Ist es Liebe? - Teil 16

Autor: Sara
veröffentlicht am: 27.01.2012


Lukan biss auf seinen Daumennagel und zupfte mit seinen scharfen Eckzähnen an einem überstehenden Splitter, bis er ihn endlich zu fassen bekam und ausspuckte. Ein Speichelfaden benetzte dabei seine Oberlippe und er wischte ihn sich ungeduldig mit dem Ärmel ab, bevor er seinen Daumen ansah. Die andere Ecke stand auch ab. Er kaute weiter.

Es war eine lästige und bescheuerte Angewohnheit, die er aus seinem menschlichen Dasein übernommen hatte. Immer wenn er nervös, aufgeregt, überfordert oder einfach... irgendetwas war, was vom Schlafzustand abwich, knabberte er an seinen Fingernägeln. Er konnte es nicht kontrollieren. Er konnte es nicht stoppen. Er bekam es die meiste Zeit nicht mal mit.

Sein Blick ruhte wie immer vollkommen emotionslos auf der anderen Straßenseite und er beobachtete mit kalten Augen, wie die Besitzerin des Diners zehn Minuten nach dieser lesbischen, rothaarigen Frau den Laden verließ.

Lukan sah auf sein Handgelenk. Es war fast sieben Uhr. Noch gut eine Stunde bis Sonnenaufgang. Was zur Hölle machte sie da? Ab und an, meist alle vier Tage, verschwand Holly um acht Uhr aus dem Laden und kaufte im Lebensmittelgeschäft auf der anderen Straßenseite ein paar Lebensmittel, bevor sie zurückkehrte. Die Nächte wurden unaufhaltsam kürzer und bald würde Lukan nicht mehr in der Lage sein, diese wunderschöne Frau bei ihren Einkaufstouren zu beobachten. Wie sie am Gemüse roch, das Obst nach der Reife prüfte und drückte, und jedes Mal eine viertel Stunde vor dem Süßigkeitenregal stand, bis sie sich endlich für eine Kleinigkeit entschieden hatte. Meist nahm sie einen Daim-Schokoriegel und presste ihn an die Brust, bis sie an der Kasse ankam, als sei dies ihr geheimer Schatz. Bald würde er dem Ritual nicht mehr zusehen können, denn der Frühling kam und die frühmorgendliche Sonne würde seinen Tod bedeuten.

Zum Glück würde er nicht viel verpassen, denn diese Frau lebte nach einem strikten Zeitplan. Jeden Morgen um drei Uhr stand sie auf, verließ ihr Schlafzimmer und blieb eine halbe Stunde in diesem verdammten Badezimmer, in das er von der Straße aus nicht sehen konnte. Dann aber kam sie endlich raus, meist nur von einem Handtuch bekleidet und cremte ihren ganzen, feuchtwarmen Körper mit dieser Vanillelotion ein. Nackt verrichtete sie dann ein paar Kleinigkeiten wie einen kleinen Obstsalat schneiden, oder Toast machen, bis die Lotion getrocknet war. Jedes Mal war dieses Beobachten grausamer, weil jedes Mal Lukans Verlangen wuchs. Er stand in der Dunkelheit auf der anderen Seite der Straße und hätte genauso gut auf einem anderen Kontinent sein können. Ihre duftende Haut blitzte auf, ihr Körper spannte sich an, wenn sie sich streckte, ihr volles Haar streichelte ihren Rücken. Und er konnte nur zusehen. Für ein paar traurige Minuten, bis die Lotion eingezogen war. Dann erst zog sie sich dieses Kellnerinnenkostüm an, das aus einem schwarzen Kleid bestand und einer Schürze vor dem Bauch. Ihre Mitarbeiterin Laura hatte schon vor Wochen den Rock gekürzt und das viereckige Dekoltée mit weißer Spitze aufgepeppt. So sah Laura aus wie ein Traum eines Hausmädchenfetischisten. Zumindest war sie so klug und trug feste Schuhe, keine Stilettos für ihre stundenlange Arbeit auf ihren Füßen.

