Gifted - Die Befreiung - Teil 34

Autor: Aven
veröffentlicht am: 23.04.2013


Hier wieder ein paar Seiten meiner Geschichte. Ich hoffe es gefällt euch und freue mich über eure Meinung.
Viel Spaß beim Lesen,

Aven




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Aurelia und Pareios beratschlagten noch eine Weile über die neusten Entwicklungen in ihrer Mission.
Krieg!
Dieses eine Wort echote in ihrem Kopf, ihren Gedanken, ihren Knochen, einfach überall. Das konnte doch nicht wahr sein! Wie zum Teufel war so was möglich? Ausgerechnet der Rat, dem ihr Volk innerhalb der Legion die Führung anvertraut hatte. Gerade die, auf die sie alle vertrauten, ihre Geschicke in glücklichere Tage zu lenken. Und nun waren diese Leute dabei, einen geheimen Angriffskrieg vorzubereiten? Welche Voraussetzungen hatten sie dazu getrieben? Was wenn Markus die Informationen über die hegedunischen Versuchsreihen gar nicht an die anderen 10 weitergegeben hatte? Was, wenn sie nicht wussten, welche Gefahr tatsächlich von ihnen ausging, nach ihrer Vision zu urteilen, von der sie dann wahrscheinlich auch nichts wussten… Ihr Kopf drehte sich!
Als diese ganze Sache begonnen hatte, hatte sie ja nicht geahnt, in was sie da hineingeschlittert waren. Zuerst wirkte es wie ein Auftrag, der zu erledigen gewesen war und dann war die Hölle über sie herein gebrochen. Sie waren von Hinterhalt zu Hinterhalt gestolpert, die ihnen ganz klar aufwiesen, dass die Steine ein kleiner Teil in einem größeren Plan der Hegedunen darstellten und währenddessen hatten ihre eigenen Leute nichts besseres zu tun, als den totalen Untergang ihrer Welt vorzubereiten? Es kam ihr vor, als seien in letzter Zeit irgendwie alle nicht mehr ganz bei Trost! Markus allen anderen voran. Der perfekte Lügner! Ohne Zweifel, sie musste irgendwann in den Bunker zurück, sie musste selbst mit ihm sprechen!
Die Sachlage forderte ihr ganz neues Denken und Handeln ab und sie beschäftigte sich mit noch nie da gewesenen Notwendigkeiten. Bisher hatte sie sich in keinster Weise für Politik verantwortlich gefühlt, ihr Metier war das Jagen, denn das konnte sie schließlich am Besten. Und was war nun?
Nun saß sie hier und verstrickte sich immer tiefer in eine Geschichte, die in der Legion ganz klar auf politischem Parkett enden würde. Gerade sie, die Kontakt zu anderen Menschen bis vor einer Woche weitestgehend vermieden hatte, das war doch wohl ein schlechter Witz des Schicksals!
Wenn sie es überhaupt so weit schaffen würde, flüsterte ihr eine kleine fiese Stimme zu. Die Vision limitierte ihre Pläne jäh.
Richtig, wer wusste schon, wann und wie es passieren würde? Wahrscheinlich würde sie ihren letzten Auftritt schon gehabt haben, wenn es so weit war, sich politisch zu engagieren. Dieser Gedanke ließ sie zu Pareios rüber schauen. Sie bedauerte, dass ihnen vielleicht nur noch wenig Zeit blieb. Es hätte so wunderbar werden können.
Er hatte aus ihr auch einen Phoenix gemacht. Sie hatte gebrannt und war aus ihrer Asche neu und gereinigt wiederauferstanden. In ihrer Vorstellung malte sie sich eine wunderschöne Zukunft aus, die sie wahrscheinlich nie erreichen würde und ein Teil von ihr sagte gehässig: „Und obwohl du das wusstest, hast du die Geschichte mit ihm angefangen! Wozu? Nur damit er Leiden muss, wenn du gehst?“ Sie biss sich auf die Lippen und sagte diesem Teil, dass Pareios es gewusst hatte, als er sich auf sie eingelassen hatte. Und schließlich war etwas zwischen ihnen gewachsen, von dem weder er, noch sie geglaubt hatten, dass sie es je empfinden würden. Also wenn etwas im Leben es Wert machte, es zu leben und es zu schützen, dann doch diese Gefühle!
