Die Nacht, in der ich nicht schlafen konnte - Teil 9

Autor: sunny
veröffentlicht am: 12.10.2011


Ich entschuldige mich für die lange Wartezeit!!! Das war wirklich nicht beabsichtigt, aber irgendwie hatte ich eine Schreibblockade... das Schreiben an diesem Teil fiel mir wirklich schwer, und ich mag ihn auch nicht besonders. Teil zehn ist aber in Arbeit, und ich hoffe, dass der wieder richtig gut wird!


***


Kapitel neun
Was „Mut“ bedeutet

Jack, Jack, Jack…
Gedankenverloren male ich mit dem Finger Kreise in die Luft.
Jack, Jack, Jack… Sanft schaukelt mein Fuß die Hängematte an, und ich wiege mich im Klang seines Namens. Jack, Jack, Jack.
Jack hätte ein Lied daraus gemacht. Bestimmt. Er macht immer aus den Worten Lieder.. bei ihm klingt so vieles wie Musik…
Jack, Jack, Jack… eigentlich ist sein ganzes Leben ein Musikstück, so perfekt, so umwerfend wie seine Erscheinung. Jack.
Ja. Jack.
Er geht mir immer noch nicht aus dem Kopf. Ich muss zugeben, mittlerweile habe ich es eigentlich auch aufgegeben, ihn aus dem Kopf bekommen zu wollen. Es ist viel zu anstrengend, und es funktioniert sowieso nicht. Obwohl ich so lange darum gekämpft habe.
Ach ja, das Kämpfen… ich erinnere mich daran, gekämpft zu haben. Mein ganzes Leben lang. Anfangs war es ein eher passiver Kampf, Durchhalten und Stehenbleiben standen im Vordergrund. Dann kam das Weglaufen. Sich entziehen, könnte man diese Phase auch nennen. Kein Zugriff mehr. Ich bin weg. Fort. Ist mir egal, was mit euch passiert.
Und dann…
Tja, dann kam die Phase des Zurückschlagens.
Ja, ich habe es getan. Ich habe zurückgeschlagen. Ich bin kein Unschuldslamm mehr; falls ich das überhaupt jemals war, so bin ich es jetzt jedenfalls ganz sicher nicht mehr.
Grimmig verziehe ich mein Gesicht in der Dunkelheit. Nein. Ich bin NICHT mehr unschuldig. Ich bin NICHT mehr passiv. Ich bin aktiv. Ich habe begonnen, die Zügel meines Lebens selbst in die Hand zu nehmen, die Kontrolle und die Verantwortung dafür zu übernehmen, was in meinem Leben passiert. Ich bin nicht länger bereit, es einfach laufen zu lassen und anderen das Ruder zu überlassen.
Nein. Ein ganz dickes, deutliches Nein dazu.
„Nein“, sage ich entschieden im Dunkeln vor mich hin. „Nein.“
Nicht einen Schritt weiter lass ich euch kommen. Bis hierhin und nicht weiter. Das ist MEIN Leben, das bin ICH. Ich entscheide hier. Und es gibt kein Zurück.
Nein.
Es gibt kein Zurück.
Was entschieden wurde, ist entschieden; und was geschehen ist, das ist geschehen.
Keiner kann es mehr ändern.
Nein.
Und das ist gut so.
Oder?



In dieser Nacht kam all die Angst, all die große, allumfassende Angst, die ich den Tag über ignoriert und unterdrückt hatte, in meinen Träumen hoch.
Ich träumte sehr wirr. Nicht ein Traumbild, an das ich mich danach noch erinnern konnte, war eindeutig und klar zu entziffern. Es waren alles verworrene Angstzustände, in Bilder und Töne gepackt. Bei einigen war ich mir bewusst, dass ich träumte, andere waren so intensiv, dass ich schreiend aufwachte. Aber es schien mich niemand gehört zu haben, denn ich blieb die ganze unruhige, anstrengende Nacht über allein.
Es flossen Tränen in dieser Nacht.
Und, ach, wie wünschte ich mir Jack herbei. Seine tröstende Hand auf meinem Rücken, meinem Kopf, seine sanfte Stimme an meinem Ohr. Wie sehnte ich mich danach, in seinen Armen zu liegen und mich sicher zu fühlen.
Jedesmal, wenn mir das bewusst wurde, heulte ich aufs Neue los.
Ja, es war eine anstrengende Nacht.
Als mein Wecker am Morgen klingelte, lag ich schon lange wach, weil ich es nicht gewagt hatte, noch einmal einzuschlafen, aus Angst, dann erneut zu träumen.
In der Wohnung begegnete ich niemandem. Entweder die anderen waren schon weg oder sie schliefen noch. Benommen und schwerfällig machte ich mich für den Tag fertig, trank ein Glas Wasser; Dazu, etwas zu essen, war ich noch nicht in der Lage.
Als ich aus der Haustür trat, lehnte jemand neben mir an der Wand. Langsam wandte ich den Kopf.
