Don't know where I'm going, but I'm on my way.

Autor: zeitvorhang
veröffentlicht am: 04.07.2012


Würd mich über Meinungen freuen :)

Und falls euch die Geschichte interessiert und ihr 'mehr' erfahren wollt (Hintergründe, Bilder, etc), könnt ihr hier klicken:
http://zeitvorhang1.blogspot.de/

Viel Spaß beim Lesen!
Greez
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The life I really want to live exists only in my daydreams. ~

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Als ich aus dem Bett stieg und mir mein Knie am Nachttisch anhaute, wusste ich, dass der heutige Tag beschissen werden würde.
Nichtsdestotrotz ging ich ins Bad, duschte mich wie jeden Morgen, putzte meine Zähne und band meine Haare zu einem straffen Pferdeschwanz zusammen. Auf Schminke verzichtete ich. Aus dem einfachen Grund, das ich weder welche besaß, noch sie verwenden würde.
Ich schaute grundsätzlich nicht mehr als nötig in einen Spiegel - ich wusste, wie ich aussah und meine Mitschüler sagten oder zeigten mir jeden Tag wie ich aussah: hässlich.
Auch wenn Schönheit im Auge des Betrachters liegt: ich hatte noch nie von jemand anderem - außer meiner Oma - gehört, dass ich hübsch war.
Natürlich war es mir nicht egal, was andere über mich dachten, aber mittlerweile hatte ich mich damit abgefunden, nicht wie ein Heidi Klum-Double auszusehen. Was blieb mir auch anderes übrig?
Ich lebte mein Leben, tat das, was mir Spaß machte und kümmerte mich um meine schulischen Leistungen - und die der anderen.

"Mauerblümchen, haste meine Hausaufgaben erledigt?" - "Ich sitze heute in Englisch neben dir, wir schreiben eine Ex." - "Scheiße! Ich hab Mathe nicht gemacht! Streber, gib mal her!"
Die üblichen Begrüßungen - wie jeden Tag.
In meiner Klasse war ich die Streberin. Und so blöd und gutmütig wie ich war, gab ich ihnen jedes Mal meine Hausaufgaben zum Abschreiben, erledigte sie zu Hause, wenn sie früh genug daran dachten, mir ihre Hefte zu geben und ließ sie bei Prüfungen neben mir sitzen. Was blieb mir anderes übrig, um auf der Beliebtheitsskala nicht nach ganz unten abzurutschen?
"Umstyling, Marie, Umstyling!", beteuerte mir meine beste Freundin Antonia immer, aber ich hielt nichts davon. Was waren schon Äußerlichkeiten?
Wozu brauchte ich teure Markenklamotten, wenn ich für den gleichen Preis zehn Oberteile bekam? Wozu brauchte ich Schminke, wenn ich sie am Abend eh wieder abwusch? Wozu brauchte ich ein Glätteisen, wenn es mir nur meine Haare zerstörte?
Ich vertrat meine Meinung schon seit Anfang der sechsten Klasse, wo alles zaghaft angefangen hatte. Die Mädchen durften sich blonde Strähnchen färben, fingen an, mit Mutti ihre Klamotten einkaufen zu gehen und die großen Mädchen nachzumachen.
Ich fand das damals wahnsinnig doof, jemandem nachzumachen. Aus mir wollte ich schon immer eine eigene Persönlichkeit machen. Keinen billigen Abklatsch von einer Person, die es schon gab.
Und während meine Mitschülerinnen sich schminkten und frisierten, saß ich in meinem Zimmer und lernte, sang oder spielte Klavier.

