Ist das Leben wie eine Seifenoper? - Teil 3

Autor: Luna
veröffentlicht am: 22.05.2012


Ich weiß ehrlich nicht, was ich von Neuanfängen halten soll. Manchmal sind sie gut – manchmal sind sie schlecht. Und manchmal… nun ja, manchmal verändert sich einfach gar nichts.
Als ich nach San Francisco zog, war ich nicht auf der Suche nach einem Neuanfang. Ich war auf der Suche nach meinem Bruder. Liam ist überstürzt von zu Hause ausgezogen, nachdem unser Dad gestorben war. Niemand konnte ihn zurückhalten.
Er war gerade fertig mit der Highschool und faselte irgendetwas davon, nach San Francisco zu ziehen und dort Jura zu studieren. Jura an der San Francisco Law School. Und bevor Mum und ich verstehen konnten, dass er es ernst meinte, standen seine gepackten Sachen im Flur und er verabschiedete sich.
Das war vor zwei Jahren – als Liam mein einziger Halt im Leben war. Und dann zog er einfach weg. Es war nicht genug, dass ich Dad verlieren musste, ich verlor auch noch meinen einzigen Bruder. Ich war gerade mal sechzehn und am Boden zerstört.
Jetzt nach meinem eigenen High School Abschluss war schnell klar, dass ich mich an der Academy of Art in San Francisco bewerben würde, um wieder bei Liam sein zu können.
Also, könnte man sagen, dass ich nicht auf einen Neuanfang hoffte, sondern auf eine Rückkehr zu den alten Strukturen.
Lilah

Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel, nickte zu frieden und packte noch schnell die Bürste in ihre Handtasche, bevor sie das Bad verließ und endlich die Vorhänge aufzog. Ihre neue Mitbewohnerin, Carrie Irgendwas, schlief immer noch.
Lilah hatte eine ganze Weile überlegt, ob sie sie wecken sollte, hat sich aber schließlich dagegen entschieden. Sie kannte dieses Mädchen kaum und vielleicht hatte sie ja die ersten Stunden frei.
Sie schnappte sich ihre Schlüssel vom Schreibtisch und ließ sie absichtlich fallen. Wenn das Mädchen verschlafen würde, nur weil Lilah zu schüchtern war, um sie zu wecken, dann hätte sie ein schlechtes Gewissen.
„Hey… ich glaube, du musst aufstehen. Die erste Vorlesung…“
Carrie schreckte hoch und stieß sich den Kopf an der Dachschräge. „Oh, scheiße!“ fluchte sie lautstark und blickte verschlafen zu Lilah. „Was ist?!“ rief sie gereizt aus.
Lilah lächelte nachsichtig und erklärte leise: „Die erste Vorlesung beginnt in einer halben Stunde. Ich wollte frühstücken gehen. Wenn du in zehn Minuten fertig bist, dann…“ Wieder konnte sie nicht ausreden, denn Carrie sprang hektisch auf, band sich ihre wilden roten Locken zu einem dicken Pferdeschwanz und kroch in ihre Jeans, welche unordentlich auf dem Boden lag. „Geb’ mir fünf Minuten, dann komm’ ich mit“ Sie stürmte ins Bad und schlug die Tür mit einem lauten Knall hinter sich zu.
Lilah hatte Carrie schon gestern Abend kennen gelernt. Sie kam ursprünglich aus Newport und hatte noch eine Zwillingsschwester, namens Honey, welche auch in San Francisco studierte. Ihre Eltern waren beide Immobilienmakler und schienen viel zu verdienen. Doch Carrie machte sich nichts aus Geld.
Soweit Lilah das schon einschätzen konnte, war Carrie nicht an materiellen Dingen interessiert. Sie liebte die Kunst, den Tanz und alles was mit Musik zu tun hatte.
Die Badezimmertür wurde wieder aufgerissen und Carrie stand vor ihr in Jeans, Top und einem Teil, das ein wenig so aussah wie ein Poncho.
„Aus Chile“ erklärte Carrie, als sie Lilahs Blick sah.
„Du warst in Chile?“ fragte Lilah überrascht, während sie ihr Zimmer im Internatsgebäude des Campus verließ.
Carrie zuckte mit den Schultern und schloss das Zimmer ab. „Nur für zwei Wochen. Rucksacktour mit meiner Schwester. Aber ihr hat es nicht so gut gefallen. Honey ist… anders“ Sie kicherte und Lilah fragte sich, ob die beiden wohl eineiige Zwillinge waren. Doch sie fand es unhöflich, das jetzt gleich zu fragen, also erzählte sie nur: „Ich habe bis jetzt nur Urlaub in Florida gemacht. Einmal war ich dort im Disney Land. Mit meinem Bruder vor vier Jahren“
„Du hast einen Bruder?“ hakte Carrie neugierig nach.
„Ja, Liam. Er studiert hier an der Law School“
„Jura!“ Carrie machte ein angewidertes Gesicht und ließ sich auf die rote Couch in dem Diner fallen, das direkt gegenüber dem College war.
„Mir wäre es auch zu trocken“ stimmte Lilah weniger impulsiv zu und studierte die Speisekarte. „Ich glaube, ich nehme…“ begann Lilah zu erzählen, als Carrie sie wieder unterbrach und Lilah die Augen verdrehen musste. Sie hatte nichts gegen Carrie – eigentlich fand sie sie ganz amüsant, aber auf Dauer würde sie ihr sicher auf die Nerven gehen, dachte Lilah bei sich.
„Geraint? Geraint Cooper?!“ Carrie drehte sich über die Schulter zur Eingangstür herum und winkte einem hochgewachsenen, schlaksigen Jungen zu, dessen Haare nach aufwendigem Styling aussahen.
Der Junge – Geraint – schaute überrascht auf, zögerte eine Weile und schien Carrie dann zu erkennen. „Oh mein Gott! Carrie Brown – die Hexe von der Aufnahmeprüfung!“
Und als er anfing zu reden, bestand für Lilah kein Zweifel, dass er schwul war. Er schob sich durch das Diner, bis zu dem Tisch, an dem die beiden Mädchen saßen. „Ich darf doch?“ fragte er an Lilah gewandt und bevor sie antworten konnte, setzte er sich auf die Bank neben sie.
„Dann wurdest du also auch aufgenommen, Schätzchen?“
„Allerdings! Eine wie mich kann man doch nicht ablehnen“ erwiderte Carrie gespielt eingebildet und machte ein tussenhafte Handbewegung und Lilah konnte nicht genau sagen, ob sie sich damit nur über Geraint lustig machen wollte.
„Wer ist eigentlich das süße Ding da?“ fragte er plötzlich und tätschelte Lilahs Schulter.
Das süße Ding da?! Lilah drehte den Kopf und warf Geraint einen fragenden Blick zu. Hatte er wirklich gerade eben zu ihr „süßes Ding“ gesagt?
„Das ist Lilah! Sie studiert auch an der Academy. Sie hat einen älteren Bruder. Ich glaube, er heißt Logan, oder so“ Nachdenklich kratzte Carrie sich am Kopf und Lilah lächelte nachsichtig und strich sich das glatte, blonde Haar hinter die Ohren: „Liam. Und ja, ich bin Lilah“ Sie streckte Geraint die Hand hin, welche er nur zaghaft nahm. Eher sah er so aus, als würde er sie umarmen wollen und Lilah wusste nicht, ob sie darauf freudig überrascht oder einfach nur verstört reagieren sollte.
„Und du wurdest also auch auf der AAC angenommen. Was studierst du denn?“
„Kunst und Kunstgeschichte“
Carrie machte ein würgendes Geräusch. „Damit kann ich nichts anfangen. Ich dachte du tanzt. Du siehst aus wie eine Tänzerin!“
Lilah kicherte und schüttelte mit dem Kopf: „Nein, leider nicht“
„Na ja… vielleicht können Geraint und ich dir ja ein paar Schritte beibringen“ bemerkte sie und schlürfte an ihrem Milchshake, welchen die Bedienung vor wenigen Minuten gebracht hatte.
„Wir haben ja genügend Zeit. Die Semester sind lang. Wir nehmen dich einfach unter unsere Fittiche“ bemerkte Geraint und legte freundschaftlich seinen Arm um meine Schulter.
Lilah war eigentlich froh, dass Geraint und Carrie sie so herzlich und vertraut umarmten, doch sie wusste noch nicht, wie lange sie beiden wohl aushalten könnte.