Es war Jack. Ein Bein angewinkelt an der Wand abgestützt, den Kopf gesenkt, stand er dort und starrte auf die Tüte in seinen Händen. Er lächelte nicht, und seine dichten Wimpern warfen tiefe Schatten auf seine Wangen. Er war so verdammt schön. Noch nie im Leben hatte ich jemanden getroffen, ob männlich oder weiblich, der auch nur annähernd an diese Schönheit heran kam.
Ich weiß nicht, wie lange ich da stand und ihn einfach nur ansah. Irgendwann jedenfalls hob auch er den Kopf und sah mich an; in seinen Augen schwammen dunkle Schatten, aber er setzte ein Lächeln auf und begrüßte mich.
„Guten Morgen, Monster! Ich dachte mir, ich hole dich ab… hast du gut geschlafen?“
Ich sah ihn immer noch bloß an. Meinen eigenen Kummer hatte ich schon fast wieder vergessen, so weit rückte er bei Jacks Anblick in den Hintergrund. Was war los? Was bedrückte ihn so – und warum wollte er es mir nicht sagen?
„Wohl nicht“, seufzte Jack, als ich nicht antwortete. Er stieß sich von der Hauswand ab und trat neben mich. „Magst du ein Croissant?“ Er bot mir die Tüte an, aber ich schüttelte bloß den Kopf.
Im Gegensatz zum vorigen war es ein heller Tag. Die Sonne schien und viele Leute waren unterwegs, selbst hier in diesem relativ ruhigen Stadtteil waren es mehr als sonst.
„Hast du denn schon was gefrühstückt?“, hakte Jack nach, und ich wandte mich ihm wieder zu. Seine Augen waren braun, hatten sich vor Misstrauen verdunkelt, aber die schwarzen Schatten darin waren noch nicht vollkommen verschwunden.
Ich schüttelte abermals den Kopf, was er mit einem Stirnrunzeln quittierte.
„Mona, du musst essen. Das gibt dir Energie. Es ist wichtig, mit Energie in den Tag zu starten, das weißt du doch, oder?“
Er sprach zu mir wie zu einem kleinen Kind, und ich war müde und gereizt und stand noch dazu furchtbar unter Druck wegen der Sache mit meinem Bruder.
„Das ist doch wohl meine Sache, oder?“, fauchte ich ihn an. „ Du bist nicht mein Vater!“
Schon eine Sekunde danach tat es mir Leid, und ich hielt mir erschrocken die Hand vor den Mund und starrte ihn an, voller Angst, dass er sich nun abwenden könnte.
Aber Jack lächelte bloß. Und diesmal war es ein echtes Lächeln, eines, dass die Schatten in seinen Augen endlich vertrieb. „Wow“, sagte er. „Wieder eine Premiere. Der erste Wutausbruch.“ Unschuldig strahlte er mich an. „Du machst große Fortschritte, Monster!“
Jetzt fühlte ich mich tatsächlich wie ein kleines Kind. Wie eines, um das die Eltern mit dem Fotoapparat herumscharwenzeln und jedes Bäuerchen begeistert aufnehmen.
Verbissen sah ich hinunter auf meine Schuhe.
Jacks leises Lachen holte mich aus meinen Gedanken. „Nun nimm schon ein Croissant“, bat er mit seiner sanften Stimme, „Bitte. Ich hab extra eins für dich gekauft.“ Er lächelte mich mit hellen, hoffnungsvollen Augen an. „Es ist noch warm.“
Seine Stimme klang so werbend und voller Hoffnung, dass ich lachen musste. Als ich mir meines Gefühlsumschwungs bewusst wurde, traten mir unwillkürlich Tränen in die Augen. Ich blieb stehen und zwang Jack so dazu, ebenfalls anzuhalten. Fragend wandte er sich zu mir um.
Mit großen Augen sah ich ihn an.
„Ich hab solche Angst, Jack“, gestand ich ihm flüsternd. „Heute Nacht konnte ich kaum schlafen vor Angst.“
Jack sagte gar nichts. Eine Weile stand er bloß da und sah mich an, die Augen dunkelbraun und unruhig, und ich erwiderte seinen Blick flehend.
Dann kam er zu mir und nahm mich in den Arm, die knisternde Papiertüte hinter meinem Rücken. Es war die erste Umarmung, bei der er keine Rücksicht mehr auf meine Verletzungen nahm, und die meisten davon waren auch schon verheilt.
„Ich wünschte, ich könnte dir jetzt das Schlaflied singen“, raunte er in mein Ohr, dass ich eine Gänsehaut bekam und hilflos die Hände zu Fäusten ballte. „Aber es ist erst Morgen und du hast noch einen ganzen Tag zu überstehen bis dahin.“ Kurz schwieg er, dann fuhr er fort: „Darum kann ich dir nur sagen, dass es okay ist, Angst zu haben. Angst ist überlebenswichtig und jeder von uns kennt sie; jeder, Mona, selbst der größte Held.“
„Selbst du?“, wisperte ich und er lachte leise, was mich dazu brachte, ein derart starkes Kribbeln zu verspüren, dass ich mich beim besten Willen keinen Zentimeter mehr bewegen konnte.