Sie griff hinüber und strich über seinen Arm. Die elektrisierende Wirkung der Berührung gewann immer mehr an Vertrautheit und ihre Lippen formten die Worte von selbst, genau wie vorhin:
„Ich liebe dich!“
Er wandte ihr sein Gesicht zu, in dem ein zärtliches Lächeln hing. Seine Hand strich über ihre Wange und verschlang sich dann mit ihren Fingern. Er führte ihren Handrücken an seine Lippen und hauchte einen andächtigen Kuss darauf.
„Und ich dich, Liebste!“
Sie verweilten kurz mit verschränkten Blicken und es fühlte sich so wunderbar an, dieses Fehlen von jeglichen Mauern, die sie von der Außenwelt trennte. Sie war Pareios so nah, dass sie ihn spüren konnte, geistig und körperlich und sie stellte fest, dass diese Mauern andere nicht nur ferngehalten, sonder auch sie selbst eingesperrt hatten.
Als Pareios die Augen wieder auf die Fahrbahn richtete und ihre verschlungen Hände auf der Mittelkonsole ablegte, ließ Aurelia die Fenster herunter. Die frische Luft und die Morgensonne kitzelten ihr Gesicht und so dahin rasend, mit Pareios verbunden, erfasste sie plötzlich ein episches Gefühl.
Sie beide waren ein Paar!
Auch wenn es nicht ausgesprochen worden war, stand es für sie doch irgendwie fest. Und dieser monumentale Augenblick reihte sich ein in die Gruppe neuer, wichtigster Momente in ihrem Leben, und wenn sie genau hinsah, konnte sie feststellen, dass jeder einzige mit Pareios zu tun hatte.

Mitten in diesem Chaos brachte ihr dieser Gedankengang Entspannung und sie schlief eine Weile, um Pareios danach abzulösen, damit er sich ausruhen konnte.
Am Nachmittag kamen sie schließlich durch das Örtchen, das Evrill ihnen genannt hatte, hindurch. Schnell ließen sie die Häuser jedoch hinter sich und begaben sich immer weiter in die Einöde des dänischen Hinterlandes, bis sie Evrills Auto endeckten.
Gut von Büschen verdeckt stand es am Rande des Weges, etwa einen halben Kilometer von einem großen alten Bauernhaus im Fachwerkstil entfernt.
Schon von weitem konnte sie sein weißes Haar schimmern sehen und ihr fiel ein Stein vom Herzen. Wenigstens hatte er sich in diesem Punkt an ihre Abmachung gehalten!
Sie und Pareios wechselten das Fahrzeug und stiegen zu Evrill ins Auto. Kaum saß sie neben ihm auf dem Beifahrersitz, boxte sie ihm ein Mal kräftig auf die Schulter. Evrill verzog das Gesicht und hielt sich das getroffene Körperteil.
„Aua, Mann!“
„Das war die Strafe!“ gab sie ungerührt zurück und befand, dass sie milde mit ihm umgesprungen war. Er konnte froh sein, dass sie ihre Impulse neuerdings recht gut unter Kontrolle hatte.
„Also wie sieht‘s aus?“ unterbrach Pareios von hinten. Evrill rieb sich noch immer die Schulter.
„Zwei Wachen auf dem Dach, zwei vor jeder Tür. Keine Kameras, soweit ich das beurteilen kann. Und dieser Kerl…“ Er hob eine Zeichnung hoch, die zuoberst auf einem ganzen Stapel auf seinem Schoß gelegen hatte. „… ist mit drei weiteren Bodyguards reingegangen. Aber im Hof stehen noch mehr Autos, also kann ich nicht sagen, wie viele Leute tatsächlich da drin sind.“
Aurelia griff nach der Zeichnung und hielt sie so, dass auch Pareios etwas davon erkennen konnte. Sie zeigte einen Mann mit jungen Gesichtszügen, also definitiv ein Elevender. Die Haare waren in einem vornehmen Seitenscheitel gekämmt und kurz gehalten. Eine Brille verspiegelte seine Augen. Elevender hatten so etwas nicht nötig, es musste Teil eines Outfits oder einer Maskerade sein. Denn mit der Brille wirkte er durch und durch wie ein hochmoderner Wissenschaftler, die Augenbrauen jedoch hatten einen speziellen Schwung. Irgendwie verliehen sie ihm etwas Teuflisches. Eine Gänsehaut rieselte ihr den Rücken hinab.
