Charline Müller - Teil 2

Autor: Wibke
veröffentlicht am: 03.05.2012


Diesmal brauchte ich nur fünf Minuten um den Raum zu finden, aber ich kam trotzdem zu spät und die Klasse war schon mit dem Lehrer in dem Raum und die Tür geschlossen. Ich atmete noch einmal tief durch, es kostete doch jedes Mal wieder Überwindung in eine neue Klasse zu kommen. Doch dann fasste ich mich, hob die Hand und klopfte. Hinter der Tür hörte ich das vielstimmige "Herrein!" der Klasse. Ich hielt die Luft an, öffnete die Tür und 25 neugierige Gesichter schauten mich an. Obwohl ich es ja schon oft genug erlebt hatte, war es doch jedes Mal anders, jede Klasse war anders.
"Sie müssen Charline Müller sein...", sprach mich der Lehrer an. Ich verfluchte mich innerlich, dass ich vorher nicht geschaut hatte, was wir nun für ein Fach hatten und auch nicht, wie der Lehrer heißt. Ich versuchte es mir für das nächste Mal zu merken - für die nächste Schule. "Ja, genau die bin ich", zwang ich mich möglichst sicher zu sagen, obwohl ich genau wusste, dass es mir mal wieder misslang. Mir war klar, dass ich mal wieder verunsichert, ängstlich und feige aussah. Das erste mal ist es mir sogar passiert, dass ich so verunsichert war, dass ich kein Wort herausbrachte. Aber ganz so ängstlich war ich schon lange nicht mehr. Mit der Zeit hatte ich gelernt, dass ich nicht viel zu verlieren hatte und dass ich bald schon wieder eine neue Chance bekommen würde, es besser zu machen. Und so wurde ich mal besser, mal schlechter von den verschiedenen Klassen aufgenommen. Aber was ich auch gelernt hatte, war, dass der erste Eindruck sehr wichtig war und man ihn nicht versauen sollte. In einer Klasse war ein Mädchen, das es nicht angemessen fand, wie sicher ich in die Klasse gekommen bin und mit einem Jungen Blickkontackt aufgenommen habe. Daraufhin hat sie mich das restliche Schuljahr hinweg gehänselt. Es war das erste Mal, dass ich echt froh war, dass wir schon wieder umgezogen sind. Ich glaube bis heute, dass dieses Mädchen in den Jungen verliebt war, aber er hatte nicht sonderlich viel für sie übrig und ignorierte all ihre Versuche auf sich aufmersam zu machen.
Ich versuchte mich von den alten Gedanken loszureißen und ließ meinen Blick über die Klasse schweifen: Das konnte ja wohl nicht wahr sein, oder? Doch da saß tatsächlich der Typ aus dem Bus und grinste mich an. "Möchten Sie sich nicht vorstellen?", wie ich diese rethorischen Fragen doch hasste, ich wusste nie was ich darauf antworten sollte. Vor einiger Zeit war dazu übergegangen, einfach so zu tun, als ob sie nicht als Frage, sondern also Aufforderung formuliert worden wäre. "Also ich bin Charline Müller, bin 16 Jahre alt und in Frankfurt geboren, aber ich habe da nur mein erstes Lebensjahr verbraucht, dann bin ich mit meiner Mutter in ein kleines Dorf, dort ganz in der Nähe gezogen. Seitdem bin ich noch vier Mal umgezogen und bin jetzt hier gelandet. Ich hoffe wir werden so einigermaßen miteinander klarkommen." "Das werde ich jawohl hoffen, aber ich glaube mit dieser Klasse nicht klarzukommen, ist so gut wie unmöglich." Mich regte dieses Grinsen von dem Lehrer, von dem ich immer noch nicht wusste, wer er war, jetzt schon sehr auf. Das konnte ja was werden und dabei hatte ich mir bis gestern Abend noch so sehr gewünscht, dass es mein letzter Umzug sein würde.
Der Lehrer wieß mir den letzten Platz neben dem Typen aus dem Bus zu und fing an irgendwas über Aufklärung zu philosophiern. In dieser Doppelstunde erfuhr ich, dass der Lehrer unser Deutsch- und Ethiklehrer war und Herr Ludwig heißt und das der Typ aus dem Bus Leo war. Auch hörte ich einige anderen Namen aus der Klasse, doch die konnte ich mir nicht wirklich merken. Da war noch ein Max, ein Niko, ein Lukas, eine Marie und eine Lisa. Aber wer genau zu den Namen gehörte konnte ich mir beim besten Willen nicht behalten. Aber ich war da optimistisch, bisher hatte ich nie sonderliche Probleme damit gehabt, mir Namen zu merken.
Ich verließ die Klasse und suchte gleich nach dem nächsten Raum, obwohl ich wusste, dass wir erst noch 20 Minuten Pause hatten. Aber ich wollte nicht schon wieder zu spät kommen. Ich war noch nicht weit gekommen, als ich jemanden meinen Namen rufen hörte. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Leo auf mich zu lief: "Wo willst du hin?", fragte er. "Ich suche nach dem nächsten Raum!". Jedoch meinte er, dass man in der Schule die Pausen leider gar nicht in den Korridoren verbringen darf, sondern auf den Pausenhof, in die Mensa oder in den Oberstufenraum gehen muss. Da ich wohl etwas betröppelt dreinblickte, schlug er vor, dass er mich erstmal durch die Schule führt. Er erklärte mir das Systhem, das hinter den Raumnummern steckte und nun war es plötzlich ganz einfach die Räume zu finden. Auch zeigte er mir den Pausenraum, die Mensa, die Sporthalle und noch vieles mehr. Ich hatte schon geführchtet die Pausen wieder alleine auf der Toilette eingesperrt verbringen zu müssen, aber da hatte ich meine Rechnung nicht mit Leo gemacht. Er wich mir die ganze Pause nicht von der Seite. Der Tiefpunkt der Pause war, als Leo die Frage stellte, die man jedes Mal wieder gestellt bekommt, die ich aber eigentlich gar nicht beantworten will: "Warum seit ihr eigentlich umgezogen, Charline?".






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