„Ja, selbst ich“, beteuerte er. „Natürlich.“
Seine Hand strich durch mein Haar, ohne die Umarmung zu unterbrechen.
„Weißt du, Monster“, erklärte Jack leise, „Der Schlüssel liegt in der Definierung von Mut. Wenn du weißt, was Mut ist, dann kannst du mit der Angst umgehen. Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, auch wenn du das wahrscheinlich glaubst. Mut bedeutet, seine Angst zu kennen, manchmal auch die größte Angst der Welt, und es TROTZDEM zu tun. Mut bedeutet, seine Angst zu überwinden.“
Still streichelte er meinen Rücken und ich schloss die Augen.
„Du bist so stark, Mona“, flüsterte er in mein Ohr, „Ich habe überhaupt keine Bedenken, dass du es schaffen wirst, deine Angst zu überwinden.“
„Aber ich kann das nicht allein!“, stieß ich verzweifelt hervor.
Jack ließ mich los, sodass ich die Augen öffnete, und sah mich fest aus schokoladenbraunen Augen an. „Ich bin bei dir, Mona. Das weißt du doch. Ich bin immer für dich da. Und selbst, wenn ich das einmal nicht könnte… du weißt doch, dass du niemals allein bist. Du hast Freunde. Du hast Susan und die Jungs. Und in all der Zeit…“
Er hielt inne und warf einen raschen Blick auf seine Armbanduhr, worauf sich seine Augen weiteten. „Ach du Schreck, du kommst zu spät!“
Mit einem hastigen „Komm!“ packte er meine Hand und rannte los, mich hinter sich herziehend.
Nach solch tiefschürfenden Gesprächen und dem Sprint am frühen Morgen brauchte ich eine Weile, um mich auf meinen Arbeitsalltag einzulassen. Aufgrund des schönen Wetters an diesem Tag war wieder relativ viel los und ich hastete orientierungslos von einem Tisch zum nächsten.
„Wie war dein freier Sonntag?“, fragte Samira mich irgendwann im Vorbeigehen und zwinkerte mir zu.
„Äh…“, entgegnete ich erschrocken. Ich konnte ihr nicht sagen, was wirklich am gestrigen Tag passiert war; das würden zu weit gehen und zu viel preis geben. Also sagte ich bloß: „Gut.“ Und Samira lachte, als hätte sie verstanden, dass ich ihr etwas verschwieg; ich war mir aber sicher, dass sie dabei an etwas gänzlich anderes dachte als ich.
Nach Feierabend erwartete mich an diesem Montag eine Überraschung.
Vor der Tür stand nicht, wie erwartet, Jack, sondern Niki.
Überrascht blieb ich bei seinem Anblick stehen, lief aber, als er mir ein halbes Lächeln schenkte, neugierig weiter.
„Was machst du denn hier?“, fragte ich ihn erstaunt.
Tatsächlich bestätigte er mir: „Ich hole dich ab.“
Gemeinsam liefen wir die Straße entlang. Forschend musterte ich ihn von der Seite. „Ist irgendwas passiert?“
Niki grinste, aber er hatte die Frage wohl schon kommen sehen. „Muss gleich was passiert sein, damit ich dich abhole?“
Ich schwieg. Trotzdem war es merkwürdig.
„Wo ist eigentlich Jack?“, brach ich nach einer Weile unser Schweigen.
„Der hat zu tun“, entgegnete Niki mit einem dermaßen gleichgültigen Unterton, dass ich sofort misstrauisch wurde. Doch noch bevor ich ansetzen konnte, etwas zu sagen, kam uns auf der Straße ein junges Pärchen entgegen.
„Niki!“, rief das Mädchen fröhlich, winkte und zog den Jungen an der Hand hinter sich her auf uns zu. Sie umarmte ihn, dann begrüßte der Junge ihn mit Handschlag. Mit großen Augen und etwas verloren stand ich daneben und sah zu.
„Was machst du denn hier?“, fragte das Mädchen, nachdem es einen neugierigen Blick auf mich geworfen hatte. Sie hatte schwarzes glattes Haar und ein sorgfältig abgestimmtes Outfit, von den Schuhen bis zu den Ohrringen.
„Äh – Ich wohne hier?“, feixte Niki und wich grinsend ihrem spielerischen Schlag aus.
„Idiot!“, kommentierte sie. „Ich meine doch, was…“
„Ich hole Monster ab“, erbarmte sich Niki einer Antwort.