Der Kerl auf auf der Zeichnung hielt etwas in Händen, es sah aus wie Elektroschockpebbles. Oh ja, ihre Vermutung hatte sich bestätigt, das musste Svenssons Peiniger sein!
Und sie mussten jetzt irgendwie an ihn herankommen. Er wusste bestimmt, was es mit dieser ganzen Reihe auf sich hatte. Sie war sich absolut sicher!
„Evrill, traust du dir die Zwei auf dem Dach zu?“
Er machte einen empörten Laut, der wohl einem ‚Ich bitte dich!‘ gleichkommen sollte, was sie als ein ‚Ja, absolut!‘ aufnahm.
„Alles klar, dann geht Pareios zum Hintereingang und ich gehe vorne rein. Fertig?“
Pareios Antwort war eine vernehmliche Kombination aus Schleifen und Klicken, während er seine Waffe nachlud und dann entsicherte.
„Worauf warten wir noch?“ fügte er dann trocken an.

Sie trennten sich kurz nachdem sie den Wagen verlassen hatten und Aurelia kramte ihren Player hervor und verschloss ihr Gehör. Gerade jetzt wollte sie keine Geräusche vom Dach oder vom Hintereingang wahrnehmen, sie hätten sie nur aus der Fassung gebracht, schließlich bedeuteten ihre Mitstreiter ihr etwas.
Die vertrauten Rhythmen füllten ihre Ohren und ihren Kopf und sie ließ ihren Kampfgeist vermischt mit der Energie des gezügelten Monsters auferstehen. Sie entsandte ihre Intuition und diese war nun so präzise, dass sie ihr schon zeigte, wie sie die beiden Wachmänner am Eingang von hinten zum Schweigen brachte.
Ihre Kraft wuchs also unaufhörlich in ihr. Sie hieß diese Entwicklung willkommen, fragte sich jedoch zugleich, wodurch sie ausgelöst worden war. Dieses Gefühl, dass sie auf dem richtigen Weg waren, hatte sich ihre ganze Fahrt über gehalten und seit sie hier waren, hatte es sich so verstärkt, dass es wie eine blinkende Leuchtreklame in Aurelia pulsierte. Sie mussten hier sein, aber wie sie ihre Gabe kannte, hieß das nicht, dass der Weg nicht steinig werden konnte!
Sie schlich sich um eine Hecke herum und schob sich im Schatten der Hausmauer ganz langsam Schritt für Schritt auf den Vordereingang zu. Sie bewegte sich so langsam, dass es Augen, die nach Bewegung suchten, nicht auffallen würde. Ihr Blick huschte über das Gelände und sie prägte sich jedes Detail genau ein.
Sie presste sich mit dem Rücken gegen den rechten Flügel eines wunderschönen alten Fachwerkhauses mit Rebdach. Gemeinsam mit dem zweiten Flügel gegenüber umrahmte das Haupthaus, das das U vervollständigte, einen großen Hof. Die grüne Fläche rund um das Haus und den Hof war reichhaltig bepflanzt mit verschiedene Bäumen und Blumen, die dichte Hecke umrandete das weitläufige Grundstück.
Um Lärm würden sie sich hier keine Sorgen machen müssen, die nächsten Nachbarn hatten sie vor zehn Minuten mit dem Auto passiert.
Sie entsandte wieder ihre Gabe und tastete das Haus ab. Einige Räume übten auf sie eine besondere Anziehungskraft aus, wobei einer im Keller quasi vor ihrem inneren Auge leuchtete wie ein Juwel in der Sonne. Es gab insgesamt vier Zimmer, in denen sich also Personen aufhielten und sie nahm mal an, das was da so hell strahlte, war ihr Ziel.

Das aufziehende Gewitter passte ihr ganz gut, denn die Wolken verdunkelten die Sicht, die Schatten boten mehr Schutz.
In dem Moment, in dem einer der beiden großen, dunkelhaarigen Männer in schwarzen Anzügen ihr den Rücken zu wandte, war sie schon hinter ihn getreten und zog ihm ihr Messer über den Hals. Nur der erstickte Laut blieb übrig, als er zu Boden sackte. Sein Kumpan riss die Augen auf und während er nach seiner Waffe griff, wollte er schon den Mund aufreißen, um Alarm zu schlagen, aber Aurelia sprang ihn an. Sie klemmte ihm die Knie um die Hüften und parkte ihre Hand auf seinem Mund, während ihre Klinge mühelos eine Lücke zwischen seinen Rippen fand. Er schnaufte erschrocken gegen ihre Handfläche als das Messer eindrang. Als sein Körper erschlaffte, fing sie ihn auf und ließ ihn leise zu Boden gleiten.
