The Life Shot - Teil 3

Autor: Yaksi
veröffentlicht am: 27.04.2012


|Zwei|
- Unsicherheit

›August‹

„Seit zwei Wochen lebe ich nun in St. Michaelis“, beginne ich und fummele an dem Bildschirm meiner Kamera rum. Der Akku ist schwach, weshalb ich mich beeilen muss. „Morgen beginnt für mich dich Schule und ich muss sagen: Ich bin echt nervös“
Ich kann mir kaum vorstellen an einer amerikanischen Schule unterrichtet zu werden. Das kommt mir surreal vor. Ich glaube, dass ich generell noch nicht wirklich realisiert habe, in Maryland zu leben. Fernab von Schottland.
„Es mag komisch klingen, aber ich habe wirklich lange gebraucht, um mir mein Outfit für morgen zusammenzustellen. An meiner neuen High School gibt es keine Schuluniform, nur ein Dress Code, so dass es das erste Mal für mich ist, selbst zu entscheiden, was ich zur Schule anziehe. Und diese Entscheidung habe ich mir wirklich leichter vorgestellt“
Ich möchte einen guten Eindruck bei den Schülern hinterlassen und nehme mir fest vor, offen und selbstbewusst auf die Leute zuzugehen. Obwohl ich weiß, dass ich meinen Vorwand sowieso nicht in die Tat umsetzen werde, klammere ich mich an diesen kleinen Scheingrund fest. Die Hoffnung stirbt zuletzt, richtig?
„Jedenfalls war der heutige Tag ereignislos und anstrengend zugleich. Mit seiner Oma ständig den Weg zur Schule abzuklappern, damit ich mir ihn auch ja einpräge, ist wirklich nicht spaßig. Ich glaube, ich kann ihn jetzt auch im Schlaf gehen“
Ich seufze und mache mit einem einfachen Knopfdruck die Kamera aus. Dass ich fast jeden Tag Selbstgespräche mit meiner Videokamera führe, ist für mich schon alltäglich geworden. Es ist auf eine gewisse Art und Weise befreiend, mit »jemanden« reden zu können. Obwohl ich beinahe jeden zweiten Tag mit Carmen telefoniere, habe ich das Gefühl, isoliert zu sein.
Bekanntschaften habe ich noch nicht gemacht, von irgendwelchen Freunden ganz zu schweigen. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich das - sobald ich auf die High School gehe - ändern wird.

