Zwischen Himmel und Hölle - Teil 5

Autor: Alice-in-Wonderland
veröffentlicht am: 14.03.2012


Pawel

Sie stand da und sah uns alle schockiert an. Wir wussten, dass wir vorsichtig vorgehen mussten. Zu labil war ihr Zustand. Durch den Rückzug aus der Realität, hat sie sich selber in eine Seifenblase eingeschlossen. Es war damals nicht zu ändern. Lieber sie so, als dass sie wieder dieses zerbrechliche kleine Ding von damals im Krankenhaus ist. Sie war gar nicht mehr ansprechbar und hatte uns nicht mehr wahrgenommen. Es war, als wäre ihr Körper anwesend, doch ihr Geist schwebt irgendwo herum. Uns gefiel zwar nicht mit was für Leuten sie sich nun abgab, doch wir mussten es akzeptieren, wenn wir sie am leben haben wollten. Sie fing an, mit ihren Fingern an ihrer Tasche rumzuzupfen. Unwillkürlich musste ich lächeln. Ich ging langsam auf sie zu und sah ihr dabei aufmerksam in die Augen. Als sie mein Blick erwiderte und verstand, was ich vorhatte, umarmte ich sie langsam und atmete ihren Duft ein. So vertraut war es, doch ihr Körper war kalt. Kälter als ich ihn in Erinnerung hatte. Gott, hatte sie sich verändert. Doch nicht nur ich fand diese Umarmung angenehm, sondern auch sie. Sie schmiegte ihr Gesicht enger an meine Brust und verstärkte ebenfalls ihren Griff um meinen Oberkörper. „Du hast mir gefehlt! Du hast uns allen gefehlt.“, sagte ich leise in ihre Haare. Sie gab keine Antwort, doch spürte ich, dass sie anfing zu beben. Sie weinte. Ich öffnete leicht die Augen und sah nach den Anderen. Lisa weinte ebenfalls und hielt sich bei Phillipp fest. Sie alle sahen Selina traurig an. Als ich mich von ihr lösen wollte, hielt sie sich krampfhaft fest und drückte ihr Gesicht immer mehr in meine Brust. Ich streichelte über ihren Rücken und flüsterte: „Die Anderen würden dich auch gerne umarmen. Kannst auch danach wieder zu mir kommen, Schatz.“ Sie sah mich an und es tat mir im Herzen weh, sie so sehen zu müssen. Dieser unendliche Schmerz, der aus ihren Augen sprach. Zu gerne hätte ich all diesen Schmerz von ihr genommen, damit sie wieder ein ganz normales Leben führen konnte. Sie nickte leicht und drehte sich zu den Anderen um. Sofort war Lisa da und nahm sie in die Arme, wobei sie laut aufschluchzte. Selina legte zaghaft ihre Arme um sie und schon kam Phillipp, der sie von hinten umarmte. Sarah, Michelle, Tysy und Ben kamen auch näher und als die Beiden sie frei gaben, nahmen auch die Anderen sie in die Arme und flüsterten ihr Worte ins Ohr. Als sie Tysy erblickte, umarmte sie ihn stürmisch und ließ so schnell Worte aus ihrem Mund fließen, dass wir sie nicht verstanden, außer Tysy, der ebenfalls Worte sagte. Die Beiden waren wie ein Herz und eine Seele, bevor das alles geschah. Er war ebenfalls wie sie am Boden zerstört, doch war er es mehr, wegen ihr. Sie hat uns alle Sorgen bereitet und tut es immer noch. Nie war sie einer dieser Menschen, um den man sich Sorgen machen musste. Nein, sie war eigentlich einer dieser Menschen, wo man sich sicher sein konnte, dass er immer heiter und fröhlich sein wird. Sie hatte uns alle zum Lachen gebracht, egal wie scheiße es uns ging.
Noch eine ganze Weile hielten sie sich in den Armen und als er sich langsam von ihr löste, sah sie sich um und als sie mich entdeckte, kam sie sofort zu mir gerannt und schmiegte sich wieder an mich. Sie drehte den Kopf zu den Anderen und sagte mit schwacher Stimme: „Ich hatte euch auch vermisst. Jeden Tag.“ „Wollen wir zum Humboldthain?“, fragte Lisa. Sie sah Selina vorsichtig an und ich erwartete schon, dass Selina sofort weglaufen würde, doch stattdessen nickte sie leicht. Die Anderen lächelten leicht und ich nahm sie in den Arm, während wir liefen. Fast wie früher. Fast, denn eine Person fehlte. Er wird nun immer fehlen, doch wir mussten doch irgendwie weiter leben, oder? Wir konnten doch nicht immer in Trauer leben. Immer nur traurig sein und nie wieder lachen. Nein! Unser Leben musste weitergehen und Selina ihres auch. Wir alle mussten ihr helfen.

