Wir lieben die Sterne zu sehr, um uns vor der Nacht zu fürchten - Teil 5

Autor: MusicJunkie91
veröffentlicht am: 28.08.2011


Ich öffne langsam meine Augen und sehe zuerst Teds besorgtes Gesicht. Eine tiefe Falte hat sich auf seiner Stirn gebildet und seine Iris ist dunkler als sonst, beinahe schwarz. Ich versuche seinem Blick auszuweichen und treffe auf den von Kristina, die furchtbar aufgeregt scheint. Viola hält sich im Hintergrund, aber auch auf ihrem Gesicht kann ich ablesen, dass sie nicht sonderlich begeistert von meinem Zustand ist. Ich suche ihre Augen, will sie mit meinen festhalten, ihr zeigen, dass es mir gut geht. Sie nickt kurz, um mir zu verdeutlichen, dass sie versteht. Und dann bemerkt ich, dass nicht nur diese drei Personen mich anstarren, sondern die gesamte Mensa. Ich höre die Stimme der Krankenschwester, wie sie langsam näher kommt und richte mich schnell auf. Im gleichen Moment greift Ted nach mir und ich kann nicht anders, ich muss mich wieder beschweren. „Hör endlich auf mich anzufassen, du Idiot!“ Anstatt mich mal loszulassen oder so, grinst er. „Du bist noch die Alte, super.“ Dann hilft er mir aufzustehen. „Ich fürchte, du musst mir langsam mal erzählen, was du hast.“ „Nein.“ Ich will gerade noch was hinzufügen, als die Schwester schnaufend vor mir zum stehen kommt. „Was ist passiert?“ „Nichts, ich hab nur das Gleichgewicht verloren“, lüge ich und hoffe, dass Ted mir nicht wieder die Tour vermasselt. Umsonst. „Sie hatte einen Ohnmachtsanfall. Ich werde sie nach Hause bringen.“ Ja klar, als ob die Schwester das erlauben würde. Doch zu meiner Überraschung nickt sie. „Das halte ich für eine sehr gute Idee.“ Sie wendet sich ab und verlässt die Mensa in dem gleichen watschelnden Gang, in dem sie herbei geeilt ist. Ted lässt den Arm um meiner Schulter liegen und führt mich langsam, unter den ungläubigen Blicken der Anderen, aus dem Gebäude. „Was soll das, Ted?“ „Ich will dir nur helfen. Glaub mir einfach.“ Er schiebt mich ins Auto, setzt sich selbst rein und fährt los. Ich bin zu schwach um mich zu wehren, die Visionen nehmen mich immer mehr mit und in Sekundenschnelle bin ich eingeschlafen.

Als ich wieder aufwache, liege ich in meinem Bett und sehe blau. Ich zucke erschrocken zurück und höre als Antwort Teds entzückendes Lachen. „Tut mir leid, Val, du hast so süß ausgesehen.“ „Wie lange hab ich geschlafen?“ „Drei Stunden. Geht’s dir besser?“ „Wieso tust du das?“ „Was?“ „Dich um mich kümmern?“ „Weil ich dein Mentor bin.“ „Ich glaube kein Wort von dieser Sternengeschichte.“ „Ich weiß. Aber ich werde es dir irgendwann, irgendwie beweisen.“ „Viel Glück dabei.“ Er nickt und schaut mich an. Wieder versinke ich in seinen Augen. Wieso sind die so verdammt schön! Er scheint es zu bemerken, denn er legt seine Hand leicht an meine Wange. „Val, ich will dir nur helfen.“ Ich schlage seine Hand weg. „Ich brauch deine Hilfe nicht.“ Ich schwinge meine Beine aus dem Bett, halte inne, um zu überprüfen ob mir schwindelig wird. Das ist nicht der Fall, also stehe ich auf. „Du kannst nach Hause gehen.“ Er schaut mich einen Moment an, steht dann aber auf. „Ich nehm dich morgen früh mit.“ Dann verlässt er endlich mein Zimmer und ich bin allein.
Zuerst gehe ich duschen, denn das war mir ja am Morgen verwehrt geblieben. Also entledige ich mich im Bad meiner Kleidung und klettere in die Wasserfall-Dusche. Meine Eltern haben viel Geld, ich kriege alles, was ich nicht brauche. Aber das was ich will, das bekomme ich nicht. Ein Auto. Es wäre zu gefährlich. Mir könnte was passieren. Mir kann doch auch was passieren, wenn ich zu Fuß gehe! Doch egal, was ich für ein Argument vorbringe, sie bleiben hart.
Nun ja, ich gehe also in die Dusche und genieße zunächst eine Weile das lauwarme Wasser, wie es auf meinen Körper fällt. Dann greife ich zum Dusch-Gel und beginne mich einzuseifen. Ich mag meine Figur eigentlich. Ich habe einen flachen Bauch, eine schmale Taille, feste Brüste. Ob Ted recht hat und sich wirklich viele Jungs für mich interessieren? Wieso hat mich dann noch nie einer angesprochen? Ich seufze und spüle den Schaum ab, bevor ich mich meinen mittelbraunen Haaren zuwende. Sie liegen mir bis zur Mitte des Rückens, daher brauch ich immer eine Weile. Ich hab drei verschiedene Shampoos, die ich laut meiner Friseurin alle benutzen sollte. Als das endlich erledigt ist, stelle ich das Wasser ab und steige aus der Dusche. Ich wickle mich in ein großes Handtuch und wische mit der Hand über den beschlagenen Spiegel, damit die Sicht frei wird.
Ted sagt, ich wäre hübsch. Aber war ich das wirklich? Diese Stupsnase mag ich gar nicht, auch nicht die Sommersprossen die sich darauf und über den Rest meines Körpers verteilen. Ich seufze erneut und creme mich mit einer Lotion ein. Ich neige zu trockener Haut, ich verliere immer viel Flüssigkeit wegen meiner Visionen, weil ich dabei furchtbar schwitze.
Meine Visionen.
Ich ziehe ein Nachthemd über und gehe in mein Zimmer zurück. Dort lasse ich mich in meinen weichen Sessel fallen und ziehe die Knie an die Brust. Sie darf nicht sterben. Sie darf nicht sterben. Sie darf einfach nicht! Eine Träne rollt über meine Wange, die ich mir mit einer wütenden Geste wegwische. Wieso? Wer ist dieser Kerl, der sie so quält? In welcher Reihenfolge sehe ich diese Szenen aus ihrem Leben? Naja, die Erste, in der sie ertrinkt, das geschieht als letztes .. kann ich sie irgendwie davon abhalten eine Landstraße lang zulaufen? Davon in den Wald zu gehen? Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Wozu hab ich die Visionen, wenn ich sie nicht ändern kann? Ich hab zu Viola gesagt, das es gefährlich sein könnte, die Zukunft zu ändern, aber in dem Fall würde ich eine Ausnahme machen. Oh, verdammt, was soll ich tun? Ich greife zu meinem Tagebuch und beginne die Visionen niederzuschreiben. Manchmal hilft mir das. Aber diesmal nicht, das merke ich schon, als ich den ersten Satz geschrieben habe.

