Neumond - Teil 10

Autor: Eisfeuer
veröffentlicht am: 12.12.2011


„Was hat István mir noch nicht erzählt?“, fragte ich in schneidendem Ton. „Espen!“
„Nun...also...das ist sooo...“, wich er mir aus. Ich wurde ungeduldig: „Ach Herrgott nochmal, dann frag ich ihn eben selbst!“. Ich sprang auf und rannte zu István. Hinter mir hörte ich Espen laut fluchen und Marek schien sich aufgrund der Kraftausdrücke, die selbst einen Seemann zum Erröten gebracht hätten, an seinem Brot zu verschlucken. Sein Husten hallte durch die Höhle während ich mich wütend vor István aufbaute. Leider war er immer noch einen Kopf größer als ich, aber ich straffte meine Schultern um beeindruckender zu wirken. István stand mit dem Rücken zu mir und schien mich zu ignorieren. Ich räusperte mich vernehmlich, und erst da drehte er sich gemächlich um: „Kann ich irgendwas für dich tun?“. Ich hatte ziemlich große Lust ihm eine reinzuhauen, damit dieses provokative Lächeln aus seinem Gesicht verschwand, aber ich beherrschte mich: „Allerdings! Woher wisst ihr meinen Namen? Und wieso zur Hölle hast du mich entführt?!“. Den letzten Satz schrie ich beinahe. Okay, vielleicht übertrieb ich es ein bisschen, aber ich wollte endlich wissen was Sache ist. Istváns Reaktion überraschte mich. Er schien den Anderen ein Zeichen zu geben, und sie stellten sich vor alle Gänge. Dann seufzte er und deutete auf einen Haufen Kissen auf dem Boden: „Wie wär’s wenn wir uns hinsetzen und uns dann in Ruhe darüber unterhalten?“. Ich kniff nur skeptisch die Lippen zusammen. Das Versperren aller Fluchtwege hatte mich misstrauisch gemacht.
„Wie wär’s wenn du mir sagst was los ist und dann verschwinde ich?“ István schien das nicht gerade für eine mögliche Option zu halten, denn er ließ sich nur auf die Kissen gleiten und klopfte auffordernd neben sich. Als ich nur schweigend die Arme vor meiner Brust verschränkte hörte er damit auf und schien sich einen Ruck zu geben. Dann begann er zu reden:
„Okay. Du willst also wissen was los ist. Mir wäre es zwar lieber wenn du es erst viel später erfahren hättest, aber jetzt ist es auch egal. Na dann hau ich die Wahrheit jetzt einfach mal raus: Wir wollen Kinder von dir.“. Er lehnte sich ein wenig zurück und sah zu mir hoch, um meine Reaktion zu beobachten. Ich hörte wie Marek sich im Hintergrund erneut verschluckte und meine Gesichtszüge entgleisten mir: „Was?! Ich hoffe du hast einen verdrehten Humor und das war ein Witz!“
István zuckte bedauernd mit den Schultern: „Sehe ich so aus als ob ich ein Scherzkeks wäre? Du verstehst nicht wie wichtig das für uns ist. Wir sind das letzte Rudel und unsere einzige Wölfin wurde vor einiger Zeit getötet.“ Während er das sagte glitt ein dunkler Schatten über sein Gesicht.
„Wir sind am Aussterben, und so wenig ich auch mit Kindern umgehen kann, gegen meine Instinkte kann ich noch weniger etwas tun. Es ist tief in unseren Genen verankert dass wir unsere Art durch jedes Zeitalter bringen. Häufig ist dieses Bedürfnis sogar stärker als der Überlebensinstinkt.“. Er holte tief Luft um fortzufahren, doch ich unterbrach ihn entsetzt: „Du willst mir also erzählen dass du mich entführt hast damit du lauter kleine Istváns in meine Gebärmutter stopfen kannst, nur weil du das irgendwie unbedingt willst?!“
