Einfach nur eine Geschichte - Teil 7

Autor: john
veröffentlicht am: 23.08.2011


Die Sonne schien. Ein recht warmer, wenn nicht sogar heißer aber dennoch angenehmer Tag. Ich ging in einem Park, in der Nähe des Krankenhauses spazieren. Glücklicherweise konnte ich mein Gewicht jetzt selbst mit Hilfe von Krücken halten, anstatt mit einem Rollstuhl herum gefahren zu werden.
Ich fühlte mich deutlich besser. Mein Knochenbrüche und Quetschungen waren einigermaßen wieder verheilt. Dennoch musste ich weiterhin im Krankenhaus bleiben. Und zwar länger als die vorgesehenen vier Wochen. Sechs. Ganze sechs waren bereits vergangen. Ich hatte mich an diesen, für mich einen ziemlich ungemütlichen Ort gewöhnt. Ich hatte mich mit der Tatsache abgewöhnt, dass ich jetzt nun einmal hier war. Meine anfängliche Wut und Verzweiflung hatte sich mit der Zeit verflüchtigt.
Ich weiß nicht warum und woher meine innere Ruhe gekommen war. Vielleicht weil ich es ungefähr in den letzten drei Wochen geschafft hatte mich zu entspannen. Und alles so zu lassen wie es ist… Alles zu vergessen bis ich wieder zu Hause war.
… vielleicht weil ich angefangen hatte diese Textteile nieder zu schreiben. Meine eigene Geschichte. Ab dem Tag wo ich sie getroffen hatte.

Marie ging mit gesenktem Kopf neben mir. Ihr ging es besser. Ihre dauerhafte Besorgtheit um mich hatte ein wenig abgeklungen. In letzter Zeit schien sie aber etwas zu beschäftigen. Und ich ahnte zu wissen was. Öfters war sie in Gedanken versunken und schaute abwesend in die Luft.

Langsam hob Marie den Kopf und sah mich eine zeitlang an bevor sie sprach.
,,Ben“, begann sie leise. ,, Ich muss mit dir über etwas wichtiges reden, was ich nicht verstehe.“
,,Nur zu.“, sagte ich.
,, Wie kommt es, dass niemand außer mir dich besucht? Ich meine. Dein Vater, deine Mutter? Sie müssen sich doch Sorgen machen… Hast du überhaupt eigentlich Geschwister? Du erzählst mir nie etwas über deine Familie. Über deine Freunde. Über Leute, die du kennst.
Immer wenn ich darauf zu sprechen komme, dich irgend etwas darüber frage, lenkst du ganz schnell vom Thema ab, ignorierst mich oder tust einfach so als ob du mich nicht gehört hast.
Über meine Familie hast du auch nie etwas gefragt. Ich habe dir alles erzählt und wusste nicht einmal ob es dich interessiert hat.
Ich schwieg. Dann öffnete ich den Mund. Und schloss ihn wieder. Es war klar, dass sie mich das irgend wann einmal fragen würde. Es war logisch das ich es ihr früher oder später erzählen musste.

Aber ich hatte Angst. Angst wie sie darauf reagieren würde. Angst, dass ich sie deswegen verlieren würde. Ich hatte es oft vor gehabt, schob aber dann den Gedanken kurz davor immer schnell ab. Ich schluckte: ,, Ich habe niemanden mehr außer dir… .“ sagte ich und schaute zu Boden. Marie sah mich verständnislos an und blieb stehen. ,,Was meinst du damit?“
,,Setzt dich lieber.“ Ich zeigte auf eine Parkbank, die von Bäumen umringt einige Meter entfernt im Schatten stand. Sie ging langsam voraus und ich humpelte mit meinen Krücken hinter ihr her. Sie half mir mich zu setzen und sah mich dann skeptisch an. So hatte sie mich noch nie angesehen… Ich seufzte: ,, Ich habe niemanden mehr weil ich alle verloren habe. Was ich dir jetzt erzähle… und ich werden dir alles erzählen… denk bitte danach nicht anders von mir als jetzt. ,, In Ordnung?“ Sie zögerte kurz. Und nickte dann unsicher.
Wo sollte ich anfangen? Ich bekam einen Kloß im Hals. Ich wollte diese alten Erinnerungen nicht wieder ausgraben. Ich wollte nicht, dass sie mich wieder jede Nacht verfolgten. Seit Marie in mein Leben gekommen war, hatte alles wieder einen Sinn. Ich wollte nicht, dass mein Erlebtes wieder die Kontrolle über mein Leben hatte.