„Ah!“, sagte das Mädchen, und ihre Augen leuchteten in einem seltsamen Schimmer auf. „Du bist also Monster!“ Sie unterzog mich einer kurzen Musterung, bevor sie fortfuhr: „Willst du nicht heut Abend auf meine Party mitkommen? Niki kommt auch, nicht wahr, Niki? Und die anderen auch, soweit ich weiß.“
Ich nahm an, dass sie mit „die anderen“ die restlichen WG-Mitbewohner meinte, war mir aber in Bezug auf ihre restlichen Worte absolut unsicher. Party? Ich war noch nie in meinem Leben auf einer Party gewesen. Irgendwie machte die Vorstellung mir Angst, und außerdem drehten sich meine Gedanken momentan um wesentlich tiefgründigere Dinge. Außerdem wusste ich noch nicht einmal, wer sie war.
„Ja, Monster, komm doch mit!“ Niki lächelte mich an. „Das wird bestimmt lustig!“
Lustig…? Naja, so sicher war ich mir da nicht. Wieder schweiften meine Gedanken ab zu Jack. Wenn er da wäre…
„Mal sehen“, kommentierte ich nur leise, um die anderen davon abzubringen, mich mit diesem erwartungsvollen Blick anzusehen.
„Wir kommen bestimmt“, wandte Niki sich wieder an das Mädchen und strahlte es an. Dann nahm er meine Hand, ignorierte mein Zurückzucken und forderte mich lebhaft auf: „Komm, Monster, wir gehen heim. Susan kann dich bestimmt schön machen.“
Schon im Laufen verabschiedete er sich von dem Pärchen mit einem „Bis später!“
Ein paar Minuten ließ ich mich einfach verdutzt von ihm mitziehen, bevor ich registrierte, was gerade passiert war beziehungsweise passierte und mich aus seinem Griff löste. Ich blieb stehen, sodass Niki sich zu mir umdrehen musste.
„Was… wer war das?“, wollte ich wissen.
Ein Lächeln flammte auf Nikis Gesicht auf. „Oh! Du kennst sie ja gar nicht, stimmt… das war Leonie, mit ihrem Freund, Timo. Er ist nicht gerade gesprächig.“
Ich runzelte die Stirn. „Aha.“
Niki lachte und stupste mich in die Seite, was mich unwillkürlich zusammenzucken ließ. „Komm schon, Monster, sei ein bisschen fröhlicher!“
Aber aus irgendeinem Grund nahm ich ihm seine eigene Unbeschwertheit nicht so ganz ab.
Ich wurde auch nicht fröhlicher. Vielleicht lag es daran, dass Jack nicht da war; vielleicht war es einfach, weil die Party mir Angst machte… vielleicht war es aber auch deswegen, weil ich tief im Inneren wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Bloß, was es war… das war mir nicht so ganz klar.
Wie zu erwarten gewesen war, war Susan von der Idee, mich auf die Party mit zu schleifen, hellauf begeistert. Nachdem Niki ihr davon erzählt hatte, brach sie augenblicklich in einen Redeschwall aus, der kaum mehr zu stoppen war, und zerrte mich anschließend quer durch die Wohnung, von meinem in ihr Zimmer und wieder zurück, ins Bad, nochmal in ihr Zimmer, nochmal in meins… Und all das natürlich, ohne ein einziges Mal mit Reden aufzuhören. Ich war fix und fertig, als sie mir endlich erlaubte, mich in die Küche zu setzen, wo Ben und Lars bereits saßen und sich unterhielten. Bei meinem Eintreten sahen sie überrascht auf.
Ich beschloss, ihre großen Augen zu ignorieren und mich einfach nur auszuruhen; ich hatte ja keine Ahnung gehabt, dass „schön machen“ dermaßen anstrengend war! Abgesehen davon wusste ich immer noch nicht, was mit Jack war; es passte nicht zu ihm, so einfach ohne ein Wort fortzubleiben, und ich spürte, wie schon die viel gefürchtete Enttäuschung in mir aufstieg. Wo war er bloß? Und wo immer er war… warum hatte er mir nicht davon erzählt? Es machte einfach alles keinen Sinn… Jack wusste doch, dass er mir vertrauen konnte, oder? Hatte ich ihn irgendwie enttäuscht, dass er nicht mit mir sprach? Er hatte mir doch sonst auch gesagt, wenn er weg musste…
Permanent grübelte ich darüber nach, bis Lars mich mit einem Kommentar aus den Gedanken riss.
„Ich hatte keine Ahnung, dass du so hübsch bist, Monster.“
Überrascht sah ich auf. Lars errötete, als ich seinem Blick begegnete. „Ähm – ich meine – natürlich bist du s c h o n hübsch, sowieso, meine ich, aber heute… ich meine, so… ich meine…“
„Er meint, du siehst umwerfend aus“, rettete Ben ihn mit einem charmanten Lächeln.
Unsicher lächelte ich ihn an. Ich fühlte mich nicht wirklich wohl in den Kleidern, in die Susan mich gesteckt hatte; immerhin hatte sie aber darauf geachtet, dass keine der Blessuren, die noch nicht verheilt waren, sichtbar war. Nichtsdestotrotz trug ich etwas freizügigere und vor allem engere Kleidung, als ich es gewohnt war, was mir diese leise Nervosität vermittelte.