~~
Der Mond schillert silbern am schwarzen Himmelszelt, als ich langsam mit dem Auto die verlassene Hauptstraße entlang fahre. Das Radio funktioniert nicht mehr, nur das Brummen des Motors zerreißt die Stille der Nacht.
Mit klopfendem Herzen biege ich in eine Seitenstraße ein, der Weg besteht nur aus Löchern und Erde. Um mich herum ragen Bäume auf und strecken ihre knorrigen Äste nach dem Auto aus, ich weiß nicht mehr, warum ich überhaupt mit dem Wagen in der Nacht losgefahren bin.
Plötzlich sehe ich Scheinwerfer hinter mir. Ein anderes Fahrzeug fährt mir hinterher und nimmt rasant an Tempo auf. Ich schlucke heftig und trete fester auf die Gaspedale. Ein ungutes Gefühl beschleicht mich.
Mein ganzer Körper schaukelt unkontrolliert hin und her, als ich über ein Schlagloch nach dem anderen fahre. Angst steigt in mir auf, das Auto hinter mir fängt an zu hupen. Ich nehme auf einmal laute Musik wahr und höre spöttisches Gejohle.
Nervös presse ich die Lippen zusammen. Als die löchrige Straße vor mir sich in einen Schotterweg umwandelt und ich einen kleinen Bach zu meiner Rechten sehen kann, halte ich den Wagen am Rand an und steige aus. Ich weiß nicht woher dieses Wissen auf einmal kommt, aber ich habe das Gefühl, mir im Klaren zu sein, wo ich nun hin muss.
Hastig schließe ich mein Auto ab, der moderne Wagen mit drei schadenfrohen Insassen hält direkt hinter mir an. Die Türen öffnen sich - ich renne los.
„Wo willst du denn hin?“, höre ich eine gehässige Stimme.
Schritte nähern sich prompt, Verzweiflung wallt in mir auf. Keuchend stolpere ich über umgefallene Baumstämme, der unsichtbare Weg, den ich einschlage, kommt mir seltsam bekannt vor.
Eine Hand packt mich am Arm, ich schreie hysterisch auf und schlage mit meiner Faust in das Gesicht meines Gegenübers. Unbeschreibliche Kraft durchflutet mich, ich bin überrascht, dass ich so viel Stärke besitze. Der Typ scheint auch nicht weniger perplex zu sein.
„Haut ab!“, zische ich.
Meine Stimme kommt mir seltsam fremd vor, als sei ich gar nicht in meinem eigenen Körper.
„Oder was?“, fragt ein anderer Junge und lächelt höhnisch. „Was willst du machen? Wir sind zu dritt, du bist allein“
Ich knirsche mit den Zähnen. Seltsamerweise ist meine Angst auf einmal verflogen, stattdessen hat sich Zorn in mir breit gemacht. Mit geschlossenen Augen konzentriere ich mich auf meine Umgebung. Ich spüre den Boden unter meinen Füßen, höre das Rascheln der Blätter, als ein leichter Windzug auftaucht.
Ich fühle mich plötzlich sicher. Als ich mit einem Ruck meine Augen wieder öffne, bebt die Erde unter uns.
Die verblüfften Gesichter der schmierigen Kerle erfreuen mich. Ihre plötzliche Furcht können sie nicht verbergen.
„Was. War. Das?“, fragt einer der Dreien und schaut seine Kumpanen mit großen Augen an. Ihre Blicke wandern zu mir und werden bestürzter.
„Du!“, sagt mein Gegenüber und deutet mit dem Finger auf mich. Er wirkt völlig entgeistert. „Du Hexe!“
Ich lache spöttisch auf. Dann werde ich wieder ernst und ziehe die Augenbrauen zusammen. „Verschwindet“, knurre ich bedrohlich.
Entsetzt schütteln die drei Kerle den Kopf, während sie langsam Rückwerts gehen. Schließlich wenden sie sich komplett von mir und laufen los.
Als ich das Zuklappen von Autotüren hören kann und dann ein Motor gestartet wird, schleicht sich ein boshaftes Lächeln auf meine Lippen.
Mit seltsamer Genugtuung gehe ich weiter, den unsichtbaren Weg vor meinen Augen.
~~
Mit einem Keuchen wache ich aus meinem Traum auf.
Kerzengerade sitze ich in meinem Bett und starre mit offenem Mund ins Leere. Ich bin entsetzt, dass ich überhaupt in der Lage bin, so etwas zu träumen. Wie kann ich mich nur so sehr an das Leid anderer erfreuen?
Aufgebracht fahre ich mir durch die braunen Haare und werfe einen prüfenden Blick auf meinen Wecker.
1:43 AM.
Ich stöhne und lasse mich wieder zurück in das Bett fallen.
Das kann doch nicht wahr sein!
Seufzend schließe ich meine Augen und atme tief ein. Ich versuche meinen Herzschlag wieder zu kontrollieren und lenke meine Gedanken auf andere Dinge.
Es dauert lange, bis ich wieder einschlafe.


