Die Sauerländer Maer

Autor: Bernd Bernard
veröffentlicht am: 17.06.2011


Im Sauerland bei Menden lebt‘ eine Seherin, die las aus allen Händen und riss die Menschen hin. - Sie saß in einem Wagen, der war aus Holz und Stroh, und wer sie wagt‘ zu fragen, wurd‘ traurig oder froh.
Da kam ein armes Mädel von trauriger Gestalt; drei Haare bloß am Schädel, im Herzen schon ganz kalt. - Es sprach ihr: „Liebe Weise, ich bin so ganz allein, drum sage mir doch leise, wer wird mein Liebster sein?“ - Die Weise mischte Karten und las im Kaffeesatz, das Mädel konnt’s kaum warten, voll Nadeln stach ihr Platz.

Dann schickte die Seherin weise das Mädel auf die Reise:

„Lauf durch die dunklen Wälder bis hinter Fröndenberg, dort siehst du gold’ne Felder, am Wegrand steht ein Zwerg. - Der Gnom wird dich geleiten zur Boerderländer Fee, die wird dir dann bereiten, was ich im Dunkeln seh. Doch lass dich nicht verführen von Eitelkeit und Gier, sonst musst du’s Unglück spüren und alle Welt mit dir!“
Das Mädel lag zu Füßen der weisen Seherin, sie schied mit tausend Grüßen und lief dann schnell dahin. - Durch dunklen Wald gegangen, da leuchtete das Feld; vom Wurzelzwerg empfangen, verzaubert schien die Welt. - Der fasst‘ die kalten Glieder, zur Fee war’s nicht mehr weit, bald klangen leise Lieder voll sel’ger Heiterkeit. Und in dem weiten Garten wogt‘ stolz die Blütenpracht, die Fee tat sie erwarten in dieser heil’gen Nacht.
Im Grase tanzten Elfen, die Fee pflückt‘ Kraut und Wein, ein Kobold durft‘ ihr helfen, rührt’s in das Wasser ein. - Sie badeten das Mädel, da wurd das Wunder wahr, schon quoll vom kahlen Schädel das erste gold’ne Haar. - Das Mädel lag wie trunken, die Glieder wuchsen fein, wähnt‘ in dem Traum versunken: Wer wird mein Liebster sein? - Da brach die milde Stille der Nachtigallensang, sie rieb sich die Pupille und lauscht‘ dem süßen Klang. - Am Bache küsst‘ mit Beben sich selber auf den Mund; sie sah ihr Antlitz schweben in dieser Morgenstund.
Von Ferne zogen Wagen und Reiter hoch zu Ross, die rollten schon seit Tagen zur Brautschau auf das Schloss. - Die Schöne mocht‘ nicht zaudern und wandelt‘ hintendrein, ein Kutscher lud zu plaudern sie in die Droschke ein. - Da hockt‘ sie bei den Damen, gab sich den Träumen hin, und jede sah im Rahmen sich selbst als Königin. - Weit hallten die Posaunen, die Brücke wurd gesenkt, das Mädel sah mit Staunen, welch Schicksal ihr beschenkt‘. - Kaum stieg sie aus dem Wagen, sah sie des Königs Sohn, da braucht‘ es nicht viel Fragen, da heirateten sie schon. Das Mädel konnt’s nicht fassen, was sie da denn erlebt‘, wollt‘ nie mehr davon lassen, wie es ist, wenn man auf Wolke 7 schwebt. - Bald liebt‘ sie alle Laster, macht jeden Tag zur Nacht, was zählte, das war Zaster, vergänglich schien die Pracht. - Und als die Alten starben, wurd sie zur Königin, -dacht‘, den Reichtum, den sie haben, der reicht drei Leben hin. - Sie schaute in den Spiegel und schürzte ihr Gesicht, sie gab sich Brief und Siegel; doch die im Dunkeln des Reiches sah sie nicht. - Das Volk fing an zu jammern, die Ställe wurden leer, kaum Korn mehr in den Kammern und keine Eier mehr. - Die Königin aber lobte stolz ihr neues Kleid, und dass das Volk da tobte, dafür hatte sie keine Zeit.
Da klopft‘ es tief im Winter am Tore von dem Schloss; die Königin dahinter, - alte Frau mit Karre und Esel, kein Reiter und kein Ross. - „Verschwinde du Gesindel“, ließ sie der Alten sagen, dann nahm sie eine Schindel, schmiss sie ihr auf den Wagen. - Kaum aber war der Stein zerschellt, brachen vom Schlossturm die Spitzen, dann fiel Nebel über die Welt, erstickte das Donnern und Blitzen.

Und wo das weiße Schloss einst stand, genau an dieser Stelle, wo die Weise das Mädel wiederfand, steht heut eine kleine Kapelle. - In Stein gemeißelt liest man hier: „Lass dich nicht verführen von Eitelkeit und Gier, sonst musst du’s Unglück spüren und alle Welt mit dir!“

Geistiges Eigentum, lg Fleder.








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