Selina

„Weist du, dass Danny mich angerufen hatte?“, fragte Pawel vorsichtig. Ich drehte schockiert meinen Kopf zu ihm und musste an mich halten, nicht laut auf zu schreien. Danny. Er kommt nicht zur Schule, nimmt mir ein Versprechen ab und meldet sich nicht bei mir, sondern bei meinem Exfreund. Na super. „Ach was?“, sagte ich etwas gereizt. Sofort runzelte er die Stirn und sah mich besorgt an. Ich wusste, dass sie alle auf meinen Ausbruch warteten und ich weis auch, dass er nicht mehr lange auf sich warten lässt. „Ja. Er hatte nach dir gefragt. Außerdem soll ich dir ausrichten, dass er bald wieder zur Schule kommt. Er wird dir auch jede Frage beantworten, wenn du welche hast.“, sagte Pawel sachlich. Ich atmete ein und nickte leicht. Ich wollte nicht weiter über Danny reden. Ich wollte einfach diesen Augenblick mit meinen Freunden genießen. Es tat so gut, sie wieder um mich zu haben. Sie alle waren mir immer eine Stütze. Auch jetzt glaubten sie an mich, doch wussten sie nicht wie sehr ich sie noch enttäuschen werde.
Plötzlich klingelte mein Handy und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Alle anderen sahen mich interessiert an, während ich mein Handy zur Hand nahm. Ich warf einen Blick auf das Display und wurde schlagartig in die Realität gezogen. „Hey, was gibt’s?“ „Hey? Ich wollte nur fragen wo du bleibst!“, fragte Tommy. Ich sah in irritierte Augenpaare um mich und musste an mich halten, nicht gleich los zu schreien. Als ich dann in die Augen von Pawel sah, die ruhig und etwas besorgt dreinschauten, atmete ich tief ein und antwortete: „Ich bin auf dem Weg. Brauche noch 15 Minuten.“ Nun runzelte Pawel die Stirn und aus der Ruhe, wurde Traurigkeit. Ich schüttelte den Kopf und hörte nur noch wie Tommy sich verabschiedete und auflegte.
Ich musste wieder klar denken. Dass ich hier war, mit all meinen Freunden. Nein! Meine damaligen Freunde. Sie gehörten zu einem anderen Lebensabschnitt. „Werden wir dich bald wiedersehen?“, hörte ich Pawel vorsichtig fragen. Völlig durcheinander sah ich in seine Augen und musste mich zurückhalten, nicht zu schreien – Ist das dein Ernst? Leo ist tot und ich lebe. Wieso sollte ich da noch das alte Leben führen? – doch ich konnte keine Antwort geben und ging schon ein paar Schritte zurück. Schnell sagte ich: „Ich muss dann los. Ich hatte einen Termin vergessen. Dringenden Termin.“ Ich sah, wie Pawel auf mich zukam und drehte mich schnell um und lief davon. Ich musste hier weg und zwar schnell. Weg von diesen Leuten, die alle Erinnerungen wieder zum Leben erweckten und meine Selbstsicherheit, was die Schule anging zunichte machten. Ich hörte noch, wie sie nach mir riefen, doch ich konnte nicht stehen bleiben. Tommy. Ich rannte mittlerweile den Berg hinunter und Richtung Mauerpark, durch die Ramlerstraße und den Gleimtunnel. Ich rannte so schnell, dass ich erst beim langsamer werden bemerkte, dass ich weinte. Ich war so durcheinander, dass ich nicht einmal den stechenden Schmerz in meinem Bein spürte. Ich nahm niemanden um mich herum war, keine Blicke die mir zugeworfen wurden und auch keine hupenden Autos, vor die ich lief. Als ich dann am Mauerpark ankam, lehnte ich mich gegen einen Pfeiler und atmete schwer ein und aus. Als ich mich einigermaßen wieder zusammen gerissen hatte, öffnete ich meine Augen und sah mich um. Ich musste zu Tommy. Ich brauchte meine Line wieder. Meine Hände taten mittlerweile brutal weh. Ich lief langsam Richtung der großen Wiese und wischte dabei meine Tränen mit dem Ärmel weg. „Hey Sweeps. Da bist du ja.“, hörte ich Ben rufen. Tommy kam auf mich zu und legte einen Arm um mich. Ich sah gerade wie Ben eine Tüte wegpackte und musste an mich halten, nicht gleich mich auf ihn zu stürzen. Deshalb ging ich langsam zu ihm und setzte mich hin. Dann fragte ich ihn: „Kannst mir mal bitte die Tüte geben?“ Er lächelte und gab mir die Tüte. Ich nahm ihm dankbar das Buch ab und bereitete meine Line vor. Mit einem Ruck zog ich es mir rein und war im nächsten Moment ruhig. Das Zittern lies etwas nach und ich lehnte mich zurück, an die Schulter von Tommy. Ich nahm seine Hand in die eine und verschränkte meine Finger, mit seinen. Mit der anderen Hand nahm ich ihm das Bier ab, welches er mir reichte.