Ein bekanntes Lied dringt mir in die Ohren und weckt mich.
Verschlafen reibe ich mir über die Augen und drehe mich auf die Seite, um einen Blick auf meinen Radiowecker zu erhaschen. Erst da wird mir auf einmal bewusst, dass heute mein erster Schultag beginnt.
Ich stöhne und lasse das Lied im Radio laufen, während ich meine Beine aus dem Bett schwinge und versuche, die Erinnerungsfetzen meines Traumes zu verbannen. Meine Glieder fühlen sich schwer an, als habe ich meine ganze Energie am gestrigen Tag verbraucht und würde heute mit Muskelkater bestraft werden.
Das Gute-Laune-Lied von Natasha Bedingfield kann mich wenig aufheitern. Träge gehe ich in mein eigenes Bad, welches mit einer Tür zu meinem Zimmer verbunden ist. Praktisch.
Einen Blick in den Spiegel bestätigt meine Vermutung: Ich sehe schrecklich aus.
Meine Haare haben kleine Nester, unter meinen Augen befinden sich schwarze Ränder und meine Haut hat auch schon mal bessere Tage gehabt.
Ich sehe krank aus.
Seufzend versuche ich das Beste aus meiner Erscheinung zu machen und fange erst einmal mit dem Putzen meiner Zähne an.

Als ich einige Zeit später angezogen und frisch gestriegelt aus meinem Badezimmer marschiere, ziehe ich die Gardinen meiner Fenster zur Seite - und weiche erschrocken zurück, als ich meinen Nachbarn sehe. Bloß mit einem Handtuch um seine Hüften zeigt er mir sein Profil. Ich schlucke hart und versuche, ihn nicht wie eine Bekloppte anzustarren.
Auf einmal dreht er sein Gesicht zu mir und schaut mich direkt an. Mein Herz pulsiert heftig gegen die Brust, Hitze steigt in meinem Gesicht auf. Verärgert beiße ich mir auf die Unterlippe und versuche mir meine Verlegenheit nicht anmerken zu lassen.
Mein Gegenüber grinst mich amüsiert an und stützt sich mit den Händen am Fenster ab, präsentiert mir somit seine Muskeln. Ich hebe eine Augenbraue und schnaube verächtlich.
Kopfschüttelnd wende ich mich von ihm ab und schnappe mir meine Schultasche. Seinen neugierigen Blick kann ich nur allzu deutlich spüren.


„Bist du schon aufgeregt?“
„Das kannst du dir doch denken“, erwidere ich und nehme missmutig einen Bissen von dem Omelette.
Meine gute Laune hat sich heute scheinbar aus dem Staub gemacht, irgendwie finde ich bisher einfach nichts Positives an diesem Tag.
Dad hebt fragend die Augenbrauen. „Schlecht geschlafen?“
„Kann man so sagen“
Mein Vater nickt verständnisvoll und zuckt seufzend mit den Schultern. Ich bemerke, wie er einen prüfenden Blick aus dem Küchenfenster wirft, welches zur Straße gerichtet ist und sich dann schnell wieder zu mir umdreht.
„Erwartest du jemanden?“, frage ich.
Papa lächelt gönnerhaft. „Amy ist da“, erklärt er.
Just in dem Moment klingelt es an der Haustür. Stirnrunzelnd schaue ich ihn an. „Wer ist Amy?“
Sein Grinsen wird breiter und mich beschleicht ein ungutes Gefühl „Deine Chauffeurin“, erwidert er. „Ich habe sie extra angerufen, damit sie dich zur Schule bringen kann, da du kein Auto besitzt und ich meines für die Arbeit brauche“
„Du hast was?!“, frage ich entsetzt und springe vom Stuhl auf. Mit großen Augen starre ich meinen Vater an.
„Keine Sorge, sie geht auf die gleiche Schule wie du. Es ist also kein Umweg für sie“, meint Dad leichthin, während er auf die Haustür zumarschiert.
Ich spüre Panik in mir aufwallen. Mein Vater hat ein Mädchen arrangiert, damit ich zur Schule komme? Wozu habe ich denn gestern den halben Nachmittag damit verbracht, ständig mit meiner Oma die Straßen hoch und - runter zu fahren?
Ein verächtliches Schnauben entweicht meiner Nase.
„Hallo!“, begrüßt Papa auch schon den für mich Unbekannten.
Ich schlucke schwer und entscheide mich, lieber in der Küche zu bleiben. Vorsichtig gehe ich zum Fenster und versuche von dort aus eine Gestalt vor der Haustür zu erkennen- vergeblich. Der Blickwinkel reicht nicht bis zum Hauseingang.
„Sidney!“, ertönt da auch schon wieder die unheilvolle Stimme von Papa.
Ich beiße mir unruhig auf ihre Unterlippe und spüre meinen nervösen Herzschlag gegen die Brust donnern.
Schließlich seufze ich. Es hat doch keinen Sinn.
Mit unsicheren Schritten gehe ich aus der Küche, so dass ich direkt im Flur zum Stehen komme. Mein Vater steht - mit einem beinahe triumphierenden Lächeln - neben einem zierlichen Mädchen, die Türklinke in der Hand, die Augen auf mich gerichtet.
„Das ist Amy“, stellt er die fremde Person vor.
Ich mustere das Mädchen mit zurückhaltender Neugierde und stelle prompt fest, dass meine Chauffeurin wirklich hübsch ist.
Die blonden Haare hat Amy zu zwei Zöpfen gebunden, die locker vor ihren Schultern hängen und das runde Gesicht schön umschmeicheln. Ich kann mir gut vorstellen, dass ihre schmächtige Erscheinung bei vielen Jungs den Beschützer raushängen lässt. Das kleine Mädchen wirkt so zerbrechlich, obwohl sie mit ihrer aufrechten Haltung auch Selbstbewusstsein ausdrückt.
Ich kann Sommersprossen auf dem eher blassen Gesicht erkennen; die hellblauen Augen ziehen regelrecht die Blicke auf sich.
Die Blondine wendet als erstes den Blick ab und schaut meinen Vater fragend an. Dieser bedenkt mich einem kleinen Lächeln.
„Nun, Sidney“, beginnt Dad. „Wenn du jetzt deine Sachen holen gehst, werdet ihr auch noch rechtzeitig losfahren können. Wir wollen ja nicht, dass ihr ausgerechnet am ersten Schultag zu spät kommt, oder?“
Amy nickt zustimmend.
Ich werfe ihm einen vernichtenden Blick zu und drehe mich um.

