Woher weiß ich, wann es Liebe ist? - The Friend Zone

Autor: Clara
veröffentlicht am: 19.03.2012


Prolog

Manche Leute trauern, indem sie sie viel weinen, andere weinen gar nicht. Die Einen trauern so, dass es jeder mitbekommt, laut und aufbegehrend, die Anderen trauern still und leise, ganz für sich allein. Manche suchen die Veränderung, Andere halten krampfhaft am Alten fest.
Sie spielte Klavier. Bis spät in die Nacht saß sie am Flügel und spielte immer das gleiche Stück. Es war ein Stück, das eine Geschichte erzählte, immer wieder.
Sie spielte und erzählte mit den Klängen, ummalte mit den Tönen die Stimmungen, die Höhen und Tiefen, die ganz großen Gefühle, die Hoffnungen und die Enttäuschungen. Sie malte eine Geschichte, malte sie in den schönsten Farben, den wunderbarsten Klängen. Eine Geschichte, die durch die Nacht schwebte und jeden ergriff, der sie zu hören bekam, die einen fesselte und nicht mehr losließ, die einen mit riss, in ihren Bann zog.
Wenn sie spielte war sie in einer anderen Welt, einer vergangenen Welt. Ihre Finger schienen die Tasten zu streicheln, zu liebkosen. Und sie malte dem Haus und der Nacht und der Stille jene ergreifende Geschichte. Immer und immer wieder. Und es war, als erwache sie unter ihren Fingern zum Leben.
Doch obwohl die Klänge zeitweise die wunderbarsten Bilder malten, war die Melodie nicht heiter sondern melancholisch. Jene Geschichte war dazu verdammt gewesen, kein glückliches Ende zu nehmen. Sie war immer überschattet gewesen von unausweichlichen Ereignissen.
Sie erzählte jene Geschichte.
Sie erzählte ihre Geschichte.
Und während sie spielte, war ihr Blick weit in die Ferne gerichtet, manchmal fiel eine Träne auf die Tasten aber von zeit zu zeit erschien auch ein leichtes Lächeln auf ihren Lippen. Sie spielte nicht, nein, sie erzählte diese Geschichte nicht! Sie lebte sie!
Und wenn sie schließlich aufhörte zu spielen, völlig erschöpft, war ihr Blick erfüllt von unendlicher Trauer und Schmerz. Einem endlosen, unbegreiflichen Schmerz.
Es war, als lebe sie nur, wenn sie spielte. Sie lebte und starb mit der Melodie jener Geschichte.




