Woher weiß ich, wann es Liebe ist? - The Friend Zone - Teil 10

Autor: Clara
veröffentlicht am: 21.03.2013


Ein bisschen müsst ihr euch noch gedulden, bis ihr erfahrt, wie und warum Kilian gestorben ist und was zwischen Kilian und Sonja war ;)
Eigentlich war Kilians Tod nur als Neben-/Hintergrundhandlung angedacht, aber da euch das Thema so gut zu gefallen/so sehr zu interessieren scheint, werde ich Kilian und seiner Geschichte einen größeren Platz im Geschehen zusichern als ursprünglich geplant :)

Wie immer freue ich mich super über Rückmeldungen (bin immer noch sehr unsicher, was den Verlauf angeht), auch Anregungen und Verbesserungsvorschläge sind gerne willkommen! :)

Ich hoffe, der Teil ist was geworden ;)
______________________________________________________





-Alex-
Ich meinte, eine Art Schmerz in seinem Blick aufblitzen zu sehen. „Ja, aber wo ist er?“, fragte er. Er klang mehr verzweifelt als wütend. Langsam ließ meine Anspannung ein wenig nach. Er war nicht wütend. Warum auch immer er gekommen war, diesmal stand er nicht vor einem Ausbruch.

Die letzten drei Tage waren ein Grauen gewesen. Sonja hatte sie in ständiger Angst verbracht. Immer schwankend zwischen der Angst davor, dass Vic wieder nach Hause kommen und wüten würde und der Angst, dass ihm etwas passiert war oder er gar nicht wiederkäme. Sie hatte kaum geschlafen und war permanent unruhig durchs Haus getigert, hatte keinen Moment unbeschäftigt sein können. „Das hätte nicht passieren dürfen! Ich hätte etwas dagegen tun müssen! Es irgendwie verhindern!“, warf sie sich selbst immer und immer wieder vor und wurde von dem Gedanken, dass es ihre Schuld war, dass es zu dieser Eskalation gekommen war, sichtlich zerfressen.
Ich konnte sie nicht zum Essen bewegen, sie ging mit Charlie nur kurz vor die Tür und bewegte sich ansonsten nur den ganzen Tag unruhig im Haus umher, umkreiste das Telefon, rief Freunde und Bekannte von Vic an und fuhr seine Lieblingsplätze ab. Doch alles ohne Erfolg. Ihr Gesicht war gezeichnet von Sorge und Schuld, sie hatte dunkle Ringe unter ihren Augen, die seltsam matt wirkten und ein Schatten hatte sich über ihr Gemüt gelegt. Sie wirkte kraftlos und gleichzeitig musste sie immerzu etwas tun. Mit jedem Tag zehrte die Sorge mehr an ihr. Ich hatte Angst, dass sie wieder in den gleichen stumpfen, lethargischen Zustand wie noch vor einigen Wochen abrutschen würde.
Bereits in der ersten Nacht nach Vics Verschwinden hatte sie mitten in der Nacht in meinem Zimmer gestanden und mich leise gefragt, ob sie bei mir schlafen könne. Zustimmend war ich ein Stück zur Seite gerückt und hatte sie in die Arme geschlossen, als sie sich zu mir unter die Decke kuschelte.
Mit ihrer Anwesenheit war mein Schlaf vergessen, ich konnte nicht einfach neben ihr schlafen. Dass sie so nah war, versetzte alles in mir in Aufruhr und ich drohte jedes Mal von einem absoluten Gedanken- und Gefühlschaos eingenommen zu werden. Und trotzdem genoss ich diese Momente in vollsten Zügen und lauschte ihrem gleichmäßigen Atem. Sie atmete ruhig, aber sie schlief nicht. Und sie fror. Immer wieder durchlief ein leichtes Zittern ihren Körper und auch, wenn ich wusste, dass dieses Zittern eher von einer inneren Kälte her rührte, die meine Anwesenheit leider auch nicht zu vertreiben vermochte, so zog ich sie doch noch ein Stück näher an mich heran, um ihr Wärme zu schenken. Sie wusste, dass ich wie sie wach lag, doch wir schwiegen. Gemeinsam schweigen zu können und sich einander trotzdem zu verstehen erschien mir noch wichtiger als miteinander reden zu können. >Blindes Verstehen<, dachte ich bei mir und atmete ihren Geruch ein.
Sie roch süß, irgendwie nach Früchten, aber nicht pappsüß sondern frisch. Frisch und fruchtig. Ein Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, doch sofort wurde mir ihr Zustand wieder bewusst und das Lächeln verschwand. Genau so schnell und leise wie es gekommen war.
Ich fühlte mich, als könnte ich in ihr Innerstes sehen. Ihr Schmerz schien mir beinahe greifbar. >Ich fühle dich!<, hätte ich ihr gerne gesagt, doch ich behielt es für mich.
Wir waren miteinander verbunden.
Irgendwie.