Keine zwei Minuten später finde ich mich auch schon auf dem Beifahrersitz von Amys Auto wieder. Eine unangenehme Stille hat sich zwischen uns ausgebreitet, als die Blondine den Wagen startet und auf die Straße lenkt.
Ich starre stur aus dem Fenster, mein wild klopfendes Herz spüre ich nur allzu genau. Leise Musik ertönt aus dem Radio und plätschert dahin; ich hätte genauso gut neben einem Stummtauben sitzen können.
Schließlich räuspert sich Amy und unterbricht somit die Stille. Erwartungsvoll drehe ich mich zu meiner Chauffeurin um.
„Also…Sidney…“, beginnt das Sommersprossengesicht und schielt einmal kurz zu mir rüber. Mein Name kommt ihr nur schwer über die Lippen. „Du bist also neu hier in der Stadt“
Kein Frage, sondern eine Feststellung, bemerke ich und antworte daraufhin nur mit einem schlichten: „Ja“
„Wie kam es zum Umzug?“, hakt sie nach und weicht meinem verdutzen Blick aus. Hat die Blondine gerade wirklich Interesse gezeigt?
Ich hebe die Augenbrauen. „Mein Vater hat hier ein tolles Jobangebot bekommen. Außerdem ist St. Michaelis seine Heimatstadt“
„Ich weiß“
Verwundert schaue ich sie an. „Warum fragst du dann?“
Sie lächelt, wobei zwei Grübchen zum Vorschein kommen. „Ich meine damit, dass ich weiß, dass dies die Heimatstadt deines Vaters ist. Er ist ein guter Freund von meinem Dad, die beiden kennen sich schon seit Ewigkeiten. Aber ich wusste nicht genau, aus welchem Grund ihr hierhergezogen seid“
Ich lehne mich wieder zurück und schaue aus dem Fenster. „Hm“, mache ich nur und kaue auf meiner Lippe.
„Bist du schon oft hier gewesen?“
Ich bin wirklich erstaunt, dass Amy so hartnäckig versucht Konversation zu treiben. Ein Lächeln kann ich nicht unterdrücken. „Nein, Papa und ich lebten in Schottland. Ein Flugticket nach Amerika ist sehr teuer, so dass wir uns das so gut wie nie leisten konnten und ein Besuch somit unmöglich war“, erkläre ich.
Habe ich nun doch zu viel von mir preisgegeben?, frage ich mich von Panik ergriffen und werfe einen flüchtigen Seitenblick zu Amy, die konzentriert auf die Straße achtet.
Angespannt halte ich den Atem an und warte auf eine Reaktion ihrerseits. Als die Blondine ihr Gesicht plötzlich zu mir dreht und wir uns anschauen, lächelt Amy. Es ist ein wirklich sympathisches Lächeln, welches mich erleichtert aufatmen lässt.
„Du hast in Schottland gelebt?“, hakt sie nach. Ich kann ehrliches Interesse aus der Frage hören. „Cool!“
Ich schmunzele. „Ja, es ist wirklich schön dort“, schwärme ich.
Ich bin froh, dass die Stimmung zwischen uns nun etwas lockerer ist.
Und Amy scheint wirklich nett zu sein.

