Die Nacht, in der ich nicht schlafen konnte

Autor: sunny
veröffentlicht am: 11.08.2011


Kapitel eins
Neu anfangen

Es knarrt.
Jedes Mal, wenn ich mich mit dem Fuß vom Holzboden abstoße – es knarrt. Das liegt daran, dass die Holzbalken des Dachstuhls schon so alt sind und mein Gewicht in der Hängematte ordentlich daran zerrt. Aber solange sie mich halten, ist mir das ziemlich egal.
Hin – und her. Hin – und her. Die Hängematte schaukelt ziemlich ruckartig, weil sie in der Nische hier oben nicht sehr viel Platz hat.
Ich seufze und werfe einen Blick aus dem Dachfenster. Draußen funkeln schon die Sterne; ich sollte längst schlafen. Wie spät es wohl ist?
Nach elf, wie mir ein Blick auf den Wecker bestätigt. Der Wecker ist langweilig, schwarz und kastenförmig, mit einem grünlichen Display, auf dem bei Knopfdruck die Ziffern aufleuchten. Im Morgengrauen wird er klingeln, unbarmherzig wie immer. Ich wiege ihn in meinen Händen und starre das Display an, bis es vor meinen Augen verschwimmt.
Ich kann einfach nicht schlafen.
Nichts hilft – Nicht die alte Spieluhr, nicht das Schlaflied auf meinem iPod, nicht die heiße Milch mit Honig; Keine frische Luft und auch kein Wechseln und Aufschütteln sämtlicher Kissen, Decken und Bettstätten.
Die Hängematte ist mein liebster Schlafplatz und normalerweise schlafe ich hier oben in der versteckten Nische auch immer recht schnell ein; aber heute geht nichts.
Ich drehe den Kopf und starre hinab ins dämmrige Dunkel meines Zimmers, nur schwach beschienen vom Mond, der durch die Fenster lugt. Da unten steht mein Ausziehsofa noch immer unangerührt. Seit Sonntag mache ich einen großen Bogen darum. Dort kann ich unmöglich schlafen; Jacks Anwesenheit ist dort einfach noch zu stark. Ich frage mich, ob sich das jemals ändern wird.
Und wieder gleiten meine Gedanken fort zum ewigen Kreislauf der letzten Tage – zu Jack und den letzten Wochen und wie um Himmels Willen etwas so schief laufen kann, wie es zwischen uns anscheinend gelaufen ist.
Jack… Jack! Schon allein sein Name tut weh… Aber ich dränge die Tränen zurück, denn ich habe keine Lust, zu weinen. Geweint habe ich nun wirklich schon genug. Und die Hängematte ist kein Ort für Tränen, eigentlich. Eigentlich ist sie bloß ein Ort zum Träumen, zum in-den-Schlaf-schaukeln. Aber heute…
Nein, heute ist sie auch kein Ort zum Weinen. Wirklich nicht.
Ich will nicht weinen.
Erinnern will ich mich auch nicht, aber das tut mein Hirn von ganz alleine.



Tränenschwer. Genauso fühlte ich mich. Der Tag war grau und kühl, und ich lehnte meinen übermüdeten Kopf weit zurück und starrte reglos in den wolkenverhangenen Himmel. Ich schwieg. Es war einer dieser Tage, an denen es sich anfühlte, als würde ich nie mehr wieder etwas anderes tun als zu schweigen.
Ein bisschen fühlte es sich an wie Schweben – schweres Schweben, aber Schweben. Im Grunde genommen war ich nicht gegen meinen Willen unglücklich. Ich war unglücklich, weil ich es wollte, weil es sich für diesen Moment nun mal verdammt richtig anfühlte. Ich wollte nicht zurück – was vorbei war, war vorbei, und es war gut so – aber für den Moment war es richtig, sich der Schwere hinzugeben und sich treiben zu lassen.
„Monster!“ Die Stimme drang wie aus weiter Ferne an mein Ohr. Ganz langsam senkte ich den Kopf, bis ich das strahlende Gesicht direkt vor mir erkannte.
