Romeo und Julia - Teil 19

Autor: Spatzl
veröffentlicht am: 17.05.2012


Kurzerhand schob ich ihn zur Seite und erstarrte: In dem nett eingerichteten, hellen Raum stand ein sehr einladendes Ehebett. Von einer anderen Schlafgelegenheit wie etwa einer Schlafcouch war nichts zu sehen. Wortlos drehte ich mich um und ging zurück zur Rezeption.
„Gibt es ein Problem?“, fragte die Dame.
„Eigentlich war für uns ein Zimmer mit zwei Einzelbetten gebucht worden, aber wir haben eines mit einem Ehebett.“
„Zu meinem Bedauern muss ich sagen, dass die anderen alle voll sind. Wir hatte Frau Neuhauser davon in Kenntnis gesetzt, aber sie meinte, das sei nicht so schlimm!“
In meinem Inneren glühte ich vor Wut. Diese Schlange. Das hatte sie bestimmt mit Absicht gemacht, damit ich mich mit Brian zusammenraufen würde.
„Trotzdem herzlichen Dank“ Ich lächelte die Dame noch einmal freundlich an und kehrte zu Brian zurück, der noch immer vor dem Zimmer wartete.
„Es gibt keine anderen Zimmer mehr. Wir müssen mit diesem Vorliebe nehmen oder draußen schlafen“, berichtete ich ihm aufseufzend.
Als Antwort schnaubte Brian laut aus: „Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, obwohl ich diesen ganzen Mist hier am liebsten gleich hinschmeißen würde. Ich schlafe übrigens auf der linken Seite!“
Das war mir nur recht, denn ich schlief eh lieber rechts und so mussten wir uns wenigstens um die Bettseite einmal nicht streiten. Schweigend räumte ich meine Bücher, das Rollenskript und den IPod in das Nachtkästchen und verstaute die Klamotten in dem großen Schrank. Anschließend nahm ich meinen Kosmetikkoffer und ging, um das Bad unter die Lupe zu nehmen. Es war groß und sauber. Das ganze Zimmer war für eine Herberge überaus gut und sauber eingerichtet. Abgesehen von meinem Mitbewohner ließe es sich hier gut aushalten.
Auf meinem Nachtkästchen fand ich die Informationen über den Workshop, von denen die Dame an der Rezeption gesprochen hatte.


Liebe Workshopteilnehmer,

es freut uns, euch hier begrüßen zu dürfen. Hier erfahrt ihr die wichtigsten Dinge, alle weiteren offenen Fragen klären wir dann bei unserem ersten Treffen.
- Wir werden uns mehrere Stunden am Tag treffen, die restliche Zeit steht euch zur freien Verfügung.
- Wir treffen uns täglich von 9.30-12.30 Uhr und anschließend von 14.30 bis 17.30 Uhr in dem Veranstaltungsraum der Herberge.
- Frühstück gibt es von 7.00-9.30 Uhr, Abendessen von 18.00-20.30 Uhr in dem Speiseraum.
- Wir, Sabine und Ralph sind eure Betreuer und zusammen werden wir in den nächsten Tagen möglichst viel lernen.
- Heute treffen wir uns um 13.00 Uhr zu einer kleinen Kennenlernrunde. Bringt bitte viel Engagement und eure Skripte mit.
Viele Grüße und bis dann
Sabine und Ralph

Brian war unbemerkt von hinten an mich herangetreten und hatte den Brief ebenfalls gelesen. Mit einem Blick auf die Uhr bemerkte er: „Dann haben wir jetzt etwa noch eine halbe Stunde, bis dieses Kennenlerndingsda anfängt…“
Die nächste halbe Stunde verbrachten wir schweigend, jeder lernte noch einmal seine Rollen, machte sich Notizen und Anmerkungen auf dem Skript, bis es endlich soweit war. Um kurz vor eins machten wir uns auf den Weg und suchten den Veranstaltungsraum.
„Hallo, hier entlang“, hörte ich plötzlich einen Ruf hinter mir. Ich drehte mich um und erblickte eine sympathisch wirkende Frau so um die dreißig. Wenn ich mit meinen Vermutungen richtig lag, dann musste das Sabine sein.
Brian und ich folgten ihr und standen wenig später in einem großen Saal mit riesigen Fenstern und einer großen Bühne.

