Gifted - Die Befreiung - Teil 36

Autor: Aven
veröffentlicht am: 24.06.2013


Erst mal wie immmer Danke an alle Leser und Kommentierer. Tut mir wirklich leid, dass es so langsam vorran geht.
Hier also endlich der nächste Teil. Ich hoffe er gefällt euch und würde mich riesig über eure Meinung freuen.
Viel Spaß!

Aven


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„Wie bitte?“ Aurelia war wie vom Donner gerührt und ihr Gehirn weigerte sich, den Sinn dieser Worte zu begreifen.
„Ich glaube, du hast mich verstanden.“ Pareios lag zwar immer noch neben ihr im Bett, aber innerlich war er meilenweit weg. Sie starrten einander an, Aurelia verwirrt, Pareios abwartend. Er bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck, was angesichts dieser Situation bizarr wirkte, als hätte er eine steinerne Maske aufgesetzt. Vielleicht stand auch er unter Schock?
Ihr Verstand beschäftigte sich mit einer minutiösen Bestandsaufnahme von Pareios‘ Mimik, wollte sich einfach nicht mit dem eben Gehörten auseinandersetzen. Denn wenn dies wirklich der Wahrheit entsprach, veränderte dies die Bedeutung der letzten Tage nicht grundlegend? Was genau hatte ihre Intuition in diesem alten Bauernhof gewittert? Warum war dieser Dante dort gewesen? Was hatte er mit den Versuchsreihen zu tun?
„Und, ist er es?“
Pareios lachte bitter und in seinen Augen las sie eine gut verborgene Trauer. „Find’s raus. Nur du weißt es sicher!“
Aurelia wollte seine Hand ergreifen, ihn trösten, ihm sagen, dass alles gut werden würde. Sie wünschte sich, sie könnte die Hoffnungslosigkeit und Niedergeschlagenheit, die sein markantes Gesicht zeigte, vertreiben. Aber wie sollte dieses „gut“ denn bitteschön aussehen, wenn der fremde Elevender wirklich ihr Gegenstück war? Was sagte man in einem solchen Moment? ‚Der Typ hat einen Knall, der irrt sich bestimmt?‘ oder ‚Was gegen einen flotten Dreier?‘. Na ganz bestimmt!
„Pareios, ich…“
„Lass‘ es, Aurelia.“ presste er durch die zusammengebissenen Zähne heraus. „Klär‘ das mit Dante, dann reden wir. Dieses Thema ist auch so schon schwer genug, ich kann einfach nicht über ungelegte Eier diskutieren!“ Mit diesen Worten schwang er die Beine über die Bettkante und saß nun mit dem Rücken zu ihr. Die Sehnen an seinen Unterarmen traten hervor, als er die Finger in die Matratze krallte. Schließlich stand er auf und schlug wieder einen geschäftsmäßigen Ton an.
„Dante ist ebenfalls hier auf der Krankenstation. Markus hat entschieden, dass er und Meggan noch eine Weile dort bleiben sollen, bis wir sicher sind, dass wir ihnen trauen können. Er hätte die beiden wahrscheinlich gar nicht in den Bunker gelassen, wenn ich Dante nicht gekannt hätte. Egal, ähm, wenn du willst, schicke ich ihn zu dir…“
„Ja, ok..…“ stammelte Aurelia beunruhigt, weil plötzlich alles so schnell ging. Sie verfolgte ihn mit ihrem Blick, wie er den Raum verließ. Es tat weh ihn einfach so gehen zu lassen, ohne ein letztes Wort, eine liebevolle Geste, aber sie wusste, nichts was sie tun oder sagen könnte, würde es besser machen. Nun, da sie alleine war, brachen die vielen Gedanken über ihr zusammen.
Sie sollte ein Gegenstück haben? Sie hatte nie damit gerechnet, es zu treffen, selbst wenn es existieren sollte. Der wesentlich beunruhigendere Aspekt war, wie sie sich getroffen hatten. Denn konnte sie jetzt noch sicher sagen, dass ihre Intuition ihr den Weg zur Lösung des Rätsels um die Steine oder aber den Weg zu ihrem Gegenstück gewiesen hatte? War sie nicht immer stärker geworden, je weiter sie den Spuren gefolgt und je näher sie dem dänischen Hinterland gekommen waren? Gegenstücke verstärkten die Kräfte des anderen… Verflucht noch Mal, ein Gegenstück! Im Berufsleben war Timing ihre große Stärke, aber privat hatte sie dafür schlichtweg kein Händchen!
