Schatten der Vergangenheit - Teil 4

Autor: Tascha
veröffentlicht am: 08.08.2012


Vielen Dank für die lieben Kommentare. Ich gebe mir Mühe und hoffe, dass ich bald den nächsten Teil fertig habe.

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Rose fluchte. Nicht absichtlich, doch der kurze Moment ließ sie unkonzentriert werden und das halbe Reagenzglas befand sich nun im anderen. Die Flüssigkeit begann gefährlich zu brodeln. „Verdammt, verdammt, verdammt.“, zischte sie leise. Sie wusste nicht zu Recht, was sie machen sollte, ob sie das Reagenzglas loslassen sollte oder schnell damit zum Waschbecker rennen sollte. Die Flüssigkeit kippte über den Rand und floss über die Zange, die Rose in der Hand hielt. Der Tisch färbte sich violett.
„Miss Brooks, tröpfelnd, wollen sie den ganzen Chemieraum verseuchen?“, fluchte Mr. Finley. Die ganze Klasse richtete ihre Aufmerksamkeit auf sie. Rose stand immer noch total verwirrt mit der Zange in der Hand. Wie viel konnte denn aus einem verdammten Reagenzglas eigentlich fließen? „Tut mir Leid.“, stotterte sie, „Ich…habe nicht aufgepasst.“
„Ich bezweifle, dass ein Versuch, der die ganze Schule verseuchen könnte, von der Schule genehmigt wurde.“, kam ihr Dylan zu Hilfe. Er grinste ihr zu und zwinkerte. „Nur ein kleiner Unfall, keine Panik.“
„Halt den Mund!“, zischte Rose und betrachtete das Chaos, „Hör endlich auf mich aus der Fassung zu bringen?“ Rose Wangen färbten sich rot, als ihr bewusst wurde, was sie gerade gesagt hatte, und vor allem vor wem. Die Klasse lachte über das Schauspiel, das ihnen geboten wurde. Umso schlimmer war es. Anna legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm. „Lass mich das halten.“, beschwichtigte sie ihre Freundin, wohl wissend, was Rose jetzt vorhatte. Kaum dass Anna die Zange in die Hand nahm, legte Rose die Brille und den Kittel ab und verließ den Chemieraum. Mr. Finley stemmte die Hände in die Hüfte, als sie an ihm vorbeilief. „Sie werden dabei helfen, das Chaos hier aufzuräumen, Miss Brooks!“ Doch Rose erwiderte nichts. Sie war schon längst verschwunden, ehe Finley sie aufhalten konnte.
Anna stellte ein wenig ungeschickt den Bunsenbrenner ab und ließ sich von Dylan helfen, den Tisch aufzuräumen. „Du solltest dich bei ihr entschuldigen.“, murmelte Anna.
„Ich denke nicht daran mich schon wieder zu entschuldigen!“, erwiderte er und warf die Reagenzgläser in den Sondermüll.
„Dann hör auf sie zu provozieren!“, fauchte Anna.
„Verflucht, du hast genau gesehen, dass ich sie gerade nicht provoziert sondern verteidigt habe!“, er knallte die Taschentücher ebenfalls in den Müll. Himmel, dass Rose so empfindlich war, konnte er ja nicht ahnen. Dylan wurde zunehmend gereizter und der Blick den Anna ihm zuwarf, machte es ihm nicht einfach, seine Stimme leise zu halten.
„Hören Sie auf zu tuscheln und gehen Sie wieder an die Arbeit!“, hörten die beiden Mr. Finley hinter ihnen sagen.

