Stiefbrüder küsst man nicht - Teil 3

Autor: Raindrop
veröffentlicht am: 08.06.2012


Auf wem Weg nach Hause war Jennifer für jede rote Ampel dankbar. Auch wenn die Ampel gerade von grün auf gelb umgesprungen war und sie diese noch hätte passieren können, drückte sie immer auf die Bremse.
Sie brachte Zeit und eine gute Idee, wie sie Josh überzeugen könnte den Mund zu halten. Vielleicht könnte sie ihn damit einwickeln, wenn sie ihn an der Party teilnehmen ließ. Doch Jennifer verwarf diese Idee sofort. Josh war kein richtiger Partylöwe. Jennifer sah ihn bei vielen Schulpartys, doch er stand die ganze Zeit mit seinen Freunden in der Ecke und unterhielt sich und verließ die Partys recht früh.
Als Jennifer in ihre Straße bog, schaltete sie in den zweiten Gang und kroch mit Schrittgeschwindigkeit, bei erlaubten 15 Millen pro Stunde. Doch die Verzögerungstaktik verlängerte ihren Rückweg lediglich um 15 Minuten und schon sah sie dein Einfahrt zu ihrer Garage und auch das gelbe Mauerwerk ihres Elternhauses.
Trotz der gewonnen Zeit hatte sie immer noch keine Lösung ihres Problems.
Vielleicht sollte sie die Party absagen. Doch dann bräuchte sie sich in der Schule gar nicht mehr blicken lassen. Sie würde zum Gespött der Schule, dafür würde ihre -auch so tolle- Freundin Cortney schon sorgen. Als Jennifer an sie dachte, knirschte sie mit den Zähnen.
“Blöde Kuh.” - schimpfte sie, als Cortneys Gesicht mit dem hämischen Lächeln vor ihrem geistigen Auge auftauchte.
Jennifer konnte einfach nicht absagen. Das ging nicht. Sie gehörte zu den beliebtesten Schüler und war auch noch in der Cheerleadermannschaft. Eine von denen, die alles durften und keine Grenzen kannten. Für eine Absage würde keiner ihrer Freunde Verständnis haben.
Schon seit der sechsten Klasse herrschte zwischen Jennifer und Cortney ein Rivalitätskampf. Wer hat die angesagtesten Kleider. Wer die beste Figur. Wer den beliebtesten Freund und so weiter. Im Moment lag Jennifer vorne, aber nur weil sie mit Gabe zusammen war. Er war den begehrteste Junge der Schule.
Diesen Vorsprung wollte sie auch beibehalten. Sie wollte sich überhaupt nicht ausmalen, wo sie landen würde, wenn sie die Party jetzt absagen würde. Wahrscheinlich an dem Nerdstisch neben den Müllcontainern. Bei diesem Gedanken lief es Jennifer kalt den Rücken runter.
“Dumme Ziege.” - schimpfte sie vor sich hin.
Jetzt wanderten ihre Gedanken zu Sarah. Sie wird sich noch von Cortney und den anderen viel anhören müssen. Das wird richtig eklig, dass wusste Jennifer. Cortney war die Beste, wenn es um In-den-Dreck-ziehen ging. Sie beschloss Sarah noch heute anzurufen und sie moralisch darauf vorzubereiten.

Ein dumpfer Schlag brachte Jennifer wieder in die Gegenwart zurück. Sie erschrak und drückte auf die Bremse. Sie hatte überhaupt nicht mitbekommen, wie sie in die Einfahrt eingebogen war. Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie plötzlich Josh auf ihrer Motorhaube sah. Er saß in der Hocke da und starte sie erschrocken und gleichzeitig wütend an.
“Oh mein Gott.” - entfloh es Jennifer. Sie schaltete den Motor aus und nahm die Hände vom Lenker. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Bis sie sich im Klaren war, was gerade beinahe passiert wäre, sprang Josh von der Motorhaube runter und riss die Fahrertür auf.
“Bist du bescheuert?” - fuhr er sie an und packte sie grob am Oberarm. “Du hättest mich beinahe überfahren.” - sprach er das aus, was Jennifer befürchtet hatte.
“Ich … ich…” - stammelte sie. Der Schock saß ihr noch tief in den Knochen.
“Du sollst dich auf die Straße konzentrieren!” - belehrte er sie wütend und zog sie aus dem Auto. “Wenn ich nicht so schnell reagiert hätte, wäre ich jetzt Matsch unter deinen Reifen.” - machte er ihr klar. Seine Augen funkelten fassungslos und wütend.
