Tödliche Flammen

Autor: Des Bruders Schwester
veröffentlicht am: 06.07.2012


„Wie war noch mal dein Lieblingsspruch?“, fragte Daniel.
David seufzte. „Den hab ich dir doch so oft schon gesagt.“
„Ich weiß, ich weiß. Aber ich brauch den Spruch doch für mein Album. Also wie war der noch mal?“
„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“
„Danke.“
Die beiden Freunde, die sich schon seit der Grundschule kannten, durchschritten auf der Suche nach ihrer fünf- Mann Clique den engen, langen Korridor des Nachbargebäudes der Schule. Es war nur ein einstöckiges, kleines Gebäude, mit nur ungefähr zwanzig Räumen und zwei riesigen Toiletten.
Ratlos standen sie am Ende des Ganges und fluchten leise vor sich hin.
„Verdammt, wo sind die bloß? Wir waren doch schon überall!“, sagte Daniel.
„Komm, lass uns noch einmal im Hauptgebäude nachgucken“, schlug David vor.
„Okay, aber vorher muss ich noch auf den Locus.“ Daniel verschwand, mit seinem Sprüchealbum unterm Arm, auf der Toilette.
David folgte ihm, denn er verspürte ebenfalls einen Drang.
Als er fertig war, wusch er sich die Hände an einem der sechs Waschbecken, die, getrennt von den Toiletten und Pissoirs, in einem anderen Raum standen. Er wartete gelangweilt auf Daniel.
„Na endlich, da bist du ja“, sagte er, als sein Freund zu einem Waschbecken ging. „Hattest du einen Kampf mit dem Klo?“
„Ha- ha. Einige Menschen brauchen eben länger.“
Zusammen verließen sie den Raum.
„Was riecht hier so verbrannt“, fragte Daniel.
„Ich rieche nichts.“ Und nach einer kurzen Pause: „Warte. Jetzt rieche ich es auch. Ich glaube, hier brennt es irgendwo.“
Beide schauten sich um. Sie gingen in einige Räume und trafen sich auf dem Gang wieder.
„Also hier ist nichts“, sagte Daniel.
„Hier auch nicht.“ Beide schauten sich noch einmal um.
„Da!“, rief Daniel. „Guck, David. In der Mädchentoilette. Unten am Rand kommen Rauchwolken raus.“
David klopfte an der Tür.
„Hallo, ist jemand da drin?“
Er versuchte die Tür zu öffnen, doch sie blieb verschlossen. Wieder klopfte er, diesmal härter und lauter.
„Hey! Ist da jemand drin?“
Stille. Dann ein leises Husten. Und noch eins.
„Hilfe! Hilfe, holt uns hier raus. Es brennt, wir kriegen keine Luft mehr“, vernahm man einige Mädchenstimmen.
„Los, macht die Tür auf! Kommt schon!“, schrie David.
„Können nicht. Tür… klemmt.“
David gab den Mädchen laut einige Anweisungen.
„Legt euch auf den Boden und lasst die Waschbecken überlaufen.“ Daniel lief auf die gegenüberliegende Seite der Toiletten. Er schlug das Glas des Alarmknopfes ein und drückte den Knopf tief. Sofort ging der Feueralarm los. Die Schüler, die bis jetzt in den Räumen waren, rannten auf den Gang. Einige blieben vor der Mädchentoilette stehen und schauten David zu, der verzweifelt versuchte, die Tür zu öffnen.
„Daniel! Renn schnell in die Cafeteria und hol einige Eltern, die dort arbeiten!“
„Bin schon unterwegs.“
„Bring auch zwei Eimer Wasser mit.“
„Geht klar.“
David überlegte, wie er die Tür öffnen sollte. Er versuchte, sie einzutreten, doch sie war zu solide. Dann warf er sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen. Die Tür rührte sich keinen Millimeter.
In dem Moment kam Daniel wieder angerannt, mit einem Eimer unter dem Arm, gefolgt von drei Frauen.
Eine von ihnen ging direkt auf die Toilette zu, klopfe und rief:
„Hallo, ist da jemand drin?“
Keine Antwort. Sie versuchte es ein zweites Mal, dann schrie David noch dazu. Kein Mucks war zu hören.
„Daniel, hilf mir mal mit dem Kübel!“, rief er und ging auf einen Blumentopf zu, der ca. siebzig Liter fasste und in dem eine große Palme stand. Starke Hände packten den Rand und hoben den Topf hoch. Die beiden Jungen positionierten sich vor der Tür, nahmen Anlauf und schlugen den Pott gegen die Tür. Sie bewegte sich nicht.
„Fester, Daniel! Fester!“, schrie David verzweifelt. Die Alarmglocke machte ihn verrückt.
Wieder nahmen sie Anlauf und rannten auf die Tür zu. Der untere Rand des Blumentopfes schlug hart dagegen. Unter dem großen Gewicht und der Stärke der beiden Jungen ächzte sie.
