Transformation and love

Autor: amelie-sophie
veröffentlicht am: 07.07.2012


Ich stand unbeweglich an einer von Meer umtosten Klippe und starrte entsetzt auf einen jungen Mann, der mit entschlossenem Blick den Abgrund hinab sah und auf den nackten Fußballen wippte. Ich wusste nicht wie ich hier hingekommen war, aber die Umgebung kam mir irgendwie bekannt vor. „Halt“, schrie ich, doch der Wind blies mir die Worte in den Mund zurück und ich war wie versteinert. Der Junge hatte mich anscheinend trotzdem gehört, denn er drehte den Kopf und zwei eisblaue, kalte Augen hielten mich gefesselt. Er lächelte mich traurig an, als würden wir uns schon lange kennen und ich lächelte zurück, was eigentlich gar nicht meine Art war. Er drehte sich um und sprang. „Nein!“
Mit einem Schrei fuhr ich hoch und krallte mich in die Blümchenbettwäsche, die unnatürlich weich meine Finger umschmeichelte und angenehm nach einem blumigen Waschmittel duftete. Ich war komplett verkrampft und konnte keine Luft in meine Lugen pressen, ohne das Gefühl zu haben kleine Splitter zu atmen. Während ich mich zwang langsam ein und aus zu atmen, erkannte ich das Zimmer, das ich immer bei meiner Oma Hilde bewohnte. Sofort entspannte ich mich und inspizierte das Zimmer: Es war weiß gestrichen und auch der riesige, weiße Schrank und der Schreibtisch waren unauffällig. Ich entknotete mich aus der Decke und steig aus dem Bett. Dabei bemerkte ich den Koffer, der unausgepackt in der rechten Zimmerecke stand. Wieso bin ich nicht zu Hause, fragte ich mich und zwang mein schlaftrunkenes Gehirn zum Arbeiten, da stürzten plötzlich wieder die Erinnerungen auf mich ein. Das Quietschen der Reifen, die Schreie und zum Schluss das leise Wimmern. Die Schmerzen und das ganze Blut. Ich schüttelte den Kopf und vertrieb die schrecklichen Bilder. Noch einmal sah ich mich in meinem Zimmer um und versuchte mich an den Gedanken zu gewöhnen, dass dies nun mein neues zu Hause sein würde. Leise Tränen schlichen sich in meine Augenwinkel, als ich an unser gemütliches zu Hause von damals dachte. Entschlossen fuhr ich mir mit dem Handrücken über die Augen und stapfte ins Bad. Du bist kein Trauerkloß mehr, sagte ich mir. Das warst du jetzt schon zwei Monate, es reicht langsam. Ich spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht, erschauderte kurz und warf dann einen Blick in den Spiegel. Als ich dort mein Gesicht sah erschrak ich. Meine Wangen waren eingefallen, das dunkelgrün meiner Augen zu einem verwaschenen grau geworden und meine dunkel rot bis braunen, kurzen Locken standen wie ein Inferno von meinem Kopf ab. Ich strich kurz über meine Wange, die schneeweiß und durscheinend war. Ich wirkte wie ein Geist; eine Abbildung von meinem wahren Selbst. Schnell wandte ich den Kopf wieder ab, bevor mein Blick mein Handgelenk erreichen konnte und nahm den tellergroßen Spiegel von der Wand ab. Nachdem ich ihn in die Ecke gewuchtet hatte, putzte ich meine Zähne und duschte. Ob Oma schon wach ist, fragte ich mich und genoss die warmen Wasserkaskaden, die spritzend auf meinen Kopf trafen. Ich seifte meinen Körper ein und plötzlich erinnerte ich mich wieder an den jungen Mann. Ich konnte immer noch spüren, wie seine eisblauen Augen sich in meine bohrten und sofort beschleunigte sich mein Pulsschlag. Halt! Rief ich mich zur Ordnung. Nur ein Traum, nichts weiter. Als ob so ein Traumtyp existieren würde, dachte ich und stieg kopfschüttelnd aus der Dusche. An meinen ersten Freund konnte ich mich noch ziemlich genau erinnern und das kam nicht daher, dass es besonders toll gewesen wäre. Nein, Till war der totale Reinfall gewesen. Kaum hatte ich mit gerade mal 14 Jahren meine Unschuld an ihn verloren, schmiss er sich der nächst besten an den Hals und machte Schluss. Ich hätte wahrscheinlich den Preis im Taschentuchverbrauch gewonnen und wäre das nicht genug gewesen, war ein halbes Jahr später auch noch meine Mum gestorben. Wer wollte da noch…. Schnell verbannte ich den schrecklichen Gedanken, wickelte mich in ein Handtuch ein und ging zurück in mein neues Zimmer. Dort kramte ich ein graues Top und eine Jeans aus meinem Koffer und machte mich auf den Weg nach unten. Hildes Haus hatte zwei Stockwerke, was natürlich viel zu groß für eine alleinlebende Großmutter war und deshalb hatte sie das obere Stockwerk für ihre Enkelkinder umbauen lassen. In diesem Stockwerk würde ich jetzt wohnen und ich wusste nicht ob ich heulen oder