_Viola_

Sie steht schon eine Weile vor Valeries Haustür. Soll sie klingeln? Soll sie nicht klingeln? Es ist kein Mittwoch. Da geht die Tür auf und Ted kommt heraus und Viola bleibt vor Erstaunen der Mund offen stehen. „Ted?“ „Ehm .. hi, Viola.“ „Wie geht’s ihr?“ „Gut. Glaub ich. Sie hat mich rausgeworfen.“ Er grinst schief. „Sie mag es nicht, wenn man sie berührt. Ich mach es trotzdem als. Ich glaube deswegen hasst sie mich.“ Viola zuckt mit den Schultern. „Das kann ich dir nicht sagen. Ich gehe mal zu ihr.“ „Sie ist gerade unter der Dusche. Ich glaube, sie braucht einfach Ruhe. Aber komm doch noch mit zu mir, vielleicht kannst du mir weiterhelfen.“ Viola zuckt mit den Schultern, wieso nicht. Ted ist schon heiß. Er geht nur bis zum nächsten Haus und Viola ist erstaunt. „Du wohnst hier?“ Ted nickt und geht rein. „Seit ein paar Tagen. Willst du was trinken?“ „Eine Cola wäre cool.“ „Alles klar, setz dich doch schon mal.“ Er verschwindet in einem anderen Raum. Viola leistet seiner Aufforderung Folge und setzt sich auf eines der superweich aussehenden Sofas. Und tatsächlich sinkt sie ein. Sie lächelt, das gefällt ihr. Ihr Blick beginnt zu schweifen. Diese Wohnung sieht relativ unpersönlich aus, es hängen keine Bilder an den Wänden oder sonst irgendwas, das davon zeugt, dass hier jemand lebt. Lediglich ein wenig Farbe wurde aufgetragen. Eine ziemlich interessante Mischung aus Rot, Weiß, Schwarz und Blau. Er kommt wieder, zwei Gläser in der Hand und reicht ihr eins. „Ja ich weiß, sieht nicht sonderlich schön hier aus. Aber ich muss mich auch erstmal einleben, bevor ich alles einrichte.“ „Wohnst du allein?“ „Ja, bin ja schon volljährig. Meine Eltern sind vor ein paar Jahren gestorben.“ „Oh, das tut mir leid.“ „Muss es nicht. Ich bin drüber hinweg.“ Sie schaut ihn an und versucht zu erkennen, ob er die Wahrheit sagt, aber in seinen Augen kann sie es nicht erkennen. „Also geht es ihr gut?“ „Ja.“ Er nickt bestätigend und nimmt einen Schluck von seiner Cola. „Auch wenn sie mich nicht leiden kann. Weshalb bricht sie eigentlich immer zusammen?“ „Woher willst du wissen, dass sie dich nicht mag? Sie ist halt vorsichtig. Sie lässt eigentlich niemanden an sich ran, nicht einmal Kristina so richtig. Eigentlich nur mich und das, weil wir uns schon sechzehn Jahre kennen.“ „Ist sie hergezogen oder du?“ „Sie.“ Viola trinkt einen Schluck. „Du magst sie wirklich sehr, oder?“ Er nickt wieder und seufzt dann. „Aber sie will mir nicht sagen, was mit ihr los ist. Wieso bricht sie immer zusammen?“ „Nun, das werde ich dir auch nicht sagen, Ted. Es ist ihr Geheimnis.“ „Und nur du weißt es, richtig?“ „Ja. Aber hey, wenn du sie wirklich magst, dann zeig\' ihr das. Berühr sie so wenig wie möglich, mach ihr deutlich, dass du ihr zuhörst, indem du halt die Dinge nicht tust, die sie nicht mag und die Dinge machst, die sie mag.“ „Was mag sie?“ „Essen“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Viola grinst. Ja, Val liebt Essen. Sie kann sich nie entscheiden, wenn sie irgendwo Essen geht, darum bestellt sie immer gleich drei verschiedene Portionen, die am Ende alle leer waren. Und sie nimmt trotzdem nicht zu, worum Viola sie absolut beneidet. Sowieso beneidet sie sie um vieles. Um ihr Aussehen, um ihre Noten .. sogar um die Visionen. Viola wäre auch gern interessanter, hätte auch gerne irgendein Talent. Aber das Einzige, was sie kann, ist in der Clique Modetipps zu geben. Ein interessanteres Leben wäre so schön ..
Ted unterbricht sie in ihrem Gedankenlauf. „Essen?“ Viola nickt und trinkt die Cola leer. „Naja, ich muss nach Hause, meine Mum wartet mit dem Essen. Wir sehen uns in der Schule.“ Ted nickt abwesend. Viola steht auf und schaut ihn noch einen Moment an. „Sei einfach nett. Versuch sie nicht unter Druck zu setzen.“ Dann verlässt sie Teds Wohnung und macht sich auf den kurzen Weg nach Hause.