„Können Sie mir sagen, was es für ein Vergehen wie fahrlässige Tötung geben kann“
Die Stimme des Professors klang wie durch Watte zu seinen Ohren und zunächst bemerkte er gar nicht, dass Mr. Right mit ihm sprach.
Erst als Anna ihn nicht gerade sanft in die Seite stieß, schreckte er aus seinen Gedanken hoch und schaute nach vorne an die Tafel.
Beinahe alle Blicke waren auf ihn gerichtet und er räusperte sich kurz, bevor er vorsichtig antwortete: „Bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe“
„Paragraph?“ hakte Mr. Right nach und schob seine Brille höher auf die Nase.
„Nach Paragraph…“ Liam zögerte. Er wusste die Antwort nicht. Er hatte nicht aufgepasst: er musste raten. „Nach Paragraph 111“
„Falsch. Richtig wäre 222 gewesen“
Verdammt, fluchte er im Stillen.
„Vielleicht sollten sie in Zukunft mehr aufpassen und weniger träumen“ Mit diesen Worten wandte sich Mr. Right wieder an die Tafel und Liam seufzte lautlos und nahm seine Ray Ban Brille ab, um sich die Schläfen zu massieren.
Er musste die ganze Nacht an Lilah denken – an seine kleine Schwester Lilah, welche jetzt ebenfalls in San Francisco war. In einem Wohnheim, wo niemand auf sie aufpasste. Er würde kaum mehr eine ruhige Minute haben. Er machte sich Sorgen um sie.
Und wenn er nicht gerade an Lilah dachte, so kreisten seine Gedanken um Nora. Nun war es schon fast sechs Wochen her, seit er sie das letzte Mal gesehen hat; auf dieser Studentenparty im Wohnheim der SFSU. Er wusste noch ganz genau, wie atemberaubend schön er sie fand – gleich als er sie das erste Mal gesehen hatte. Zu diesem Zeitpunkt war sie allerdings noch mit einem Kerl namens Adrian zusammen. Irgendein Medizinstudent. Er wusste nicht, wer dieser Kerl war und er wollte es nicht wissen. Er wusste nur, dass er rasend eifersüchtig auf ihn gewesen war, weil er mit Nora zusammen war.
Und dann kam der Abend, an dem sie doch mit ihm, Liam, geschlafen hatte. Sie hatte sich von Adrian getrennt und sich doch nie wieder bei ihm gemeldet. Und auch er hatte sie nicht angerufen. Er hasste sich dafür, dass er nicht den Mumm hatte, sie anzurufen.
Wieder starrte er nur aus dem Fenster, während er an sie dachte und bekam nichts mehr von dem Unterricht mit, der eigentlich wichtig wäre für die nächsten Prüfungen.






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