Wir lieben die Sterne zu sehr, um uns vor der Nacht zu fürchten - Teil 15

Autor: MusicJunkie91
veröffentlicht am: 17.11.2011


_Valerie_

Bereits nach wenigen Sekunden wird mir schlecht. Es ist nicht gut, dass ich nicht sehe, wohin wir fahren. Ich fühle mich orientierungslos und bemerke, dass mein Mageninhalt sich den Weg nach oben bahnt. „Fred!“, sage ich mit scharfer Stimme. Aber der brummt nur etwas. Kurz darauf höre ich es rascheln und spüre dann, wie mir eine Plastiktüte in die Hand gedrückt wird. „Kotz da rein. Keine Zeit anzuhalten.“ Viel zu schnell gehorche ich ihm und übergebe mich. Danach beginne ich zu weinen. „Ach, halt die Fresse!“, tönt es von dem Fahrersitz, doch das lässt mich nur noch schlimmer weinen. Wir sind jetzt fast einen Tag unterwegs und ich kann einfach nicht mehr! Ich will zu Ted, will mich in seine Arme flüchten, will mich an ihn schmiegen. Er soll mich halten, mir Sicherheit geben.
Und das ist der Moment, in dem es geschieht. Es fühlt sich im ersten Augenblick so an, als wenn ich ich eine Vision bekomme. Alles ist verschwommen, die Luft um mich herum wabert. Doch dann wird alles klar. Ich schaue mich um, ich schwebe über einem Feldweg und sehe, wie das Auto, in das ich heute Morgen gestiegen bin, sich entfernt. Ich spüre, dass mein Körper sich noch darin befindet und schaue an mir herunter. Erst erschrecke ich, doch dann macht es mir nichts mehr aus, dass ich keinen Körper habe. Ich schwebe nämlich ungefähr drei Meter über der Straße und bestehe nur noch aus winzigen Glitzerpartikeln, von denen ich mir sicher bin, dass sie das menschliche Auge nicht sehen kann.
Auch weiß ich, weshalb ich mich losgelöst habe. Wie vorhin im Auto denke ich an Ted – und bin sofort bei ihm.
Er sitzt auf meinem Bett und schaut auf die Decke. Ich schwebe zu ihm, versuche ihn zu berühren, doch es misslingt mir. Das macht mich traurig, sehr traurig. Da kommt Viola herein und setzt sich neben ihn. „Hier, Ted, dein Tee.“ Er nickt, nimmt die Tasse entgegen und schaut sie an. „Danke.“ Sie nickt auch und streicht ihm mit dem Handrücken über die Wange. „Wir finden sie.“ „Ja?“, flüstert er. Seine Stimme ist voller Schuldgefühlen, Angst, Verzweiflung und einem kleinem Hauch Hoffnung. „Ja“, erwidert Viola und wischt ihm eine Träne weg, bevor sie ihn fest in den Arm nimmt. Ich sehe, wie er seine Hände auf ihren Rücken legt und sie dort genauso berührt, wie mich immer. Das macht mich eifersüchtig, brennend eifersüchtig. So eifersüchtig, dass ich meinen körperlosen Zustand nicht halten kann und rasend schnell zurück in meinen Körper gezogen werde.

