Das ist das Leben - Teil 11

Autor: Lil
veröffentlicht am: 24.05.2012


Tommy stierte mich nur stumm an. Wenn ich bei Jonathan erkennen konnte, dass er meine Gedanken erraten hatte, so konnte ich bei Tommy erkennen, wenn er mich ABSOLUT missverstanden oder mich nicht verstehen konnte. Jonathans Gedanken-erraten begleitete mich ständig und kam, wenn ich Glück hatte, nur 10-mal am Tag vor. Diese Sache mit Tommy allerdings passierte häufiger. Wenn es hart auf hart kam, sah ich das Missverstehen in seinen Augen drei- bis viermal so oft an einem Tag, wie das Verstehen in Jonathans Augen. Ich glaube, keiner würde es mit jemandem aushalten, der einen so viel missversteht. - Aber das auch nur, wenn man sowas mitkriegt. Ob ich das hatte, als wir uns kennenlernten? ...Nein, absolut nicht. Die weltberühmte, rosarote Brille verschleierte dies fabelhaft. Aber langsam wurde auch die Farbe dieser Brille blasser...und im Moment war sie ganz verschwunden. „Das meinst du nicht ernst!“, Tommys erregtes Lachen ließ mich zusammenzucken. Ja, er hatte mich wirklich missverstanden, oder wollte mich nicht verstehen. Ich verzog den Mund ärgerlich:„Doch, das meine ich so, wie ich es gesagt habe!“ Die Dämmerung mit dem blassen Mondlicht verwandelte Tommy in einen farblosen Schatten, sodass ich ihn nicht mehr gut sehen konnte. - Ein Glück für meinen Kopf und die Tatsache, dass er sich aufregte, hatte auch diesen schönen, samtenen Ton aus seiner Stimme verjagt. - Noch mehr Glück für meinen Kopf. Der Schatten vor mir machte einen kleinen Schritt auf mich zu. Neben mir Jonathan, der Tommy nur stillschweigend beobachtete. An der Falte in seiner Stirn bemerkte ich, dass er Tommys Gedanken versuchte zu erfassen. Das war offensichtlich, denn er sah mich genauso an, wenn er versuchte irgendetwas über mein Kopfchaos raus zu kriegen. „Sooo...Du bist die Erste - wie du ganz sicher noch aus dem Telefonat weißt, was du böses, kleines Mädchen mitbekommen hast - bei der ich Schwierigkeiten habe, raus zu bekommen, worauf sie abfährt. Aber eins weiß ich ganz sicher...Du stehst auf mich. Du willst mich. Du BRAUCHST mich, wenn auch nur einmal im Jahr.“ - „Ach so? Mein Herz will dich, mein Körper will dich. Aber mein Kopf will dich NICHT!“ Ich schrie die Worte beinahe, Worte die ich seit dem belauschtem Telefongespräch mit mir herumschleppte. Worte, die ich hatte nicht aussprechen können, weil ich noch zuviel von der Hoffnung in mir trug, dass Tommy mich wirklich liebte. „Weißt du, damals hättest du nicht sagen sollen, dass du mich liebst, es wäre sinnvoller gewesen zu sagen, dass du dich ändern willst.“ Nachdem ich das ausgesprochen hatte, musste ich lächeln. Wusste ich doch, dass Tommy sich nie ändern würde. Niemals, nicht für mich. Ich blickte auf meine Schuhspitzen. Sie waren grau geworden mit der Dämmerung. Ich betrachtete Tommy, ein kleines Männchen mit zusammen gesunkenen Schultern. Es war das erste Mal, dass ich ihn nach der Dämmerung, bei Nacht sah. Sehen konnte, wie er wirklich war. Ich hoffte nur, dass seine Anziehung auf mich bei Tageslicht sich nicht wieder entfaltete. Ruhig schritt ich an dem Häufchen Elend vorbei. Ich fühlte mich losgelöst von allen Lasten, die mich auf dem Boden gedrückt hatten. War frei von lästigen Gefühlen. Es war seltsam.






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