Théâtre Ombre de Lutèce - Teil 8

Autor: Ananas
veröffentlicht am: 04.10.2011


Als ich das Büro verlasse, steht Margereth, mein Dienstmädchen, auf und wir gehen die Treppe hinunter Richtung Ausgang. Ich wende mich von dem Dienstmädchen ab, das eh nur stur geradeaus schaut. Ich fühle mich elend. Ich weiß nicht, was ich da gerade angerichtet habe und welche Folgen es haben wird, dass ich den Polizisten so viel erzählt habe. Doch wenn ich an Simons totes Gesicht denke, möchte ich unbedingt wissen, was genau geschehen ist. Mir wird heiß und kalt bei dem Gedanken an ihn. Das mit seiner kleinen Französin mit ihren hübschen, modischen Hüten aus Paris und dem dämlichen Akzent habe ich verstanden. Das konnte ich Simon nicht verübeln. Aber ich hatte gedacht, dass er mich mochte. Doch diese Photographie...
Langsam bilden sich Tränen in meinen Augen, gegen die ich nicht ankämpfen kann. Am liebsten möchte ich das Bild aus meinem Gedächtnis tilgen. Wieso nur musste diese Emma auch noch ausgerechnet so aussehen wie ich? Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Ein leises Schluchzen entwicht mir.. Nein, nein, das darf nicht hier passieren, nicht in der Öffentlichkeit. Ich brauche sofort mein Taschentuch. Meine Hände zittern und kramen in der Handtasche nach dem Tuch. Oh, wo ist das Ding nur? Als ich es endlich hervorhole, fällt mir etwas anderes herunter und fällt raschelnd auf den Boden, doch ich achte nicht darauf. Ich tupfe mit der Ecke meines Taschentuchs an den Augenwinkeln und wir eilen zur Tür. Als das Dienstmädchen sie öffnet, höre ich Schritte hinter mir.
„Miss?“
Ich bleibe stehen und drehe mich um. Ein junger, milchgesichtiger Polizist steht vor mir und hält mir etwas entgegen.
„Is' Ihnen runter gefallen, Miss,“ sagt er und reicht mir das weiße Etwas in seiner Hand.
Dankend nehme ich den Papierfetzen entgegen, ehe wir endlich das Gebäude verlassen. Margereth drängt mich dazu, schnell in die nächste Droschke zu steigen und nach Hause zu fahren. Die ganze Fahrt über wische ich mir die Augen.
Nach einer Weile erinnere ich mich an das Papier und entfalte es. Eine dicke Träne lässt die Tinte an einer Ecke verwischen. Mit eiliger Schrift steht dort eine Adresse und eine Uhrzeit drauf geschrieben. Wenn es aus meiner Handtasche gefallen ist, wer hat mir das dann zugesteckt? Ich überlege, aber mir fällt nichts ein. Also zerknülle ich es kopfschüttelnd und stopfe es tief in meine Handtasche.
Und natürlich kann ich nicht aufhören, an Simon zu denken. Mein Kopf schüttelt sich ungläubig. Das alles durfte einfach nicht wahr sein. Es ist zu viel. Ich möchte Christel dafür erwürgen, dass sie mich mit alledem hier alleine lässt und empfinde eine so hilflose Wut, dass ich glaube, platzen zu können, wenn ich mir nicht hier und jetzt meine Seele aus dem Leid schreie, bis ich endlich wieder klar denken kann. Stattdessen starre ich nur die vorbeiziehenden Häuser an und tupfe die heißen Tränen weg.


Nachdem wir endlich zu Hause angekommen sind, verläuft der Tag wieder normal. Cassandra macht nachmittags Einkäufe und folgt dann einer Einladung zu einem Abendessen bei einer Freundin. Mich nimmt sie nicht mit, noch mehr Aufregung täte mir im Moment sicher nicht gut.
Ich verbringe den Abend mit dem Versuch, mich in unserer kleinen Bibliothek mit einem Buch abzulenken. Doch die Buchstaben fliegen nur irgendwie an meinen Augen vorbei, formen keine richtigen Worte und erst recht keine zusammenhängenden Sätze, denn irgendwo hinter den Zeilen verbergen sich stets Simon, Christel, Emmas blutrote Lippen und die kalten Augen des Admirals, die erst verschwinden, als mich der Schlaf übermannt.

Ein Geräusch weckt mich. Das Buch ist von meinem Schoß auf den Boden gefallen und es ist dunkel. Jemand muss bemerkt haben, dass ich schlafe, und das Gaslicht gelöscht haben. Ich lausche ins Dunkel. Aus dem Wohnzimmer höre ich Stimmen. Und zwar nicht das Tauben-Stimmchen von Cassandra, nein, es sind Männerstimmen. Hier. In unserem Haus! Aufgeregt stehe ich auf und suche in einer Schublade nach Streichhölzern, um die drei Kerzen auf dem Messingständer zu entzünden. Ich werfe schnell einen Blick auf die große Standuhr. Weit nach Mitternacht. Wo ist Cassandra?
Besorgt trete ich an die Tür heran, doch durch den schmalen Spalt kann ich nicht viel erkennen, aber zumindest höre ich so etwas mehr.
„Ist sie hier?“ fragte eine raue Stimme. Ich höre Rascheln und ein Murmeln.
„Lüg mich nicht an, wo ist das Miststück?“ beharrt der Mann.
Das Murmeln wird etwas lauter. Wenn ich mich nicht täusche, ist es Margereths Stimme, aber verstehen kann ich immer noch nichts.
„Schau dort nach,“ befiehlt der Mann einem anderen und ich höre sich entfernende Schritte, die die Treppe hinauf eilen. Zu meinem Zimmer, dämmert es mir.
Ich kann etwas dumpfes aufschlagen hören und etwas näher an der Tür einen unterdrückten Schrei und das Geräusch, wie wenn etwas mit einem Ruck über Stoff streift. Das Aufreißen einer Schublade, dann nähern sich wieder Schritte und ich höre Flüstern.
Ich weiß nicht, was sie da bereden, aber mir wird schnell klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis sie hier nachschauen. Geschwind weiche ich von der Tür zurück und blicke mich hektisch um. Das einzige mögliche Versteck ist hinter dem riesigen Blumentopf mit der Tropenpflanze. Ich quetsche mich hinter des Keramik-Ungetüm und puste schnell die Kerzen aus, doch die Dochte glühen immer noch. Schnell ersticke ich die glühenden Biester mit bloßen Händen und stecke mir dann meine vor Schmerz pochenden Fingerspitzen in den Mund.
Es dauert noch eine sich ewig lang ziehende Minute, bis die Tür sich öffnet. Spärliches Licht fällt ein und eine untersetzte Gestalt betritt den Raum.
„Riecht nach Verbranntem hier, Chef,“ meint er misstrauisch und beginnt sich umzusehen.
Hilflos sehe ich zu, wie er näher kommt. Ich muss irgendwas tun, bevor er mich findet. Mein Blick fällt auf den schweren Kerzenständen in meinen Händen. Vorsichtig löse ich die drei Kerzen vom Metall und werfe sie in die andere Ecke des Raumes.
Der Mann hält augenblicklich inne und geht in Richtung des Geräusches. Mein Adrenalinpegel steigt. Hastig schlüpfe ich aus meinen Schuhen und schleiche ihm einige Schritte hinterher. Jetzt oder nie, denke ich, als er sich nach den Kerzen bückt und ziehe ihm mit aller Macht den Kerzenständer über den Hinterkopf.
Er stöhnt auf und sinkt auf den Boden. Einfach so. Regungslos stehe ich da und frage mich, ob er tot ist. Ich kann selbst kaum fassen, dass ich das gerade wirklich getan habe. Meine Hände lassen zitternd den Kerzenständer fallen. Dann erneut Schritte.
„Pete, was is' los?“ ruft sein Komplize von irgendwo weit her.
Wenn keine Antwort kommt, wird er gleich hier sein! Panisch will ich mich wieder hinter der Pflanze verstecken, bremse aber mitten in der Bewegung ab. Ich laufe stattdessen in die entgegengesetzte Richtung, ins Wohnzimmer. Ich sehe Margereth und das zweite Dienstmädchen geknebelt auf einem Sofa sitzen. Sie reißen ihre Augen weit auf, als sie mich sehen. Ich schenke ihnen keine Beachtung, sondern werfe mich schnell in den Schatten hinter das Sofa.
Und zwar keine Sekunde zu früh. Schnelle, schwere Schritte lassen die Dielen erbeben, als der Mann mit der rauen Stimme zur Bibliothek, aus der ich gerade entkommen bin, hastet.
„Pete?!“ ruft er.
Ich warte nur so lange, bis er mir den Rücken zugedreht hat, dann eile ich geduckt zum Flur. Hinter meinem Rücken höre ich hektisches Flüstern, Bewegungen, Krach, der immer lauter wird. Er nimmt gleich das ganze Haus auseinander.
Ohne nachzudenken greife ich nach dem erstbesten Mantel und meiner Handtasche. Dann öffne ich lautlos die Tür und renne barfuß hinaus in die Nacht.





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