Rose hasste sich für ihren feigen Abgang. Sie hätte sich all dem stellen müssen, doch in einem Augenblick wie diesem konnte sie nicht rational genug denken, um richtig zu handeln. Auch dafür hätte sie sich in den Hintern treten können.
Sie hatte den ganzen halben Schultag damit verbracht draußen auf einer Sitzbank zu sitzen, anstatt wieder zurück in die Kurse zu gehen. Sie hatte Zeit zum Nachdenken gebraucht, Zeit um im sich im Selbstmitleid zu wälzen, ehe sie das Theater betrat. Weniger ihr Mut hatte sie gezwungen, hier aufzutauchen, als die Tatsache, dass die Aufführung schon sehr bald sein würde. Sie hatten vier Wochen Zeit für ein Stück welche manche Schauspieler ihr Leben lang brauchen.
Als Rose zur Bühne trat, sah sie Mrs. Dickens einige Hocker aufstellen. Das ganze Theaterteam war schon da und las sich im Skript ein. Mrs. Dickens hob ihren Kopf und lächelte Rose an. „Da sind Sie ja. Wir wollten so eben anfangen.“ Sie sah sich nach jemand anderen um und Rose erkannte, dass dieser andere Dylan war.
„Kommen sie, Dylan, Sie und Rose stellen sich in den Kreis. Sie können das Skript zur Hand nehmen.“ Dann sah die junge Frau auf all die anderen aus der Theatergruppe. „Heute sind wir Zuschauer eines wichtigen Moments. Das erste Treffen zwischen Romeo und Julia ist etwas Zuckersüßes und doch so voller Spannung, dass man gefesselt wird, ehe man sich dessen überhaupt bewusst ist.“ Ehe Rose sich versah, fand sie sich im Zentrum der Stühle und sah sich Dylan gegenüber, nachdem sie ihre Jacke und Tasche auf ihren Stuhl gelegt hatte. Schluck es runter, sagte sie sich und griff nach dem Skript, schlucke die Wut runter und halte es durch.
„Denken Sie daran, dass die beiden sich verlieben.“, erinnerte Mrs. Dickens die Schauspieler und blickte beide mit warnender Miene an, „Schauen Sie bitte nicht so grimmig, Rose.“ Rose knirschte mit den Zähnen und lächelte dann.
Dylan las seine ersten Zeilen. Es war, als wäre nicht mehr Dylan vor Rose, sondern ein Fremder – ein Fremder, in den man sich verlieben konnte. Er blickte ihr in die Augen, als er den Text sprach. Sein Gesicht zeigte weder Nervosität, noch Unsicherheit, sondern Aufmerksamkeit. Man könnte sich glatt in ihn verlieben, dachte Rose und lies Dylan nicht aus den Augen. Hattest du das soeben wirklich gedacht, Rose?
„Wenn ich meiner unwürdigen Hand diesen heiligen Schein entweihe, ist die sanfte Sünde dies. Meine Lippen, zwei errötende Pilger, stehen bereit, um diese raue Berührung mit einem zarten Kuss zu glätten.“, sagte Dylan mit sanfter Stimme zu seiner Julia. Er griff wie gedacht nach ihrer vor Nervosität feuchten Hand und glitt mit seinen Lippen über die zarte glatte Haut. Ein Kribbeln raubte Rose den Atem. Sie sog die Luft scharf ein um wenigsten ein wenig Sauerstoff zu bekommen. Dann begann sie zu sprechen. Sie kannte diese Szene. Schließlich hatte sie sie oft genug gelesen, oft genug davon geträumt das junge Mädchen zu sein, das in dieser traurigen Tragödie mitspielte. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet der verhasste Dylan ein Romeo sein konnte. Wer hätte gedacht, dass sie jetzt beide gemeinsam auf dieser Bühne standen? Rose Schutzschild, welches sie sich gegen Dylan aufgebaut hatte, schien langsam Risse zu erhalten.
„Gute Pilger, ihr tut eure Hand wirklich zu sehr Unrecht, die ihr in Hingabe zeigt. Denn heilige haben Hände, die Pilgerhände berühren, und Handfläche auf Handfläche ist heiliger Wallfahrer Kuss.“, erwiderte Rose und war völlig vertieft in ihre Rolle. Sie schaltete den Gedanken ab, dass er vor ihr stand. Vor ihr stand Romeo. Der Junge, in den sie sich in diesem Moment verlieben musste. Es war ihre Bestimmung.
„Haben nicht Heilige Lippen, und heilige Wallfahrer auch?“, fragte er und blickte tief in ihre grünen Augen. Klare Smaragde, so edel, das nur Königinnen diese tragen durften.
„Ja, Pilger, Lippen, die sie im Gebet benutzen müssen.“, antwortete Rose flüstern und kam näher. Sie spürte mit ihrem Körper seine Körperwärme, warm, und wohlriechend. Sie war nicht mehr im Theater. Sie war auf dem Ball, den die Capulets veranstalteten und sie war das Mädchen, das einem Fremden ihre Hand bot und ihre erste wahre Liebe empfand.
„Oh, dann, liebe Heilige, lass Lippen tun, was Hände tun! Sie beten, gewähre du, damit Glaube sich nicht in Verzweiflung geraten.“, Dylan kam so nahe, dass sie nun seine Brust an der ihren spürte. Es knisterte und er zog sie an ihrer Hand noch näher an sich. Rose durchfuhr ein Schauer. Sie atmete zu flach, als das man es überhaupt Atmen nennen konnte. Doch Romeo atmete für sie beide. Sie spürte seinen Atem nahe ihrem Mund. Er würde sie küssen, wurde ihr bewusst. Romeo, nein Dylan, würde sie küssen. Aber Rose wehrte sich nicht gegen diese Nähe. Sie merkte wie sie es vermisst hatte, wie sie Dylans Freundschaft vermisst hatte, wie sie seinen Geruch vermisst hatte. Rose ermahne sich die Gefühle nicht zu beachten die in ihr aufkamen. Die Schutzmaue, Rose, denke an die Schutzmauer.
„Heilige regen auch um der Gebete willen gewähren.“
„Dann rege dich nicht…“, murmelte Dylan leise. Noch wenige Zentimeter und er würde sie tatsächlich berührten. „…während ich das Ergebnis meines Gebets nehme.“ Er zögerte und blickte auf Rose weiche Lippen. Sie strich sich unbewusst mit der Zunge über die Unterlippe, als bereite sie sich darauf vor. Als ihm bewusst wurde, dass sie ihn nicht wegschubsen würde, als er das Gefühl hatte wieder so nah bei ihr zu sein wie in früherer Zeit, neigte er seinen Kopf um sie endlich zu berühren. Rose stand einfach nur da. Sie konnte sich nicht bewegen, da sie nicht verstand was gerade geschah.





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