Wenig später stolperte Niki in die Küche, auf einem Bein hopsend, während er versuchte, in seinen zweiten Schuh zu steigen. „Verdammtes –“, fluchte er, taumelte und stützte sich hilfesuchend an der Tischkante ab. „Jetzt mach schon, du dummes Ding!“ Nachdem er es endlich geschafft hatte, den Schuh anzuziehen, richtete er sich schwer seufzend auf und warf einen Blick in die Runde.
„Wow“, war sein erster Kommentar zu meinem Outfit. Mit großen Augen bat er mich: „Hey, Monster, willst du nicht meine Begleitung sein?“
Keine Ahnung, was ich geantwortet hätte, wenn nicht in diesem Augenblick Susan hinter ihm aufgetaucht wäre und ihm eine Kopfnuss gegeben hätte. „Nun werd mal nicht gleich übermütig, Honey!“
„Au!“ Vorwurfsvoll rieb Niki sich die Stelle am Hinterkopf, wo sie ihn getroffen hatte.
„Du hast ganze Arbeit geleistet“, bemerkte Ben anerkennend. „Bei euch beiden.“ Er zwinkerte ihr zu und stand lächelnd auf. „Können wir los?“
„Schon?“ Susan warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, aber noch bevor sie überrascht registrieren konnte, wie spät es war, nahm Niki seine Chance zur Rache wahr, schlug ihr ebenfalls auf den Hinterkopf und kommentierte: „Schon ist gut. Du hast eine Ewigkeit gebraucht für deine Beautysesion!“
„Das musst du grad sagen“, prustete Lars los und machte Nikis ganze Rache damit zunichte. Der Geschädigte warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Was denn?“, entgegnete Lars grinsend, die Hände unschuldig erhoben. „Ist doch wahr!“
Sie kabbelten sich noch den ganzen Weg über. Wie kleine Kinder, dachte ich mir. Und, dass ich hätte glücklich sein können, würde da nicht der Schatten meines Bruders und das Mysterium von Jacks wortloser Abwesenheit drohend über mir schweben.
Glücklicherweise wohnte diese Leonie nicht allzu weit von uns entfernt, sodass wir laufen konnten. Als wir bei ihr ankamen, war es noch hell, aber die Party war bereits in vollem Gange. Schweigend sog ich all die neuen Eindrücke in mich auf, beobachtete das laute, bunte Treiben, all die aufgedrehten Gemüter und zumeist lachenden Gesichter. Leonie wohnte in einem großen Haus, dessen untere Etage sie offensichtlich nahezu ausgeräumt hatte, um Platz zu schaffen für die vielen Leute. Vom Wohnzimmer aus, in dem sich außer einem Sofa und Bücherregalen kaum noch Möbel befanden, führte eine große, geöffnete Glastür in den Garten, in dem ein Buffet aufgebaut war. Lichterketten hingen zwischen den Bäumen, die Musik hallte aus dem Wohnzimmer wieder („Wenn da mal die Nachbarn mitmachen“, murmelte Ben, als wir nach draußen gingen) und auf dem Rasen herrschte reger Betrieb.
Sowohl Susan als auch Niko hatten mir versichert, dass sie bei mir bleiben würden, aber natürlich dauerte es nicht lange, bis sie Freunde von sich entdeckten und los liefen, um sie zu begrüßen. Auch Ben und Lars waren ziemlich rasch verschwunden, und ich kam mir einsam und hilflos zwischen all den Leuten vor, fürchtete mich noch immer vor meinem Bruder und fragte mich pausenlos, was bloß mit Jack los war. Ich konnte mir sein wortloses Fernbleiben einfach nicht erklären, wie sehr ich auch darüber nachgrübelte. Dabei war es, realistisch gesehen, schon albern, sich wegen eines so nichtigen Ereignisses dermaßen Sorgen zu machen.
Unsicher stakste ich durch die Menge zum Rand des Gartens, in der Hoffnung, dort einen stillen Platz für mich zu finden. Doch selbst bei den Bäumen und der Hecke nahe dem Zaun tummelten sich einige angetrunkene Jugendliche. Gerade sah ich mich um und wollte mich zu einem Baum nahe der Hauswand zurückziehen, da fasste jemand nach meinem Arm.
Erschrocken zuckte ich zusammen und fuhr herum; die Worte meines Bruders klangen nur allzu deutlich in meinen Ohren wieder, und ich war so voller Angst, dass ich kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.
„Holla“, grinste mich ein Typ an. „Kein Grund, so zu erschrecken.“
An seinem Blick erkannte ich, dass er schon einiges intus hatte, aber er war nicht mein Bruder. Er war bloß irgendein besoffener Typ auf irgendeiner blöden Party, auf die ich nie hatte gehen wollen. Langsam entspannte ich mich wieder ein wenig. Ich dachte an Jack. Dachte daran, was der Typ wohl gedacht hätte, wenn ich mit ihm hier gewesen wäre; überlegte, ob Jack wohl auch so viel getrunken hätte. Und wie er wohl wäre, wenn er betrunken war.