„Sie sagt, sie kann ihre Visionen nicht kontrollieren.“ Das ist Freds Stimme. Ich spüre, dass ich auf etwas Hartem liege, ich vermute, es ist eine Pritsche oder etwas in der Art. Meine Augen lasse ich noch geschlossen. Es ist kalt, da wo ich bin.
Ein leises Stimmengewirr, bestehend aus männlichen Stimmen, kommt näher. Erneut ertönt Freds Stimme. „Was denken Sie darüber, Meister?“ „Jetzt sind wir einen schon mal erheblichen Schritt weiter. Danke, Mr. Bostwick. Ich schau mal, was sich für Sie tun kann.“ Fred lacht: „Na ja, Sie sind der Boss hier!“ „Ich weiß.“ An der Stimme höre ich, dass der Mann grinst. „Wieso denkt sie, sie kann es nicht kontrollieren?“ „Keine Ahnung. Aber sie scheint fest davon überzeugt zu sein.“ „Hat ihr Bruder Ihnen etwas darüber erzählt, Mr. Bostwick?“ „Nein, aus dem war ja kein Wort herauszubekommen. Ich glaube, er liebt sie wirklich, obwohl ihm ja immer eingetrichtert wurde, dass er das nicht darf.“ „Jaja, die Liebe... sie schlägt immer in den ungünstigsten Moment zu. Er sollte herkommen.“ „Das wird er nicht, wenn wir es wollen.“ „Dann sagen wir es ihm halt nicht! Sagen Sie ihm, dass seine Freundin bei uns ist.“ „Das weiß er bereits.“ „Gut, dann wird er nicht mehr lange weg bleiben.“
„Ist sie das?“, fragt eine andere Stimme, eine von denen, die vorhin noch weiter weg waren.“ „Ja“, antwortet Fred. „Wieso liegt sei da so?“ „Sie ist während der Autofahrt ohnmächtig geworden, aber jetzt ist sie schon wieder bei Bewusstsein, oder, Valerie?“ Die Stimme, die von Fred Meister genannt wurde, spricht mich direkt an. Ich öffne die Augen, da sie eh wissen, dass ich wach bin – nur um sie sofort wieder zuzukneifen. Himmel! Können die nicht ein anderes Licht über mir anmachen, eines, das nicht so verdammt hell strahlt? Ich gebe einen unwilligen Ton von mir, höre ein kurzes Gerangel und dann wieder Fred. „Ich hab das Licht gedimmt.“ Mit dem Beschluss ihm mal zu glauben, schlage ich die Augen wieder auf. Diesmal sehe ich ihn, er hat sich über mich gebeugt und lächelt. „Alles okay? Du warst ziemlich lange weg.“ Ich schaffe es schwach den Kopf zu schütteln und krächze: „Ted.“ „Ted ist nicht hier, Val. Und außerdem liebt er dich doch nicht, erinnerst du dich? Er hat dich bloß belogen.“ „Nein. Liebt mich.“ Nach diesen Worten fallen mir die Augen zu und ich schlafe ein.

