Der Anfang vom Ende - Teil 2

Autor: Joy
veröffentlicht am: 06.08.2011


Ich traute mich nicht zu sagen, dass ich hier bleiben wollte. Deshalb drehte ich mich um und wollte gerade ins Wohnzimmer gehen, doch Aadish hielt mich am Arm fest und drehte mich zu sich. Mir lief eine Träne die Wange herunter.
„Es wird wunderschön. Glaube mir.“
Ich musste mehr weinen. Ich versuchte kein Ton von mir zu geben.
„Was ist dein Problem? Es ist doch klar, dass du das machst, was dein zukünftiger Mann dir sagt! Oder denkst du etwas anders?“
Immer noch traute ich mich nicht etwas zu sagen.
„Ich habe dich etwas gefragt!“
„Ja. Es ist klar, Aadish.“ Schluchzte ich.
„Dann ist ja gut. Komm, lass uns wieder zu den anderen gehen. Mit dir kann man sich sowieso nicht richtig unterhalten. Noch nicht.“
Was sollte das ’noch nicht’ bedeuten? Wollte er mich etwas zwingen, zu reden? Ich dachte, er wäre nett, doch da habe ich mich getäuscht. Ich habe mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie es sein würde, wenn mein Zukünftiger nicht nett wäre. Wie setzten uns zu den anderen, die sich prächtig unterhielten. Meine Mutter sah mir sofort an, dass etwas nicht stimmte. „Laaleh, kommst du bitte mit mehr Tee kochen.“ Sagte meine Mutter zu mir.
Ich nickte und folgte ihr dann. Sie schloss die Tür hinter sich und fragte mich dann:„ Was ist los? Was ist passiert?“
„Ana, Aadish möchte mit mir zurück nach Aserbaidschan!“ Ich fiel in ihre Arme und weinte weiter. Sie strich mir immer wieder mit der Hand über den Rücken.
„Mein Kind, wenn er das möchte, dann gehst du mit. Doch er wird dir ein schönes Leben machen. Er hat viel Geld, könnte sogar sieben Kinder versorgen und dir dann immer noch die Welt zu Füßen legen.“ Versuchte meine Mutter mich zu trösten. Vergeblich.
„Aber Ana! Ich möchte hier bleiben! Bei euch! Hier ist es wunderschön.“
„Dort auch. Dort auch, Laaleh.“ Meinte sie. „Und außerdem kommen wir dich so oft wie möglich besuchen und du uns auch.“
„Nein! Nein! Das will ich alles nicht! Ich möchte ihn nicht heiraten, ich möchte keine fünf Kinder und vor allem möchte ich nicht zurück!“ Weinte ich ziemlich heftig.
„Laaleh! Verstehe dass du musst! Wir können daran nichts ändern! So Leid es mir auch tut, es ist aber so.“ Schrie sie ein wenig.
Ich löste mich aus ihren Armen und verschwand dann aus der Tür. Ich wollte nicht, dass sie nach kommt, also lief ich so schnell ich konnte, irgendwo anders hin. Irgendwo, wo ich alleine bin. Ich lief an eine Bucht, die nur ich kannte. Dachte ich zumindest. Auf einem Fels saß ein Mann der mich geschockt anguckte. Er stand auf und kam zu mir. Ich wollte nicht weglaufen, also schaute ich nach unten. Mir liefen immer noch Tränen herunter.
„Schuldigung, ist alles okay bei Ihnen?“ Fragte der Mann mich freundlich.
„Sehe ich so aus?!“ Fragte ich genervt zurück.
„Tut mir Leid, dass ich gefragt habe.“ Meinte er und verschwand wieder auf dem Fels. Ich wollte nicht so unfreundlich sein, denn so war ich nicht. Ich entschloss mich zu ihm hin zu gehen und mich zu entschuldigen.
„Tut mir Leid, dass ich so unfreundlich war. Sie können ja auch nichts dazu.“
„Kein Problem. Kann ich Ihnen denn sonst irgendwie helfen?“
„Nein, aber danke. Mir kann niemand helfen. Leider.“
„Setzten Sie sich doch zu mir. Wenn sie reden wollen.“
Ich lächelte ihn an und setzte mich neben ihn. Wir schauten aufs Meer hinaus, was heute ganz still lag. Hier war es so beruhigend.
„Was würden Sie tun, wenn sie jemanden heiraten müssten, den Sie nicht wirklich kennen und von dem der erste Eindruck nicht gut war?“
Er lachte. „Über diese Frage bräuchte ich mir keine Gedanken machen, denn ich würde mich gar nicht erst zum heiraten zwingen lassen.“
Das war logisch. Eigentlich sollte ich es auch nicht tun, aber ich wollte unsere Tradition nicht beenden. Ich könnte mich selber nicht mehr im Spiegel ansehen.
„Wieso? Ist dies Ihr Problem?“ Fragte der Mann mich neugierig.