„So, da wären wir. Ich bin übrigens Sabine und das da drüben ist Ralph“ Sie deutete auf einen jungen Mann, der sich gerade mit einer kleinen Gruppe von Jugendlichen beschäftigte.
„Wenn ich richtig liege, dann seid ihr Sam und Brian. Anja hat mir schon viel von euch erzählt! Setzt euch einfach mal, dann erzähle ich euch kurz, was wir hier so machen!“ Sabine deutete auf zwei der vielen Stühle, die hintereinander in Reihen standen. Gehorsam folgten wir ihrer Bitte und sie fuhr fort: „Ich weiß nicht, was bei euch das Problem ist, Anja hatte nur erzählt, dass ihr beiden ein unheimliches Talent habt, aber euch selbst im Weg steht. Anscheinend habt ihr private Differenzen, hatte sie gemeint, aber dazu muss ich sagen: Wenn ihr später einmal wirklich in Filmen mitspielen wollt, dann könnte ihr euch euren Filmpartner nicht aussuchen. Auch wenn ihr euch nicht leiden könnt, müsst ihr eure Rollen gut spielen. Das zeichnet nämlich einen großartigen Schauspieler aus, wenn er über private Dinge hinwegsieht und sich ganz auf seine Rolle konzentriert. Genau deswegen seid ihr hier. Ralph und ich wollen euch ein wenig den Weg dahin weisen, dass ihr dies dann bei eurer Aufführung des Stückes auch schafft.“
Als sie geendet hatte, sahen Brian und ich uns kurz an und nickten dann beide. Wir waren bereit, für unseren Traum alles zu geben!
„Na schön, dann lasst uns loslegen!“ Sabine klatschte unternehmungslustig in die Hände, worauf Brian und ich uns von unseren Stühlen erhoben.
„Wir gehen jetzt einmal in eine ruhige Ecke und dann legt mal los. Ich möchte einfach eure erste Szene hören. Meinetwegen könnt ihr auch noch ablesen.“
Sabine stellte sich etwas abseits und sah uns erwartungsvoll an. Missmutig entfernten wir uns etwas von einander und Brian begann zu sprechen:
Entweihet meine Hand verwegen dich,
Oh Heiligbild…
„Stopp! Halt! Sofort aufhören!!! So geht das nicht. Du leierst das runter wie das ‚Vater unser‘! Du musst dich schon ein bisschen mehr in Romeo hineinversetzten. Schmachte deine Julia einmal richtig an. Verstehst du, was ich meine?“
Als Antwort nickte Brian nur und starrte irgendwo ins Leere.
„Na hopp, nochmal. Und versucht auch gleich, etwas Haltung zu bewahren. Anmut, Anmut!“
Brian begann wieder mit seinem Text und es schien, als habe er all sein Herzblut hineingelegt: es klang in meinen Augen schon gar nicht schlecht.
„Stopp, das war schon besser. Jetzt kommt Julia; leicht schüchtern, aber sehnsüchtig. Das musst du rüberbringen!“
„Ok“
Nach einem kurzen aufmunternden Blick von Sabine begann ich mit meinem Teil und versuchte dabei Brian einfach zu vergessen, mich ganz in Julia hineinzuleben, zu fühlen wie sie, am besten noch sie zu sein…
„Sehr gut, ihr habt es wirklich schnell raus. Trotzdem gibt es noch sehr viel zu verbessern. Jetzt möchte ich euch beide zusammen hören. Tut mal diese blöden Zettel weg…“ Sie deutete mit dem Finger auf unsere Skripte. „Die stören nur! Wenn ihr zusammen sprecht, müsst ihr dazu auch euren Körper einsetzen. Brian, du musst ihr tief in die Augen schauen, versuche zu ergründen, was sie gerade denkt, versuche sie mit deinem Blick zu fesseln, sie zu überzeugen! Sam, du sei schüchtern, verstecke dich, aber erwidere seinen leidenschaftlichen Blick“
Brian begann sofort mit seinem Teil und tat, was Sabine ihm befahl. Mir wurde ganz weich in den Knien, als mich sein durchbohrender, ozeanblauer Blick traf und so wich ich, ohne es zu merken, einen Schritt zurück.
„Sehr gut Sam. Du hast einfach zugelassen, dass du einen Schritt zurück gehst. Das war nämlich genau das, was Julia in diesem Moment auch getan hätte. Dann gehst du, Brian, auf sie zu. Nimm ihre Hand und neige leicht den Kopf, wie wenn du ihr einen Handkuss geben möchtest. Zeige ihr deine Achtung, das ist ganz wichtig, weil nur so die Szene an Ausdruck gewinnt.“
Während wir diesen Teil immer und immer wieder spielten, wanderte Sabine um uns herum, gab uns Tipps und verbesserte unsere Haltung. Wir waren so ins Spielen vertieft, dass wir gar nicht bemerkten, wie die Zeit verflogen war. Dies stellte Sabine mit einem Blick auf ihre Uhr erschrocken fest.
„Ach du meine Güte. Unsere Zeit ist schon längst um. Wenn ihr in eurer Freizeit etwas Nützliches tun wollt, dann übt ihr das Ganze für euch alleine und bereitet euch schon auf den nächsten Teil vor, denn da geht es um die ersten Kussszenen und das bereitet erfahrungsgemäß unerfahrenen Schauspieler viele Schwierigkeiten.“, meinte Sabine mit einem leisen Lächeln auf den Lippen und schickte uns hinaus.
Bei dem Verweis an die Kussszene musste ich in mich hinein grinsen, wenn ich daran dachte, wie unser Versuch, diesen Kuss zu proben, geendet hatte. Wir hatten uns beinahe verschlungen und auf dem Boden gewälzt! Brian warf mir einen scharfen Blick zu.
„Entschuldigung, ich kann auch nichts dafür, dass wir das hier spielen müssen“, entgegnete ich heftig, als wir uns auf den Weg zu unserem Zimmer machten. Brian zog ein Gesicht und starrte nur missmutig vor sich hin. Alter Griesgram, nichts als schlechte Laune verbreiten…






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