Irgendwann musste ich wohl doch eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, war der Platz neben mir kalt und leer und leise schwere Töne erfüllten das Haus. Sie spielte wieder. Das war kein gutes Zeichen!
Seit Nico da gewesen war und sie angefangen hatte, Kilians Tod wirklich zu verarbeiten, hatte sie die Tasten nicht mehr angerührt.


Als Kilian noch lebte, hatten wir oft zusammen Musik gemacht. Er an der Akustikgitarre, Sonja am Flügel, Vic am Schlagzeug, ich mit E-Gitarre oder Bass, Struppi am Cello und Marc am Keyboard. Moritz, Sonja und Kilian hatten meistens für die Stimmen gesorgt, wir Anderen sangen jedoch auch hin und wieder mal. Wir spielten unsere ganz eigenen Interpretationen unserer Lieblingssongs, schrieben Texte um, änderten Stücke ab, improvisierten ein bisschen. Aber was wir auch genau taten, wir hatten auf jeden Fall immer eine Menge Spaß dabei!
Eine Zeit lang hatten wir uns einen Spaß daraus gemacht, uns andauernd mit gesungenen Passagen aus verschiedenen Stücken zu antworten. Das taten wir auch, wenn wir irgendwo unterwegs waren. In dem Bestreben, einem Leben wie im Film näher zu kommen, fingen wir mitten auf der Straße an zu tanzen und zu singen. Leider hatten wir wohl vergessen, den umstehenden Leuten das Drehbuch unseres Lebens auszuhändigen. Sie stimmten nicht mit ein.
Wir drehten verrückte Videos, alberten herum, suchten nach Abenteuern, waren spontan und wild und ausgelassen und was wir nicht so schafften, wie wir uns das vorgestellt hatten, wurde als neue große Herausforderung betrachtet und mit viel Energie angegangen und dann irgendwie bewältigt. Aufgeben war uns ein Fremdwort! Unser Zusammenhalt war überwältigend!
Die Leute hielten uns für verrückt, wir liebten das Leben!

Nach Kilians Tod war Sonja nicht wieder zu erkennen gewesen. All ihre Energie, ihr Mut, ihre Leidenschaft, ihre Kraft schienen ihr auf Kilians langem Leidensweg verloren gegangen zu sein. Manchmal glaubte ich, dass sie einfach nur ihre wilde Phase hinter sich hatte und einfach nur ruhiger geworden war, weil sie das Bild des Mädchens, das den Tod ihres besten Freundes ohne Probleme verarbeitet hatte, so perfekt vorspielte, dass sogar ich mich einige Zeit lang hatte davon blenden lassen.
Die Instrumente blieben nach seinem Tod meist unangerührt, nur hin und wieder machte einer von uns für sich alleine ein bisschen Musik, doch es war nicht mehr dasselbe. Zu viele Erinnerungen hingen an ihnen und wenn man alleine ein bisschen vor sich hinspielte, wurde einem erst so richtig bewusst, was einem fehlte. Dann wurde einem erst klar, dass man selbst nur ein Teil des vollen Klangs war, den man sich wünschte und dass ein Teil dieses Klangs nun für immer verloren war. Wir würden nie wieder so vollständig sein, wie wir es einmal gewesen waren.
Während wir immerhin ab und zu mal ein bisschen für uns spielten, blieb der Flügel sechs Wochen lang unangerührt. Sonja mied das Musikzimmer, wo sie überhaupt nur konnte und musste sie doch einmal hinein, vermied sie es, auch nur einen Blick in Richtung der Instrumente zu wagen.
Doch dann, in einer Nacht, in der sie bei mir geschlafen hatte, war sie von Unruhe getrieben durchs Haus geschlichen und war beim Flügel hängen geblieben. Sie hatte zu spielen begonnen. Sie spielte nicht die Stücke, die wir zusammen gespielt hatten sondern traurige, schwermütige Stücke, die ihre Stimmung widerspiegelten. Und sie erzählte, während sie spielte. Erzählte mit Klängen, malte Farben mit Tönen, beschrieb Gefühle, Stimmungen, Launen, Eindrücke, Empfindungen, Handlungen. Sie litt und freute sich mit ihren Erinnerungen und während ihr Spiel manchmal so schwermütig war, so strotzte es auch teilweise vor Freude und versprühte Wohlbefinden.
Oft nahm ich ihr Spielen wie einen stummen Schrei wahr, wenn ich mitten in der Nacht aufwachte und den Platz neben mir leer vorfand. Als klinge ihr Schrei stumm in jedem Ton mit. Unüberhörbar und doch nicht wirklich wahrnehmbar.
Sie konnte nicht mehr alleine schlafen. Oftmals hatte sie bei Kilian geschlafen, wenn es ihr schlecht ging. Nun war er nicht mehr da. Erst litt sie ganz still und für sich alleine noch mehr, dann schlief sie bei mir. Es schien, als seien nur so ihre Nächte halbwegs zu ertragen. Ich konnte nur einen winzigen Teil des Schmerzes, der sie quälte, nachempfinden, doch schon dieser kleine Teil raubte mir fast den Atem.
Das Schlafen bei einem von uns war eine ihrer „Macken“, wie sie es immer nannte. Sie kam mitten in der Nacht zu einem ins Bett, schlief eine Stunde oder zwei neben einem, stand dann auf, ging in ihr eigenes Bett zurück und wenn man Glück hatte, kam sie früh morgens nochmal zu einem zurück und schlief noch eine Stunde dort, bis sie dann gemeinsam mit einem aufwachte. „Ich schlafe unglaublich gerne neben jemandem ein und ich wache unglaublich gerne neben jemandem auf. Aber die ganze Nacht neben jemandem zu liegen, treibt mich in den Wahnsinn!“, versuchte sie mir einmal ihr Verhalten zu erklären. Ich gewöhnte mich daran, abends neben ihr einzuschlafen, mitten in der Nacht in meinem leeren Bett aufzuwachen und morgens wieder gemeinsam mit ihr zu erwachen.


