Neumond - Teil 7

Autor: Eisfeuer
veröffentlicht am: 27.11.2011


Sie nickten mir zurückhaltend zu und ich begann mich unwohl zu fühlen. Da fiel mir etwas auf.
„Du hast mir immer noch nicht gesagt was ihr mit mir vorhabt. Ich bezweifle zwar mittlerweile dass ihr mich zerhacken und im Wald verscharren wollt, aber ich würde trotzdem gern wissen wieso ihr mich entführt habt!“
„Dich entführt?“, István sah gekränkt aus. „Du hättest jederzeit gehen können.“ Anscheinend hatte ich ihn tatsächlich beleidigt.
„Was?! Einer von deinen Befehlsempfängern da hat mich wie einen Sack Kartoffeln über seine Schulter geworfen und wie ein Höhlenmensch hierher verschleppt und du nennst das ‚nicht entführt‘?“ Einer von ihnen trat vor. Seine Hände waren zu Fäusten geballt und er knurrte: „Ich heiße Espen!“. Mir platzte der Kragen. Ich war in einer Nacht fast erfroren, wurde eingesammelt, kurz aufgepäppelt, stürmisch geküsst und wäre bei dem Kampf fast drauf gegangen. Dann wurde ich entführt, von Marek beleidigt und jetzt auch noch angeknurrt. Mittlerweile war ich so müde und mit den Nerven am Ende dass dieser letzte Satz mich in die Luft gehen ließ. Ich stürzte mich auf Espen und trommelte mit meinen Fäusten auf seine harte Brust. „Es ist mir total egal wie du heißt! Halt einfach deinen verdammten Mund!“. Espen war zu verblüfft über meine Spontanangriff um zu reagieren. Dann lachte er und auch der Rest des Rudels sah amüsiert zu wie ich mich verausgabte. Ihr Lachen dröhnte durch die Höhle. Ich legte meine ganze Kraft in meine Schläge und sie lachten nur? ‚Na wartet‘, dachte ich mir und riss blitzartig mein Knie nach oben. Doch Espen war zu schnell für mich und drehte seinen Unterkörper zur Seite. Wenigstens war jetzt sein Lachen wie weggeblasen. Er packte meine Hände und versuchte mich wegzuschieben. Ich nutzte seinen Schwung, ging mit der Bewegung mit und schon lag er auf dem Boden. Jetzt war das Spielchen für ihn definitiv vorbei. Auch unsere Zuschauer verstummten. Die Spannung war mit Händen zu greifen und ich wartete auf Espens Gegenschlag, der auf jeden Fall kommen würde. Er würde sich nicht von einem Mädchen verprügeln lassen. Ich beobachtete sein Gesicht genau, und nur ein Zucken eines Muskels an seinem Kiefer verriet ihn. Er packte meinen Knöchel und zog ihn schnell zu sich. Ich ruderte mit den Armen und versuchte das Gleichgewicht zu halten, doch ich scheiterte und landete auf Espens Bauch. Ab da verlor unser Kampf jede Würde. Wir rangelten miteinander auf dem Boden und im Gegensatz zu István war Espen ein ausgeglichener Gegner. Wir waren einander ebenbürtig und so zog es sich in die Länge, da keiner aufgeben wollte. Nur am Rande bemerkte ich dass der Rest sich mittlerweile verzogen hatte. Nach einer halben Ewigkeit wurden wir langsam müde. Unsere Angriffe wurden immer schwächer und unkoordinierter. Es endete damit, dass wir nach Luft japsend nebeneinander lagen. Ich setzte zum Reden an: „Ich...Ich...“, meine Lunge machte mir einen Strich durch die Rechnung. Espen drehte seinen Kopf zu mir und grinste: „Du bist doch ganz in Ordnung. Von meiner Seite aus bist du im Rudel akzeptiert.“
Mein Atem hatte sich inzwischen ein wenig beruhigt und ich merkte wie ich schläfrig wurde.
„Das ist aber großzügig von dir.“ Es kam keine Antwort. Ich setzte mich mit Mühe auf und beugte mich über ihn. Er hatte seine Augen geschlossen und atmete ruhig. „Espen?“ Ich stieß ihn in die Seite. Er grummelte, doch rührte sich nicht. Meine Augen fielen mir fast zu und so kuschelte ich mich an ihn und versank ins Reich der Träume.

„Geh mir aus dem Weg, ich will auch was!“
„Was kann ich dafür wenn du zu fett bist um an mir vorbeizukommen?“
„Hey Jungs, wartet mal, sollen wir sie einfach hier liegen lassen?“
Laute Stimmen weckten mich. Ich schlug orientierungslos die Augen auf und bemerkte erleichtert dass ich wenigstens dieses Mal vollständig bekleidet war. Langsam kehrte meine Erinnerung an letzte Nacht zurück. Ich war so wütend auf Espen gewesen, alles hatte sich irgendwie angestaut. Das war seltsam, denn normalerweise beherrschte ich mich zu gut um einfach gewalttätig meine Wut raus zulassen. Mit ihm zu kämpfen war so erfrischend und reinigend, dass ich mich danach gefühlt hatte als wäre ich endlich Zuhause angekommen. Espens warmer Körper hatte mich am Tag, als ich geschlafen hatte, gewärmt und als ich an ihn dachte durchströmte mich ein warmes Zugehörigkeitsgefühl. Schon jetzt war er wie ein Bruder für mich.
„Ah, Dornröschen ist aufgewacht!“ Da war Espen auch schon. Seine grünen Augen strahlten mich an. Ich lachte und wackelte drohend mit meinem Zeigefinger: „Pass bloß auf, sonst holst du dir gleich noch eine Abreibung!“
Er grinste: „Tja, das würdest du wohl gerne, aber heute sitze ich am längeren Hebel. Oder willst du nichts essen?“. Mein Magen beantwortete mit einem lauten Knurren seine Frage und er zog mich feixend vom Boden hoch: „Dachte ich‘s mir doch!“. Gemeinsam gingen wir in einen anderen Teil der Höhle, der näher am Ausgang lag. Dort war das ganze Rudel versammelt und aß Brot mit Schinken. Na ja, vielleicht sollte man eher Schinken mit Brot sagen. Erstaunlich, wie viel Essen in sechs junge Männer passt. Und ebenso erstaunlich war es, dass sie mir einen Platz in ihrer Mitte freimachten und mir sogar freundlich zunickten. Zu mehr waren sie wegen ihren vollen Mündern anscheinend nicht fähig. Alle schienen viel netter zu mir zu sein als gestern. Alle außer István. Er starrte mich düster an, als überlegte er, wie ich mich auf seinem Brot machen würde. Ich schüttelte diesen gruseligen Gedanken ab und machte mich über die schwindenden Reste her und ließ meinen Blick durch die Runde schweifen. Es war nur hastiges Kauen zu hören, unterbrochen von gelegentlichem Räuspern, und so fiel jedem auf wie ich zusammenzuckte. Ich dumme, ignorante Kuh hatte ihn ganz vergessen!
Laut fragte ich in die Runde: „Wo zur Hölle ist Marek?!“






Teil 1 Teil 2 Teil 3 Teil 4 Teil 5 Teil 6 Teil 7 Teil 8 Teil 9 Teil 10 Teil 11 Teil 12 Teil 13 Teil 14 Teil 15


© rockundliebe.de - Impressum Datenschutz