Sie wurde immer nervöser. Ihr war heiß und kalt, bis sie verschwitzt war und das Warten machte sie schon nach kurzer Zeit wahnsinnig. Um nicht weiter nachzugrübeln, befasste sie sich ausgiebig mit dem Putz der weiß gestrichenen Wände und den klinisch wirkenden Möbeln im Zimmer. Der Infusor neben ihrem Bett gab ein leises Ticken von sich, dann wurde der Kolben der eingespannten Spritze mit Betäubungsmittel mechanisch einen Millimeter weiter nach unten gedrückt. Man gab ihr konstant etwas gegen die Schmerzen und sie spürte unmittelbar, wie die Wirkung eintrat. Nachdem sie sich von dem kurz aufflammenden Rauschgefühl erholt hatte, war es ihr schließlich möglich, sich aufzusetzen. Aber als sie den rechten Arm in eine bequeme Position gebracht hatte, verspürte sie trotzdem das dumpfe Pochen der Wunden in Brust und Schulter. Mit der Linken, die lahm und koordinationslos war, versuchte sie den Haufen an Haaren, den sie auf ihrem Kopf vermutete, zu glätten. Sie gab jedoch schnell auf, weil der Arm zu schwer wurde. Egal, dachte sie, falls Dante wirklich ihr Gegenstück war, müsste so was ja wohl nebensächlich sein!
Während sie weiter in Gedanken versunken, die weiche Decke über ihren Beinen glatt strich, vernahm sie, wie die Tür geöffnet wurde.


Kurz geschah nichts, als ob die Person im Türrahmen zögerte, die Spannung in Aurelia erreichte ihren Höhepunkt. Als dann ein junger Mann eintrat und sich lässig an die Wand im Eingangsbereich lehnte, explodierte Aurelias Kopf förmlich vor Assoziationen. Sie kannte diesen Kerl! Auf so viele Arten erkannte sie ihn wieder, es war ein verstörendes und doch erhebendes Gefühl zu gleich. Von der ersten Sekunde an, fühlte sie sich zu ihm hingezogen.
Der Kerl lächelte vorsichtig, die Augen von der Farbe karibischen Meerwassers hatte er fest auf sie gerichtet. Seine Statur war hochgewachsen und obwohl er abgemagert aussah, konnte man erkennen, dass er einen breiten Brustkorb und kräftige Schultern besaß. Das kastanienbraune Haar mit goldblonden und bronzefarbenen Strähnen lag in Wellen und reichte ihm bis knapp über die Ohren. Der wohl bestaussehendste Mann, der ihr je begegnet war, zumindest für sie. „Hi!“ hauchte er mit einer tiefen Stimme, deren Klang ihre Reise des Wiedererkennens vervollständigte und ihr schöne Schauer über die Haut jagte. Sie wollte ihn näher bei sich haben.
Verflucht und zugenäht. Er war der Engel, der sie in Sicherheit getragen hatte, für den sie so viel Zuneigung empfunden hatte. Der, den sie als Erlösung in ihrem vernebelten Geist wahrgenommen hatte. Und auch jetzt war das Wohlgefühl, das er sofort im Raum verbreitete und diese unglaubliche Anziehungskraft, die von ihm ausging Beweis genug. Sie sehnte sich nach einem Kuss von den vollen Lippen dieses fremden und doch vertrauten Mannes. Ihre Augen hingen an dem verführerischen Mund und als er noch ein wenig breiter Lächelte, traf es sie wie ein Blitzschlag.

Sie hatte ihn schon vor einer ganzen Weile zum ersten Mal gesehen. Nicht im Bunker, oder auf irgendeiner Mission, nein! Er war der Kerl aus ihrer Vision, der den Stein in der Hand gehalten hatte und in blendendes verzehrendes Licht getaucht gewesen war. Sie hatte seine Augen nicht sehen können, aber das Haar, das Kinn, das Lächeln. Er war es.