Als ich erwache, befinde ich mich in einem anderen Raum. Hier ist es still, dunkel und es herrscht eine hohe Luftfeuchtigkeit. Ich versuche mich zu orientieren und bemerke ein schwaches Licht, das unter der Türe durchscheint. Das hilft mir schon mal ein wenig.
Ich habe Durst. Mein Mund ist staubtrocken. Vorsichtig setze ich mich auf, schaue mich um, warte, damit meine Augen sich an das schwache Licht gewöhnen, damit ich vielleicht eine Flasche Wasser oder meinetwegen auch einen Wasserhahn finden kann.
Aber nichts. Ich stehe auf, versuche ein paar Schritte zu gehen, doch mein ganzer Kopf dreht sich, vor Hunger, vor Durst, und meine Beine knicken weg, da ich sie wohl schon zu lange nicht mehr benutzt habe.
Ich bleibe einfach am Boden sitzen, habe keine Lust, wieder auf das Bett zu klettern. Will zu Ted. Meinem Ted. Was er und Viola wohl gerade machen?
Ich schließe die Augen, konzentriere mich, doch dieses Mal will diese Körper-verlassen-Sache nicht so ganz funktionieren. Schade. Ich hätte ihn gerne gesehen. Versucht mit ihm Kontakt aufzunehmen.
Meine Augen werden wieder schwer, ich bemerke, wie mir ein lautes Gähnen entweicht. Wie ist das möglich? Also in letzter Zeit hab ich doch eigentlich deutlich genug geschlafen und mich ausgeruht. Die Frage, ob sie mir wohl was eingeflößt haben, drängt sich mir auf. Ist doch einfacher, mich in Schacht zu halten, wenn mir was Beruhigendes verabreicht wird, oder? Vielleicht ein wenig Baldrian oder so. Ach, ich hab doch keine Ahnung.
Ich will nach Hause. Will in mein weiches Bett, will Ted neben mir, Viola am liebsten auch, meine Eltern! Was meine Eltern wohl machen? Wie es ihnen wohl geht? Ob sie der Polizei erzählen, dass mich diese Menschen hier schon kurz nach meiner Geburt kaufen wollten? Vermissen sie mich? Wissen sie überhaupt, dass ich, mehr oder weniger, entführt wurde? Letztere Frage beantworte ich mir mit einem klarem Ja. Vi und Ted waren bei mir Zuhause und nicht irgendwo anders. Daher müssen sie es wissen. Und ich bin mir absolut sicher, dass sie mich retten! Das werden sie! Meine Eltern, Ted und Viola, alle gemeinsam!
Ich weiß nicht genau, wie ich die nächsten Tage genau verbringe. Ab und an bringt mir jemand ein Glas Wasser oder einen Brocken Essen. Ich dämmere vor mich her, bemerke, wie ich jeden Tag schwächer werde, wie meine Willenskraft jeden Tag sinkt. Es ist langweilig, darum schlafe ich viel. Wenn ich wach bin, weiß ich nicht, ob es Nacht ist oder nicht.
Der einzige Gedanke, der mich die ganze Zeit über noch etwas aufmuntert, ist der, dass mich alle suchen, davon bin ich immer noch überzeugt. Wäre ja auch seltsam, wenn nicht. Immerhin lieben mich diese Menschen!
Nachdem ich gefühlte fünf Jahre in diesem Gefängnis verbracht habe, schlafe ich dann allerdings mit dem Gedanken ein, dass ich nicht mehr will. Es ist vorbei, ich kann nicht mehr. Ich möchte sterben.
Doch daraus wird nichts, denn ich werde, nachdem ich wirres Zeug geträumt habe, von einem Geräusch geweckt.
„Warum liegst du denn auf dem Boden?“, fragt mich eine mir wohlbekannte Stimme. Arme, die ich überall erkennen würde, heben mich hoch und ein vertrauter Duft steigt in meine Nase. „Oh nein, du bist ja ganz durchgefroren.“ „Ted“, hauche ich. „Ich bin hier. Ich bin bei dir.“ Gemeinsam mit mir legt er sich auf das Bett, zieht die Decke über uns und beginnt meinen Körper warm zu reiben. „Das hier war immer mein Zimmer. Entweder haben sie nicht damit gerechnet, dass ich komme, oder sie haben es provoziert.“ Seine Lippen ruhen kurz auf meiner Stirn, dann zieht er mich noch fester an sich. „Ich hol dich hier raus, Val.“ „Wie... wie lange bin ich schon hier?“ Ich frage mich, ob er mich versteht, meine Zähne klappern zu sehr, als dass ich ein vernünftiges Wort herausbekommen könnte. „Drei Tage“, antwortet er mir. „Du musst nicht sprechen.“ Seine Stimme wird leiser, ich muss mir Mühe geben, um ihn zu verstehen. „Ich hol dich hier raus. Oh Gott, ich war so ein Idiot! Ich war so blind! Dass ich nicht gerafft habe, was sie hier wirklich tun...“ Ich spüre etwas nasses an meiner Wange. „Nicht weinen.“ Sanft wische ich ihm die Tränen weg. „Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich auch, Val. Es tut mir so leid, dass ich dich nicht vor all dem hier beschützen konnte.“ „Ist okay. Hol mich einfach hier raus, ja?“ „Ich verspreche es dir, Val. Egal, was es kostet, ich bring dich nach Hause.“





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