Die Fahrt zur High School dauert knapp zehn Minuten.
Scheinbar scheint hier jeder seinen Stammplatz auf dem schulischen Parkplatz zuhaben, denn ich kann keine aufgebrachten Schüler erkennen, die sich fluchend eine andere Lücke für ihren Wagen suchen müssen. Das erstaunt mich, Sidney Lawson, die es gewohnt ist, in einem ständigen Kampf aus »Finden« und »Suchen« den Morgen an der Schule zu beginnen.
Zielstrebig steuert Amy einen Parkplatz an, wo ich schon ein weiteres Mädchen sehen kann- wahrscheinlich die beste Freundin von meiner Chauffeurin -, welche gelangweilt das Treiben der Schüler beobachtet. Als sie jedoch den sich nähernden Wagen erkennt, hellt sich ihr Gesicht auf und ich versuche mich tiefer in den Sitz zu drücken.
Mein Herz pocht unregelmäßig gegen die Brust und außerdem fangen meine Hände an zu schwitzen. Die unangenehme Aufregung drohte die Macht über mich zu gewinnen; hektisch versuche ich meinen Atem zu kontrollieren.
„So, da wären wir“, meint Amy, als sie den Motor schließlich abstellt.
Sie wendet sich zu mir um und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. Ich finde es wirklich freundlich von der Blondine, dass sie versucht, mir Mut zu machen.
Mit zittrigen Händen steige ich aus dem Wagen und presse nervös die Lippen aufeinander. Amy wird von ihrer Freundin mit einem Küsschen begrüßt und schnell verlieren sich die beiden in einen lockeren Small-Talk.
Ich klammere mich an meiner Tasche fest und bin unschlüssig, was ich nun tun sollt. Mich schnell bedanken und dann alleine die Schule betreten? Oder darauf hoffen, dass Amy mich mit integrieren wird?
Ich werfe einen Blick zur Seite, wo große Massen an Schülern die High School betreten. Alle scheinen in heller Aufregung zu sein, denn das neue Schuljahr beginnt.
„…und wer ist das?“, höre ich das unbekannte Mädchen fragen und drehe mich zu dem Duo um. Zwei Augenpaare schauen mich an.
„Das ist Sidney. Sie ist neu hierhergezogen und ihr Vater, der ein guter Freund meiner Familie ist, bat mich, sie mitzunehmen“, erklärt Amy lächelnd.
Ich weiß nicht wieso, aber ich spüre, wie Hitze in meinen Wangen aufsteigt. Verärgert beiße ich mir auf die Unterlippe.
„Und das ist Leona“, stellt Amy ihre beste Freundin vor.
Ich nicke dem anderen Mädchen nur kurz zu und raffe mich zu einem freundlichen Lächeln auf.
Leona besitzt eine krause Lockenmähne und helle, grüne Augen, welche in einem gefährlichen Kontrast zu ihren schwarzen Haaren stehen. Ihre Gesichtszüge sind hart geschnitten, aber das tut ihrer Schönheit keinen Kratzer.
Im Gegenteil: Dadurch wirkt sie noch mysteriöser.
Ich kann mir gut vorstellen, dass die beiden Mädchen sehr begehrt bei den Jungs sind, denn das Duo ist einfach nur beneidenswert. Ich frage mich, ob die beiden Schönheiten mich nun als eine Art Freundin anerkennen oder mich doch eher für eine flüchtige Bekanntschaft halten.
Fragen über Fragen rollen auf mich ein. Die Antworten werden sich noch zeigen.