"Morgen, 10c!", grüßte uns Frau Berwin schroff. Man kannte sie nicht anders, sie war immer so. Keineswegs unfreundlich, aber man hatte Respekt vor ihr - sie konnte sehr unangenehm werden. Die Klasse erwiderte den Morgengruß etwas langsamer und alle holten gemächlich ihre Englischsachen aus ihren Taschen. "Lasst eure Sachen gleich in den Taschen, wir schreiben eine Ex."
Es wurde aufgeregt getuschelt, ein paar hatten anscheinend nicht gelernt und lasen sich die Vokabeln nochmal durch. Wie schwachsinnig... als ob das jetzt noch etwas bringen würde. Chris, der neben mir saß, grinste selbstsicher zu seinen Kumpels. Auch er hatte nicht gelernt oder sich eher darauf verlassen, dass ich gelernt hatte. Natürlich hatte ich das. Am Wochenende hatte ich mir nicht wie der Rest meiner Klasse die Kante gegeben, da wir alle Schulaufgaben hinter uns hatten und somit fast schon klarstand, wer in die Elfte kommen würde. Es war erbärmlich, dass von 26 Schülern fast die Hälfte - genau genommen elf - sitzenblieb.
Natürlich war Chris einer dieser Kandidaten. In Englisch stand er auf 4,6 und in Mathe auf einer glatten fünf. Und genau deswegen saß er neben mir, da er genau wusste, dass ihn diese Ex retten würde - musste.
Innerlich gab ich mir wieder mal eine Ohrfeige für meine Gutmütigkeit, als ich ihn gnadenlos abschreiben ließ. Was sollte ich auch groß tun?
Wäre ich nicht so naiv, hätte ich entweder mein Blatt verdeckt oder absichtlich falsche Sätze hingeschrieben.
Aber was tut man nicht alles, nur um einen Funken Aufmerksamkeit von dem Jungen, den man heimlich vergötterte zu bekommen?
Richtig, ich war verliebt. In Chris, Christopher, den Typen, der jedes Mädchenherz höherschlagen ließ, wenn er sie auch nur anblinzelte.
Blonde Wuschelhaare, antarktisblaue Augen, die von dichten Wimpern umgeben wurden und einem Lächeln, das dem von Covermodels und Filmstars harte Konkurrenz leistete. Seine Eltern waren stinkreich und dementsprechend sah er auch klamottenmäßig aus: nur das Beste vom Besten. Was seinen Eltern anscheinend egal war, waren seine schulischen Leistungen. Soweit ich wusste, hatte er sogar ein eigenes Konto, auf das sie ihm monatlich 500 Euro pumpten, damit ihr Sohn sich das kaufen konnte, was er wollte.
Viel zu übertrieben, wie ich fand, aber das waren ja nur nebensächliche Dinge - und damit ließen sich doch keine Gefühle lenken - zumindest nicht meine.
Nun ja, als ich meine Gefühle für Chris entdeckte, wollte ich es zuerst nicht wahrhaben, weil wirklich jeder auf ihn stand. Aber so sehr ich es auch versuchte, die Gefühle, die er in mir auslöste, verschwanden nicht. Also gab ich mich dem Gefühl hin und beschloss, still und heimlich für ihn zu schwärmen. Nur meine beste Freundin Antonia wusste um meine Gefühle zu dem blonden Traumtypen.

"Schreibt euren Satz zu Ende und gebt eure Blätter nach vorne!", Frau Berwins genervte Stimme holte mich zurück ins Hier und Jetzt. Seufzend legte ich mein Blatt auf den Stapel, den Markus einsammelte und wagte einen Seitenblick zu Chris. Der wiederum hatte sich mit dem Rücken zu mir gedreht und unterhielt sich mit seinen Kumpels über das Wochenende, an dem er anscheinend eine »saugeile Blondine mit Megatitten und geilem Arsch« klargemacht hatte. Die Lage war so hoffnungslos, Chris würde niemals mit mir außerhalb der Schule, nein, außerhalb des Klassenzimmers, auch nur ein Wort wechseln. Ich lauschte noch einige Sekunden dem Gespräch über die »saugeile Blondine mit Megatitten und geilem Arsch« und gab dann ein traurig-genervtes Seufzen von mir.
Ich war weder blond, noch hatte ich Megatitten oder gar einen geilen Arsch. Mein Aussehen war zum Verzweifeln verurteilt. Meine Haare wollte ich nicht färben, ich war stolz auf meine naturroten Haare. Und bei mir half keine Diät dieser Welt um auch nur ein Gramm Fett zu verlieren. Oder ich war einfach nicht konsequent genug, um eine davon durchzuhalten... Schokolade war der Teufel in diesem Fall. Und um Sport zu treiben, war ich einfach zu faul und hatte keine Zeit. Da hatte ich lieber ein paar Kilo mehr auf den Rippen und eine fast sichere Zukunft in der Tasche - und eben keinen Chris.