,,Ich habe nicht schon immer in diesem Bundesland gelebt. Sondern vorher in einem anderem. Ich. Meine Mutter. Mein Vater und mein kleiner Bruder. Wir wohnten in einem kleinen aber eigentlich ziemlich gemütlichen Haus, etwas abgelegen von einer Stadt, dessen Namen ich schon vergessen habe. Mein Stiefvater arbeitete als Bauunternehmer. Meine Mutter als schlichte Verkäuferin in einem kleinen Geschäft. Ich kam zur Welt. Vier Jahre später mein Bruder Jack, den ich mehr alles andere geliebt hatte. Wir hatten Probleme. Extrem schwierige Probleme.Ganz besonders mit meinem Stiefvater. Er schrie wegen jeder einzelnen Kleinigkeit. Er duldete keinen Ungehorsam und keine auch so kleine Abweichung von seiner Disziplin. Er fühlte sich als das absolute Oberhaupt der Familie. Ich fügte mich ihm, um keinen Ärger zu bekommen. Ich hatte Angst vor ihm. Meine Mutter war sanft, gutmütig und eben eine Mutter, die für einen da war. Ganz anders als er. Er schlug mich. Vor allem als ich noch kleiner war, wo ich nicht allzu viel verstand. Vielleicht kannte er es nicht anders so. Vielleicht wurde er selbst so erzogen?
Natürlich, meine Mutter setzte sich für mich ein, so gut wie sie konnte aber sie selbst fürchtete sich vor ihm , obwohl sie es nie zugeben würde. Ich weiß nicht warum sie ihn überhaupt geheiratet hat. Ihr musste doch die Natur dieses Menschen bekannt gewesen sein. Vielleicht wegen des Geldes? Sie hatte ziemliche Geldprobleme bis sie in die Ehe eingegangen war. Sie konnte sich kaum über Wasser halten. Ihr Mann, mein richtiger Vater, an denn ich mich kaum erinnern kann, der vorher an ihrer Seite war, ist gestorben. An Krebs. Hatte sie mein Stiefvater erpresst, gedroht, wegen irgendetwas… damit sie ihn heiratete… oder ist meine Mutter völlig freiwillig zu ihm gekommen? Ich weiß darüber bis heute nichts.

Mein Bruder kam zur Welt. Ich wollte nicht, dass er genau so leiden musste wie ich. Einige Zeit bis er ein kleines Kind war, ging es uns einigermaßen gut. Dann als mein Stiefvater aus seiner Arbeit wegen irgendeiner illegalen Tätigkeit raus geschmißen wurde, war die Hölle los. Er war nun die ganze Zeit zu Hause, konsumierte Alkohol und ließ seine psychische Krankheit, wie man sie zu diesem Zeitpunkt bezeichnen konnte vor allem an meinem Bruder aus. Ich stellte mich jedes Mal vor ihm und versuchte ihn zu beschützten, wobei ich das meiste abbekam.