Er hatte sich einen verdammt schlechten Zeitpunkt ausgesucht, um hier aufzutauchen. Als er kam, spielte sie Klavier. Ich hatte ihn gebeten zu kommen, weil ich hoffte, dass er der einzige Mensch auf der Welt sein könnte, der in der Lage sein könnte, sie zum Reden zu bringen. Doch wenn sie jetzt spielte, hatte er keine Chance. Er hatte quasi schon verloren, bevor er überhaupt die Chance hatte, gewinnen zu können. Seufzend öffnete ich ihm die Tür und ließ in eintreten. Einen Moment sah er sich erstaunt im Wohnzimmer um, er schien von der Größe und Ausstattung des Raumes überrascht und beeindruckt. Doch sofort nahm sein Gesicht einen besorgten Ausdruck an. „Wo ist sie?“, fragte er leise. In seinen Augen sah ich eine Angst aufflackern, die ich nicht recht zuordnen konnte. „Komm mit!“, sagte ich und führte ihn in den Flur. „Danke, dass du gekommen bist!“, ich hatte ihn nicht gerne hier in meinem Haus und der Gedanke, ihn jetzt ganz alleine zu ihr zu schicken, machte mich nervös, aber ich wusste, dass er unsere letzte Chance war, an sie heranzukommen und die Dankbarkeit siegte über den Drang sie zu beschützen und über die Eifersucht. Er lächelte mich an, aber das Lächeln kam nicht in seinen Augen an, in ihnen war immer größer werdende Sorge zu sehen. Er stand vor der Glastür und sah ihr beim Spielen zu. Die Melodie drang leise aber trotzdem eindringlich durch das Glas. Ich bemerkte, dass auch er die Stimmung deutlich wahrnahm, die sich von ihr und dem Klang wie eine unaufhaltsame Strahlung auszubreiten schien. „Danke, dass du mich angerufen hast!“, sagte er schließlich und legte mir kurz eine Hand auf die Schulter. Dann konzentrierte er sich wieder ganz auf sie. Ich trat neben ihn. „Sie spielt stundenlang ohne Unterbrechung, teilweise bis spät in die Nacht. Immer dasselbe. Immer und immer wieder.“ Er sah mich von der Seite an. Meine Verzweiflung war mir wohl deutlicher anzuhören, als ich gehofft hatte. Es kratzte an meinem Stolz, dass wir auf ihn als die letzte Hoffnung bauen mussten. Aber was blieb uns anderes übrig?
Irgendwie schien sich mit seinem Betreten des Hauses die Stimmung zu ändern. Von ihm schien eine seltsame Spannung auszugehen, die die Melancholie der Klavierklänge teilweise zu verdrängen schien und je näher er ihr kam, umso stärker schien diese Art Feld zu werden. Und auch ihre Art zu spielen veränderte sich. Mitten im Stück hob sie den Kopf, wachte aus dem Erinnerungsstrom auf, der sie jedes Mal erfasste, wenn sie spielte und sah aus dem Fenster. Ihr Spiel wurde immer langsamer, bis sie schließlich ganz aufhörte. Einen Moment saß sie da, die Hände über den Tasten schwebend, als wolle sie erneut anfangen zu spielen, doch dann stand sie mit einer entschlossenen, ruckartigen Bewegung auf und drehte sich zur Glastür hin. Als sie ihn ansah, stand, wie in letzter Zeit immer, dieser Schmerz in ihren Augen. Einen winzigen Moment sahen die beiden sich an. Er zuckte erschrocken zurück. Sie sah schnell auf den Boden. Er hatte gesehen, was in ihr vorging und es schien, als hätte ihn das in tiefes Entsetzen versetzt. Und sie hatte gesehen, dass er es gesehen hatte.
Ich hatte die Beiden nur ein zweimal zusammen gesehen. Das eine Mal hatten sie einen riesigen Krach. Sie warfen sich gegenseitig irgendwelche Beschuldigungen an den Kopf und kritisierten einander permanent, woraufhin er irgendwann beleidigt abzog und sie wütend zurückblieb.
Und ein zweites Mal, als sie sich gerade von ihrem Freund getrennt hatte: Sie standen gemeinsam in der Nacht, es war kalt und schon spät, sie beide mussten am nächsten Morgen in die Schule, aber sie schienen das alles gar nicht zu bemerken. Sie bildeten ein eigenes Universum, ganz für sich allein. Sie hatte den Kopf gegen seine Brust gelehnt und er hatte sie an Oberarmen festgehalten und an sich gezogen. Als erstes hatte mich verwundert, dass sie ihn so nah heranließ, dass sie sogar von sich aus körperliche Nähe suchte. Sie hatte äußerst schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht und reagierte normalerweise sehr abweisend, wenn jemand Körperkontakt suchte. Und dann hatte ich mich gefragt, warum zum Teufel er sie nicht richtig in den Arm nahm, wenn sie ihn schon so nah heranließ. Ich dachte, er könne mit dem Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, nichts anfangen und fühlte mich in meiner These bestätigt, dass er auf keinen Fall der Richtige für sie sein konnte. Doch dann senkte er langsam den Kopf und küsste sie auf den Scheitel. Er war unglaublich sanft und behutsam und ließ dann seinen Mund auf ihrem Scheitel ruhen. Sie hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben, war aber einen Stückchen näher an ihn herangerückt und hatte den Kopf an seine Brust geschmiegt. Sie legte ihre Arme nicht um ihn und er hielt sie weiterhin an beiden Oberarmen fest. Sein Verhalten beeindruckte mich. Er musste ihre Angst gespürt haben, musste davon gewusst haben. Er ließ ihr den Raum, legte ihr keinerlei Zwang auf und gleichzeitig schenkte er ihr die ganze Liebe, die er hatte. Sie hätte nur einen winzigen Schritt rückwärts machen müssen, um die Umarmung aufzulösen, aber sie tat es nicht. Sie schien angekommen zu sein. Minutenlang standen sie so da: Sie gegen ihn gelehnt, er hielt sie und hatte den Kopf auf ihren Scheitel gesenkt.
Spätestens in diesem Moment hätte mir wahrscheinlich klar werden müssen, dass ich nie eine Chance gegen ihn gehabt hatte und wohl auch nie haben werde, aber mein Stolz und die Hoffnung hatten mich immer weiter um sie kämpfen lassen, auch wenn ich, schon lange bevor ich sie in dieser Nacht gemeinsam auf der Straße gesehen hatte, von der Spannung gewusst hatte, die stets zwischen ihnen herrschte. Es war wie Elektrizität, teilweise bildete ich mir sogar ein, es sehen zu können, aber es war immer spürbar. Und das bemerkten auch alle anderen, die die Beiden zusammen sahen. Aber ich wollte das nie wahrhaben, wollte mir nie eingestehen, dass sie ihre Entscheidung eigentlich schon lange getroffen hatte.

