Der Anfang vom Ende - Teil 3

Autor: Joy
veröffentlicht am: 08.08.2011


Der Tisch war schon gedeckt und meine Familie fing gerade an zu frühstücken.
„Morgen Laaleh. Wo warst du denn schon so früh?“ Fragte mich meine Mutter.
„Eh’…ich war ein bisschen spazieren.“ Lächelte ich sie an.
„Okay, dann setzte dich doch jetzt zu uns und lass und frühstücken.“
„Ja Ana.“
Es war nichts anders. Alles war normal. Ich dachte, sie würden mich vielleicht noch einmal auf gestern ansprechen, aber nichts.
Als ich mir das letzte Stück Käsebrötchen in den Mund schob, sagte meine Mutter:„ Ach so, Laaleh. Aadish und seine Familie kommen morgen noch einmal. Denn den letzten Tag, den sie da sind, wollen sie noch mal hier verbringen. Außerdem wollen wir auch schon mal übe die Hochzeit reden.“
Nein! Bitte nicht! Ich möchte ihn nicht mehr sehen, nie wieder!
Ich nickte nur. Würde ich hier heiraten oder schon in Aserbaidschan? Ich wollte hier heiraten, ich wollte hier meine letzte Lebensstunde verbringen. Was sollte ich tun? Ich wusste etwas. Ich sage einfach, schwer Krank bin. Ich dürfte nicht mehr von hier weg. Aber nein, irgendwann müsste die Krankheit ja aufhören oder ich müsste sterben. Also ging das schon mal nicht. Leider.
„Tut deine Stelle an der Wange noch weh?“ Fragte mich mein Bruder Paadaash.
„Nein Paad. Ist alles in Ordnung.“
Ich log nicht, sie tat wirklich nicht mehr weh. Ich half meiner Mutter wie immer aufzuräumen. „Laaleh, setzte dich bitte einmal.“ Sagte meine Mutter zu mir.
Also setzte ich mich. „Wie findest du Aadish? Ganz ehrlich?“
„Ganz ehrlich Ana? Ich möchte ihn nicht heiraten.“
„Wieso denn nicht?“
Ich hätte ihr am liebsten gesagt, dass er mich geschlagen hat, doch er hat mir gedroht. Deshalb traute ich mich nicht.
„Ich mag ihn einfach nicht. Er ist unfreundlich und arrogant.“
„Komisch. Also zu uns war er wirklich sehr nett.“
„Ana, als wenn er zu euch so ist, wie zu mir.“
„Da hast du auch Recht. Du guckst einfach noch einmal, wie er das nächste Mal zu dir ist und dann reden wir noch einmal. Du hast ihn bestimmt nur an einem falschen Tag erwischt. Er wird bestimmt sehr nett sein.“
„Vielleicht. Vielleicht hast du ja wirklich Recht Ana.“ Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging dann in mein Zimmer. Ich nahm mir meine Tasche, zog mir mein Bikini an und ging zu meiner Lieblingsstelle. Dort war nie jemand und man konnte gut ins Wasser steigen.
Ich ging den Weg, den ich gestern zurück gelaufen bin und musste wieder an alles denken.
Ich legte meine Tasche auf einen Stein, zog mein Kleid aus und stieg ins Wasser. Es war lauwarm, wirklich sehr angenehm. Ich holte einmal tief Luft und tauchte dann hinunter. Ich versuchte solange meine Luft anzuhalten, wie es ging. Es war so ein Adrenalinstoß, wenn man bis zu seinem letzten Atemzug unter Wasser blieb. Einfach nur ein tolles Gefühl. Vor allem, man konzentriert sich nur auf das Wasser. Man kann gar nicht an etwas anderes denken. Als ich dann bis zu meinem letzten Atemzug unter Wasser blieb, stieß ich mich vom Grund weg und kam nach oben. Ich strich mir eine Strähne aus meinem Gesicht, rieb mir meine Augen und sah den Fremden.
„Wow, wirklich beeindruckend, wie lange Sie unter Wasser bleiben können.“ Gratulierte er mir. Stand er schon die ganze Zeit dort und hat mich beobachtet?
„Danke.“
Ich stieg langsam aus dem Wasser und nahm mir mein Handtuch. Ich rieb mir in mein Gesicht, bist es trocken war. Es war so heiß, dass ich mir mein Handtuch nicht um die Hüft binden musste. Ich tat es trotzdem, weil es mir irgendwie unangenehm war, mit dem Mann zu sprechen, während ich hier im Bikini saß.
„Wie geht es Ihnen?“ Fragte er mich höflich und bat mich, mich neben ihn zu setzen.
„Wie soll es mir schon gehen? Wie würde es Ihnen an meiner Stelle gehen?“
„Nicht gut. Aber mir würde es gut tun, wenn ich mit jemand Fremden sprechen könnte.“ Lächelte er mich an. „Erzählen Sie doch mal.“ Bat er mich.
„Na ja, was wollen Sie denn hören?“
Ohne etwas zu sagen runzelte er die Stirn. Denn er wusste genauso gut wie ich, dass ich wusste was ich sagen sollte.
„Ich kann nicht mit Ihnen darüber sprechen. Ich kenne Sie doch gar nicht. Ich kann Ihnen nicht meine größten Probleme erzählen, die mein ganzes Leben verändern werden.“
„Erstens, tut es gerade gut, mit jemand Fremden zu reden. Glauben Sie mir, ich weiß wovon ich spreche. Und zweitens, alles was Sie tun, verändert Ihr Leben.“
Ich dachte einen Augenblick darüber nach. Vielleicht würde es mir ja wirklich gut tun, mit jemanden zu reden, den ich nicht kannte.