„Genau das ist mein Problem.“
Er runzelte die Stirn und sagte dann:„ Sagen Sie doch einfach ’nein’, wenn Sie es wirklich nicht wollen.“
„Wenn das so einfach wäre. Ich würde gerne einfach ’nein’ sagen können, aber das geht nicht.“
„Wieso geht es denn nicht?“ Er sah wirklich so aus, als wenn es ihn interessieren würde.
„Tradition.“ Ich machte eine kleine Pause. „Meine Familie ist zwar nicht streng gläubig, aber das ist geblieben. Und das schon seit Jahrhunderten und deshalb kann ich auch nicht einfach ’nein’ sagen.“
„Oh.“ Mehr wusste er anscheinend nicht zu sagen.
Er fragte noch weiter, fragte mich vieles über meine Kultur und woher ich komme.
Plötzlich hörte ich von weitem, wie jemand meinen Namen schrie.
„Oh nein! Sie haben mich nie gesehen! Ich muss jetzt weg!“
„Nein, ich werde nichts sagen, falls mich jemand fragt. Viel Glück.“
Ich lächelte noch einmal flüchtig und verschwand dann hinter den Bäumen. Ich lief und hoffte, dass mich niemand entdeckt. Doch so wie das Schicksaal wollte, lief ich Aadish direkt in die Arme. Damit ich nicht wieder verschwand, hielt er meine Handgelenke fest.
„Was hast du verdammt noch mal für ein Problem?“ Schrie er schon fast.
„Du tust mir weh!“ Weinte ich. „Lass mich sofort los!“ Schrie ich.
Er hob seine Hand und die flog direkt in mein Gesicht. „Wag es dich nicht, noch einmal so mit mir zu reden, Liebling.“ Meinte er sanft zu mir, aber trotzdem ein wenig ironisch.
Ich legte meine Hand auf die Stelle, auf der er mich traf und sie fühlte sich heiß an. Es kribbelte und tat weh. Er hielt mich weiter am Handgelenk fest. Als wir vor meinem Haus standen, nahm er seine Hand hoch und ich zuckte zurück. Doch er hob nur mein Kinn an.
Er wischte mir die verschwommene Schminke aus dem Gesicht und machte meine Haare ordentlich, damit es bloß niemand sah, was er mit mir gemacht hat. Doch meine Augen füllten sich schon wieder mit Tränen und Leider merkte er dies.
„Hör mir zu. Ich möchte nicht, dass du jemanden davon erzählst, sonst kannst du dich auf etwas Neues gefasst machen. War das verständlich?“ Fragte er mich.
„Ja, dass war es.“ Oh wie gerne hätte ich ihm jetzt seine Haare heraus gezogen oder irgendetwas anderes. Aber wenn ich das gemacht hätte, wäre für mich Schluss gewesen.
Nun nahm er mich nicht mehr am Handgelenk, sonder an meiner Hand, damit es bloß so aussehen würde, als wenn. Als wir klingelten, hörte ich gleich ein paar mehr Füße, die zur Tür gelaufen kamen. Meine Mutter riss die Tür auf.
„Mein Kind wo warst du denn?!“
Alle anderen schauten mich auch fragend an. Ich öffnete gerade meinen Mund, um etwas zu sagen, doch Aadish war schneller.
„Sie wollte einmal kurz Luft schnappen, weil sie ein wenig Kopfschmerzen hatte. Wir haben uns alle umsonst Sorgen gemacht.“
Alle lächelten, weil sie erfreut darüber waren, dass nichts Schlimmes war.
Wie setzten uns wieder. „Wieso bist du denn so rot auf deiner eine Gesichtshälfte?“ Fragte mich meine Mutter besorgt. Ich wusste nicht was ich sagen sollte und holte einmal tief Luft, doch Aadish war wieder schneller als ich.
„Oh, dass war etwas wirklich witziges.“ Lachte er. Ja, wirklich witzig.
„Als wir zurück gegangen sind, da ist Laaleh über einen Ast gestolpert und an hat einen Baum gestreift.“ Lachte er wieder. Man sah es ihm nicht an, dass er log. Er zeigte keine Reue.
Meine Mutter schaute ein wenig ungläubig, genauso wie mein Bruder.
„Ja, dass war echt komisch.“ Lächelte ich, damit sie kein Verdacht schöpfen.
„Ja, unsere Laaleh kann schon echt tollpatschig sein.“ Lachte mein Vater.
Nach kurzer Zeit war das Thema dann auch vergessen. Der Abend verging schnell und Aadish verschwand wieder mit seiner Familie. Meine Familie fragte zum Glück nicht weiter nach.
Ich half noch eben beim aufräumen und ging dann in mein Zimmer. Ich wollte nicht, dass mich jemand störte, also verschloss ich meine Tür. Ich legte mich aufs Bett und dachte über alles nach. Doch schon nach kurzer Zeit klopfte meine Tür.
Ich stütze mich vom Bett ab und öffnete diese dann. Es war Omid, mein ältester Bruder.
„Omid! Was machst du denn hier?!“ Ich umarmte ihn fest, denn ich hatte ihn schon länger nicht mehr gesehen. Zu ihm hatte ich das Beste Verhältnis.