“Tut mir leid.” - sagte Jennifer nur und zitterte am ganzen Körper. “Es tut mir leid.” - entschuldigte sie sich erneut und heiße Tränen liefen ihr über das Gesicht. “Ich wollte nicht.” - meinte sie und schlag ihre Arme um sich. “Josh …” - sagte sie nur, doch ein Kloß im Hals ließ sie verstummen. Sie schluchzte laut und jetzt liefen Tränen in Strömen über ihre Wangen.
Jennifer war zwar ein unvorsichtiger Fahrer, doch sie hatte noch nie einen Unfall verursacht und noch nie jemanden verletzt.
Sie sah Josh an. Er hielt zwar immer noch ihren Arm fest, aber der Griff ließ nach. In seinen blauen Augen sah sie jetzt keine Wut mehr, sondern so etwas wie Verwirrung und Ratlosigkeit. Sichtlich war er auf so eine tränenreiche Reaktion von ihr nicht vorbereitet.
“Jetzt hör auf zu weinen.” - sagte er schon sanfter und legte seine Arme vorsichtig um sie. “Ist ja nichts passiert.” - beruhigte er sie und streichelte ihr sanft über den Rücken. Jennifer lehnte mit ihrer Stirn gegen seine Brust und weinte weiter. Ihr ganzer Körper bebte.
“Du musst besser aufpassen.” - rügte er sie mit sanfter Stimme. “Sonst könntest du jemanden verletzten.” - fügte er hinzu. “Du könntest selbst verletzt werden.” - flüsterte er ihr zu. Bei seinen letzten Worten durchzog ein warmer Schauer Jennifers Körper. Seine mit feinen blonden Haaren bedeckte Arme fühlten sich so sicher und so stark an. Sie schloss ihre Augen und beruhigte sich langsam.
“Es tut mir wirklich leid.” - meinte Jennifer mit belegte Stimme und hob ihren Kopf um Josh anzuschauen. “Ich wollte dich nicht überfahren.” - fügte sie hinzu. Er lächelte einseitig.
“Und ich dachte schon, du wolltest dich für das letzte Körnerbrötchen rächen.” - meinte er dann und Jennifer musste unfreiwillig lächeln.
“Es war keine Absicht.” - stellte sie klar.
“Na dann, muss ich wohl doch nicht mit offenen Augen schlafen.” - sagte er dazu und Jennifer lachte auf.
“Nein, musst du nicht.” - meinte sie und wusch sich die Tränen weg.
Einigen Moment lang standen sie so nah beieinander und sahen sich an. Ein Unbehagen beschlich Jennifer Josh nah zu sein, besonders nachdem sie sich heute Morgen so in die Haare bekommen hatten, und Josh erging es wohl genauso, er nahm seine Arme von ihr und steckte die Hände in die Hosentaschen.
“Das nächste Mal aufpassen.” - ermahnte er sie noch, hob seine Sporttasche von Boden auf und ging zum Haus.
“Ja.” - meinte Jennifer nur dazu und sah ihm nach. Ihr Herz hämmerte noch ganz wild gegen ihren Brustkorb. War es noch die Aufregung oder doch eine Reaktion auf Joshs Verhalten? Das wusste Jennifer nicht, aber sie musste jetzt, dass Josh auch anders sein konnte. Wieder spürte sie seine Arme um ihren Körper, die warme Berührung seiner Hand auf dem Rücken. Ein Kribbeln ging durch ihren Körper und ihre Wangen fingen Feuer. “Beruhig` dich.” - befahl sie sich selbst und atmete tief durch.
Jennifer wollte zurück zu ihren Wagen, um ihre Tasche und den Schlüssel zu holen. Doch eher sie daran dachte, fing sie an zu zittern und sah ihr Auto an. Heute brauchte sie von ihrem “Schatz” einen Abstand. Ohne ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, ließ sie den Wagen einfach unverschlossen in der Einfahrt stehen und ging auf wackeligen Beinen zum Haus.

Als sie durch die Türschwelle ihres Zimmers trat, fühle sie sich schon besser. Ihr Zimmer war schon immer ihre sichere Zufluchtsstätte gewesen. Damals vor 10 Jahre als ihre Mutter starb, versteckte sich die 7-jährige Jennifer unter ihrem Bett, kniff die Augen zusammen und wünschte sich drei Mal, dass ihre Mutter wieder lebendig war. Drei Jahre später musste ihre Katze Minki eingeschläfert werden, weil sie dem Nachbarn vors Auto gelaufen war, da fand Jennifer Zuflucht unter den zahlreichen Kleidern in ihrem Schrank.
Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich an diese. Erneut drohten Tränen aus ihr auszubrechen, doch sie hielt kurz den Atem an und kniff die Augen so fest zusammen, dass sie Sterne sah. Als sie ihre Tränen wieder unter Kontrolle brachte, öffnete sie ihre Augen wieder und sah sich um.
Ihr Zimmer hatte sich in den letzten 10 Jahren kaum verändert. Jennifer wollte es auch nicht. Die rosa Wände waren schon ausgeblichen und würden sich sicherlich über eine neue Farbe freuen. Aus den weißen Möbeln war sie auch schon rausgewachsen und das Puppenhaus war nur ein Staubfänger. Doch in diesem Zimmer lebte noch der Geist ihrer Mutter. In jedem weißen Schmetterling auf der Wand, in jeder Blume auf dem Teppich spürte Jennifer ihre Gegenwart. Kurz bevor ihre Mutter starb, renovierten sie zusammen Jennifers Zimmer. Ihr Vater wollte zwar Fachkräfte dafür beauftragen, doch Laura, Jennifers Mutter, wollte es selbst machen, als so eine Art Mutter-Tochter-Projekt. Noch genau konnte sich Jennifer daran erinnern, wie sie beide in Latzhosen und mit selbstgebastelten Papierhüten auf dem Kopf die Pinsel schwangen, Laura machte den oberen Teil der Wände und Jennifer den unteren. Dementsprechend sah dann auch das Ergebnis aus, ungleichmäßig und fleckig. Ihr Vater fand es schrecklich, doch Jennifer und Laura fanden es super und waren stolz auf ihr Meisterwerk.
Jennifer ließ traurig die Augen sinken und sah sich ihre Schuhspitzen an. In diesem Zimmer schien die Zeit stehengeblieben zu sein. Nur das Bett musste vor einigen Jahren ausgetauscht werden, weil sie in das andere nicht mehr gepasst hatte und dabei hatte Jennifer so geweint, als ob ein Familienmitglied fortgehen würde. Sie bat ihren Vater dann das Bett im Keller zu deponieren, was dieser dann bewilligte.
Jennifer verscheuchte die traurigen Gedanken und ging in ihr Badezimmer. Sie ließ sich die Badewanne ein. Nach dem Schock musste sie sich erstmal entspannen und sich über einiges im Klaren werden. Es gab vieles zu überdenken.
Der so schlecht begonnen Tag, wurde einfach zu aufregend. Jennifers Meinung nach zu viel des Guten.
Für zwei lange Stunden entspannte sie in der Badewanne. Immer wieder ließ sie etwas kaltes Wasser ablaufen und füllte heißes nach. Ihre Finderkuppeln waren schon ganz schrumpelig, als sie das ganze Wasser abließ und aus der Wanne stieg. Sie wickelte sich in ein Duschtuch und setzte sich an ihren Schminktisch. Sie löste den Knoten in ihrem Haar und ließ es sich in feinen Wellen um die Schultern fallen. Ihre Haare waren ihr ganzer Stolz. Sie hatten die Farbe des Nussbaumes und waren sehr lebendig und weich, da Jennifer sie hat nie färben lassen. Sie ließ sie sich auch nur ungern schneiden und so fielen sie ihr üben den Rücken bis zur Hüfte.
Jennifer nahm ihre Haarbürste und fuhr damit in Gedanken versunken durch ihr Haar.
Bei so vielen Gedanken und Problemen, hatte sie bereits Kopfschmerzen, was sie der Lösung nicht näher brachte.
Sie hatte ganz vergessen, dass sie ja noch mit Josh reden musste. Aber nachdem sie ihm fast den Gar ausgemacht hatte, wusste sie nicht, ob es so clever wäre, ihn noch um einen Gefallen zu bitten. Also beschloss Jennifer diese Angelegenheit auf Morgen zu verschieben. Bei diesem Gedanke atmete sie erleichtert aus. Noch mehr Zeit geschindet.
Jetzt hatte sie natürlich noch ein weiteres Problem. Josh wird den Eltern bestimmt von dem Vorkommnis erzählen. Da fand Jennifer aber keine Ausrede mehr. Sie hatte ihn beinahe überfahren. Was gab es da noch auszureden? Ihr Vater wird sicherlich ganz wütend sein. Vielleicht wird er ihr sogar das Taschengeld streichen oder -noch viel schlimmer- ihr ihren geliebten Audi A8 wegnehmen. Als Jennifer daran dachte, wurde ihr ganz schwer ums Herz. Ihr Auto war wie ein Haustier für sie, das man nicht füttern musste und auch Gassi musste man mit ihm nicht gehen, das perfekte Hautier also.