„Lange nicht gesehen!“ Connie setzte sich einfach neben mich auf die Bank und plapperte fröhlich weiter. „Bist du auch so froh, dass jetzt Ferien sind? Ich kann es nicht fassen, dass wir wirklich schon fertig sind – ich meine, wir haben jetzt unser Abi in der Tasche! Ist das nicht der Hammer? Dafür haben wir soooo lange gearbeitet… Ich geh zum Studieren in die Schweiz – ich studiere jetzt Erdkunde, also, sowas in der Art, das ist ziemlich kompliziert zu erklären. Das wird so toll! Ich freu mich schon so! Wir sind unheimlich schnell erwachsen geworden, findest du nicht?“ Sie sah mich an. „Was machst du eigentlich jetzt?“
Eine Weile sah ich sie nur an, dann hob ich träge die Schultern. „Mal sehen…“
„Wie, ‚mal sehen‘?“, fragte Connie überrascht. „Man muss doch wissen, was man studieren will!“
Musste man das? Tja, ich wusste es nicht. Schwerfällig erhob ich mich. „Wahrscheinlich geh ich für ne Weile weg.“
Sie riss die Augen auf. Connie war wirklich ein sehr impulsiver Mensch. „Weg? Aber wohin denn?“
Ich dachte kurz nach, dann zuckte ich die Schultern. „Keine Ahnung. Weg eben.“ Mit dem Kinn deutete ich auf einen Jungen, der mit rudernden Armen und laut Connies Namen brüllend auf uns zu gerannt kam. (War denn heute alle Welt verrückt geworden?) „Da ruft dich jemand.“ Connie drehte sich nach ihm um.
„Auf Wiedersehen, Connie“, sagte ich. „Ich wünsch‘ dir alles Gute.“ Dann drehte ich mich um und ging. Mit langsamen Schritten schlenderte ich die Straßen entlang, die Hände in den Taschen meiner Pulloverjacke vergraben. Es war ein grauer Tag, aber nichtsdestotrotz waren einige Leute unterwegs. Nachdenklich beobachtete ich, wie genervte Eltern ihren Kindern nachliefen und euphorische Teenies den Beginn der Sommerferien feierten.
Ich hatte wirklich keine Ahnung, was ich jetzt, mit dem Abi in der Tasche, tun sollte. Aber während des Gesprächs mit Connie war mir klar geworden, dass ich eines wirklich wollte: Weg. Ich wollte fort von hier, und zwar sofort. Ich hätte schon längst fort sein sollen. Es war vorbei. Vorbei. Endgültig. Jetzt musste ich nur noch klären, wo ich eigentlich hin wollte.
Was kann man mit dem Abi in der Tasche tun?
Naja, nicht viel. Außer studieren. Aber für ein Studium brauchte man Geld… was ich nicht hatte. Zumindest nicht genug. Für meinen Führerschein war schon der Großteil meines Ersparten drauf gegangen.
Alles, was ich konnte, war arbeiten. Irgendwelche einfachen Jobs, die mich über Wasser halten würden, bis ich genug beiseite gelegt hatte, um mir eine anständige Ausbildung oder ein Studium leisten zu können. Hier bleiben konnte ich jedenfalls nicht mehr.
Als ich nach Hause kam, war meine Mutter dummerweise da und ansprechbar. Ich schämte mich selbst für den Wunsch, sie wäre einmal mehr in ihren Nebelwelten versunken, wo keiner von uns Zutritt hatte – denn dann nervte sie mich auch nicht. Aber sie war doch meine Mutter. Ich sollte sie lieben.
Liebte ich meine Mutter?
„Monster?“ Ihre heisere Stimme kam aus dem abgedunkelten Wohnzimmer, in dem sie auch immer schlief. Unsere Wohnung war winzig und mein Bruder und ich mussten uns das einzige Zimmer teilen – was ich hasste.
Momentan dröhnte aus unserem Zimmer seine Musik, also wusste ich, dass er da war. Am liebsten wäre ich direkt wieder gegangen. Ich beschloss, noch heute zu verschwinden.
„Monster?“ Lautlos seufzend schlüpfte ich aus meinen abgetragenen Schuhen und stellte meine Tasche ab.
„Monster!“ Ihre Stimme hatte einen Befehlston angenommen. Bevor sie in hysterisches Geschrei ausbrechen würde, ging ich lieber rasch zu ihr.
„Hallo, Mama.“
Mit benebeltem Blick sah sie mich an. „Wo warst du so lange? Mach mir was zu essen, ich hab Hunger.“
Widerwillen stieg in mir auf. Konnte sie sich nicht selbst etwas machen? Ich wollte so schnell wie möglich weg von hier…
„Mama, ich kann nicht, ich muss noch…“ Ich verstummte. Zornig richtete sie sich auf ihrem Sofa auf. Verdammt. Ich war unvorsichtig gewesen. Hätte ich nicht nachdenken können?
