Die Westerwaldsage

Autor: Bernd Bernard
veröffentlicht am: 02.06.2011


(… von Franz und der Marie)

Im Westerwald bei Siegen wohnt‘ einen schöne Maid, die mocht‘ sich freudig wiegen in ihrem weißen Kleid. Und drüben in dem Garten saß auf dem Baum ein Bur, der konnte kaum erwarten im Grase ihre Spur. Sie ließ die Waden blitzen beim Radschlag durch die Luft, den Burschen tat’s erhitzen mit wundersamem Duft.
Da trat er an das Gatter, warf ihr ein Röslein zu, - rief: „Eh, du schlanke Natter, du, wie heißt denn du?“ Die Maid ergriff die Blüte, rief flugs zurück: „Marie!“ und ließ zu seiner Güte sich nieder auf die Knie. - „Ich, ich bin der Franzen, hab dich so oft gesehn, und schau ich deinem Tanzen, dann bleibt das Herz mir stehn.“ Marie begann zu glühen vom Hals bis zum Genick, ihr Herz fing an zu sprühen, verzaubert war ihr Blick. - Sie hörte leis ihn werben: „Komm zu mir an den Zaun! Ich muss, bevor wir sterben in deine Augen schaun!“ - Da kam Marie gegangen zu dieser frohen Stund; sie reichte Franz die Wangen, und er küsste ihren Mund. - So neckten und wärmten sie ihr beider junges Blut, bis Mücken sie umschwärmten in heißer Liebesglut.
Da scholl vom Haus ein Rufen, Marie schrak schnell hinfort, sie winkte von den Stufen und rief ein liebes Wort. - Im Schlaf wähnt‘ sie sein Werben, spürt seinen zarten Flaum; seufzt‘: „Möge er doch bleiben mir dieser süße Traum…“ Und Franz lag wach im Kissen, hatt‘ nur an sie gedacht; sein Körper lag zerrissen in dieser schwülen Nacht. - Gleich morgens in der Frühe schlich er bei ihr ums Haus; vergebens war die Mühe, sie durfte nicht mehr raus. - So zogen Stund und Tage voll Trauer durch das Land, ihr Leben wurd zur Plage, weil Herz das Herz nicht fand. - Franz fieberte und sehnte nach ihrem heißen Tanz, dass sie sich wieder dehnte im hellen Sonnenglanz. Und Marie hockt‘ in der Stube, hört‘ wie der Vater sprach, - er wär‘ ein böser Bube, der nicht halt‘, was versprach. - Im Hause war’s lang dunkel, grad wollt‘ Franz heimwärts ziehn, da traf ihn ein Gefunkel, er mocht‘ vor Schrecken fliehn. Hoch hinter einem Fenster, da schwenkte hell ein Licht, das waren nicht Gespenster, da täuschte es ihn nicht. - Er sah Marie ihm blinken, sie stand dort ganz in weiß, und dieses stumme Winken durchrieselte ihn heiß. Sie öffnete das Fenster, warf ihm ein Briefchen zu; kaum, dass er es erreichte, schloss sie den Riegel zu. - Franz kletterte in Eile auf seinen lieben Baum und dachte dann beim Lesen an einen bösen Traum. „Mein Vater hat gesehen, wie du mich hast geküsst; ich darf nicht mit dir gehen, mach, dass du mich vergisst.“
Da griff Franz eine Leiter, stieg rauf zu ihr auf‘s Dach; er klopfte immer weiter, dann lag sie endlich wach. - Und kam auf blanken Füßen in ihrem weißen Hemd, einander sich begrüßend von Sehnsucht überschwemmt. - Im Anfang war ein Zaudern, als sie sich sanft berührt; doch dann hat sie das Schaudern zur Zärtlichkeit verführt. - Der Mond zog seine Kreise, die Sterne brannten hell, da kosten sie sich leise im Zimmer auf dem Fell. Franz pflückt‘ von ihrem Leibe die herrlich glatte Frucht und tastet‘ über beide hinab die wog’nde Schlucht. - Und Marie zog über’m Rücken ihm eine feuchte Spur; sie spürten mit Entzücken, was ihnen wiederfuhr. - Da kam er auf sie nieder, doch Marie, sie wehrte sich; sie schmeichelte ihm wieder, als er sie zärtlich strich. - Ihr Atem hob sich heiser in dieser Sommernacht: sie waren um das weiser, was beide nicht bedacht. - Schon graute rot der Morgen, die Welt erstrahlt wie neu, sie flüsterte geborgen: „ Ich bleib dir immer treu.“
Da traf das Paar der Schrecken im Vater in Person, ihr Ringen tat ihn wecken, schrie: „Undank ist der Lohn!“ - Er griff Mariens Zöpfe und Franz an dem Genick, dann beutelt‘ ihre Köpfe mit bitterbösem Blick. - Und stieß sie in die Beete, so nackt wie Gott sie schuf, der Vater, dem sie flehte, verschmähte ihren Ruf. - Marie begann zu klagen: „Jetzt bin ich ganz allein,“ - da hört‘ sie leis ihn sagen: „Ich bin doch immer Dein!“ - „Bin nur ein armer Knabe, hab in dem Stall gewohnt; doch du bist’s, die ich habe, dein Herz ist reich belohnt.“ Sie liefen durch die Weiden, gebückt und voller Scheu, der Himmel musst‘ sie kleiden, nachts schliefen sie im Heu. - In einem großen Garten, kein Mensch war weit und breit, Franz konnt‘ es nicht erwarten, stahl Hose, Hemd und Kleid. Laut bellten alle Hunde, man hatte sie entdeckt, und sie lebten seit der Stunde im Westerwald versteckt. - Im Sommer gab es Beeren und Wasser aus dem Bach, doch schnell tat‘s Jahr sich zehren, die Sonne schien bald schwach. - Marie sprach: „Lass uns sterben im dunklen Westerwald, wir müssen qualvoll derben, mir ist so bitterkalt.“ Und sammelt‘ aus dem Laube den hohen, glatten Stiel, verzuckert war die Haube und tot, wer ihr verfiel.
Da fing es an zu blitzen, es schlug ganz nahe ein, sie durften sich erhitzen im gold’nen Feuerschein. Marie hört‘ leis ihn werben: „O Liebste, hab Vertraun, ich möcht‘, bevor wir sterben in deine Augen schaun.“So groß war ihr Begehren im Blick der Todesstund, sie konnt‘ sich nicht erwehren und küsst‘ ihn auf den Mund. - Der Regen tropfte leise, ihr Blick war ohne Scham; nach liebeskranker Reise nahm Franz sie in den Arm. - Ihr Blut begann zu sieden, sie brach den Pilz entzwei, bevor sie stumm verschieden, hallt‘ durch den Wald ein Schrei. - Ihre Zähne glänzten weiß und die Lippen rot; sie drehten sich im Kreis, dann waren beide tot.

Der Westerwald bei Siegen trug längst ein weißes Kleid, ein Jäger sah sie liegen tief in der Winterzeit. - Sie lagen eng umschlungen, so nackt wie Gott sie schuf; die Liebe war bezwungen, doch ewig hallt ihr Ruf:
„Franz, Franz,
siehst du meinen Tanz?“ -
„Marie, Marie,
den vergess ich nie!“

Geistiges Eigentum, lg Fleder.








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