Beide toten Körper zerrte sie in einem Gewaltakt in die Schatten an der Ecke des Hofes, dann rückte sie durch die Tür ins Haus vor.

Es war dunkel und roch nach altem Holz und Stoff. Die kleinen Fenster ließen wenig Licht ein, aber sie konnte so viel erkennen, dass sie sich in einem kleinen Flur befand, von dem aus mehrere Türen und eine Treppe abgingen. Neben dem Geländer tauchte gerade Pareios auf, der sich sein eigenes Messer an der Hose abwischte. Auch er entdeckte sie und sie wollte schon in den Keller zeigen, als sie Geräusche aus dem oberen Stockwerk vernahm, wo Evrill in das Haus eingedrungen sein musste.
Obwohl ihr oberstes Ziel wohl im Keller zu finden sein würde, lenkte sie ihre Schritte ohne Zögern die Treppe hinauf, Pareios‘ entflammende Hitze im Rücken.
Oben angekommen, ein weiterer Flur, mehrere Türen, ihre Köpfe flogen suchend herum, die Ohren gespitzt auf jedes Geräusch lauschend.
Aus einem Raum rechts von ihnen drangen ein erstickter Laut und dann ein gedämpftes Poltern. Die Tür ging auf und Evrill schob seinen Kopf hindurch. Als er sie entdeckte, lächelte er erleichtert und strich sich das Haar aus der Stirn. Seine blutbesudelte Hand hinterließ einen dunklen Striemen darauf.
Er schloss sich ihnen an und Aurelia übernahm die Führung in den Keller. Sie hatten es geschafft, sich unbemerkt Zutritt zum Haus zu verschaffen und so achteten sie auf absolute Lautlosigkeit, zumal sie nicht wussten, wie viele ihrer Gegner sich noch im Haus und auf dem Gelände aufhielten. Aurelia spürte nur diese Abneigung gegen bestimmte Räume, was ihr sagte, Finger weg, besser nicht reingehen!
Die Treppenstufen ächzten ein paar Mal leise unter ihrem gesammelten Gewicht, während sie immer tiefer hinab stiegen, aber es schien niemand zu hören. Im Keller angekommen folgte sie diesem Gefühl, das sie immer stärker in seinen Bann zog. Es war fast, als hätte sie einen Köder samt Haken geschluckt und wurde jetzt daran aus dem Wasser gezogen. Der Sog hin zu dem leuchtenden Juwel, das ihre Intuition in ihren Geist projizierte, ließ keinen Wiederstand zu, es wäre ihr unmöglich gewesen, sich jetzt noch abzuwenden und davon zu gehen.
So erhöhte sich ihre Herzfrequenz zu einem trommelnden Wummern in ihren Ohren, das mit den Rhythmen der Bässe aus dem Player konkurrierte.
Diese Tür vor ihr, hinter der sie die Lösung all dieser Fragen erwartete, schien ihr unscheinbar und viel zu unbewacht, um etwas Wertvolles zu enthalten, dennoch, es war da und sie bewegten sich weiter darauf zu, bis sie das Ohr an das raue Holz legen konnte.
Ein schlaffer, keuchender Atem erfüllte den Raum, hin und wieder schabte etwas leicht über den Boden, ansonsten war es still.
Ihre Intuition war nun wie eine Welle, deren tosende Strömung sie immer weiter auf die Tür zu drückte. Die Kraft der Wassermassen in ihrem Rücken war stärker als alles was sie je erlebt hatte, sie gierte danach diese Tür zu öffnen, wie eine Verdurstende nach einem Glas kühlem Wasser. Ihre Gefühle ließen ihr keine Wahl, sie war wie ferngesteuert. Hypnotisiert von dieser Woge des Drangs, hob sie die Hand um sie auf die Türklinge zu legen. Als sie das Metall berührte schien es zu schwingen und die Vibration rauschte durch ihre Nervenendigungen. In ihren Ohren schwoll ein Dröhnen an, das die Musik einfach verblassen ließ, keine Note drang mehr durch den dichten Schleier aus Summen, der sie vollkommen einhüllte und sie quasi von der Außenwelt abschnitt.