Er war durch die Glastür getreten und auf sie zugegangen. „Sonja!“, sagte er nur. Sein Tonfall hätte alles und nichts bedeuten können. Nun standen sie einfach voreinander und sahen sich an. Die Spannung zwischen ihnen war überwältigend. „Nico! Hey!“, sagte sie schließlich. „Was machst du hier?“, sie sah ihn fragend an. Die Trauer war vollständig aus ihrem Blick gewichen. Er grinste. „Dich besuchen“, er hob entschuldigend die Schultern und sein Grinsen wurde noch breiter. Ihr Blick wurde skeptisch, sie wirkte abweisend. „Aha“, machte sie und musterte ihn aufmerksam. „Und warum?“ Er grinste immer noch. „Wollte mal sehen, wie du so wohnst!“ Sie grinste. „Hab doch mehr Stil als erwartet, hmm?!“ „Ja schon! Ich hatte es mir irgendwie ...kleiner vorgestellt!“, sagte er lachend. „Siehste mal!“, sie sah zufrieden aus. Er sah sie an. „Tolle Einrichtung!“, sagte er anerkennend. „Mhh, Danke, war ein Projektversuch, der aufzeigen sollte, ob meine innenarchitektonischen Fähigkeiten wirklich berufstauglich sind oder ob ich mir vielleicht doch lieber andere Ziele setzen sollte“, sie grinste. Er sah sie bewundernd an. „Wow, das ist echt toll!“, er pfiff durch die Zähne. „Wusste gar nicht, dass du so was kannst!“ Sie sah ihn schulterzuckend an. „Man glaubt es kaum, aber auch ich habe gewisse Talente und Begabungen!“, sie grinste. Er lachte. „Hätte ich echt nicht gedacht!“

Ich war kurz davor, laut aufzustöhnen und mir die flache Hand gegen die Stirn zu schlagen. Was bitte war das denn? War das seine Art ihr zu helfen? Ein bisschen Smalltalk und sich gegenseitig aufziehen? Und das bei einer Stimmung, die jeden Moment Gefahr lief zu kippen? Ich schloss die Tür so geräuschvoll, dass sie es nur schwer überhört haben konnten, lief in mein Zimmer und drehte die Anlage auf. Na super! Er war doch ein Volltrottel! Ach was, der Mann war schlicht und ergreifend ein Arschloch!






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