Ihre Vision hatte ihr damals ihr Gegenstück gezeigt und auch sein Leben war mit den Steinen untrennbar verwoben. Kein Wunder, dass sie ihre ganze Reise als ihr Schicksal empfunden hatte. Es war ihre Bestimmung gewesen, diesen Weg zu gehen und Dante zu finden. Jedoch, was würde er mit diesem Stein anfangen, wenn es so weit sein würde? Vage erinnerte sie sich, dass sie sich damals nicht sicher gewesen war, ob der Mann in ihrer Vorahnung ihr Leid zugefügt hatte, oder ob es jemand anderes gewesen war. Denn bei genauerem Betrachten hatte sein Schatten sie von den verbrennenden Lichtstrahlen geschützt. Oder war das ihre jetzige Wunsch-Interpretation?
Oh Mann, Chaos! Ihre Gedankenwindungen ächzten. So viele Gefühle erfüllten ihren ganzen Körper, dass sie sie kaum mehr von einander trennen konnte und ihr Gehirn klinkte sich aus. Es war einfach alles zu viel auf ein Mal. Diese ganzen Fragen, was ihre Zukunft jetzt für sie bereithielt, da ihr Gegenstück plötzlich vor ihr stand, die Steine und…Pareios! Ihr logischer Verstand nahm sich eine Pause und übrig blieben nur die Empfindungen dieser surrealen Begegnung mit diesem Mann, dem es vorherbestimmt war, sie zu lieben, für alle Zeiten. Der Mann, den auch sie verehren, begehren und schützen würde, bis an ihr Lebensende.
Wehmut und Sorge, aber auch Freude und Glück mischten sich, sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte, also saß sie einfach nur still da und starrte ihn an, während die Emotionen in ihr mit einander rangen.
„Darf ich?“ fragte er und deutete auf einen der Stühle, die neben ihrem Bett standen. Sie nickte beklommen, begierig seine Nähe zu spüren. Obwohl er noch geschwächt sein musste, waren seine Schritte fest und elegant, ihr gefiel seine Art zu gehen. Er strahlte eine zurückhaltende, aber dennoch geheimnisvolle Stärke aus. Die offenkundige Ruhe, die in den Bewegungen lag, diente dazu etwas Anderes, etwas Rohes und Ursprüngliches zu zügeln. Irgendwie fand sie sich selbst so gleich in ihrem Gegenüber wieder und in ihrem Bauch begann es zu kribbeln. Ein Gefühl, das sie vorher nur für Pareios reserviert hatte. Der Gedanke an ihn versetzte ihr einen Stich ins Herz.
Dante setzte sich und stützte die Ellenbogen auf die Knie, dabei lehnte er sich nach vorn.
„Aurelia, nicht wahr?“
Nachdem sie erneut nur nicken konnte, fuhr er mit freundlichem Gesichtsausdruck fort. „Man nennt mich Dante. Mein Gedächtnis lässt mich zur Zeit im Stich, ich weiß nicht, ob ich wirklich so heiße.“ Seine Augenlider klappten nach unten, als er beschämt zu Boden sah. Die Geste offenbarte Verwirrung und Unsicherheit.
„Nein, ähm. Den Namen hat man dir hier gegeben, weil keiner den echten kennt.“ Aurelias Stimme war kratzig, nun da sie sie wiedergefunden hatte. Dante tat ihr Leid und sie wollte ihm dieses Verloren-Sein nehmen. „Aber ich habe dich schon Mal gesehen.“
„Wirklich? Wo denn?“ Unverkennbare Aufregung brachte seine wehmütigen Augen, umrahmt von langen bronzefarbenen und blonden Wimpern zum Aufleuchten.
Sie zögerte, die volle Wahrheit war wohl für den Anfang zu viel. „Ich hatte eine Vision von dir, mit viel Licht und so, war ziemlich beeindruckend!“
Beide grinsten sich an.
„Und was habe ich getan?“
„Nicht so viel, hauptsächlich hast du dagestanden.“
„Oh ja, das klingt ganz nach mir! Sehr beeindruckend!“ witzelte Dante in ironischem Tonfall. „Obwohl, woher soll ich das schon wissen?!“ Diese sarkastische Seite teilte er mit Aurelia und sie lagen unbestreitbar auf einer Wellenlänge. Sie kamen ohne Weiteres ins Gespräch, wobei er ihr sofort sympathisch erschien
„Du bist also eine Hellseherin?“
Aurelia schüttelte langsam den Kopf, aber es ging jetzt schon viel besser als vorher und auch sonst erholte sie sich zusehends schneller. Vielleicht weil er bei ihr war?
