Lieben ohne Worte - Teil 14

Autor: Noa
veröffentlicht am: 17.11.2011


Ich erwachte in hellem Licht und musste ab und zu die Augen zusammen petzen. Erst nach wenigen Sekunden erkannte ich den weiß-grau gefärbten Raum. Ein Krankenzimmer mit Linoleumboden und trostlosen Atmosphäre. Das Bett wirkte angenehm und warm, jedoch klebte etwas an meinem Kopf, das mein rechtes Auge verdeckte. Ein dicker Verband bedeckte meinen kompletten Kopf. Auch mein linkes Bein schien viel dicker, als das andere zu sein. Ängstlich hob ich die Decke hoch und wagte einen Blick drunter. Ich schloss seufzend die Augen. Das darf nicht wahr sein! Mein Bein war gebrochen, ein dicker Gips umschlang es. Was war bloß passiert? Nur Bruchstücke schwebten in meinem Kopf herum. Der Moment, als Chantal vor meiner Tür stand mit ihrem tödlichen Blick. Jedoch am meisten überkam mich das Gefühl einen Moment lang zu fliegen, als ob ich fallen würde. Stimmt! Ich erinnerte mich. Chantal stürzte mich vom Balkon, sodass ich zwei Stockwerke auf die Wiese stürzte mit dem Gesicht zum Boden. Deswegen auch der Verband und das Bein. Wo ich wohl stecken mochte? Immer noch in Frankreich? Ob sich Liam um mich Sorgen gemacht hatte? Ich vermisste meinen Vater, der jetzt eigentlich neben mir sitzen sollte. Wenn das schon nicht der Fall war, dann saß ich sicher noch in Frankreich. Ich krempelte meinen Ärmel hoch und bemerkte die vielen Pflaster am Ellenbogen und Oberarm. Ich schüttelte unverständlich den Kopf und wollte nicht wissen, wie viele Wunden ich noch mitzutragen hatte. Aber es war mir relativ egal. Fakt war, das nun jeder wusste, was für einen miesen und heimtückischen Charakter Chantal hatte. Hoffentlich konnte sie nun niemand mehr leiden, am besten nicht einmal ihre ganzen Freunde. Sie sollte spüren, wie schmerzhaft das war, wenn man wie ein Außenseiter behandelt wurde. Nur weil mein anders war, als andere Menschen, hieß das noch lange nicht, das man ein schlechter Mensch oder eine Missbildung der Natur war. Man kam eben mit einer Behinderung zur Welt und man kann sich drehen und wenden wie man möchte, nichts wird es ändern. Außerdem hatte ich großes Glück gehabt. Aus irgendeinem Grund erlangte ich wieder meine Stimme. Vielleicht war sie schon mein Leben lang da und zeigte sich erst im späteren Alter. Wenn das ein Geschenk war, sollte ich es auch den anderen mitteilen, früher oder später käme die Wahrheit ans Licht. Besser jetzt, als nie. Ob der Arzt ein Franzose war, wenn ich mich noch in Frankreich befand? Müsste ich dann mit ihm auf einer anderen Sprache sprechen? Wahrscheinlich würde ich sowieso kein einziges Wort verstehen, was er sagte. Sprache konnte ich nie wirklich gut, außer Englisch. In dem Moment wollte ich am liebsten aus dem Bett steigen und nach Hause gehen, sogar wenn ich kriechen müsste. Ich hasste Krankenhäuser, deren nerviger chemischer Gestank, der ständig in der Luft lag. Ob das überhaupt gesund war? Ich würde höchstens zwei bis drei Tage dort bleiben, länger nicht. Mein Bein zuckte ständig und schmerzte manchmal, da die Tabletten nicht lange genug hielten. Da drückte jemand den Griff hinunter und ein lautes Lachen drang in mein Ohr. Wer mag das wohl sein? Da stürmte ein Mann hinein mit weißem Kittel und grauen kurzen Haaren, langem Oberkörper und dünnen Beinen. Er bemerkte erst gar nicht, dass ich schon erwachte. „So…dann nur noch eine erneute Spritze zur Schmerzlinderung für Frau Braun und dann…“, murmelte er gestresst und stoppte als er bemerkte das ich schon wach war. „Oh! Sie sind wach!“ Er setzte sich zu mir aufs Bett und füllte die Spritze auf. „Wie geht es Ihnen denn?“, fragte er höflich. Es erfreute mich, dass er deutsch sprach. Ich nickte nur und durfte nicht vergessen eigentlich stumm zu sein, aber anderseits, vielleicht weiß er auch nichts davon, sonst hätte er nicht gefragt. Daher räusperte ich mich und wagte einen gestammelten Satz.