Obwohl Laura wohl heute eher dem Geschmack der Männerwelt zu entsprechen schien, verschwendete Lukan keinen weiteren Gedanken an dieses Mädchen. Stattdessen stellte er sich unwillkürlich vor, wie es wäre, wenn die volle, weibliche Holly dieses Outfit tragen würde. Er knurrte leise, als seine Lenden schwer wurden.

Seine Füße bewegten sich langsam aus der kleinen Gasse hinter dem Eisenwarenladen heraus und nahmen die Verfolgung auf. Holly hatte ihre Arbeitsuniform noch an, aber offensichtlich hatte sie nicht vor, gleich zur Arbeit zurückzukehren. Ein dicker Mantel schützte sie vor der Kälte des Morgens und eine dicke Handtasche hing an ihrer Schulter.

Sein Magen zog sich zusammen, als er an ihre schüchterne Frage nach seinen Unternehmungen dachte. Natürlich konnte er sie nicht treffen. Das wäre gefährlich für sie. Und das letzte, das Lukan wollte, war sie in Gefahr zu bringen. Trotzdem... Seine Abfuhr war harsch gewesen und heute waren bestimmt noch ein paar Bars am Stadtrand offen. Hatte sie es aufgegeben auf ihn zu warten und nahm sich jetzt einen anderen?

Er wusste, dass sie ihn anziehend fand. Er roch es jedes Mal an ihr, wenn sie in seine Nähe kam. Und er stahl sich diese kleinen, winzigen Augenblicke, in denen er nur roch, statt schmeckte; nur sah, statt fühlte, obwohl er wusste, wie gefährlich das war. Doch er konnte nicht anders. Er brauchte sie; diese schmerzhaft kurzen, gestohlenen Momente für ein Leben in Einsamkeit.

Aber... Was würde passieren, wenn sie wirklich ihren Weg in eine Bar nahm, weil sie ihn aufgegeben hatte? Weil sie seine Abfuhr zu harsch fand?

Vielleicht war sie auf der Suche nach ein bisschen Anerkennung. Nach ein bisschen Lust. Nach einem unbekannten Mann, der nicht nein zu ihr sagte, weil es vernünftiger war, als ja zu sagen.

Ein tiefes Grollen ließ seine Kehle vibrieren. Vielleicht war es ja nicht vernünftig, ja zu Holly zu sagen. Aber das bedeutete nicht, dass er nicht jedem einzelnen Mann, der es auf Holly abgesehen hatte, ein Nein einprügeln durfte.

Seine Schritte beschleunigten sich auf dem kalten, dunklen Bürgersteig und nahmen die Verfolgung auf.

*

Es hatte geklappt. Alec Hände spannten sich um das Lenkrad, während er blind aus der Frontscheibe des Lexus\' starrte. Der Wagen stand auf dem Parkplatz eines Highwaymotels, das schon von außen mehr als fragwürdig aussah. Allerdings würde in gut einer Stunde die Sonne aufgehen und das Neonschild an der Straße sagte zumindest, dass Zimmer frei waren. Dennoch war Alec noch nicht in der Lage einfach auszusteigen. Er war nicht sicher, was er tun würde, wenn er Grace hochheben und ins Zimmer tragen würde.

Er konnte mit ihr schlafen. Sex haben. Sie ficken...

Ja, sie befand sich in einem komatösen Schlafzustand. Allerdings schlief sie so fest, dass sie gar nicht mitbekommen würde... Er könnte sie ausziehen. Sie würde sich nichts dabei denken, denn es wäre ja nicht das erste Mal, dass er sie auszog. Sein vampirisches Blut in ihren Adern würde jede... Wundheit an ihr, in ihr sofort heilen. Wenn sie aufwachte, würde sie nichts, aber auch gar nichts davon wissen, wenn er...

Zusammen mit diesen Gedanken schoben sich Eindrücke, Gerüche und Gefühle in sein Bewusstsein. Die Zartheit ihrer Haut, der Schwung ihrer Taille, der Geschmack ihres Mundes.