„Naja, so was in der Art. Normalerweise ist es mehr so eine Intuition für die nächsten Sekunden bis Minuten. Wenn ich weiter in die Zukunft gehe, wird es wirr und undeutlich und auch gefährlich für mich. Es ist schwer zurück zu finden und nicht alles, was ich sehe tritt auch ein, es hängt von verschiedenen Entscheidungen ab.“
„Klingt… komplex!“
„Ja!“ Sie lachte. „Und du? Was ist deine Gabe?“
„Gute Frage, wüsste ich auch gerne. Ich fühle mich stark, glaube ich. Aber Pareios hat mir erklärt, dass das normal ist für Elevender.“
„ Erinnerst du dich an gar nichts?“
Dantes helle Augen richteten sich in die Ferne, als würde er versuchen etwas Spezielles zu erkennen, aber schon bald schloss er sie müde.
„Ich weiß in etwa, wie die Welt funktioniert, Elevender, Menschen, Hegedunen. Aber der Rest… Ich bin vorgestern in diesem Raum aufgewacht und Gregorowicz… ich glaube, er hat mir etwas gespritzt… und dann kam Evrill rein und hat ihn in Schach gehalten. Kurz darauf sah ich Pareios und dann kamst du… und… ähm… dann war das Wie, Wo, Wer nicht mehr so wichtig. Du hast ums Überleben gekämpft. Das Wichtigste war, dich zu retten.“
Betreten sahen sie einander wieder an. Dantes Blick wanderte über ihr Gesicht und den Oberkörper zu den Händen, langsam ergriff er die Unverletzte. Die Berührung kam einer Offenbarung gleich, selbstverständlich schoben sich ihre Finger in einander, als hätten sie dies schon hunderte Male getan. Seine Haut war für sie geradezu exquisit, fast heilsam. So komisch, dass ein quasi Fremder ihr dies alles vermittelte.

„Spürst du es auch?“
Heftiges Wummern in der Brust und eine magische Verbindung zwischen ihnen? Den Eindruck, die Grenzen seines eigenen Selbst nicht mehr erkennen zu können, weil man scheinbar in der anderen überging? Als wäre man Eins. Ein Atem, ein Herz, eine Seele. Verdammt, diese Gegenstück-Erfahrung war einfach unglaublich.
„Ja.“ hauchte sie die Antwort, aber er wusste es schon. Er konnte es durch die Berührung ertasten. Es würde ihn nicht viel Zeit kosten, auch den Rest über sie und ihre Vergangenheit in ihr zu lesen. Aber es würde keine Rolle spielen, genauso wenig wie es für sie eine Rolle spielte, wie alt er war, woher er kam, oder was er getan hatte. Sie gehörten zusammen, alles Andere war zweitrangig. Keine Angst, keine Zweifel, nur Ruhe und Gewissheit.
Aber da fiel ihr etwas auf. Denn während er offensichtlich in ihr las, wie in einem offenen Buch mit vielen beschrieben Seiten, konnte sie ihrerseits in ihm nur leere, weiße Blätter erspähen. Nichts außer den jüngsten Ereignissen und dieser unerwarteten und doch lodernden Leidenschaft für sie, Aurelia. Dieses Gefühl schien in ihm alles zu beherrschen, seine Gedanken einzunehmen. Sie errötete prompt und natürlich wusste er warum, keine Ausrede möglich.
„Hör zu, ähm. Ich weiß nichts über mich, außer, dass ich wohl gerne lese und… dass wir... Ich meine, zuerst dachte ich, ich erkenne dich aus meinem alten Leben wieder, aber Pareios hat mich darüber aufgeklärt, dass wir uns nie vorher begegnet sind und ich weiß nicht wieso, aber ich vertraue ihm. Ich glaube, er ist ein aufrichtiger Typ.“
Aurelia schmerzte es wieder, als Pareios‘ Name fiel. Sie war eingenommen von Dante und seiner reinen, männlichen Aura, die gepaart mit dieser unschuldigen Naivität noch attraktiver war und doch… Entschlossen schnitt sie selbst diesen Faden ab, aber es tat weh.
„Ich denke du vertraust Parios, weil sich eure Wege schon Mal gekreuzt haben. Ihr wurdet beide in Berlin gefangen gehalten. Er mochte dich. Er respektierte dich.“ Jetzt war sie wirklich ernsthaft traurig, während Dante erstaunt die Augenbrauen hob, die eine perfekte Form hatten und seinem Aussehen etwas Zeitloses und Vornehmes verliehen.
„Was ist dort mit uns passiert?“ fragte in schneller Wortfolge nach, voller Neugier darauf, seine leeren Seiten mit ein paar Informationen über sich zu füllen.
„Man hat euch gefoltert. Ihr musstet einander dabei zusehen. Pareios hat viele Narben davon.“
Dumpfes Begreifen formte sich in seinem schönen Antlitz, als könne er nun eine Verbindung herstellen.
„Ich habe auch Narben, aber ich dachte, ich hätte sie von Gregorowicz… Wer hat das getan und warum?“
„Ich weiß nicht, aber es waren Hegedunen. Damals dachten wir du wärst tot.“ Es war schrecklich, ihn so zu sehen, völlig auf sie angewiesen, etwas über sich selbst zu erfahren. Nichts davon gehörte mehr ihm und alles was ihm Halt gab, waren diesen intensiven Gefühle zwischen ihnen beiden.
Mittlerweile fühlte sie kaum mehr körperlichen Schmerz und die Bewegungen waren schon wieder flüssig, als ob sie sich Kraft von Dante geliehen hätte, die sie jetzt durchströmte. Und dieses ganze Gefühlchaos, gekrönt von der Sehnsucht nach diesem unbekannten, rätselhaften Mann, den sie aus unerfindlichen Gründen mit jeder Zelle als ihr Eigen betrachtete. Meins, war die klare Botschaft ihres Unterbewusstseins. In ihr regte sich der Wunsch, in das kastanienfarbene Haar zu greifen, seine Geruch und Geschmack auf der Zunge zu schmecken und jeden Zentimeter und Winkel seines Seins zu erkunden. Alles schien schon jetzt wie für sie gemacht.
„Pareios ist also freigekommen, aber ich….?“
„Damals war es nicht möglich… es war ein Wunder, dass wir überhaupt überlebt haben. Von dir habe ich erst später erfahren und dann, wie gesagt, dachten wir, du seist dort umgekommen. Ich konnte ja nicht ahnen, wer du bist.“ begann Aurelia sich vor dem fast Fremden zu rechtfertigen. Aber sie fühlte sich verantwortlich, unsinnigerweise, denn woher hätte sie dies alles wissen sollen? Sie hatte ihre Intuition nicht ein einziges Mal in ihrem Leben dazu benutzt, etwas über ein etwaiges Gegenstück herauszufinden. Wer hätte schon gewusst wo ihre Gabe sie bei diesem Vorhaben überhaupt hingeführt hätte und ob sie dann auch wieder zurück gekommen wäre. Das Risiko war ihr immer zu hoch und die Liebe zu gefährlich erschienen.
„Das heißt, du warst dort und hast ihn befreit?“ erkundigte er sich vorsichtig mit einer Spur Argwohn in der Stimme.
Sie gab es zu und tauchte dabei in dieses karibische Paradies von schillernden Türkis- und Jade-Tönen in seinen Augen ein. Es vermittelte die Wärme der tropischen Temperaturen und auch eine geheimnisvolle Exotik, die sie noch nicht ganz fassen konnte, aber als ungemein betörend empfand. Obwohl sie zunächst sein Mistrauen gespürt hatte, sprach nun aus seinem Gesicht eine liebevolle Hingabe. Als hätte er etwas nach kurzem Widerstreben akzeptiert.

„Dieser Pareios und du, ihr habt da Etwas, oder?“
Aurelia biss sich unwillkürlich auf die Lippen. Klar, dass sie vor Dante nichts verborgen halten konnte, schon gar nicht einen so großen Bestandteil ihrer selbst, den Pareios immer noch darstellte, wurde sie sich verwundert bewusst.
Aber wie hatte sie sich das auch vorgestellt? Dass in dem Moment, in dem man seinem Gegenstück begegnete, alles ausgelöscht wurde, was man vorher gefühlt hatte?
Wohl kaum. Und jetzt konnte sie auch Viktors Verhalten auf eine ganz andere Weise verstehen. Nur weil er Meredia getroffen hatte, hieß das nicht, dass der ganze Berg an verworrenen Emotionen, den er für Aurelia gehegt hatte, verschwunden war. Es war immer noch da und wahrscheinlich würde es erst mit viel Zeit verschwinden, wenn überhaupt. Oder war es eine Frage der Wahl? Die Frage einer Entscheidung?