„Als mich jemand von weitem gerufen hat, gestern Abend, wissen Sie noch?“
„Ja klar.“
„Das war mein Zukünftiger. Ich wollte weglaufen, doch lief ihm direkt in die Arme. Er hielt mich an meinen Handgelenken fest und…“
Ich konnte nicht weitersprechen. Ich traute mich einfach nicht und außerdem füllen sich meine Augen schon wieder mit Tränen.
„Und was?“ Fragte er mich.
„Er…er hat…mich geschlagen!“ Ich vergrub mein Gesicht in meine Hände.
„Was hat er?! Das kann und will ich jetzt nicht glauben.“
Er regte sich lange darüber auf, doch als er merkte, dass ich von Sekunde zu Sekunde mehr weinte, war er still. Er wusste nicht wirklich was er machen sollte. Er hob seine Hand und legte sie mir auf den Rücken. Ich erschrak und er nahm sie schnell wieder zurück.
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“
„Nein. Niemand kann mir helfen. In einem Monat werde ich heiraten und zurück nach Aserbaidschan müssen. Ich und niemand anders kann mir helfen.“
„Doch. Ich weiß wie. Sie müssen nicht zurück gehen. Ich meine nicht nur nach Aserbaidschan, auch nicht nach Hause. Packen sie Ihre Sachen und hauen Sie ab! Es gibt Organisationen, die Ihnen helfen.“
„Nein! Auf keinen fall! Ich liebe meine Familie und kann sie nicht einfach im Stich lassen!“
„Ganz ehrlich, hilft Ihre Familie Ihnen? Sie lassen Sie doch genauso im Stich und das können sie auch nicht abstreiten. Oder hilft Sie Ihnen?“
„Nein. Aber ich habe ihnen auch nicht gesagt, dass er mich geschlagen hat. Er hat mir gedroht, dass noch etwas Schlimmeres passieren kann.“
„Ich möchte Ihnen helfen. Wirklich. Denken sie darüber nach. Packen sie Ihre Sachen und hauen Sie ab. Das ist die letzte Chance, wenn Sie nicht einfach ’Nein’ sagen wollen.“
„Vielleicht haben Sie ja Recht.“ Es war wirklich eine gute Idee von ihm, aber ich konnte mir selber damit nicht einig werden. Eigentlich wollte ich es auch gar nicht, denn ich wollte meine Familie nicht verraten.
„Wieso sagen Sie eigentlich nicht einfach ’nein’?“
„Weil ich dann von meiner Familie verachtet werde. Sie würden niemals mehr wieder etwas mit mir zu tun haben wollen, weil ich die Tradition gebrochen hätte.“
„Aber wollen Sie lieber ein eigenes Leben oder zurück nach Aserbaidschan und das tun, was man Ihnen sagt?“
„Sie haben ja Recht“, Stimmte ich ihm zu. „Aber ohne meine Familie bin ich auch nichts.“
„Aber wenn Ihre Familie noch nicht einmal hinter Ihnen steht?“
„Es ist alles so kompliziert.“
„Sie machen sie es nur kompliziert.“ Meinte der Fremde.
„Sie sind eine starke Frau, glauben Sie mir. Sie haben besseres verdient. Sie sind jung, hübsch und voller Lebensfreude, dass sehe ich in Ihren Augen, eigentlich. Machen Sie was aus Ihrem Leben.“ Er war nicht viel älter als ich. Vielleicht drei Jahre.
„Danke.“
„Wofür?“
„Das Sie mir zugehört haben.“
„Kein Problem. Aber ich meine es Ernst. Gehen Sie nach Hause und sagen Sie Ihrer Familie, dass sie ihr Verlobter geschlagen hat und dass sie ihn nicht heiraten werden.“
„Wissen Sie was? Genau das werde ich jetzt tun! Danke noch einmal. Bis zum nächsten Mal.“
Ich war für einen Moment wirklich überzeugt davon, dass ich es machen werde. Ich überlegte mir genau, was ich sagen wollte, doch als ich die Haustür öffnete, ist mir der ganze Mut vergangen. Ich brachte keinen Ton aus mir heraus.
„Warst du schwimmen?“ Fragte mich mein Vater.
„Ja dədə.“
„Und hattest du Spaß?“
„Ja, es war schön, mal den Kopf frei zu bekommen.“
„Von was frei zu bekommen.“
Dass ich nicht jede Sekunde daran denken muss, dass bald mein ganzes Leben versaut ist! Daran dədə, daran!
„Ach, einfach mal über alles nachdenken. Über die Zukunft.“ Sagte ich.
„Freust du dich schon auf deine Hochzeit?“
Nein!
„Passt schon.“
Er kniff die Augen zusammen, aber sagte nichts mehr. Ich ging mit ihm ins Wohnzimmer und schaute ein bisschen Fern.
Aus diesem Tag machte ich nichts Besonderes. Ich ging mit meiner Mutter einkaufen, passte auf meine kleine Schwester auf und irgendwann war es dann auch schon Abend. Meine Eltern waren heute Abend mit Freunden Essen, deshalb musste ich Ladan ins Bett bringen.
„So Schätzchen, jetzt wird geschlafen.“
„Nein Laa!“ Da sie erst vier Jahre alt ist, kann sie meinen Namen noch nicht richtig aussprechen. „Doch Ladan. Es ist schon spät. Leg dich jetzt hin.“
Sie protestierte nicht weiter und machte das, was ich ihr sagte. Schon nach kurzer Zeit schlief sie ein. Ich war auch schon müde, deshalb putze ich mir meine Zähne, wusch mich und legte mich in mein gemütliches Bett. Ich kuschelte mich unter meine Decke und wartete auf den morgigen Tag.






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