Ich kannte Jack eigentlich kaum, das wurde mir wieder einmal klar, während ich ins Gesicht dieses Typen starrte.
„Ich bin Tim“, stellte er sich vor und streckte mir grinsend seine Hand entgegen. „Wer bist du, schöne Frau? Hab dich hier noch nie gesehen.“
Tim hatte dunkles Haar und ein schiefes Grinsen. Eigentlich war er sogar ganz hübsch, aber die Tatsache, dass er mich gerade „schön“ genannt hatte, löste bei mir mehr Erschrecken aus als alles andere. Daher dauerte es auch eine Weile, ehe ich ein Wort heraus brachte.
„I- ich bin neu hier“, stotterte ich unsicher, während ich meine Hand aus seinem Griff befreite.
„Aha“, grinste Tim unbeeindruckt, „Schön dich kennen zu lernen, Neuhier.“
Ich wurde rot, was er aber aufgrund der schwachen Beleuchtung um uns herum nicht sehr deutlich gesehen haben kann.
„Du bist wirklich sehr hübsch, Neuhier“, murmelte Tim, als ich hartnäckig schwieg, weil ich keine Ahnung hatte, was ich sagen sollte oder wie ich mich ihm überhaupt vorstellen sollte. Monster? Ich hatte den Namen eigentlich nie gemocht, weil so viele schlechte Erfahrungen daran hafteten. Außerdem würde er mich garantiert fragen, wer mich denn so genannt hatte, weil es ja bestimmt nicht mein echter Name sei… den ich ihm aber auch nicht nennen wollte. Ich wollte nicht, dass er mich „Mona“ nannte; dieser Name war irgendwie für Jack reserviert, und die Art und Weise, wie er ihn aussprach, war so besonders, dass jedes Aussprechen dieses Namens aus einem anderen Mund etwas daran kaputt gemacht hätte. Mona, das bezeichnete etwas zwischen Jack und mir, einen Teil in meinem Inneren, der noch viel zu verletzlich war, als dass ich ihn mit dem Rest der Welt hätte teilen können.
Was also hätte ich schon sagen sollen? So ganz auf mich allein gestellt, fiel ich lieber in mein altes Verhaltensmuster zurück und schwieg.
„Mit wem bist du hier?“, bohrte Tim neugierig nach, als ich auch diesmal keine Anstalten machte, etwas zu sagen; aber Gott sei Dank tauchte, noch bevor ich überhaupt hätte antworten können, ein zweiter Typ auf, schlug Tim freundschaftlich auf den Rücken und warf mir einen neugierigen Blick zu.
„Na, Tim, was hast du denn hier Süßes aufgegabelt?“
„Ein stummes Mäuschen“, teilte Tim ihm grinsend mit. „Sieht hübsch aus, is aber stumm wie’n Fisch. Wie ne Puppe.“ Seine Hand mit einer Bierflasche hob sich zu seinem Mund, und er trank, ohne mich aus den Augen zu lassen.
So langsam fühlte ich mich immer unwohler. Unwillkürlich huschten meine Augen auf der Suche nach einem Ausweg hektisch umher.
„Na, wie heißte denn, Püppchen?“, wandte sich der Zweite nun lächelnd an mich. Ich schenkte ihm nur einen flüchtigen Blick aus weit offenen Augen, bevor ich wieder zu der Lücke zwischen ihm und der Hauswand sah. Neben der Hauswand, nur einen knappen Meter entfernt, stand der Baum, unter dem wir standen, und ziemlich direkt dahinter begann der Zaun. In diese Richtung hatte ich keine Chance, also berechnete ich meine Chancen, zwischen Typ und Hauswand hindurch zu schlüpfen.
Doch er war meinem Blick gefolgt und stütze herausfordernd seinen Arm an der Hauswand ab. Alarmiert wanderte mein Blick von seinem selbstsicheren Gesichtsausdruck über Tims dümmlich grinsenden zu meiner anderen Seite. Dort stand ein knutschendes Pärchen, aber noch während ich kalkulierte, wie schnell ich sie beiseite schubsen könnte und ob es das Risiko wohl wert sei, tauchten zwischen Tim und ihnen plötzlich noch eine Handvoll weiterer Typen auf, die Tim und den anderen lautstark begrüßten und mir, wie er zuvor, neugierige Blicke zuwarfen. Ganz plötzlich war ich eingekesselt und presste meinen Rücken schutzsuchend an den Stamm des Baumes.
„Wer is’n das?“, fragte einer der neu Hinzugekommenen neugierig.
„Das willse uns nich verraten“, bemerkte der Typ an der Hauswand und legte langsam den Kopf schief. Das Glitzern, das dabei in seinen Augen stand, war mir irgendwie nicht geheuer.
Angespannt schloss ich die Augen und atmete tief durch. Ganz ruhig, Monster. Was sollte schon passieren? Was konnten sie schon tun? Wir befanden uns auf einer Party, überall um uns herum waren Leute, noch dazu waren wir mitten in einem Wohngebiet; im Grunde konnten sie nichts tun, ohne bemerkt zu werden.