„Du willst mir nichts zu essen machen?“, knurrte sie wütend.
Schnell lenkte ich ein. „Doch! Doch, Mama, ich mach… es ist nur… bitte, ich mach dir was zu essen!“
Aber es war schon zu spät. „Johannes!“, schrie meine Mutter mit Funken sprühenden Augen. Die einzigen Momente, in denen sie wirklich wach war – wenn sie wütend war.
Unsere Zimmertür ging auf und mein Bruder trat heraus. Anklagend deutete unsere Mutter auf mich. „Deine Schwester weigert sich, mir zu helfen!“
Kalter Schweiß brach mir aus. Drohend kam mein Bruder auf mich zu, bis ich mit dem Rücken an der Wand stand.
„Willst du ungehorsam sein?“, fragte er leise.
Ich versuchte, mein panisches Zittern zu unterdrücken. „Nein! Nein, bitte, Johannes, ich hab nur…“
Klatsch traf mich seine Hand im Gesicht. Verdammt. Die falschen Worte.
„Ich mach ihr ja was zu essen“, flüsterte ich ängstlich.
Er trat einen Schritt zurück. „Mach mir auch was. Und komm danach in unser Zimmer.“ Er drehte sich um und verschwand zu seiner Musik.
Hastig, bevor meine Mutter noch etwas sagen konnte, huschte ich in die winzige Küche und fing an, mit zitternden Händen etwas zu essen zu machen. Etwas kochen. Irgendwas, was schnell geht. Darin hatte ich Übung.
Alles in mir sträubte sich dagegen, danach wirklich in unser Zimmer zu gehen, aber ich wusste, dass ich keine Wahl hatte. Nachdem ich notdürftig gespült hatte, brachte ich meiner Mutter ihr Essen und stellte es auf dem niedrigen Tischchen vor dem Sofa ab. Sie war eingeschlafen.
Dann wandte ich mich zögernd unserer Zimmertür zu. Nachdem ich einmal tief durchgeatmet hatte, klopfte ich zaghaft an.
„Ja“, hörte ich Johannes‘ Stimme. Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter und öffnete die Tür einen Spalt breit. Die Musik war aus.
„Dein Essen“, erklärte ich leise.
Johannes wandte sich mir zu. „Komm rein.“ Sein Ton duldete keinen Widerspruch, also schob ich mich ins Zimmer.
„Stell das Essen da ab.“ Er deutete auf seinen Schreibtisch. Ich gehorchte.
„Wo warst du so lange?“ Seine Stimme klang gleichgültig, aber ich ließ mich nicht täuschen.
„In der Schule?“, entgegnete ich, möglichst unschuldig. Dass ich schon seit einigen Tagen keine Schule mehr hatte, hatte ich nicht erwähnt. Erstens, weil es sowieso niemanden interessierte, was ich tat. Zweitens, weil ich mir dadurch ein kleines Stück verbotener Freiheit erkämpfte.
„Lüg mich nicht an“, entgegnete er, sehr leise.
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, und sah mit großen Augen zu ihm. „Wieso?“
Von unten herauf sah er mich an. Seine Augen funkelten bedrohlich. „Du hast keine Schule mehr, Monster.“
Monster. So nannten sie mich alle. Irgendwann, als wir klein waren, hat mir mein Bruder diesen Spitznamen verpasst. Bis heute habe ich es nicht geschafft, davon los zu kommen. Irgendwann hab ich meine Freunde mal drum gebeten, mich anders zu nennen. Darauf entgegnete eine Freundin von mir nur: „Wieso? Ich find das total süß.“ Seufzend verdrehte sie die Augen. „Ich wünschte, mein Bruder würde mir mal nen Spitznamen geben…“ Toll. Wenn sie meinen Bruder hätte, würde sie das garantiert auch nicht mehr wollen.
Ebendieser Bruder starrte mich nun weiterhin drohend an. Ich konnte nichts antworten. Heftig schluckte ich, aber meine Kehle war wie zugeschnürt.
„Bedeuten wir dir gar nichts, Monster?“, fragte Johannes leise, „Mama und ich, sind wir dir so unwichtig, dass du uns absichtlich hintergehst?“
Wieder einmal hatte er es geschafft, mir sämtliche Worte im Mund herum zu drehen und mich so zu verwirren, dass ich nichts antworten konnte. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen, so war das immer. Ich durfte ihm nicht zu lange zuhören; sonst bekam ich immer das Gefühl, er hätte Recht. Das war immer so. Solange, bis ich wieder allein war und meine Gedanken sich klärten. Immer dasselbe auf und ab.
„Ich spreche mit dir, Monster“, zischte Johannes. Ich spürte, wie er wütend wurde. Ganz langsam griff er nach dem Stock, der neben seinem Schreibtisch lehnte. Die Panik schnürte mir den Mund zu und ich konnte nichts sagen.
„Willst du nicht mal antworten, Monster?“, fragte er, schon lauter. Aber ich konnte ihn nur anstarren.
„Antworte!“, brüllte er, sprang auf, holte aus und schlug mich noch im selben Atemzug mit dem Stock. Er traf meine Schulter und es tat höllisch weh, aber ich gab keinen Laut von mir.
„Antworte mir!“, wiederholte er noch lauter und schlug erneut zu. Ich wusste, dass unsere Nachbarn ihn hören konnten, in den Wohnungen über und unter und neben uns. Ich wusste auch, dass sie es alle ausblenden würden.
Johannes nahm mein Kinn in seine Hand. „Monster“, sagte er. Aber ich schwieg.
Er prügelte auf mich ein, bis ich gekrümmt am Boden lag, das Gesicht in meinen Armen verborgen, um es notdürftig zu schützen. Verschwommen nahm ich wahr, dass er innehielt und sich zu mir hinunter hockte.
„Monster“, murmelte er und strich mir übers Haar. „Ich liebe dich, das weißt du doch. Du bist meine kleine Schwester, ich liebe dich.“
Dann driftete ich davon und alles wurde schwarz.
Irgendwann in der Dämmerung erwachte ich, allein auf dem kalten Boden. Mühsam rappelte ich mich auf und wankte ins Bad, um mich notdürftig wieder herzurichten. Mein Spiegelbild wagte ich kaum anzusehen.
Aus dem Wohnzimmer drang kein Ton. Entweder war Mama weg oder sie schlief immer noch. Oder schon wieder. Ich wollte es eigentlich gar nicht wissen.
Rasch ging ich in unser Zimmer zurück. Offensichtlich war Johannes gerade nicht da, und ich wollte die Zeit ausnutzen. Hastig zerrte ich meine bunte Leinentasche hervor und warf einige der wenigen Kleidungsstücke, die ich besaß, hinein. Dazu meine beiden Lieblingsbücher, einen Block, mein Mäppchen, Portemonnaie und Handy. Kein Haustürschlüssel. Den würde ich nicht mehr brauchen.
Nach kurzem Nachdenken holte ich mein Handy wieder hervor und warf es in Johannes‘ Papierkorb. Ich wollte nicht gefunden werden. Und mit dem Handy könnten sie mich orten.
In meinem Portemonnaie befand sich nicht viel. Als ich merkte, dass mein Bruder sich immer wieder an mein Erspartes ranmachte, suchte ich mir ein anderes Versteck dafür. Nie ließ ich mehr als zehn Euro in seiner Reichweite. Er und unsere Mutter wussten auch nichts von meinem Job in der Eisdiele, also war es nicht schwer, ihnen mein Geld zu verheimlichen.
Die Wohnung war still, als ich sie verließ. Behutsam schloss ich die Wohnungstür hinter mir, in der Gewissheit, dass ich nie wieder hierher zurückkehren wollte.
„Jetzt fängt ein neues Leben an“, flüsterte ich mir selbst ermutigend zu. Ich musste nur noch eine kleine Sache erledigen.
Die Tür zu Frau Lehmanns Wohnung knarrte leicht, als ich sie öffnete.
„Frau Lehmann?“, rief ich laut und deutlich in das Dämmerlicht hinein. Als keine Antwort kam, trat ich ganz ein und zog die Tür hinter mir zu. „Frau Lehmann, ich bin es, Mona!“ Die alte Dame war etwas schwerhörig, weshalb ich immer in gehobener Lautstärke mit ihr sprechen musste.
Noch immer ertönte keine Antwort, weshalb ich mich rasch in Richtung Wohnzimmer aufmachte, wo ich sie meistens antraf. Tatsächlich fand ich sie hier in ihrem Schaukelstuhl, mit einem alten Album auf dem Schoß. Sie lächelte mir entgegen.