Irgendwann ging mein Vater immer wieder aus dem Haus oder traf sich mit komischen und gefährlich aussehenden Leuten… . Jugendamt… Natürlich hätten wir uns an jemanden wenden können. Aber was würden wir dann tun? Meine Mutter konnte uns drei wohl kaum alleine ernähren. Und was würde mein Stiefvater dann tun. Ich würde es ihm zutrauen, dass er uns auffinden würde und dann aufs übelste bestrafen würde. Das Geld das er in seiner früheren Arbeit verdient hatte, hätte eigentlich schon ausgehen sollen aber trotzdem hatten wir genug zum Leben. Freunde hatte ich nicht. In der Schule war ich unbeliebt, wurde sogar auch gemobbt . Bekannte hatte ich nicht. Leute, die mir helfen konnten ebenso ... Es war als ob wir in einem Gefängnis lebten.
Ich und mein Bruder mussten täglich die Hausarbeit übernehmen, taten alles damit er zufrieden war und gingen ihm so gut wie möglich aus dem Weg. Ich wollte warten bis ich 18 bin. Das Sorgerecht für meinen Bruder übernehmen und verschwinden. Einen guten Abschluss zu haben.. Mir ein gutes Leben verschaffen und mir dann meine Mutter zu uns holen.
Ich war 17 als es dann passierte. Mein Siefvater war wieder einmal betrunken. Zum ersten Mal sah ich wie er nun auch meine Mutter vor meinen Augen schlug. Mein Bruder weinte. Nach dem 3. Schlag konnte ich es mir nicht länger ansehen. Als mein Stiefvater zum 4. Mal ausholte packte ich ihn und kickte ihn mit meiner ganzen Kraft, die ich aufwenden konnte. Er landete mit dem Rücken in einem unserer Küchenschränke. Geschirr prasselte auf ihn nieder. Darunter auch Messer. Er schnappte sich eines und war im Begriff es auf mich zu werfen. Das Messer flog. Erreichte mich aber nicht. Er… er…. Mein Bruder, Jack hatte sich davor geworfen.“

Ich spürte wie mir eine einzelne Träne das Gesicht hinunter kullerte. Ich erinnerte mich genau, wie er dann in meinem Schoß lag, nach Luft röchelte und langsam die Augen geschlossen hatte.

,,Ich konnte es nicht fassen. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich tat das erstbeste was mir in den Sinn kam. Ich stürzte auf den Menschen, den ich am meisten verachtete, der ganz allein Schuld war, Schuld an allem… und schlug ihn immer wieder ins Gesicht bis er bewusstlos auf den Boden sank. Meine Mutter schrie. Ich ignorierte sie. Lief in mein Zimmer, schnappte mir meine Tasche, die ich für einen Notfall, falls ich irgendwann schnell für einige Tage verschwinden musste mit dem nötigsten gepackt hatte und rannte dann wieder zu meiner Mutter. Ich wollte, dass sie mitkam. Ich versuchte sie zu überreden. Sie schüttelte aber den Kopf und legte voller Verzweiflung ihren Kopf auf den Körper von Jack. Ich versuchte sie wegzuzerren, es schaffen sie mit zu nehmen. Sie wehrte sich aber mit aller Macht und so ließ ich sie zurück.

Ich lebte. Naja, auf der Straße. Klar, ich hätte mir eine Ein-Zimmer Wohnung mieten können, aber ich wollte kein Aufsehen erregen nachdem was passiert war. Mein Stiefvater hätte mich auffinden können. Ich könnte es ihm zutrauen, dass er diese Sache niemals erwähnen würde, bis die Leute selbst auf ihn aufmerksam wurden und sich fragten wo Jack war. Ich wollte einfach verschwinden. Ich lebte im Wald. Nachts in der Kälte. Zwei Monate lang bis ich achtzehn wurde und meinen Abschluss geschafft hatte. Ein Schnitt von 1.2 . Meine Mitschüler und Lehrer waren an meinen dauerhaften gestressten und traurigen Anblick gewöhnt, sodass es keinem auffiel. Meine Mutter hatte vor einigen Jahren ein Sparkonto angelegt, von der ich die Karte gestohlen hatte, ohne dass es jemand bemerkt hatte. Ich kannte die Pin- Nummer. Mit dem Geld, dass auf dem Konto war hatte ich mich ernährt. Was weiterhin mit meinen Eltern geschehen war… weiß ich bis heute nicht. Mit Hilfe desselben Geldes fuhr ich mit dem Bus in ein anderes Bundesland und habe mich hier an der Uni beworben. Das ist jetzt ungefähr drei Jahre her.“

Marie hatte stumm zugehört. Sie staarte auf den Boden. Ausdruckslos. Keine Reaktion. ,,A“ . Das war das einzige was sie herausbrachte. Ein schlichter Buchstabe. Es fing an zu regnen und so saßen wir da. Ich wusste nicht wie lange... aber… Ich hatte es ihr erzählt.






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