Ich habe einen akzeptablen Stundenplan und schreibe mich noch vor Unterrichtsbeginn in den Tennis-Club ein. Es ist ein gutes und gleichzeitig beklemmendes Gefühl, sich wieder einer Sportart zu widmen, die ich noch aus Kindestagen kenne. Ob die Spielerinnen mich wohl gut aufnehmen werden?
Kopfschüttelnd gehe ich den Flur entlang, auf der Suche nach meinem neuen Spind. Amy und Leona haben mich noch zum Sekretariat geführt, dann waren sie auf einmal verschwunden. Ich kann es ihnen nicht verübeln. Wer will schon mit einem introvertierten Mädchen abhängen?
Seufzend klappere ich einen Spind nach dem anderen ab und weiche den neugierigen Blicken der Schüler aus. Ich kann mir vorstellen, dass ich auffalle, immerhin lebe ich jetzt in einer sehr kleinen Stadt und muss zu einer winzigen High School gehen. Hier kennt bestimmt jeder jeden.
Als ich den Blick eines Jungen streife, verharre ich kurz in meiner Bewegung und starre ihn ebenso erwartungsvoll an, wie er es tut. Eine seltsame Spannung liegt zwischen uns in der Luft und ehe ich mich in seinen ozeanblauen Augen verliere, wende ich meinen Blick wieder ab. Verwundert bemerke ich, dass ich an meinen Spind angekommen bin. Kurz drehe ich mich noch einmal zu dem Jungen um, der mich immer noch beobachtet, bevor ich das Schloss meines Spinds öffne.
Ein Schauer kriecht meinen Rücken hinab.

Seufzend setze ich mich auf einen der vielen Plätze im Klassenraum und rutsche unruhig in meinem Stuhl hin und her. Grübelnd betrachte ich die Schüler, welche nacheinander den Raum betreten, bis schließlich Mr. Doyle die Tür hinter sich schließt und einen Blick durch die Klasse wirft.
Ich fühle mich unbehaglich, vor allem da ich spüre, dass viele neugierige Augenpaare auf mir ruhen. Ich hasse es, die Neue zu sein.
„Ah, ein neues Gesicht“, bemerkt Mr. Doyle und lächelt mich freundlich an.
Ich presse die Lippen zusammen und bringe nur ein Nicken zustande.
„Du bist…?“, fragt er und hebt die Augenbrauen.
„Sidney“, antworte ich.
„Nachname?“
„Lawson“
Er nickt und notiert sich etwas in sein kleines Heftchen. „Sehr schön“, murmelt er und beginnt mit seinem Unterricht.
Ich versuche mich zu konzentrieren und zwinge meinen rasenden Herzschlag zu einem gemäßigten Schritt-Tempo. Seufzend mache ich mir ein paar Notizen zu dem Vortrag meines Lehrers und wage es, einmal meinen Blick durch die Klasse schweifen zu lassen.
Von Leona und Amy keine Spur, ebenso wenig von dem mysteriösen Jungen auf dem Schulflur.