Verwirrt und beunruhigt stellte sie fest, dass sie nichts mehr wahr nahm außer dieses Aufbrüllen in ihr, das ihr Vorhaben, diese verfluchte Türklinke nach unten zu drücken, bekräftigte.

„Scheiße!“
Nur Pareios‘ abgehakter Fluch, der erschrockene und verzweifelte Klang seiner Stimme konnte sie aus dieser Trance reißen.
Sie blinzelte zwei Mal, drei Mal, dann schaffte sie es, die Konturen des Raumes zu erkennen. Sie drehte den Kopf und ihr Blick fiel auf Pareios, der sich umgewandt und die Waffe erhoben hatte. Wie in Zeitlupe erkannte sie, dass er immer und immer wieder den Abzug drückte, während durch die Öffnung der Treppe mehrere bewaffnete, in dunkle Anzüge gekleidete Männer herab stürzten.
Mit einem Ruck kehrte ihr Gehör zurück. Unter Rauschen bohrten sich das Knallen der Schüsse und die Schreie der Angreifer und ihrer beiden Mitstreiter in ihr Gehirn, mit einer Wucht, dass ihre Trommelfelle schmerzen und die geknickten Härchen ein Fiepen meldeten.
Plötzlich mit beiden Füßen wieder in der Realität fühlte sie einen kurzen Aufprall durch ihren Körper zucken, als wäre sie eben abgesprungen und wieder aus dem Boden aufgekommen. Der Sturm der sie gerade noch erfüllt hatte, zog sich auf einen winzigen Fleck zurück, als ob sie es mit dem Staubsauger aufgesaugt hätte, und wich ihrem Kampfinstinkt.
Während sie ihre Waffen zückte, erfasste sie schnell die Lage.
Pareios stand rechts neben ihr und schoss mit der einen Hand Feuerbälle, mit der anderen pumpte er Kaskaden von Blei aus dem Lauf der Desert Eagel. Links stand Evrill und tat das gleiche mit seiner H&K. Das Gesicht starr vor Entschlossenheit und frei von Furcht.
Immer mehr Gegner drangen in den Keller vor, was bedeutete, dass sie in der Falle saßen. Der einzige Weg hinaus führte über die Treppe, die vollkommen in feindlicher Hand lag. Wenn sie überhaupt überleben würden, um zu fliehen.
Noch während sie die Waffen hob und ihr erstes Ziel ausmachte, schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel und entzündete dann all ihren Zorn und ließ die Kraft ihres inneren Ungeheuers durch ihre Adern fließen. Die Muskeln stählten sich und führten die Arme sicher und ruhig dabei, mit vier gezielten Schüssen vier Schwarzanzüge nieder zu mähen. Da Pareios mit seinen Feuerbällen den oberen Teil der Treppe beschoss, dünnte der Nachschub an Hegedunen bald aus, aber sie hatten auch genug mit den bereits Anwesenden zu tun.
Ihre Intuition flog aus und sie stellte erschüttert fest, dass sie es hier nur mit Elevendern zu tun hatten, vielleicht neun oder zehn Stück.
Die Überraschung war gewürzt mit einer Prise Entsetzen und Furcht.
Hätte sie geahnt, dass ihre Intuition das mit ihnen vorgehabt hatte, hätte sie sich selbst ins Knie geschossen und gehofft, bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag nicht mehr aufzuwachen. Finster verfluchte sie ihre Gabe. Wie hatte sie es verantworten können, sich selbst und ihre Freunde in diese Lage zu führen?
Die Übermacht des Gegners war so deutlich, dass sich der Fehltritt kaum leugnen ließ. Also warum zum Teufel hatte ihre Intuition sie dann auf das hier hin fiebern lassen, wie eine Fünfjährige auf Weihnachten?