_Valerie_

Es ist spät, als ich mich auf mein Bett lege, um endlich zu schlafen. Ich habe noch Hausaufgaben gemacht, Ablenkung gesucht. Doch jetzt gibt es nichts mehr zu tun und die Gedanken kommen zurück und ich stelle mir eine Menge Fragen, während ich in meinen eigenen Sternenhimmel starre.
Was kann ich tun? Wie zur Hölle stelle ich es an, dass sich die Zukunft ändert? Warum ausgerechnet sie?
Ich kenne keine Antwort, auf keine der Fragen. Ich wälze mich lange hin und her, bis ich doch in einen leichten Schlaf falle.

Am nächsten Morgen sehe ich noch schlechter aus als am Vortag. Ich traue mich kaum in den Spiegel zu schauen – dennoch tue ich es und weiche schreiend zurück. Meine Mutter, die aus irgendeinem Grunde noch nicht auf dem Weg zur Arbeit ist, kommt ein paar Sekunden später, meinen Namen rufend, ins Zimmer gestürmt und seufzt erleichtert, als sie sieht, dass eigentlich nichts passiert ist. „Valerie, mein Gott, hast du mich erschreckt.“ „\'Tschuldigung“, nuschele ich, während ich versuche meine Haare zu glätten, die mir wie eine Löwenmähne vom Kopf abstehen. Meine Mutter schüttelt den Kopf. „Wasch sie dir. Ich hole in der Zeit ein wenig Make-Up, um diese schrecklichen Augenringe zu überdecken. Das liegt doch alles nur an ..“ Sie bricht ab und verlässt schnellen Schrittes mein Zimmer wieder. Ich schaue ihr verwirrt hinterher. Woran liegt was? Weiß sie vielleicht doch was? Na, da werde ich sie gleich, wenn sie wiederkommt, mal so richtig ausquetschen.
Ich mache, was sie gesagt hat, ich wasche mir die Haare, rubble sie trocken und föne sie mir. Nie wieder werde ich mich mit noch feuchten Haaren ins Bett legen, nie wieder. Ich komme gerade wieder in mein Zimmer, als auch meine Mutter es wieder betritt, sie ist blass. „Valerie, du brauchst nicht zur Schule zu gehen.“ Woa, was? Wer ist das bitte und was ist mit meiner Mutter geschehen? Nie, nie würde Jane Johnson so etwas sagen. „Valerie, wirklich. Ich hab mit deinem Vater gesprochen.“ „Mum, was ist hier los?“ „Wie, was soll los sein?“ „Woran liegt es? Und wie kommt es, dass ich nicht in die Schule muss? Weshalb bist du noch nicht an der Arbeit?“ Sie zögert einen Moment, bevor sie sich auf mein Sofa setzt und neben sich klopft. „Wir müssen reden, Valerie.“





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