„Hey seht mal wer da wieder ist. Selina-Alice.“, hörte ich auf einmal jemanden rufen. Ich drehte mich leicht in die Richtung und sah in dem Moment, wie Patrick ankam, mit Phil und Amela. Ich grinste und schrie auf: „Paaatrick.“ Ich versuchte so schnell wie möglich hoch zu kommen und lief ihm entgegen. Als ich bei ihm ankam, nahm er mich in den Arm und küsste mich auf die Wange. „Hey meine Süße. Endlich wieder unter den Lebenden, ja?“ Ich streckte ihm grinsend die Zunge heraus und ging dann zu Amela, die ich mit einem Kuss auf den Mund begrüßte. So doll, wie sie sich an mich ran drückte, dachte ich schon, dass sie mich erdrücken wollte. Ich lachte auf und hörte Patrick enttäuscht fragen: „Und wieso bekomme ich nie einen Kuss auf den Mund?“ Ich löste mich aus ihrer Umarmung und grinste ihn an. Langsam ging ich auf ihn zu und als ich bei ihm war, nahm ich sein Gesicht in meine Hände und küsste ihn direkt auf den Mund. Als ich mich wieder von ihm löste, sah er mich geschockt an und ich musste umso mehr lachen. –So ein Trottel. – Zurück bei Tommy sah ich, dass er mich traurig ansah. Ich lächelte ihn leicht an und gab ihm einen Kuss. Dabei nahm ich seine Hand in meinen Schoß und lehnte mich an ihn. „Damit ist die Sache aber noch nicht geregelt, das ist dir klar, ja?“, sagte er leise zu mir. Ich nickte und wusste, dass es ein Fehler war, Patrick auf den Mund zu küssen. Aber es war schon immer ein Drang von mir gewesen. Nun konnte ich es aber auch nicht mehr ändern, deshalb löste ich mich von Tommy und machte mir noch mal eine Line fertig. Ich zog sie mir rein und legte mich hin. Heute war es zwar bewölkt, doch vereinzelte Sterne sah ich trotzdem. Lächelnd schloss ich meine Augen und musste an mich halten, nicht jeden Augenblick los zu weinen. Es war so absurd gewesen, der heutige Tag. Wenn ich mir so recht überlegte, waren die letzten Tage absurd. Ich ging zur Schule. Mir wurde bewusst, dass ich es tat, in der Hoffnung Danny wiederzusehen. Doch er kam nicht. Heute hatte mir Pawel gesagt, dass er bald wieder kommt. Aber wann? Bald konnte lange sein. Die letzten Tage waren es auf jeden Fall. Linda. Meine beste Freundin. Ihre Familie hatte mich nicht doof angesehen, wie meine eigene, sondern hatte sich gefreut, dass ich bei ihnen war. Meine eigene Familie? Kann ich sie eigentlich noch so nennen? Die einzige Person, die ich vermisste, hatte ich enttäuscht. Mein Vater. Zwar war er mein Stiefvater, doch er ist das wertvollste in meiner Familie. Er war für mich da und führte mich auf meine Wege. Nun kam ich von meinem Weg ab, doch es ging nicht anders. Ein neuer Lebensabschnitt, verlangt neue Wege und Träume. Zwar habe ich keine Träume, noch einen Plan was für einen Weg ich nun einschlagen wollte, doch es kommt wenn es kommt.





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