Die Erschütterung zog sich tiefer und erreichte ihr Vertrauen in sich selbst und ihre Fähigkeiten, was sich unmittelbar bemerkbar machte. Plötzlich war ihr Kopf leer, da war einfach kein Gefühl mehr in den Armen. Wie eine Implosion verpuffte etwas in ihr. Mit der Musik in den Ohren und dem furchteinflößende Szenario vor Augen, war es, als ob ihr plötzlich ein Bein fehlte. Sie taumelte und stürzte zu Boden. Sie fühlte sich, als würde in ihrem Innern die Verbindung zu etwas Uraltem und Vertrautem gekappt und sie befand sich im freien Fall, selbst als ihr Schmerzrezeptoren schon meldeten, dass ihr Körper auf dem Boden aufgeschlagen war. Als sie dort aufkam sah sie aus den Augenwinkeln, dass Evrill und Pareios gegen die Tür, die sie eben öffnen hatte wollen, gedrängt wurden und Evrill diese weit aufgeschoben hatte.
Obwohl sie alles schmecken, riechen und hören konnte und ein Kribbeln in den Armen ankündigte, dass sie nicht taub bleiben würden, kam es ihr trotzdem so vor, als hätte sie einen ihrer Sinne verloren, aber im ersten Moment war sie zu verstört, um sich damit zu befassen. Die Angreifer kamen auf sie zu und die Luft des Raumes schien sich zusammen zu ziehen, wie das Vakuum im Auge eines Sturms.
Da hörte sie, wie Pareios Evrill einen kuren Befehl gab, konnte aber nicht verstehen, was er sagte. Ervrill schien erstaunt, er schüttelte heftig den Kopf, aber als er von seinem Teamkollegen ein markerschütterndes Brüllen auffing, drehte er sich schleunigst um und verschwand in dem Zimmer.
Gut, dachte sie noch, während all ihre Gedanken sich jetzt auf Pareios fixierten. Mühsam zwang sie ihre Beine und Arme sich zu rühren und ihren Dienst zu tun. Keuchend stemmte sie sich auf alle Viere die Waffe immer noch in der Hand, während der Kreis ihrer Gegner sich immer enger zog. Sie sah keine Gesichter, es waren einfach nur böse Schatten für sie und immer noch musste sie um Gleichgewicht ringen, ihr fehlte irgendwie ein Sinn.
Dann eröffnete einer zu ihrer linken das Feuer auf sie. Sie sah nichts kommen, fühlte keine Regung außer ein Erschrecken und der plötzliche Gedanke: Gleich kommt der Schmerz!
Der Elevender hatte sie mit kleinen Holzpflöcken aus seinem Handgelenk beschossen und kurz nachdem sie das begriffen hatte, setzte der Schmerz ein, der ihr die Sinne vernebelte.
Benommen sah sie an sich herunter und stellte fest, dass sich ein Pflock nahezu vollständig in ihre Schulter gebohrt hatte. Der Schmerz verpasste ihr einen heftigen Flash und die Arme gaben unter ihr nach und plötzlich sah sie rot. In wahrsten Sinne des Wortes.
Einfach nur rot. Es breitete sich in rasender Geschwindigkeit unter ihr aus, die Pfütze wurde größer und größer, ihr Gesicht lag schon mitten drin. Der Pflock musste eine Arterie getroffen haben und wenn er die erwischt hatte, dann sicher auch die Nerven des Armes. ‚Mist!‘ war das einzige, das sie denken konnte, während sie auf die rote, glitzernde Oberfläche ihres eigenen Blutes sah. Aber da war noch mehr rot. Woher kam es nur?

Um sie herum war alles in ein blutrotes Licht getaucht. Wie der Wiederschein von Flammen leckte die Farbe flackernd über die Gesichter ihrer Gegner. Eine sengende Hitze loderte neben ihr auf und versengte ihr beinahe die Härchen auf der Haut. Sie dreht den Kopf und sah Pareios.
Doch von seiner Haut, seinem Haar, seiner Kleidung konnte sie nichts mehr erkennen. Er glich einer lebendigen Fackel, die Flammen züngelten über seinen ganzen Körper, nur noch die Konturen konnte man in der flimmernden Hitze und dem Spiel des Feuers erfassen. Die Augen leuchteten orange, fast weißlich, wie stählerne Glut und unter seinen Füßen entzündete sich alsbald der Holzfußboden, gepaart mit einer beträchtlichen Rauchentwicklung.