lachen sollte. Wer bitte wohnt schon bei seiner Oma? Ich strich mit der Hand über das Treppengeländer, während ich die 16 Stufen zu Hilde hinabstieg. Ich konnte schon einen schwachen Duft von frischen Brötchen wahrnehmen und ging zielstrebig durch den ausladenden Flur, der mittig einen Knick hatte und dann zum Wohnzimmer führte, in die Küche. Tatsächlich erwartete mich ein gigantisches Frühstück mit Eiern, frischen Brötchen, Marmelade und vielem mehr und direkt daneben wurschtelte meine Großmutter am Herd herum; ein Wirrwarr aus pink und lila Tönen. Während ich noch über den gedeckten Tisch staunte, hatte Hilde mich entdeckt und in eine parfumlastige Umarmung geschlossen. „Guten Morgen mein Schatz“, sagte sie dann zärtlich und umarmte mich noch einmal, diesmal war es aber wie ein Trost zu sprechen ohne Worte. Dafür war ich ihr sehr dankbar, denn ich konnte den elendigen Satz: „Das tut mir leid!“ nicht mehr hören. „Morgen Grandma!“ Sie lächelte und fragte: „Hast du hunger?“ Ich nickte und wie zur Bestätigung knurrte mein Magen. Wir setzten uns schweigend und ich wusste einfach nicht mehr was ich sagen sollte. Meine Mutter war Hildes Tochter gewesen und sie trauerte genauso wie ich, sodass ich zum ersten Mal jemanden hatte, der mich verstand. Ich schmierte mir ein Marmeladenbrot und sagte um ein Gespräch in Gang zu bringen: „Du siehst gut aus.“ Sie grinste und kleine Lachfältchen erschienen um ihre Augen. Sie sah wirklich gut aus, aber sie war ja auch erst 59, denn sie hatte früh geheiratet und mit 20 schon meine Mutter bekommen. Hilde hatte ein schmales Gesicht, hohe Wangenknochen und blaue Augen. Sie war ein bisschen pummelig und ein gutes Stückchen kleiner als ich, also so wie Omas nun mal waren. Warum hat sie wohl keinen neuen Freund gefunden, fragte ich mich gerade, als mir der tottraurige Zug um ihren Mund auffiel, der sich verstärkte als ihr Lächeln erlosch. „Du leider nicht“, meinte sie. Ich versuchte ein schwaches Grinsen, das aber wohl eher wie eine Grimasse wirkte und nickte. „Schätzchen sie kommt nicht zurück“, Hilde legte ihre Hand auf meine und mir blieb das Essen irgendwo in der Kehle stecken. Ich kämpfte mit den Tränen, versuchte irgendwie den Klos in meinem Hals herunter zu schlucken und verbarg meine rechte Hand unter dem Tisch. „Ich weiß“, krächzte ich und jetzt rollte doch eine Träne über meine Wange. „Es ist nur so schwer loszulassen!“ Hilde nickte verständnisvoll und wir aßen still weiter. Nachdem ich ihr geholfen hatte den Tisch abzudecken, machte ich ihr klar, dass ich heute nicht mehr nach unten kommen würde und ging nach oben. Den restlichen Tag verbrachte ich mit Filme-gucken und Bücher-lesen, nur um die Zeit totzuschlagen, um endlich ins Bett zu gehen. Nachdem ich mir alle Sissifilme reingezogen hatte, ging ich schlafen, obwohl es erst 8 Uhr war.
Ich fand mich abermals auf dieser Klippe wieder, doch diesmal peitschten mir riesige Regentropfen ins Gesicht und die ganze Szenerie wirkte noch gruseliger. Auch diesmal sah ich den jungen Mann und auch diesmal konnte sie ihn nicht auf halten und er sprang.
Ich fuhr aus dem Bett hoch und brauchte erst einmal Zeit um wieder richtig zu atmen. Meine Wangen waren nass und ich vermutete, dass ich im Schlaf geweint hatte. Der Traum war aber auch so real gewesen! Und jetzt schon zum zweiten Mal. Ich hatte das Gefühl, dass sich der Traum noch verschlimmern würde, aber ich konnte nicht sagen woher es kam. Vielleicht sollte ich ein bisschen die Gegend erkunden, überlegte ich und zog mir regentaugliche Sachen an, da der Himmel grau und wolkenverhangen war. Nachdem ich mir mit einem Kamm noch einmal durchs Haar gefahren war, ging ich leise die Treppe runter, schnappte mir einen Apfel und hinterließ eine Nachricht für Hilde. Dann holte ich meine Tasche und verließ das Haus. Ich war als kleines Kind immer viel herumgelaufen und hatte die Gegend erkundet und so wusste ich sofort wo es zum Strand ging und bog instinktiv dorthin ab. An mir zogen gepflegte, riesige Gärten, Einfamilienhäuser und auch Villen vorüber und ich musste an unser kleines, immer noch nicht abbezahltes Häuschen denken. Nein, wir waren nicht reich gewesen, ich und meine Mutter, aber glücklich. Ich lächelte, doch es schlichen sich schon wieder Tränen in meine Augen. Trotzig wischte ich sie weg und registrierte jetzt erst, dass ich schon längst am Strand angekommen war.





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