„Ich bin etwas verwirrt…“ „Oh! Das macht nichts. Wir haben durch ihren Ausweis herausgefunden, wer sie sind und die Lehrer haben mir schon bescheid gegeben, aber sagen Sie mal, wenn ich fragen dürfte, was haben Sie denn für eine Behinderung? Ihre Lehrerin meinte…“, fing er an und wurde durch mich unterbrochen: „Sie haben doch als Arzt eine Schweigepflicht, oder? Könnten sie dann bitte noch niemanden etwas von meiner erworbenen Stimme erzählen, wenn sie so freundlich wären?“ „Sie sind eigentlich stumm?“ „Ja.“ „Tut mir leid, Frau Braun, aber ich kann Ihnen das nicht versprechen. Immerhin sind sie dann nun kein behinderter Mensch mehr, sondern vollständig gesund, das ist eine Art Wunder!“ „Ich bitte Sie…Ich werde es allen sagen, nur nicht jetzt in meinem Zustand. Bitte!“, flehte ich ihn an. „Also gut, Frau Braun. Ich verspreche es, aber spätestens, wenn sie das Krankenhaus verlassen, fühle ich mich gezwungen es zumindest ihren Erziehungsberechtigten zu beichten.“ Ich nickte zufrieden. „Vielen Dank, Doc.“, sagte ich und lächelte. „Da Sie nun endlich wach sind, dürfen auch ihre Freunde Sie endlich besuchen.“ „Bin ich überhaupt noch in Frankreich?“ Der Arzt lachte. „Oh nein, Mademoiselle. Sie sind wieder in Deutschland, keine Panik. Sogar in ihrem Ortsbereich. Es waren schon zahlreiche Personen hier, die zu Ihnen wollte. Leider darf ich sie nicht gewähren lassen, da sie noch schliefen.“ „Wie lange war ich denn bewusstlos?“, fragte ich schockiert.
„Volle zwei Tage. Es war ein wenig umständlich sie nach Deutschland zu bekommen, aber sie hatten sich nur ihr Bein gebrochen, einige Verletzungen an den Armen und eine Platzwunde am Kopf. Sie sind aus zwei Stockwerken gestürzt und hatten eine üble Prügelei. Es könnte gut sein, das sie nach dem Aufenthalt bei uns vor Gericht müssen.“ „Vor Gericht sogar?“ Der Arzt lachte erneut auf. „Ja, immerhin haben Sie sich mit der anderen Patientin Krankenhaus reif geprügelt. Nur ihre Freundin hatte eine gebrochene Nase und einige blaue Flecke, das im Vergleich zu Ihnen nur wenige Kratzer waren. Sie haben große Glück gehabt, da sie sich auch das Genick hätten brechen können.“ „Das hört man nicht gern.“ Er schüttelte den Kopf und blickte flüchtig zur Tür. „Ich lasse Sie nun allein. Auf mich warten noch andere Patienten. Ich werde später noch einmal vorbeischauen.“, sagte er, spritzte mir noch etwas in die Kanüle an meinem Handgelenk und verschwand aus dem Raum. Ich spürte wie die Flüssigkeiten durch mein Blut floss und sich ausbreitete. Eine Gänsehaut durchfuhr mich und bekam kalt. Da kam nach wenigen Sekunden der erste Besucher zur Tür hinein. Es war mein Vater, der die Hände voll mit Leckereien, sowie Schokolade oder Gummibärchen hatte. Er grinste mich an, zog sein Gesicht zur einer besorgten Mimik und legte alles auf dem Stuhl ab. Er umarmte mich vorsichtig und schaute sich die Verbände und das gebrochene Bein unter meiner Decke an. Er atmete tief ein, als würde er mit mir fühlen. „Hey Kleines…“, sagte er sanft und nahm meine Hand. „Wie geht`s dir?“ Wieder dieselbe Frage. Am liebsten würde ich antworten, aber ich hatte Angst. Ich erinnerte mich an die Wortes des Arztes und wusste, dass ich jedem der durch diese Tür kam, die Wahrheit sagen musste. Spätestens in ein paar Tagen wüsste jeder Bescheid und hinter einer Lüge könnte ich mich nicht mehr verstecken. Außerdem war es mein Vater, er änderte sich mir zu liebe, wurde von einem Säufer und Faulenzer zu einem neuem Menschen, der gerne zur Arbeit ging und sich endlich für seine Familie Zeit nahm. Er verdiente die Wahrheit und weitere Lügen wären der falsche Weg. Als atmete ich tief ein und aus, aber mein Herz schlug nicht langsamer. Die Aufregung und Angst wie er reagieren könnte, brachten mich zum Zögern. Schon als ich laut räusperte, zog er seine Augenbrauen zusammen. „Dad, ich glaube es ist Zeit dir einmal die Wahrheit zu sagen. Ich habe schon seit längerem meine Stimme zurückerlangt.“ Seine Augen weiteten sich. Er wirkte vorerst erschrocken, dann wütend, jedoch gab er mir keine Antwort, was mich befürchten ließ, dass er auf mich sauer war. Er spannte seine Muskeln an, als müsste er sich zusammen reißen, das spürte ich deutlich, als er meine Hand fest drückte. „Du…kannst…sprechen.