Oder?
„Bist’n hübsches Püppchen“, stellte einer der Jungen, ein großer mit kurzem schwarzem Haar, fest und sah mich mit einem Blick an, den ich nur als hungrig beschreiben kann.
Die Angst in mir wuchs und erneut sah ich mich hektisch um. Kein mir bekanntes Gesicht war zu sehen; eigentlich konnte ich ohnehin kaum etwas anders sehen als die Typen, die mich umzingelt hatten. Ich war fix und fertig. Nicht genug, dass ich permanent unter Angst litt aufgrund des Drohanrufs meines Bruders und dass Jack heute einfach unangekündigt verschwunden war; nein, dann musste ich auch noch auf diese blöde Party gehen, wo ich niemanden kannte… und Susan hatte mich auch noch aufgestylt! Hätte sie das bloß nicht getan… ich war fest überzeugt davon, dass dann niemand auf mich aufmerksam geworden wäre. Hätte ich ausgesehen wie immer… wäre ich immer noch unauffällig und langweilig gewesen… gewiss hätte mich niemand auch nur eines Blickes gewürdigt und ich hätte mich wie gewohnt erneut zurückgezogen.
Ja… hätte Susan mich nicht für die Party fertig gemacht… wäre ich nicht auf diese Party gegangen… hätten die anderen mich nicht allein gelassen… dann wäre vieles sicher nicht passiert. Ob das aber gut oder schlecht wäre, vermag ich heute nicht zu sagen. Wahrscheinlich war einfach notwendig, dass passierte, was passierte. In jedem Fall löste es einen großen Entwicklungsschritt aus.
„Komm, lass uns spielen, Püppchen“, drängte der Typ an der Hauswand und streckte eine Hand nach mir aus. Er grinste, wie seine Kumpels. Einer von ihnen lachte und kommentierte: „Hey, sie ist nicht nur dein Spielzeug, Aaron!“
S p i e l z e u g? Das Wort hallte in meinem Gehirn wieder, während Aarons Hand meine Wange umfasste, der Kreis sich enger um mich schloss und er näher trat.
Keine Ahnung, woran es lag, dass sie sich so viel trauten, obwohl wir mitten im Gewusel einer Party standen. Vielleicht daran, dass sie alle schon einiges intus hatten. Vielleicht daran, dass sie sich stark fühlten, weil sie viele waren und ich allein, oder vielleicht, dass jeder vor dem anderen stark sein wollte. Vielleicht lag es an meinem Outfit, keine Ahnung. Ich war es nicht gewohnt, wo etwas zu tragen.
Und vielleicht – nein, eigentlich eher bestimmt – lag es hauptsächlich daran, dass ich mich nicht wehrte.
Ich stand einfach da, wie erstarrt, und tat nichts. Ich ließ zu, dass sie mich S p i e l z e u g und P ü p p c h e n nannten und mich berührten, obwohl ich Berührungen nicht ausstehen konnte, erst recht nicht s o l c h e Berührungen. Es war neu und fremd und unerwartet, und es war unangenehm. Es dauerte eine Weile, ehe ich merkte, dass es zwar eine ungewohnte und andere Art des Übergriffs, der Misshandlung war, als ich sie kannte; dass es aber dennoch unumstößlich eine w a r. Diese Weile, in der ich bloß da stand mit aufgerissenen Augen, mich fürchtete und nichts tat, reichte aus, um eine ganze Menge unschöner Dinge geschehen zu lassen. Sie reichte, mehrere Hände an meinem Körper zu spüren, die ich dort definitiv nicht wollte. Sie reichte, Stimmen Dinge in mein Ohr raunen zu hören, die ich nie hatte hören wollen. Sie reichte, fremde Lippen auf meiner Haut zu spüren, meinem Hals und meinen Wangen. Und schließlich auch auf meinen Lippen.
Das war der Moment, in dem etwas in mir K l i c k machte und ich (endlich!) anfing, zu denken. Es war der Moment, in dem etwas in mir sich erinnerte an etwas, das vor einer gefühlten Ewigkeit geschehen war; etwas, das Jack zu mir gesagt hatte… an diesem Morgen. Kaum zu glauben, dass es derselbe Tag war, an dem beides passierte. Die Zeit, die ich ohne Jack verbracht hatte, kam mir wie eine Ewigkeit vor, von der ich kaum wusste, wie ich sie bewältigt hatte; aber seine Worte, die er an diesem Morgen zu mir gesagt hatte, hatte ich immer noch klar im Kopf.
Es war um Mut gegangen. Ich hatte ihm von meiner Angst erzählt, und er hatte daraufhin etwas über Mut und Angst zu mir gesagt…
„Mut bedeutet, seine Angst zu kennen, manchmal auch die größte Angst der Welt, und es TROTZDEM zu tun. Mut bedeutet, seine Angst zu überwinden.“
Mut bedeutet, seine Angst zu überwinden. Der Satz schwirrte mir durch den Kopf, während ich registriert, wie jemand versuchte, meine Lippen zu teilen.