Doch in der Nacht, nachdem Vic verschwunden war, spielte sie wieder. Wieder klangen traurige, schwere Klänge durchs Haus, machten die Luft schwerer und ließen die Zeit langsamer laufen. Mit dem Spielen rissen auch ihre alten Wunden wieder auf, die gerade erst zu heilen begonnen hatten. Mir war, als sehe ich überall Bilder aus vergangenen Zeiten. Der letzte Sommer, Sonja, Kilian, Lachen, Freude. Dann eine Menge Schmerz, Tränen, Wut, Verzweiflung, Angst, stilles Leiden, Trauer. Die Szene des vorigen Abends zog noch einmal vor meinem inneren Auge an mir vorbei. Blut, Schmerz, Schreie, Entsetzen, der Schock, der allen in den Augen gestanden hatte, ein Hauch von Angst, Unberechenbarkeit. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, als ich barfuß ins Musikzimmer lief und Sonja durch die Glastür beim Spielen beobachtete. „Komm wieder mit zurück ins Bett!“, sagte ich halb bittend, halb fordernd, als ich den Raum betrat. Ich hatte sie schon einmal fast verloren. Noch einmal durfte ich nicht zulassen, dass sie sich von ihren Erinnerungen gefangen nehmen ließ und sich an allem die Schuld gab!
Sie hörte mich nicht. Ich musste sie anstoßen und zum Aufstehen zwingen. Ihr Blick blieb seltsam entrückt. Die nächsten Nächte ließ ich sie spielen. Ich konnte sie nicht aus ihren Erinnerungen herausholen, konnte ihr nicht helfen, so gerne ich auch wollte.


Nachdem sie Vic am Telefon gesagt hatte, dass er nach Hause kommen solle, war das Leben in ihre Augen zurückgekehrt. Ich hatte gehofft, sie würde die Dinge mit sich selbst und mit Vic ins Reine bringen, doch nun kam er ohne sie. Wo zum Teufel war sie hin? Eine quälende Sorge ergriff mich.
„Wo ist er hin?“, fragte Vic mich ruhig. Ich brauchte einen Moment, um seine Frage zu realisieren. „Er wohnt nicht mehr hier.“, antwortete ich schließlich. Vic sah mich an. In seinem Blick standen offener Schmerz und die Bitte um Entschuldigung. „War Sonja bei dir?“, fragte ich vorsichtig. Er fuhr sich in einer verzweifelten Geste übers Gesicht. „Ja war sie! Und sie hat mir geholfen, endlich wieder zur Besinnung zu kommen!“ Sein Blick wirkte ehrlich, aufrichtig und ruhig. Ich notierte ihm die neue Adresse von Moritz und wünschte ihm gedanklich viel Glück.





Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz