wie peinlich es gewesen wäre, nur mit einem einzigen Outfit zum Internat zu gehen, ließ ihr einen kalten Schauer über den Rücken jagen.
„Wie viel würdest du denn brauchen?“, fragte er unwissend.
Ihr Finger hob sich zu ihrem Kinn. „Ich kaufe mir auf jeden Fall keine Markensachen. Nur ein paar Hosen im Wert von drei oder vier Euro.“
„Wow, das sind ja richtige Schnäppchen!“, lachte er und Kayleigh verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.
„Ich brauche keine teuren Sachen oder wo irgendeine Marke drauf steht, womit ich sagen, dass ich ab sofort cool bin. Das ist lächerlich! Ich habe lieber billige Klamotten, als den Trend-Schrott.“, konterte sie und Lex schaute an seinen Kleidern herunter. Das T-Shirt, das er trug, hatte einen Wert von knappen fünfzig Euro. So wie Kayleigh es in einem dementierten Ton ausgedrückt hatte, kam er sich teilweise lächerlich vor.
„Ach! Egal. Hier!“, sagte er und zog seinen Geldbeutel aus seiner Tasche und drückte ihr einen zweihundert Euroschein in die Hand.
Kayleigh schlug ihre Hände über den Kopf. „So viel?“
Lex lachte und für ihn waren das ein paar Cents. Gut, dass sie keine Ahnung davon hatte, wer sein Vater in Wirklichkeit war. Sein Name und Bild standen fast über in Dublin.
„Das ist voll nett!“, freute sie sich und Steven platzte in ihre Unterhaltung.
„Lex...“, jammerte er und fiel flehend auf seine Knie. „Ich will nicht mit shoppen gehen. Bitte! Tu das einem Mann nicht an. Du musst es ihr aus dem Kopf schlagen.“
Beide lachten und Kayleigh steckte sich ihr Geld in ihre Hosentasche. Sie besaß tatsächlich nichts. Kein Handy, keine Kleidung, Wohnung, ja nicht einmal eine Handtasche. Auch wenn der Anblick armselig aussah, tat es gut einer Freundin ins Leben zu helfen.
„Dann ab mit dir!“, rief er und Kayleigh riss aufgeregt die Tür auf, als sie sich noch zu ihm umdrehte und seine Augen suchte, kam ihr ein verlegenes Lächeln über die Lippen.
„Vielen Dank, Lex.“, sagte sie mit einer so zarten Stimme, das ihn ein Kribbeln durch den Körper fuhr.
Er machte eine schweifende Handbewegung, nach dem Motto: Gern geschehen und jetzt hab einen schönen Tag.
Die Haustür prallte zu, im Wohnzimmer pure Stille. Miss Nason saß auf der Holzliege, neben ihr ein Cocktail und mit dem Blick auf den Teich gerichtet. Ihr weißer Strandhut flatterte im hauchenden Winde.
Steven erhob sich vom Boden und hatte wieder den Blitz zwischen den beiden gesehen, der ihre Verbindung darstellte. Wieso in Gottes Namen waren beide so unglaublich schüchtern zueinander? Er schüttelte abwegig den Kopf.
„Sie ist schon längst draußen, Lex. Unglaublich das deine Augen noch immer nicht von der Tür lassen können.“
Er seufzte genervt und schüttelte schweigsam den Kopf. Flüchtend legte er sich neben seine Mutter und genoss die Wärme der Sonne.