“, stammelte er sehr undeutlich und ihm schien ein Kloß im Hals stecken geblieben zu sein. Ich sah wie sich sein Kehlkopf stark bewegte, als er zu Schlucken versuchte. Ich nickte verständlich und dann lächelte er mit Tränen in den Augen. Er zog sein Gesicht lang und schniefte. Er verkraftete es anscheinend nicht, das ich nun ein normaler Menschen war, so wie all die anderen. „Du kannst sprechen.“, wiederholte er und dieses Mal liefen seine Tränen über seine Wange und er versuchte seine Freude zu unterdrücken. Ich konnte ihn sehr gut verstehen. Immerhin dachte er ich würde mein ganzes Leben stumm bleiben und nie ein Wort von mir geben, aber schließlich gab man mir meine Stimme zurück. Auch mir schossen ungewollt die Tränen in die Augen, weil ich nie wollte, dass mein Vater weinte. Aber er freute sich, dass ich doch ein normales Leben führen konnte und das allein machte mich glücklich. Den Moment genoss ich, als mein Vater und ich uns gegenseitig anlachten und unsere Wangen befeuchtet wegen der Tränen waren. Erst nach einer Stunde musste er das Zimmer verlassen, da die Arbeit auf ihn wartet. Er wollte unbedingt bleiben und wollte schon seine Arbeit anrufen und sich frei nehmen, aber ich verbot es ihm. Am Abend, gegen acht Uhr, besuchte mich der nächste. Selena spazierte mit einem dicken Strauß aus Lilien in mein Zimmer und sprang vor Freude in die Luft, als sie mich sah. Sie umarmte mich stürmisch und ließ mich erschrocken los, als sie merkte das fast wie eine Mumie eingewickelt war. „Ich hab von dem Unfall und dem Kampf mit Chantal gehört. Meine Güte, ich bin fast gestorben vor Sorgen. Du siehst ja schrecklich aus. Glaub mir, Chantal wird von mir persönlich auch noch was auf die Mütze kriegen. Was sie dir angetan hat!“, protzte sie los. Ich schüttelte, aber nur den Kopf und lachte laut. Selena lächelte mich an, wirkte überhaupt nicht verwundert. Jedoch ich hingegen war vollkommen baff. „Wieso wunderst du dich nicht?“, fragte ich. „Na, weil ich schon alles von deinem Vater erfahren hatte. Ich hatte ihn erpresst und deswegen konnte ich kaum erwarten tatsächlich deine Stimme zu hören. Ich bin so glücklich!“, kreischte sie. Sie blieb jedoch nicht lang, weil ihre Mom jede fünf Minuten anrief, da sie nach Hause kommen sollte, weil sie am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Sie entschuldigte sich öfters dafür und verließ nach einer halben Stunde das Zimmer. Gerade als ich wirklich dachte mich würde keiner mehr besuchen kommen, klopfte es sanft an der Tür. Erschrocken drehte ich mich um und wartete gespannt auf den nächsten Besucher ab. Liam trat hinein. Ich schluckte und wusste ihm musste ich es auch sagen. Meine Hände zitterten, Schweiß brach aus und mir steckte nun ein Kloß im Hals. Er hatte auch eine Pralinenschachtel in der Hand und setzte sich zu mir aufs Bett ohne ein Wort zu sagen. Mein Atem wurde unregelmäßiger und das Kribbeln im Bauch tauchte erneut auf. Aber er legte die Schachtel auf den Stuhl zu den anderen und nahm mich besorgt in den Arm. Ich spürte wie etwas Nasses auf meinen Kopf tropfte. Er weinte doch nicht, oder? „Jeder in der Schule sagte du seist tot.“, schluchzte er und versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, wie ihn diese Zeit in Sorgen versetzt hatte. „Ich hatte wirklich gedacht du seist nicht mehr am Leben. Die Ärzte sagten kein einziges Wort. Sie schwiegen und teilten mir überhaupt nichts mit. Ich wusste nicht mehr woran ich glauben wollte und diese zwei Tage ohne doch waren einfach nur purer Horror.“ Mir schossen auch Tränen in die Augen, als ich spürte wie sehr in das verletzt hatte. Außerdem bedrückte mich, das Gefühl ihm die Wahrheit sagen zu müssen. Würde er es denn verstehen? „Ich glaube ich hab etwas sehr wichtiges vergessen dir die ganze Zeit über zu sagen, Emma. Die letzte Zeit und all das was wir gemeinsam erlebt haben, waren für mich die tollsten Momente überhaupt. Mir ist sehr vieles klar geworden und ich möchte die nächste Zeit mit dir verbringen, wenn das für dich auch ok ist. Weißt du, Emma…Ich liebe dich.“
Mein Herz machte einen harten Sprung gegen meinen Brustkorb und die Worte waren wie ein wunderschönes kurzes Gedicht, das sich in mein Gedächtnis einbrannte. Es klang wundervoll und es tropfte eine weitere Träne auf meinen Kopf, sodass auch meine Wangen wieder feucht wurden. Wie eine Welle umkam es mich und dann sprudelte alles in einem leidenschaftlichen zugleich gefühlvollen Satz aus mir heraus: „Liam…Ich liebe dich.“






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