„Ich liebe ihn. Wir sind ein Paar, glaube ich.“ gestand sie schließlich leise. Sie wollte Dante dabei nicht ansehen, konnte den Blick aber auch nicht abwenden. Er hatte seine Hand nicht weggenommen, also fühlte sie sowieso, was ihre Worte in ihm bewirkten.
Das vorrangige Gefühl war Eifersucht, danach kam sofort eine schwere Wehmut, aber da war auch ein tiefes Verständnis, als er die Problematik erfasste.
„Da komme ich also genau zum richtigen Zeitpunkt!“ schloss er wieder in diesem sarkastischen Ton und ließ den Kopf entmutigt nach vorne fallen.
Aurelia wusste nicht, was sie darauf entgegnen sollte. Wie die Dinge lagen, würde alles Leugnen sie nicht weiter bringen. Die Wahrheit war schwer, aber der einzige Weg, die Sache irgendwie wie Erwachsene zu regeln. Obwohl sie keine Ahnung hatte, ob es für diese Art von Situation überhaupt eine Lösung gab. So etwas wie ein Patentrezept für absurde, verkorkste Dreiecks-Konstellationen?
Aber sicher, das konnte man sich bestimmt über Nacht per Express nach Hause liefern lassen!

Aurelia konnte dem Drang nicht widerstehen, ihm mit dem Daumen über den Handrücken zu streichen.
„Aber, wie es aussieht, bist du mein… Gegenstück.“ Es auszusprechen machte es noch wirklicher und ein Schauer durchfuhr sie. Sie konnte jedoch nicht sagen, ob er wohliger oder angstvoller Natur war. Die Ambivalenz ließ sie aufhorchen.
Sogleich fand sie sich von seinen strahlenden Augen gefangen. Sein triumphierendes Lächeln war breit und entblößte gut gepflegte Zähne.
„Und du bist meins. Das trifft sich doch gut!“ Aber als er ihre unglückliche Miene bemerkte, legte er den Kopf schief und betrachtete sie lange nachdenklich. Dann stellte er sanft fest: „Du weißt nicht, was du jetzt tun sollst. Das hier ist alles noch neu und frisch, ihn kennst du, ihn liebst du. Nicht zu vergessen, wir wissen alle nicht, wer ich bin.“
Aurelia war überwältigt von seiner Offenheit und dass er offensichtlich eine wache, natürliche Intelligenz besaß, die ihn befähigte, nicht nur ihrer beider Situation zu erfassen, sondern auch ganz klar seine eigene Lage hier im Bunker zu klassifizieren.
„Verzwickt!“
„Ja!“ pflichtete sie ihm aus tiefstem Herzen bei.
„Sieh mal. Ich will, dass du glücklich bist. Ich will… natürlich… bei dir sein, aber wenn dein Glück bedeutet, dass ich mich fernhalten soll, dann…“ Er schluckte hörbar. „.., dann ist es das. Du wirst von mir bekommen, was du willst,… egal was!“
Darüber zu sprechen, sich so ergeben zu fühlen, wirkte irgendwie fehl am Platz, wo sie sich gerade erst kannten und kein Wort über Liebe oder dergleichen verloren hatten, aber dennoch, da war diese unbestreitbare, tiefe Verbindung zwischen ihnen und da sich schon jetzt so viel zwischen ihnen abspielte, wusste sie instinktiv, dass ihre Gefühle ihm gegenüber schon bald noch stärker werden würden.
Sie seufzte, als er sich ihr so bereitwillig auslieferte. Schon dieses Gebaren ließ die heiße Zuneigung für ihn in ihr aufwallen. Ob es typisch war für ein Gegenstück, sich so zu verhalten, oder ob es typisch für ihn war, konnte sie nicht beurteilen, aber sie war beeindruckt. Mehr noch, sie verehrte ihn dafür.
Langsam entzog sie ihm ihre Hand, um sie an seine Wange zu legen. Seine Haut war weich, nur ein kurzer brauner Bartschatten kratze unter ihren Fingern. Er musste sich vor kurzem rasiert haben.
„Du bist mein Gegenstück. Wie könnte ich das wollen?“
Zurückhaltende Freude spiegelte sich in seinem nun jungenhaft wirkenden Gesicht.
„Dann wirst du ihn gehen lassen?“









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