Kayleigh hüpfte wie ein vierjährige eifrig auf dem Bürgersteig entlang. In ihrer Tasche befühlten ihre Finger jedes Mal den zweihundert Euroschein. Ein breites Grinsen ließ viele Blicke auf sich ziehen. Natürlich hatte Kayleigh keine Ahnung wo es billige Hosen gab und welche man heutzutage anzog.
Erschrocken blieb ihr Körper mitten zwischen den Leuten stehen. Ihre Augen fielen auf den Kleiderstil der Menschen. Die Männer hatte sie natürlich ausgeschlossen, aber sie entdeckte nur ältere Damen, die schon längst aus der Mode kamen. Wo waren die Teenager, die sich um solch eine Uhrzeit hier herum trieben? Egal wohin sie starrte, nirgends lief eine junge Person herum. Die Bänke im Park, der auf der anderen Straßenseite begann, waren leer. Ihr Blick fiel in den Himmel. Als wollte sie sich vergewissern, dass es vielleicht am Wetter läge, warum keine Jugendlichen in irgendwelche Läden stürzten.
Ohne es zu bemerken, hatte eine ältere Dame, die neben ihr auf einer Steinmauer saß, ihre Verwirrung längt entdeckt. Der Stock unter ihrer Hand wurde durch ihre beiden Hände halten. Die hellgrauen gelockten kurzen Haare waren perfekt geformt. Die Augen waren blau und auch wenn sie nicht lächelte, wirkte sie sehr freundlich. Auf den Lippen befand sich rote verblasste Farbe. Kayleigh schaute noch immer in die Gegend, bis die alte Dame mit dem Stock kräftig in ihre Waden schlug. Sie machte einen erschrockenen Satz nach vorne und fasste an ihr Bein. Dabei fiel der Blick auf die schmunzelnde alte Dame, die zu einem Schaufenster blickte.
„Du standst im Weg.“, sagte sie. Ihre tiefen Falten überlappten sich beinahe im Gesicht, wenn sie ihre Mundwinkel bewegte. Neugierig musterte Kayleigh die Frau und gab keine Rückantwort. Aber der starrende Blick von ihr, störte die alte Dame.
„Was ist? Bist du so erschrocken?“, fragte sie und kurzzeitig wechselte sie ihre Blickrichtung.
An ihren Händen trug sie zwei goldene Ringe am selben Finger, der eine etwas dünner, als der andere. Um ihren Hals war ein brauner Cashmereschal, der durch den leichten Wind über ihre Brust wirbelte. Die Frau lief außerdem auf schwarzen Stöckelschuhen und hatte eine violette Weste über die Schultern gezogen. Die goldene Uhr am rechten Handgelenk sagte Kayleigh sofort, das auch diese alte Dame viel Geld hatte.
„Hast du das Sprechen verlernt?“, sprach sie erneut und ihr Oberkörper, der noch in die Richtung zeigte in die sie gehen wollte, wandte sich zur alten Dame.
„Nein. Nein. Ich kann sprechen. Allerdings weiß ich nicht warum sie ausgerechnet mir aufs Bein schlagen, wo doch so viele Leute an ihnen vorbei gehen und ebenfalls die Sicht versperren.“
Die Frau lachte genüsslich auf, als ob sie Gefallen an dem Thema genommen hatte. „Nur zur Information, auch wenn einige andere Leute an mir vorbeigehen, hast ja wohl du mir überhaupt keine Chance gelassen auf das Schaufenster zu sehen.“
Ihren Stock schlug sie zweimal auf den Boden und blickte noch immer geradeaus. Kayleigh folgte ihren Augen und traf hinter einer Glasscheibe auf eine Puppe, die vornehmlich angezogen. Ihr Körper hatte ein bordeauxrotes kurzes Kleid, das an den Knie endete und dessen Träger dünn an den Schultern entlang liefen. Über das Unterkleid war ein Schleier aus Seide gezogen und zusammen ergab es einen wunderschönen Anblick.
„Warum kaufen sie es sich nicht? Sie sehen so aus, als ob sie sich das leisten könnten.“, sagte Kayleigh.
Die alte Dame lachte laut und hob ihren Stock in die Luft.
„Das ist ja das Witzige an der Geschichte.“, kicherte sie. „Ich habe Geld. Ja, das gebe ich zu. Aber was bringt es mir? Ich sehr diese Kleid und werde nicht jünger, geschweige denn schöner aussehen. Aber weißt du...“
Mit einem lauten Stöhnen und knacksenden Knochen erhob die alte Dame sich von der Mauer und stützte ihren Körper mit dem Stock. Er war aus Eichenholz gefertigt und der Knauf war vergoldet.
„...die Familie zieht einen mit. Sobald einer reich ist, sind es die anderen auch. Geld macht krank. Es hat mich krank gemacht. Und meine einzige Hoffnung besteht darin, diese furchtbare Krankheit vor meinen Enkelkindern zu bewahren. Aber er ist ein sturer Junge. Geld hat ihn zwar nicht blind gemacht, aber dafür taub.“
Das Gefasel der alten Dame schien Kayleigh nicht wirklich nachvollziehen zu können, aber es klang so, als ob sie allein wäre und ein Gespräch gut vertragen könnte.
Als ihre Augen an Kayleigh auf und ab wippten, lächelte die Frau zufrieden und tätschelte an ihrem Arm.
„Du hast kein Geld, meine Liebe. Deine Hose ist zerfranst, stinkt, durchlöchert und schmutzig. Du weißt, dass Geld niemanden glücklich macht und sieht die Welt mit ganz anderen Augen. Wenn du einmal so alt bist wie ich es bin, dann wirst du mich verstehen.“
Kayleigh grinste, als ihr der Gedanke in den Sinn kam, dass sie schon beinahe achtmal so alt wie sie war. Es war auf einer Seite merkwürdig mit einer alten Dame zu sprechen, die dachte, sie sei noch weiser als Kayleigh.
„Ja, bestimmt.“, sagte sie schließlich und mit einer verabschiedeten Handbewegung, ging die Dame ihren Weg und verschwand um die nächste Ecke.
Kayleigh schüttelte ihren Kopf und suchte eine kleine Boutique in der sie sich etwas Billigeres, als das beinahe hundert Eurokleid im Schaufenster.
Als sie durch die Straßen lief, mit den Augen zum Boden gerichtet, schubste sie eine Person von hinten. Kayleigh schrak hoch und blickte neben sich. Ein junges Mädchen, gerade mal – in ihrem jetzigen Leben – in ihrem Alter und drehte sich während dem Gehen grinsend um.
„Sorry!“, rief sie und verschwand in einen kleinen Laden, gleich um die Ecke. Kayleigh zog eine Augenbraue hoch und schüttelte abwegig den Kopf. Ihre Finger glitten hinunter zu ihrer Hosentaschen. Verdammt! Die zweihundert Euro waren weg. Schockiert blieb sie stehen und durchwühlte ihre anderen Taschen. Er war weg.






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15 Teil 16 Teil 17 Teil 18 Teil 19 Teil 20 Teil 21 Teil 22 Teil 23 Teil 24


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz