Théâtre Ombre de Lutèce - Teil 6

Autor: Ananas
veröffentlicht am: 05.09.2011


So, ihr Lieben, hier der nächste Teil, vielen Dank für eure netten Kommentare, freut mich wirklich sehr, dass es euch gefällt :)




Als ich in der Droschke sitze, die mich wieder nach Hause bringt, bin ich noch viel verwirrter als zuvor und dazu völlig aufgelöst. Ich schäme mich für meine Dummheit und bin enttäuscht von Christel. Die Tränen kann ich kaum zurückhalten. Der Fahrer schenkt mir ein mitleidiges Zahnlücken-Lächeln, als ich ihm seine fünf Schilling zahle und aussteige.
Ich klopfe an unsere Haustür und eines unserer Dienstmädchen öffnet mir die Tür. „Miss Temple?“ fragt sie erstaunt. Sie will noch etwas sagen, wird aber von meiner aufgebrachten Tante zur Seite geschoben.
„Elisabeth!“
Ich senke den Kopf und lasse mich nach drinnen zerren.
„Jesus, Maria und Josef, wo bist du nur wieder gewesen? Wie kannst du dich einfach aus dem Haus schleichen, nach allem was passiert ist? Willst du, dass deiner armen Tante das Herz vor lauter Sorge stehen bleibt?“ gurgelt sie mit ihrer Tauben-Stimme. „Wenn das nur deine liebe Mutter erlebt hätte, dass aus ihrer Tochter solch eine Person geworden ist! Mei, mei, was würde sie sich schämen!“
Sie sagt noch einiges mehr über meine Mutter und Jesus und wie krank sie vor Sorge war. Sie bekreuzigt sich und beteuert, dass sie so etwas nie wieder zulassen würde. Und wie ich doch aussehe und wo ich mich nur herumgetrieben habe! Wie kann sie jetzt noch reines Gewissens sagen, ihre Nichte wäre ein ehrbares Mädchen, süßer Jesus!
Wortlos lasse ich all das über mich ergehen. Mir ist klar, dass ich das Haus für eine Weile nicht verlassen werde. Schließlich zwingt mich meine Tante unter endlosen Vorwürfen und Moralpredigten zu essen und bringt mich anschließend auf mein Zimmer. Ich höre noch, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht.
Mit einem Seufzer setzte ich mich auf mein Bett. Selbst Schuld. Mich in mein Zimmer einzusperren ist nur die erste der Möglichkeiten, die meine Tante nutzt, um meine Freiheiten einzuschränken. Erziehung nennt sie das liebevoll.
Draußen ist es bereits dunkel. Ich schäle mich aus meinem Korsett und lasse mich in mein Bett fallen, rolle mich zu einer Kugel und schlafe still schluchzend ein.

Am Morgen weckt mich das Dienstmädchen und hilft mir beim Ankleiden. Nachdem ich gefrühstückt habe, durchquere ich den Salon, in dem Cassandra wieder fleißig strickt. Die Nadeln tanzen hypnotisch in ihren Händen, irgendwie scheint sie das zu beruhigen.
„Guten Morgen,“ grüße ich sie höflich.
Sie sieht kaum auf und seufzt nur. „Da ist ein Brief für dich,“ meint sie und deutet auf den kleinen Tisch, der mitten im Raume steht.
Reumütig senke ich den Kopf, als ich an ihr vorbeigehe und meine Hand nach dem Brief ausstrecke. Über die Schulter werfe ich Cassandra, die dort so winzig in ihrem Sessel wirkt, einen flüchtigen Blick zu. Sie ist kein bisschen mehr aufgebraucht, sondern eher bedrückt, was ich viel unheimlicher finde.
Als ich den Stempel auf dem Umschlag sehe, verstehe ich wieso. Er ist vom Scotland Yard. „Oh,“ mache ich und drehe mich zu meiner nickenden Tante um. Vermutlich ist sie inzwischen ganz verzweifelt, was mich angeht und hat deswegen den Brief nicht kurzerhand selbst geöffnet. Ich bin eigentlich ganz froh darüber, aber dadurch wird natürlich gleichzeitig mir diese Bürde auferlegt.


Sehr geehrte Miss Temple,

wir möchten Sie hiermit höflich bitten, sich heute, den 12. März, mittags im Gebäude des Polizei Kommissariats von London, Whitehall Place Nr. 4, einzufinden.
Aus Gründen der Diskretion können wir Ihnen keine näheren Informationen zukommen lassen, hoffen aber dennoch auf Ihre Zusammenarbeit.

Hochachtungsvoll,

Chef Inspektor Thomas Davis



Ein Brief vom Admiral persönlich, denke ich mir spöttisch, kann aber keinesfalls meine Beunruhigung verbergen.
„Das ist von Inspektor Davis,“ sage ich kleinlaut, möchte nur möglichste vermeiden, Cassandra noch mehr aufzuregen. Als sie nichts sagt, stelle ich mich fast schon verlegen vor sie hin. „Sie wollen, dass ich mittags zum Kommissariat am Whitehall Place komme. Es... steht nicht drin, was sie eigentlich von mir wollen.“
Langsam nickt meine Tante. „Dann solltest du dort hinfahren,“ meinte sie mit schwacher Stimme und ohne von ihrer Strickarbeit aufzusehen.

Mehr hat sie dazu nicht gesagt, also stehe ich jetzt, anderthalb Stunden später, mit einem mulmigen Gefühl vor dem Gebäude Nr. 4, ein kühler Wind kommt von der Themse herüber und lässt mich schaudern. Neben mir steht eines unserer Dienstmädchen, Margereth, dem Cassandra aufgetragen hat, mich zu begleiten und das kaum älter ist als ich selbst. Sie folgt mir auf Schritt und Tritt ohne sich einzumischen und ich bin ganz froh darüber, dass sie nicht versucht, sich mit mir zu unterhalten. Schließlich betrete ich die breite Treppe. Ein vorbeilaufender Polizist hält mir die Tür auf, was ich mit einem höflichem Lächeln und Nicken quittiere. Am Eingang befindet sich eine Art Rezeption, an der ich herausfinde, wohin ich muss.
Wenig später nehmen mein Dienstmädchen und ich auf einer kleinen Bank gegenüber von Davis\' Büro Platz und warten. Die Zeit verrinnt und Margereths Anwesenheit wird mir langsam unangenehm. Aber für sie ist diese Arbeit vermutlich noch viel schlimmer. Ständig muss sie sich ein Leben wie meines ansehen, als stille Beobachterin, ohne jede Aussicht darauf, jemals selbst daran teilnehmen oder vergleichbaren Luxus, wie den eines Ballkleides, einer hübschen Perlenkette oder neuer Handschuhe, genießen zu können.
„Ah, Miss Tepmle,“ höre ich Davis\' Stimme, als er endlich die Treppe hochkommt und mich erblickt.
Ich und Margereth stehen beide auf, um den Admiral zu begrüßen. „Guten Tag, Mister Davis,“ sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln, wir tauschen Höflichkeiten aus und ich stelle Margereth als unsere Angestellte Miss Smith vor.
„Ich muss mich bei ihnen entschuldigen, wir konnten keine Details in dem Brief erwähnen. Sie wissen ja, wie das ist, man weiß nie, durch wessen Hände sie gehen,“ sagt Davis und wirft dabei Margereth einen schnellen Blick zu.
Er scheint kurz nachzudenken und wendet sich dann an das Dienstmädchen. „Verzeihen Sie bitte, Miss. Aber es handelt sich um eine sehr vertrauliche Angelegenheit, die wir mit Miss Temple allein klären müssen...“ beginnt er. „Wir wären Ihnen also sehr verbunden, wenn Sie hier auf uns warten würden.“ Davis lächelt auf eine Art, die er wohl für förmlich hält, die auf Margereth aber wie eine regelrechte Beleidigung wirken muss, so wie sie zurückschaut.
Dann befolgt sie aber dennoch die Etikette. „Sicher, Herr Inspektor, das verstehe ich vollkommen. Ich werde hier warten,“ antwortet sie und setzt sich wieder auf die Bank.
„Vielen Dank,“ sagt Davis, offensichtlich dankbar dafür, dass die Sache so ungeahnt glatt lief. „Kommen sie bitte mit rein, Miss Temple,“ fordert er auf und hält mir die Tür in sein Büro offen.
Ich tue wie geheißen und sehe mich schnell um. Es ist eine etwas karge Einrichtung aus Eichenholz, alles quillt nur so über von Büchern und Akten als wolle mir dieser Raum entgegen schreien, was für ein vielbeschäftigter Mann der Admiral ist. Ich setze mich in einen der Stühle gegenüber vom Schreibtisch und warte, bis Davis sich auf die andere Seite setzt. Während er sich für seine Verspätung entschuldigt kommt Inspektor Connor, der Rothaarige, rein, der auch diesmal wieder protokollieren soll.
Davis räuspert sich. „Miss Temple, ich denke Ihnen ist klar, dass wir Sie heute wegen der gleichen... Sache sprechen wollen wie gestern,“ beginnt er. „Nun, wie wir Ihnen mitgeteilt haben, handelt es sich bei dem vorliegendem Fall offensichtlich um einen Suizid. Und so traurig und bedauerlich das ist, so klar und simpel ist ein solcher Fall für uns. Wir können schließlich niemanden für Selbstmord verhaften.“
Ich frage mich, ob das ein Scherz sein sollte oder wieso der Admiral sonst grinst. Lachen kann ich jedenfalls nicht darüber.
„Eigentlich wollten wir den Fall schon für abgeschlossen erklären. Aber dann haben wir noch etwas gefunden und dachten uns, es könne Sie interessieren.“
„Was wäre das?“ frage ich und bin froh, auf einem Stuhl zu sitzen und nicht vor Nervosität umkippen zu können.
„Nun, wie sicher im Moment viele haben wir uns gefragt, was einen vielversprechenden, jungen Mann wie Simon Dyole zu so einer Tat treibt.“
Er holt etwas auf den Unterlagen auf seinem Schreibtisch hervor. „Wir dachten uns, dass das hier vielleicht die Antwort sein könnte,“ meint er und reicht es mir.
Es ist eine Photographie. Vorsichtig nehme ich sie und erröte, als ich sie mir ansehe. Die Sache ist auf einen Schlag überaus peinlich und unangenehm geworden. Die Aufnahme ist nicht sehr scharf und stammt offensichtlich von einem Amateur. Ja, bemerkenswert ist sie in einem völlig anderem Sinne. Es handelt sich nämlich um einen Akt, eine Frau mit offenem, dunklen Haar lächelt verträumt in die Kamera und hat nicht mehr als einen für sie viel zu großen Herrenhut und ihre Strümpfe an.
Das ist eine wahrhaft frivole Aufnahme und als ich hochschaue, stelle ich erschrocken fest, dass Davis mich beobachtet und erröte noch mehr.
„W-wieso zeigen Sie mir das, Mister Davis?“ frage ich. Es ist absolut unsittlich, mich, eine unschuldige, junge Dame, auf solche Weise in Verlegenheit zu bringen. NAtürlich traue ich mich nicht, mich lauthals darüber zu empören, mit meinem zittrigen, nervösen Stimmchen.
„Haben Sie diese Aufnahme schon einmal gesehen?“
„Wieso um Himmels willen denken Sie, ich könnte das schon einmal gesehen haben?“
„Nun, Miss Temple, wir dachten...“ Davis wird plötzlich ebenfalls unbehaglich. „Nun, die Frau auf dem Bild, wir dachten... Äh... Also, ich meine, wenn Sie... die dunklen Haare... Wir hatten uns gefragt, ob Sie nicht...Naja, Sie haben so... äh... reagiert, als Sie Mister Doyle gesehen haben...“ stottert er herum und mir wird klar, worauf er hinaus will.
Ich bin entsetzt darüber. Vermutet er denn wirklich, das auf dem Foto könnte ich, ausgerechnet ich, sein?! Meine Kinnlade klappt herunter und ich starre ihn ungläubig an. „Was?!“
„Verzeihen Sie, Miss Temple, wir...“ Davis rutscht auf seinem Stuhl hin und her, als ihm klar wird, wie daneben er lag. „Wir wollten Sie damit keineswegs beleidigen, wir haben nur... Entschuldigen Sie bitte vielmals, es war nicht unsere Absicht...“
Er redet sich um Kopf und Kragen und ich stehe empört auf und gehe kommentarlos Richtung Tür. Solche Frechheiten muss sich keine Dame bieten lassen.
„Miss Temple, warten Sie doch!“ ruft Davis und versperrt mir den Weg. Ich sehe, wie sein Kollege grinst. Ja, es muss wirklich urkomisch für ihn sein, wie sich der Admiral anstellt und wie die Dame errötet und überhaupt. Haha Ha!
„Sie müssen doch zugeben, dass eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden ist,“ versucht Davis sich raus zureden.
Wütend schnaube ich. „Wollen Sie damit sagen, ich hätte irgendeine Ähnlichkeit mit so einer... so einer... Person?“ frage ich und wedele mit der Photographie.
Der Admiral sagt gar nichts, sondern sieht mich nur an, als wolle er mir sagen, ich müsse selbst noch einmal hinsehen. Schließlich tue ich es und beiße mir auf die Unterlippe.
„Sie kennen diese Frau,“ stellt Davis fest und leider muss ich zugeben, dass er meinen Gesichtsausdruck richtig gedeutet hat.
Bei näherem Hinsehen verstehe ich durchaus, dass Davis vermutet hat, diese Frau könnte ich sein und eine Ähnlichkeit ist da sicherlich zu sehen. Doch da sind diese Verlockenden Lippen und die makellose Alabaster-Haut, diese Ehrfurcht gebietende Schönheit. Ja, die Frau auf dem Bild ist zweifellos Emma.





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