„Komm schon! Wir schaffen es!“
Unter dem Ansporn der Umstehenden starteten sie einen erneuten Anlaufversuch. Diesmal knackte die Tür und der Kübel sprang ein wenig am Boden auf.
„Noch ein Mal, dann haben wir es geschafft!“, rief David. Er wandte sich einer der Frauen zu. „Nehmen Sie bitte den Eimer Wasser und schütten Sie den Inhalt über mich.“
Die Frau nahm zögernd den Eimer, und hielt ihn erst mal fest. Währenddessen schafften die beiden Jungen es, die Tür zum Splittern zu bringen. Sie ließen den schweren Kübel fallen, und Daniel rannte auf die Tür zu und trat sie ein.
„Übergießen Sie mich mit dem Wasser. Los!“, fuhr David die Frau an.
Langsam wurde er klitschnass. Er nahm seine Jacke und ließ sie ebenfalls durchweichen. Die Hälfte des Eimers war noch voll. Er legte sich seine Jacke über den Kopf und ging in die brennende Toilette. Der Rauch brannte augenblicklich in seinen Augen. Er musste husten. Langsam schritt er durch den Raum. Zu allen Seiten brannte es.
Er konnte gerade einmal zehn Zentimeter weit sehen, denn eine Rauchsäule versperrte ihm die Sicht. Er schaute sich um und suchte nach den Mädchen. Er sah zwei von ihnen, die nahe bei den Waschbecken zusammen auf dem Boden lagen. Sie waren bewusstlos. Es war keine Zeit zu verlieren, denn die Flammen breiteten sich rasant aus.
Eines der Mädchen legte er in eine sichere Ecke, welche das Feuer nicht so schnell erreichen würde. Seine nasse Jacke nahm er vom Kopf und legte sie über das zweite Mädchen. Unter starkem ächzten hievte er sie auch seine Arme. Jetzt kam er noch langsamer voran, denn das Mädchen war sehr schwer. Trotzdem schaffte er es und staunte über seine Kraft.
Als David mit dem Mädchen auf den Armen vor die Tür trat, staunten die Umstehenden nicht schlecht. Er legte sie auf den Boden und sagte den Erwachsenen, dass sie für sie sorgen sollten. Er nahm wieder das Wasser, begoss sich erneut und ging mit seiner Jacke in der Hand schwankend zurück in die Feuerhölle. Diesmal folgte Daniel seinem Beispiel und schüttete den wenigen Rest des Wassers über sich.
Draußen warteten alle gespannt.
So schnell er konnte, ging David in die Ecke, in der das Mädchen lag, nahm es auf seine Schultern und wollte es heraustragen. Doch Daniel kam ihm entgegen, nahm ihm das Mädchen ab und beeilte sich, aus dem Flammenmeer zu kommen. Draußen legte er sie auf die Erde und wollte zurück zu seinem Freund, doch eine der Erwachsenen hielt ihn auf. Die anderen Frauen und Schüler kamen mit Wasserbehältern angerannt und versuchten, das Feuer zu löschen, das sie nicht sahen.
David ging es zunehmend schlechter. Durch die Hitze hatte er sich einige Brandmale zugezogen, die wahnsinnig schmerzten. Als er das letzte Mädchen nicht auf dem Boden fand, durchsuchte er die Toilettenkabinen. In der letzten fand er sie schließlich. Er nahm seine Jacke, wickelte sie darin ein und hob sie behutsam auf seine Arme. Langsam ging er hinaus. Auf der Hälfte des Weges sah er, dass jemand ihm entgegenkam. Erst dachte er, es wäre Daniel der ihm helfen wollte, und er wollte schon nach ihm treten, damit dieser Idiot aus der Toilette verschwand.
Doch es waren Feuerwehrmänner. Einer nahm das Mädchen von Davids Armen. Ein anderer gab ihm ein Sauerstoffgerät und begleitete ihn zum Ausgang. Draußen angekommen schnappte der Junge nach Luft. Er lehnte sich an die Wand und genoss den frischen Sauerstoff.
Einige Ärzte kümmerten sich um die Mädchen, die auf rollenden Tragen zu den Feuerwehrautos geschoben wurden. Alle Schüler und Eltern folgten den drei Kranken.
Nur David blieb allein zurück, der setzte sich auf den kalten Boden, die Beine angewinkelt, den Kopf in den Händen versunken. Er zitterte und ihm war kalt, obwohl er keine drei Meter von der Feuerhölle entfernt saß. Es kamen noch mehr Männer mit schweren Schläuchen, die versuchten, das Feuer unter Kontrolle zu bekommen. Jedoch bemerkte keiner den Jungen, dem es immer schwärzer vor Augen wurde, bis er nichts mehr von seiner Umgebung mitbekam.

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