Der Schultag zog sich in die Länge wie ein ausgekauter Kaugummi, den man auseinander zog. Es war schlicht und einfach verdammt langweilig in diesem stickigen Klassenzimmer zu hocken und einem Lehrer dabei zuzuhören, wie er versuchte unserer Klasse die Mathematik schön zu reden. Noch dazu in der letzten Stunde. Wirklich der beste Zeitpunkt. "Die Mathematik wird euch euer ganzes Leben verfolgen! Ihr werdet nie auch nur einen Tag ohne die Mathematik erleben! Deswegen ist es überlebenswichtig, jede einzelne Formel aus der Mathematik im Schlaf zu beherrschen! - ..." Und so ging das die ganze Stunde weiter. Doch meine Klasse interessierte das nicht die Bohne, sie tuschelten, lästerten und kicherten über irgendwas. Wahrscheinlich über Herrn Müller und seinen peinlichen Kleidungsstil oder so. Man konnte es ihnen nicht verübeln, denn wer läuft als 56-jähriger Mann noch in Batik-T-Shirts, ausgewaschenen Jeans rum? Und die Krönung des Ganzen waren dazu die halb ausgelatschten Sandalen - mit Socken! Im Sommer bei 26 Grad.
Entnervt ließ ich meinen Blick durch die Klasse schweifen, jeder war mit irgendetwas beschäftigt, nur nicht mit dem Vortrag des Lehrers.
Am Ende meiner Blick-Tour, kreuzten sich Antonias und meine Blicke und ich konnte in ihren Augen genau lesen, was sie gerade dachte: »Bitte lass den Minutenzeiger schneller auf die Zwölf vorrücken!«
Antonia und ich kannten uns seit der 5. Klasse und wurden am ersten Tag gleich nebeneinander gesetzt. Wir verstanden uns gleich von Anfang an, auch wenn wir nicht verschiedener hätten sein können:
Antonia, blonde, engelsgleiche Locken, die ihr bis zur Brust gingen, hellblaue, große Augen, die von langen Wimpern umgeben wurden und die Figur eines Topmodels. Und dafür musste sie nichtmal viel tun, sie konnte essen, so viel sie wollte und nahm trotzdem nicht zu - die Welt konnte ja so ungerecht sein!
Neben ihr fühlte ich mich unscheinbar und manchmal kam es mir so vor, als wäre ich durchsichtig, weil alle Leute immer nur auf Antonia achteten. Aber man konnte es den Menschen nicht verübeln - sie war einfach schön. Und beliebt. Ich verstand immernoch nicht so ganz, wieso sie mit mir befreundet war. Mit mir, der hässlichen Streberin, der keiner Beachtung schenkte. Oft wurde sie damit aufgezogen, mit mir befreundet zu sein, aber sie stand zu mir - und dafür bewunderte ich sie noch mehr.
Antonia wusste alles über mich. Wirklich alles. Auf welchem Stuhl ich immer beim Mittagessen saß, welche CD gerade in meiner Anlage aufgelegt war, wann ich mein Zimmer putzte, welche Klamotten ich gerade noch im Schrank hatte, und und und.
Auch wenn ich nicht wusste - und es auch nie wissen werde -, wieso sie ausgerechnet meine beste Freundin war, war ich froh, jemanden wie sie zu haben.
Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, oder?

Der Schulgong erlöste uns Schüler von unserem Leid und wir gingen gemächlich nach draußen. "Was machst du heute, Mary?", fragte mich Antonia, während sie neben mir herlief und sich eine Locke um den Finger zwirbelte. "Weiß noch nicht, wieso?"
"Bock auf Freibad?"
"Nein."
"Eisessen?"
"Nein."
"Shoppen?"
"Nein."
"Joggen?"
"Nein." Genervt verdrehte ich die Augen.
"Ok, ok. Ähm... DVD-Gammeltag?", fragte sie versöhnlich. Ich stimmte zu und schrieb meiner Mutter eine SMS, dass ich bei Antonia war und erst heute Abend nach Hause kommen würde.
Auf dem Weg zu ihrem Haus, unterhielten wir uns, wie immer. Mit Antonia konnte ich über alles reden, sie war eben einfach eine beste Freundin - meine beste Freundin.
Wir lachten und sie riss einen Witz nach dem anderen über das Outfit und den Vortrag von Herrn Müller. "Heute sah er ja mal wieder verdammt heiß aus in seinem Batik-Shirt, richtig sexy! Ich glaub ich sag ihm das bei Gelegenheit mal, dass er aussieht wie ein römischer Hippie oder so, mit diesen hässlichen Sandalen noch dazu, echt lächerlich!" Antonia plapperte fröhlich vor sich hin und ließ sich ausgiebig über die komischen Outfits der Lehrer, doch ich hörte nur mit halbem Ohr zu, denn vor uns lief kein anderer als Chris. Aber er war nicht allein, nein. Neben ihm lief ein braunhaariges Modepüppchen. Inzwischen war ich schon resistent gegen so etwas, aber die Tatsache, dass er seinen Arm um ihre Taille - oder eher um den Hintern - gelegt hatte und sie ihm just in diesem Moment einen Kuss gab, ließ meine Traumwelt zersplittern.

Meine Traumwelt, in der Chris und ich händchenhaltend über eine Sommerwiese rannten und uns mittendrin in das weiche Gras fallen ließen und uns innig küssten.

Fortsetzung folgt - wenn ihr wollt! ;)







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