Mut bedeutet, seine Angst zu überwinden… wenn es einen perfekten Zeitpunkt gab, das zu beweisen, dann war es dieser.
Ich zuckte zurück vor den Berührungen, stieß mir heftig den Kopf am Baumstamm, kümmerte mich aber keinen Deut darum. Noch im selben Atemzug ballte ich beide Hände so fest zu Fäusten, dass die Fingernägel sich in meine Handflächen bohrten, holte aus und schlug zu.
Im ersten Moment waren sie wohl zu überrascht, um sich zu rühren, und ich nutzte diesen Moment aus. Es war bloß eine kurze Zeitspanne, aber sie reichte aus, um etwas in mir zu entfesseln, das lange, lange Zeit, vielleicht zu lange, geschlafen hatte.
Wie eine Furie stürzte ich mich auf die Jungs. Ich schlug und trat und kratzte um mich, so fest ich konnte, mühte mich, dort zu treffen, wo es wehtat; und, oh ja, ich wusste, wo es wehtat. Erst nach einer Weile registrierte ich, dass ich außerdem schrie.
Relativ schnell begannen sie, sich zu wehren und zurück zu schlagen, aber ich hörte nicht auf, zu kämpfen, als ginge es um mein Leben. Vielleicht ging es das ja auch wirklich. Innerlich, meine ich.
Nahezu blindwütig tat ich allem und jedem weh, das sich mi auf mehr als einen Meter näherte. Natürlich waren das nicht bloß die Typen, die mich angegrabscht hatten, denn durch den Tumult und mein Geschrei wurden auch die anderen Partygäste schnell auf uns aufmerksam.
Ben erzählte mir später, dass sie versuchten, uns auseinander und mich zum Aufhören zu bringen, und auch, dass sie mich zu viert festhalten mussten, um mich dazu zu bringen, aufzuhören. Ich habe keine Erinnerung mehr daran.
Susan sagte, es machte nichts, dass sie wegen mir früher gehen mussten, denn fünf Minuten danach, hätte sie gehört, hätte sowieso die Polizei an der Tür geklingelt, weil die Nachbarn sich wegen Ruhestörung beschwert hätten.
Auch daran habe ich keinerlei Erinnerung; an den gesamten Nachhauseweg nicht. Ich weiß, dass ich weinte, ununterbrochen weinte. Ben sagte, dass sie mich fast tragen mussten; sie schleiften mich den ganzen Weg durch die dunklen Straßen nach Hause und redeten auf mich ein und versuchten, herauszufinden, was passiert war; aber ich sagte kein Wort, ich ließ mich nur schlaff mitziehen und weinte, still und ohne einen Laut.
Sie versuchten alle, mich zu trösten. Als ich endlich in meinem Zimmer auf dem Sofa lag, hilflos unter der Decke zusammengerollt, blieb Susan, die mir auch beim umziehen geholfen hatte, noch eine Weile bei mir und sprach beruhigend auf mich ein. Sie versuchte auch, mir übers Haar zu streichen, doch ich zuckte sofort zurück und verbarg den Kopf zwischen meinen Händen.
Und es half alles nichts.
Nachdem Susan endlich mit einem traurigen, hilflosen Gesichtsausdruck die Tür hinter sich geschlossen hatte, lag ich da und weinte und weinte und weinte. Ich konnte gar nicht mehr aufhören, zu weinen. Ich verspürte keinerlei Erleichterung, dass es zu nichts weiter gekommen war, oder Genugtuung, dass ich endlich einmal zurück geschlagen hatte.
Alles, was ich spürte, waren Trauer und Wut und Verzweiflung. Denn es war zu spät.
Ganz egal, was weiter geschehen würde; für eines war es nun zu spät.
Ich hatte zugelassen, dass ein gesichtsloser Niemand namens Aaron meinen ersten Kuss stahl.
Und damit stürzte mehr ein als bloß ein romantischer Traum.
Es war etwas, das tief in mir, ganz in den hintersten Ecken meiner Seele, immer zu mir gehört hatte, das ich mir bewahrt hatte über den größten Schmerz, das mir geholfen hatte, es durchzustehen, und das mir den Mut gegeben hatte, das Wagnis einzugehen, davon zu laufen.
Eine zarte, kleine Wunschvorstellung. Der Traum vom Traumprinzen, der mich retten wird und dem alle meine Küsse gehören. Er war gestorben.
Mein letztes Fantasiehaus war eingestürzt.
Nun war von dem Kind, das ich irgendwann gewesen sein musste, endgültig nichts mehr übrig. Es war gestorben. Und ich… ich war nur mehr ein hilfloses, zitterndes Bündel, ohne eine Ahnung davon, was jetzt bloß als nächstes kommen sollte.
Es gab nichts mehr, auf das ich hin arbeitete. Nichts, auf das ich warten konnte.
Es schien… als sei alles… ganz einfach vorbei.






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