Sie würde nichts merken. Sie würde nie etwas erfahren. Und sie war nun stark genug, um selbst seine Orgasmen unbeschadet zu überstehen. Ihre Haut hatte sich jetzt schon verändert. Er konnte im Augenwinkel sehen, wie sich die Wunden auf ihren Handgelenken zuerst mit rosigem Fleisch und dann mit samtiger Haut überzogen. Sie war immer noch ein Mensch, deshalb dauerte es länger als bei ihm. Aber es bedeutete, dass es tatsächlich geklappt hatte. Sie hatte tatsächlich sein Blut angenommen und nun war sie stärker als die meisten Vampire.

Ihre Haut war nun schon so fest wie Stein. Er würde bei seinem Orgasmus, wenn er die Kontrolle verlor, nicht einfach all ihre Knochen zermalmen können. Es wäre also ohne Folgen. Sie würde irgendwann aufwachen, vielleicht sogar einkaufen gehen, sodass sie endlich Schuhe hatte. Nichts würde ihr sagen, dass sie nicht wie auch schon zuvor vollkommen unbeschadet neben ihm geschlafen hatte.

Der Gedanke war verführerisch. Trotz allem war Alec ein Vampir. Er hatte sich immer genommen, was er wollte. Ihm war auch selten etwas angeboten worden, deshalb war er über Jahrtausende daran gewöhnt gewesen, nicht groß auf das Einverständnis eines Menschen zu warten. Trotzdem ging er nicht sofort aus dem Auto und machte, was ihm seine Instinkte sagten. Denn Grace hatte sich ihm angeboten. Sie würde es auch freiwillig tun. Weshalb sollte darum auf die nächste Nacht warten? Weshalb sollte er es nicht tun? Sie schlief. Unschuldig neben ihm auf dem Beifahrersitz.

Mach sie zu deiner Geliebten. Es wird ihr gefallen. Seine Finger um das Lenkrand verkrampften sich. Sie schlief, Herrgottnochmal! Ihr konnte gar nichts gefallen. Es wird sich gut anfühlen. Denk nur an die Zartheit ihrer Haut. Du kannst alles mit ihr tun. Alles. Sei grob. Fick sie.

Er kniff die Augen zusammen und atmete tief durch. Dieser... Zwang, sich an ihr im Schlaf zu vergehen war da, obwohl der rationale Teil seines Verstandes klar war, dass es katastrophale Folgen haben würde. Nicht nur für sie, sondern vor allem für ihn. All das, was er jetzt in ihr sah, all die Reinheit, die Unschuld und diese Wärme würde er beschmutzen, wenn er sich jetzt nicht zusammenriss. Es würde schließlich nicht lange dauern, bis sie auch von sich aus mit ihm schlafen wollte. Morgen Nacht wahrscheinlich schon. Gott, heute hatte sie sich selbst kaum unter Kontrolle gehabt und ihn angefleht mit ihr zu schlafen. Aber... würde das morgen wirklich auch noch so sein?

Er hatte sie immer als schwachen Menschen mit einem starken Verstand sehen können, doch jetzt war sie auch in der Lage, sich körperlich gegen ihn durchzusetzen. Würde sie ihn jetzt überhaupt noch wollen? Gott, er wollte sie! Sofort. Oder jetzt. Gestern! Was machte es schon, dass sie schlief? Sie war dann nur nicht aktiv beteiligt. Scheiße, musste es sich fantastisch anfühlen, wenn diese zarten, bewussten, wachen Berührungen, die sie bisher getauscht hatten, über seinen ganzen Körper glitten. Wenn er in diese tagblauen, leuchtenden Augen sehen konnte, während er sich in ihr ergoss.

Er schüttelte den Kopf. Was war nur los mit ihm? Weshalb konnte er sie plötzlich nicht einfach schlafen lassen? Ihr frischer Duft wehte zu ihm rüber und benebelte seine Sinne, als sie sich leicht im Schlaf auf dem Sitz drehte und den Mund öffnete. Er hatte ihr sein Blut gegeben, deshalb spürte er einen Nachhall ihrer Gefühle in seinem eigenen Körper. Sie träumte etwas Friedliches. Trotzdem brodelte in ihm keine Ruhe, als er dies fühlte, sondern nur brennende Lust. Er musste sie haben...







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