In der kurzen Pause versuche ich mich erst mal durch den großen Schülerstrom hindurch zu kämpfen. Es ist das reinste Chaos und zudem auch noch tierisch laut. Von allen Seiten werde ich bedrängt und halte perplex den Atem an, weil so viele unbekannte Gerüche auf mich niederprasseln.
Schließlich kann ich erleichtert aufatmen, als ich an meinem Spind ankomme und sich die Masse aus Schülern ein wenig gelichtet hat. Schnell krame ich die Bücher für die nächste Stunde hervor und schließe meinen Spind sorgfältig wieder ab, da rempeln mich plötzlich ausversehen zwei Typen an, so dass ich überrascht gegen die Reihe aus Spinden knalle und die Balance verliere.
Die Bücher rutschen mir aus den Händen und mit einem lauten »Uff« falle ich auf meine Knie. Die schaulustigen Blicke ruhen auf mir.
Mühsam schlucke ich den Zorn dieses peinlichen Momentes hinunter und presse die Lippen zusammen.
„Sidney!“, höre ich auf einmal die besorgte Stimme von Amy.
Ich schaue auf und bin erleichtert, das schmächtige Mädchen zu sehen. Ein bekanntes Gesicht ist jetzt genau das Richtige.
„Ist alles in Ordnung?“, fragt die Blondine und wirft mir einen prüfenden Blick zu.
Hastig rappele ich mich auf und schenke Amy ein beruhigendes Lächeln.
„Keine Sorge, mir geht’s gut. Ich wurde nur von zwei Typen angerempelt und habe das Gleichgewicht verloren“, erwidere ich und sammele schnell meine Bücher vom Boden auf.
Amy nickt und stößt erleichtert die Luft aus. „Hast du gleich Geschichte?“, fragt sie und deutet auf die Bücher in meinen Händen.
Ich nicke zustimmend. „Ja, aber ich habe keinen blassen Schimmer, wo sich der Klassenraum befindet“, gebe ich zu.
Amy schmunzelt. „Das kann ich dir gerne zeigen, ich muss auch gleich zum Geschichts-Kurs“, teilt sie mir mit.
Mein Herz macht einen erfreuten Satz.
Ich bin froh, jemanden zu haben, der mir helfen kann. Die Blondine scheint ein wirklich sympathisches und zuvorkommendes Mädchen zu sein, was mich zutiefst beruhigt.
„Amy“
Überrascht drehen wir uns zu der Stimme um.
Im ersten Moment kann ich es gar nicht glauben, aber vor uns steht tatsächlich der Junge, den ich heute Morgen noch im Flur gesehen habe.
Erstaunt schaue ich ihn an und er erwidert meinen Blick, bevor er sich dem Sommersprossengesicht zuwendet.
„Sehen wir uns nach der Schule bei »Rosi‘s«?“, fragt er.
Amy öffnet mit einem strahlenden Lächeln den Mund, dann schließt sie ihn wieder und dreht sich zu mir um. „Ähm, ist es okay für dich, wenn–“
„Nur zu“, unterbreche ich das leicht verlegene Mädchen. „Ich kann auch mit dem Bus nach Hause fahren, das ist kein Problem“
Ich möchte nicht, dass die Blondine sich nach mir richtet - als sei ich ein Kleinkind. Auch wenn ich es wirklich nett von Amy finde, dass sie mich vorher fragt, sollte sie ihre Entscheidungen selbst treffen.
„Du könntest doch mitkommen!“, schlägt das Sommersprossengesicht plötzlich vor, begeistert von ihrer eigenen Idee.
Ich bin skeptisch. „Ich weiß nicht…“
„Nach der Schule gehen viele Jugendliche zu »Rosi‘s«“, erklärt Amy. „Das ist ein guter Ort, um Freundschaften zu schließen“
Ich presse die Lippen zusammen und schiele kurz zu dem Jungen hinüber, der abwartend auf eine Antwort wartet. Es scheint ihn wirklich nicht zu stören, dass Amy mich eingeladen hat.
Ich hole tief Luft. „Okay, ich bin dabei“
Amy lächelt. „Super!“ Sie wendet sich dem Jungen zu und schaut mich freudestrahlend an. „Das ist übrigens mein Freund, Kyle“
Ich hebe erstraunt die Augenbrauen und starre das junge Pärchen sprachlos an, als sie sich einen flüchtigen Kuss geben.
„Na komm“, sagt Amy und fasst mich am Ärmel. „Ich zeige dir die Geschichtsräume“
Verblüfft stolpere der Blondine hinterher.






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