Noch bevor ihre Gegner oder Aurelia ihre Überraschung überwinden konnten stürzte sich die lebendige Feuersbrunst auf die drei Elevender die ihr am nächsten standen. Kaum hatte er sie nur berührt, schrien sie vor Qual. Kurz darauf ging ein gewaltiger Hitzestoß durch den Raum, die Flammen von Pareios‘ Körper übertrugen sich auf seine Opfer und ließen sie brennen. Er verwendete keinen Augenblick länger für sie und falls Aurelia noch Zweifel gehabt haben sollte, dass er irgendwo da drin in diesem Flammeninferno steckte, dann waren sie spätestens jetzt getilgt, als sie mit verhangenem Blick und kraftlosem Kopf verfolgte, wie er sich leichtfüßig drehte und zwei Schritte machte, ganz so wie Pareios es immer getan hatte. Im nu hatte er so drei weitere hegedunische Elevender erreicht, riss sie zu Boden und ließ ihnen die gleiche Behandlung zu kommen, wie den anderen. Aurelia war so gefesselt von dem prachtvollen Schauspiel, dass sie erst nicht bemerkte, dass sich die beiden letzten Männer aus ihrer Starre gelöst hatten.
Eben wandte sich Pareios einem von beiden zu. Wie eine Raubkatze schlich er auf den düsteren Kerl zu und drängte ihn immer weiter zurück, seine Schultern zuckten, der ganze Körper wie eine Bogensehne gespannt, bereit zum Angriff.
Aurelias Aufmerksamkeit richtete sich auf ein kurzes Aufblinken zu ihrer Linken. Ihre Pupillen schossen herum und hefteten sich auf die plötzlich auftretende Lichtreflexion. Sie stammte von einer SIG, die der letzte der Männer im schwarzen Anzug gerade hob und sie auf den entflammten Pareios, ihren Geliebten richtete.
Alles in ihr bäumte sich auf, durch meterdicke Wolle fühlte sie ihre Gliedmaßen und wollte sich vom Boden hochdrücken, aber es wollte ihr einfach nicht gelingen. Angst erfüllte sie und lockerte irgendeine verborgene, verzweifelte Kraftreserve und endlich kam sie schlingernd auf die tauben Füße, die natürlich ohne Gefühl, ohne Kraft und ohne ihr inneres Gleichgewicht gleich wieder nachgeben wollten. Mit schierer Willenskraft zwang sie sich zu ein paar Schritten, während ihre Augen gebannt auf die wuchtigen Finger gerichtet waren, die den Abzug der Waffe nach hinten zogen. Sie betete, sie würde es rechtzeitig schaffen. Ihr war klar, dass sie weder Pareios, noch den Schützen erreichen würde können.
Aber die Kugel, die lag im Bereich des Möglichen.
Mit den Gedanken bei Pareios stieß sie sich mit letzter Kraft ab, wodurch sie nach vorne fiel, so schaute sie endlich in das schwarze Loch der Mündung. Die Waffe erzitterte vom Rückstoß des abgegebenen Schusses, aber der Schütze war geübt und hielt sie pfeilgerade.
Die Kugel war großkalibrig, das konnte sie am Fabrikat erkennen. Doch nichts bereitete sie auf den teuflischen, unbarmherzigen Schmerz vor, der ihr nun wie ein gleißender Blitz mitten in die Brust fuhr. Eine merkwürdige Erleichterung wurde durch die körperliche Qual ausgelöst.
Der Schuss hatte sie getroffen, nicht ihren Geliebten.

Das Brennen hinter ihrem Brustbein breitete sich schnell aus und schon bald fühlte sie nichts mehr als das. Zum Glück gewährte ihr ihr malträtierter Leib den Ausweg in die Bewusstlosigkeit. Es war klar, dass sie ihren Körper jetzt nicht mit dem Brennen teilen konnte, er gehörte ihm allein und es war mehr als fraglich, ob er sie noch ein Mal zurück kommen lassen würde.
Mein Gott, sah so das Ende aus?
Aber sie hatte ihre Vision doch noch gar nicht erfüllt, und sollte alles, was sie bisher durchgestanden hatten umsonst gewesen sein? Was würde aus Pareios werden? Viktor, Row und Aiden, Evrill und seiner Familie, den Elevendern und der Welt? Hatte sie versagt oder hatte es so kommen müssen?
Vor allem Leid tat es ihr für Pareios. Sie hatte nicht die Absicht gehabt, ihn an sich zu binden und ihn dann zu verlassen. Diesen Schicksalsschlag hätte sie ihm gerne erspart, wenn sie es vermocht hätte. Sie betete, dass er es ein weiteres Mal durchstehen würde.
Dann umhüllte eine endgültige Dunkelheit ihren Geist.







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