„Ich habe es Leider nicht geschafft, da zu sein, wenn Aadish und seine Familie hier sind. Aber ich wollte dich wenigstens fragen, wie es denn war.“
„Komm doch erst einmal herein. Setz dich doch.“ Sagte ich und zeigte auf mein Bett.
„Danke. Und wie ist er und seine Familie?“
Ich zuckte mit den Schultern. Omid runzelte die Stirn.
„Laaleh? Wieso ist dein Gesicht auf der einen Seite so rot?“ Er betonte es so, als wenn er schon wüsste, was los sei.
„Ich bin gestolpert und habe einen Baum gestreift.“ Sagte ich kurz und knapp.
Er verzog seine Augenbraun, aber fragte nicht weiter, worüber ich auch ganz froh war.
„Erzähl doch mal ein bisschen. Ich bin doch jetzt nicht extra den weiten Weg gefahren, um nur ein Schulterzucken von dir zu sehen.“
„Seine Familie ist wirklich sehr nett. Seine Mutter hat mich gleich ganz herzlich empfangen und sieht sehr fröhlich aus. Sein Vater ebenfalls.“
„Okay, dass ist doch gut. Aber was ist mit Aadish?“
Ich holte tief Luft und gab dann:„ Ja, er ist schwer in Ordnung“, von mir.
„Na ja. Ihr habt euch jetzt zum ersten Mal kennengelernt. Wenn du ihn beim zweiten oder dritten Mal siehst, wird das schon ganz anders aussehen. Glaube mir.“
Das konnte ich aber nicht glauben, weil ich wusste, wie er war. Und was sollte sich daran ändern? Ich würde als alte Ehefrau enden, die auf ihre über fünf Kinder aufpasst und nicht mehr aus dem Haus gehen darf. Und wenn ich dann mal darf, wahrscheinlich mit einem Mantel. Ich müsste meine Haare kurz schneiden und dürfte mich auch nicht mehr schminken. Ich würde irgendwann in eine Psychiatrie eingewiesen werden, weil ich mit diesem Leben verrückt wäre. Auf meiner ganzen Haut bildete sich Gänsehaut, als ich daran dachte.
„So Schwesterherz. Meine Frau und mein Kund warten schon auf mich. Meine kleine Naahid, hat sich heute ihren Finger verstaucht und da muss ich sie ein wenig trösten. Außerdem vermisst mich meine Frau auch schon.“ Lachte er. Er schien so glücklich, als wenn er sie wirklich liebt. Er verehrte sie. Ich habe noch nie gehört, dass er schlecht über sie redete. Sie war in seinen Augen eine wundervolle Frau. Wieso konnte das bei mir nicht so sein?
„Okay. Danke, dass du hier warst. War schön dich mal wieder zu sehen. Ich hoffe du kommst bald mal wieder.“
„Das werde ich.“ Er gab mir noch einen Kuss auf die Stirn und ging dann wieder heraus.
Ich schloss wieder die Tür und legte mich auf mein Bett. Es war noch nicht spät, aber ich schlief samt meinen Anziehsachen ein. Als die Sonne aufging, wachte ich auf. Ich sah schrecklich aus. Total verweint. Das erste was ich machte, ich stelle mich unter die Dusche. Ich hatte mich ein wenig beruhigt, aber war noch derselben Meinung. Zumindest dachte ich, ich hätte mich beruhigt. Denn als ich daran dachte, weinte ich wieder. Ich werde doch jetzt erst einundzwanzig Jahre alt? So konnte mein Leben doch nicht enden?
Ich zig mich an und musste einen klaren Kopf bekommen. Meine Eltern waren noch nicht wach, also schrieb ich einen Zettel, dass ich draußen sei. Ich ging wieder zu meinem Lieblingsplatz. Schon wieder dieser Mann. Er hörte, dass jemand kam und drehte sich erschrocken um.
„Sie schon wieder.“ Sagte ich.
„Ja, so sieht es aus. Setzten sie sich doch.“
„Danke.“
„Und?“
„Was und?“ Fragte ich.
„Na ja, ist gestern noch irgendetwas passiert?“
„Eh’…nein, nichts weiter.“
Er schaute mich an und kniff die Augen zusammen.
„Das glaube ich Ihnen nicht. Sie sehen nicht wirklich glücklich aus.“
„Ich bin hier hin gekommen, um einen klaren Kopf zu bekommen. Ich möchte jetzt wirklich nicht darüber reden.“
„Okay, akzeptiere ich.“
Die nächsten zwanzig Minuten sagten wir nichts.
„Schön hier.“ Sagte der Mann.
„Ja, das stimmt. Ich komme schon seit Jahren hier hin. Hier ist man für sich alleine und kann über alles nachdenken.“
„Da haben sie Recht.“ Lächelte er. „Ich verabschiede mich jetzt von Ihnen, vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“
„Vielleicht.“ Verabschiedete ich mich.
Nach fünf Minuten ging ich dann auch nachhause und fragte mich, ob heute etwas anders sein würde.






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