István öffnete seinen Mund, aber ich hob meine Hand: „Halt einfach den Rand! Du bist ein gefühlsloses, widerwärtiges Monster! Und wenn du denkst dass ich hierbleibe und mich seelenruhig von dir schwängern lasse, dann hast du die Rechnung ohne mich gemacht!“ Ich begann durch die ersten Schübe der Verwandlung zu zittern. Verzweifelte Gedanken wirbelten durch meinen Kopf. Ich hatte schon gegen István allein keine Chance, wie sollte ich da gegen das ganze Rudel ankommen und nach Möglichkeit auch noch Marek hier rausbringen?
Jetzt hob sich auch Istváns Stimme und sie klang rauer, ähnlich wie bei einem Knurren: „Hör mir doch zu! Wir hatten keine Wahl! Es ist wie ein Zwang dem man nicht entkommen kann. Es fing alles mit den Träumen an. Jeder von uns hatte sie, und bei jedem waren sie gleich. Wir sahen dich wie du durch die Wälder gelaufen bist. Mal in Menschen- und mal in Wolfsgestalt. Dann glitt eine zärtliche Stimme durch unser Bewusstsein. Sie sagte: Ihr Name ist Nika. Finde sie. Bring sie in Sicherheit. Sie ist die Deine. Du brauchst sie!“. Ein eiskalter Schauer lief meinen Rücken hinab als er mir seinen Traum beschrieb. Er kam mir sehr bekannt vor. Er hatte mich am Leben gehalten, war mein einziger Halt in einer schweren Zeit gewesen. Ich konnte mich noch gut an den Traum erinnern. Rennende Wölfe. Hechelnd und glücklich. Beim Spielen, auf der Jagd oder während dem Schlafen. Immer zusammen. Manchmal erschienen sie als gesichtslose Menschen. Ich erinnerte mich daran wie sehr ich mir gewünscht hatte dabei zu sein. Und dann die beruhigende Stimme dazu: Nika. Finde sie. Bring dich bei ihnen in Sicherheit. Sie sind dein Rudel. Du brauchst sie!
Tränen brannten in meinen Augen. Ich war vom Regen in die Traufe geraten. Erinnerungen an die Zeit vor meiner Suche nach meinem unbekannten Rudel durchzuckten mich. Ein kaltes Eisenband um meinen Hals, das mir die Luft abschnürte wenn mein Hals bei einer Verwandlung breiter und muskulöser wurde. Mein Onkel, wie er seinen Körper auf meinen hievte. Ein stechender Schmerz, meine Schreie, warmes Blut das aus mir tropfte.
Der Tränenschleier hinderte meine Sicht und ich blinzelte ihn hektisch weg. Ich konnte es mir nicht leisten durch Tränen behindert zu werden. Ich musste kampfbereit sein, mein Leben verteidigen können, egal um welchen Preis. Mein Gehirn schien automatisch in den Überleben-Modus zu schalten und verdrängte alle Gefühle. Jetzt war keine Zeit für Selbstmitleid. Ich schätzte István, der sich inzwischen erhoben hatte und auch kurz davor stand zum Wolf zu werden, mit meinen Blicken ab. Vielleicht könnte ich es schaffen... Ich spannte meine Muskeln an, bereit loszustürzen, als sich plötzlich Espen zwischen uns stellte. Er schien vollkommen gelassen und präsentierte sich mir unterwürfig. Er stand leicht geduckt und entblößte seine Kehle. Seine Hände waren mir geöffnet entgegen gestreckt. Ich sah wie sich sein Hals bewegte als er begann zu sprechen: „Greif mich an wenn du willst. Aber István hat recht. Selbst ich kann nicht gegen diesen Instinkt ankämpfen.“
Ich entspannte mich ein wenig, blieb aber auf der Hut. Von allen vertraute ich Espen am meisten, aber seine Aussage beunruhigte mich. Ich hatte eine Nacht dicht an ihn geschmiegt geschlafen und es hatte sich rein platonisch angefühlt. Die ganze Sache machte mir allmählich ziemlich Angst. Trotz der Behauptung es wären die Instinkte, fühlte es sich für mich sehr unnatürlich an. Na ja, unnatürlich war sogar noch untertrieben. Das alles schien so abartig zu sein, dass ich eine Gänsehaut bekam. Aber bis jetzt hatte sich noch keiner auf mich gestürzt oder sonst irgendwie Gewalt angetan. Mein Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Bis jetzt...






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