„Ah, Mona-Kind, du bist es! Komm her, Liebes.“
Ich gehorchte und ging auf sie zu. „Ich kann Ihnen leider in Zukunft nicht mehr helfen, Frau Lehmann!“, erklärte ich, „Ich gehe fort!“
Sie lächelte und tätschelte meine Hand. „Das ist gut für dich, mein Kind… auch, wenn du mir sehr fehlen wirst.“
Ich erwiderte ihr Lächeln dankbar. Sie war so ein guter Mensch. „Sie finden bestimmt jemand anderen, der Ihnen helfen kann, Frau Lehmann!“
Sie lächelte, schüttelte aber den Kopf. „Niemanden wie dich, mein Kind, das nicht.“
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte, also wechselte ich das Thema: „Ich wollte Ihnen noch Ihren Schlüssel wieder geben!“ Ich zog ihn aus meiner Hosentasche, aber sie wehrte ab.
„Nein, nein, mein Kind, den Schlüssel behalte mal! Wer weiß, wozu du ihn noch brauchst.“ Bevor ich mich dazu irgendwie äußern konnte, zog sie ein altes, vergilbtes Foto aus dem Album auf ihrem Schoß. „Hier“, sagte sie und reichte es mir. „Das sind mein Vater und ich. Ich schenke es dir.“ Ich betrachtete das Bild. Ein dunkelhaariger junger Mann war darauf zu sehen, der ein etwa vierjähriges Mädchen auf dem Arm hielt. Beide lachten in die Kamera. Im Hintergrund erstreckten sich Felder.
„Behalte es in Ehren“, bat mich Frau Lehmann. Ich kniete mittlerweile neben dem Schaukelstuhl und sah zu ihr auf. „Frau Lehmann, ich – danke…“ Aber sie tätschelte nur meinen Arm. „Lass gut sein, mein Kind. Vergiss deine Schachtel nicht. Und nimm dir etwas zu Essen mit! Es sind noch belegte Brote im Kühlschrank.“
Ich konnte nicht anders, ich lächelte und gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Danke, Frau Lehmann.“
Rasch stand ich auf und sammelte meine Sachen ein. Meine Schachtel, das war ein alter Schuhkarton, den ich bei ihr deponiert hatte, um ihn von meinem Bruder und meiner Mutter fern zu halten. Darin bewahrte ich meine Ersparnisse und alle wichtigen Dokumente auf. Eilig verteilte ich den Inhalt auf die verschiedenen Fächer meiner Leinentasche. Weil ich wusste, dass Frau Lehmann Recht hatte, ging ich danach in der Küche vorbei und nahm mir zwei der belegten Brote, einige Cocktailtomaten und einen Apfel mit, die ich auf Tüten verteilt in meine Tasche stopfte. Sie passten kaum noch hinein, daher nahm ich eine Flasche Sprudelwasser einfach so in die Hand.
Dann kehrte ich noch einmal ins Wohnzimmer zurück. „Frau Lehmann? Ich habe mir Wasser genommen, ist das…“
Sie unterbrach mich. „Aber natürlich, mein Kind, natürlich.“
Nachdenklich sah ich sie an, bevor ich mich hinunter beugte und sie einmal fest in den Arm nahm. „Danke für alles, Frau Lehmann.“
Sie tätschelte meinen Rücken. „Nicht doch, mein Kind, nicht doch.“
Ich löste mich von ihr und machte mich auf den Weg. An der Tür zum Wohnzimmer drehte ich mich nochmal um. Frau Lehmann lächelte und hob ihre Hand zum Gruß. „Ich wünsche dir viel Glück, Mona-Kind.“
„Danke“, murmelte ich, vermutlich zu leise für ihre alten Ohren. Dann drehte ich mich um und ging.
Ich verließ mein altes Leben, ohne mich noch einmal umzusehen. Kein Blick zurück in die Trostlosigkeit meines Daseins. Alles, was zählte, war der Blick nach vorn, die Zukunft, in die ich vorbehaltlos blicken wollte. Heute fing mein neues Leben an. In diesem Moment. Genau JETZT.
Am Bahnhof lungerten einige der Kumpels meines Bruders herum, also zog ich mir meine Kapuze über den Kopf und ging ihnen aus dem Weg, so gut es ging. Der nächste Zug, der kommen würde, fuhr nach Frankfurt, also zog ich mir eine Fahrkarte und stieg zwei Minuten später in einen spärlich gefüllten Waggon.
Auf Nimmer Wiedersehen.

***
Okay, hier kommt endlich auch mal was von mir :) Ich hoffe, es gefällt euch; sagt mir Bescheid, wenn ihr weiter lesen wollt! LG sunny





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