Aber vielleicht wird Josh nichts sagen. Immerhin war er vorhin ganz nett zu ihr gewesen.
Und erneut dachte Jennifer an Joshs Umarmung und lief rot an.
“Lass das.” - ermahnte sie sich selbst und warf ihr Haar nach hinten um es in einen Zopf zu flechten.
Auf die Tatsache, dass Josh das Vorkommnis unerzählt lässt, konnte sie sich nicht verlassen und übte vor dem Spiegel ihren bedauernden und flehenden Blick.
Als sie einen Blick auf die Uhr warf, wurden ihre Handflächen ganz feucht. Es war 19 Uhr, also Abendessen. Eigentlich hatte Jennifer heute keine Lust mehr Josh unter die Augen zu treten, aber manche Regeln in diesem Haus musste auch sie befolgen und außerdem knurrte ihr der Magen. Sie zog sich ganz legere an und lief runter in die Küche, wo sie am Tisch ihren Platz einnahm.
“Hey Jennifer.” - begrüße Elinore sie. Sie hatte eine Schürze um und hantierte hinter der Küchenzeile mit Töpfen und Pfannen. “Heute gib es Steaks mit Kartoffelpüree und Brechbohnen.” - informierte sie.
“Gut.” - sagte Jennifer nur dazu. Eigentlich könnte Elinore das Kochen auch Stina überlassen, doch sie bestand darauf selbst zu kochen.
Jennifer konnte sich nicht erinnern, dass ihre Mutter mal gekocht hatte. Aber es lag wahrscheinlich auch daran, dass ihre Mutter eine Ärztin war und dafür nicht richtig Zeit hatte. Auch so hatte Laura wenig Zeit für Jennifer gehabt, aus dem Grund hing Jennifer auch so an der Erhaltung ihres Zimmers. Sonst hatte sie keine glücklichen Erinnerungen an ihre Mutter.
“Ich hoffe, du magst Steaks.” - holte Elinores Stimme sie aus ihren Gedanken.
“Ja.” - sagte sie nur. Obwohl sie Elinore mochte, viel zu besprechen hatten sie nicht und es waren auch keine Gemeinsamkeiten zwischen ihnen vorhanden.
“Das riecht ja köstlich.”- hörte Jennifer im Rücken Joshs Stimme und schrak auf. Sie schluckte schwer und hörte ihren Herzschlag in den Ohren. “Hi Jen.” - begrüßte er sie und setzte sich ihr gegenüber.
“Ich heiße Jennifer.” - meinte sie. Egal wie nett er vorhin war, sie hasste diesen Kosenamen trotzdem.
“Wie auch immer.” - sagte Josh nur. Da war er wieder, der widerliche blöde Möchtegern-Macho, dachte Jennifer etwas traurig. Also nett, gefiel er ihr doch besser.
Bevor Jennifer kontern konnte, erschien ihr Vater in dem Türrahmen. Er hatte seinen Aktenkoffer noch immer in der Hand und lockerte die Krawatte. Müde sah er aus, fand Jennifer.
“Hallo zusammen.” - begrüßte er sie jedoch munter und lächelte in die Runde. “Steaks.” - meinte er genüsslich. “Mein Leibgericht.” - fügte er hinzu, ließ seinen Koffer auf der Anrichte liegen und setzte sich an seinen Platz. Elinore kam mit zwei beladenen Teller und stellte ein vor meinem Vater, dann gab sie ihm einen Kuss auf die Wange. Den anderen Teller stellte sie vor mir, dann brachte sie noch einen Teller für Josh und zum Schluss für sich. Erst als sie sich gesetzt hatte und allen guten Appetit wünschte, fingen sie mit dem Abendessen an.
“Wie war dein Tag, Schatz?” - wollte Elinore von ihrem zukünftigen Ehemann wissen.
“Gut, aber recht stressig.” - antwortete er und schob sich ein großes Stück Steak in den Mund. “Zwei Nasenoperationen und ein Brustimplantat.” - verfeinerte er seine Aussage.
“Aha.” - meinte Elinore nur dazu.
“Jennifer.” - wand sich ihr Vater ihr zu und sie fiel beinahe vom Stuhl. “Ich habe eine Beule auf deiner Motorhaube gesehen.” - er klang etwas besorgt. “Muss ich etwas wissen?” - fragte er und sah Jennifer durchbohrend an.
“Ja.” - sagte Jennifer nur dazu und warf Josh einen besorgten Blick zu.

Fortsetzung folgt ...





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